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Zur
chopathologie des Alltagslebens
(Über Vergessen, Versprechen,
Vergreifen, Aberglaube und Irrtum)
Von
Prot Dr. SignLJFreud
in Wien S
Zweite, vermehrte Auflag-e
Nun in die Lull von eolchem Spuk eo voll.
Daß niemand weiß, wie er Du meiden eolL
leint. U. TeO. V. Akt,
BERLIN 1907
VERLAG VON S. KARGER
KARLSTRASSE 15
DURCHGESEHENER UND VERMEHRTER ABDRUCK AUS DER MONATS-
SCHRIFT FÜR PSYCHIATRIE UND NEUROLOGIE, BD. X. 1901.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Pnbltahed 1. Jnly ltor. Privileg« of Copyright in ttae United State« rwerred ander the ut
«.pproTed Maren S, 1*0», by 8. Karger-Berlln.
Inhaltsangabe.
Seile
I. Vergessen von Eigennamen 3
II. Vergessen von fremdsprachigen Worten 9
III. Vergessen von Namen und Wortfolgen 15
IV. Über Kindheits- und Deckerinnerungen 24
V. Das Versprechen 30
VI. Verlesen und Verschreiben 50
VII. Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen 57
VIII. Das Vergreifen 76
IX. Symptom- und Zufallshandlungen 90
X. Irrtümer 99
XI. Kombinierte Fehlleistungen 105
XII. Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichts-
punkte 106
I.
Vergessen von Eigennamen.
Im Jahrgange 1898 der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie
habe ich unter dem Titel „Zum psychischen Mechanismus der Ver-
geßlichkeit" einen kleinen Aufsatz veröffentlicht, dessen Inhalt ich hier
wiederholen und zum Ausgang für weitere Erörterungen nehmen werde.
Ich habe dort den häufigen Fall des zeitweiligen Vergessens von Eigen-
namen an einem prägnanten Beispiel aus meiner Selbstbeobachtung der
psychologischen Analyse unterzogen und bin zum Ergebnis gelangt,
daß dieser gewöhnliche und praktisch nicht sehr bedeutsame Einzel-
vorfall von Versagen einer psychischen Funktion — des Erinnerns —
eine Aufklärung zuläßt, welche weit über die gebräuchliche Verwertung
des Phänomens hinausführt.
Wenn ich nicht sehr irre, würde ein Psycholog, von dem man
die Erklärung forderte, wie es zugehe, daß einem so oft ein Name
nicht einfällt, den man doch zu kennen glaubt, sich begnügen, zu ant-
worten, daß Eigennamen dem Vergessen leichter unterliegen als anders-
artiger Gedächtnisinhalt. Er würde die plausiblen Gründe für solche
Bevorzugung der Eigennamen anführen, eine anderweitige Bedingtheit
des Vorganges aber nicht vermuten.
Für mich wurde zum Anlaß einer eingehenderen Beschäftigung
mit dem Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens die Beobachtung
gewisser Einzelheiten, die sicli zwar nicht in allen Fällen, aber in ein-
zelnen deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird nämlich
nicht nur vergessen, sondern auch falsch erinnert. Dem
sich um den entfallenen Namen Bemühenden kommen andere —
Ersatznamen — zum Bewußtsein, die zwar sofort als unrichtig
erkannt werden, sich aber doch mit großer Zähigkeit immer wieder
aufdrängen. Der Vorgang, der zur Reproduktion des gesuchten Namens
führen soll, hat sich gleichsam verschoben und so zu einem
unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, daß dies«
Verschiebung nicht psychischer Willkür überlassen Lst, sondern geseb
mäßige und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, k!
Vergessen von Eigennamen.
vermute, daß der oder die Ersatznamen in einem aufspürbaren Zu-
sammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es mir
gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über
den Hergang des Namenvergessens zu verbreiten.
In dem 1898 von mir zur Analyse gewählten Beispiele war es
der Name des Meisters, welcher im Dom von O r v i e t o die groß-
artigen Fresken von den „letzten Dingen" geschaffen, den zu erinnern
icli mich vergebens bemühte. Anstatt des gesuchten Namens —
S i g n o r e 1 1 i — drängten sich mir zwei andere Namen von Malern auf
— B o 1 1 i c e 1 1 i und Boltraffio — , die mein Urteil sofort und
entschieden als unrichtig abwies. Als mir der richtige Name von fremder
Seite mitgeteilt wurde, erkannte ich ihn sogleich und ohne Schwanken.
Die Untersuchung, durch welche Einflüsse und auf welchen Assoziations-
wegen sich die Reproduktion in solcher Weise — von S i g n o r e 1 1 i
auf B o 1 1 i c e 1 1 i und Boltraffio — verschoben hatte, führte zu
folgenden Ergebnissen:
a) Der Grund für das Entfallen des Namens S i g n o r e 1 1 i ist
weder in einer Besonderheit dieses Namens selbst noch in einem psycho-
logischen Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in welchen der-
selbe eingefügt war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut
wie der eine der Ersatznamen — Bot ticelli — und ungleich vertrauter
als der andere der Ersatznamen — Boltraffio — , von dessen Träger
ich kaum etwas anderes anzugeben wüßte als seine Zugehörigkeit zur
mailändischen Schule. Der Zusammenhang aber, in dem sich das
Namenvergessen ereignete, erscheint mir harmlos und führt zu keiner
weiteren Aufklärung: Ich machte mit einem Fremden eine Wagen-
fahrt von Ragusa in Dalmatien nach einer Station der Herzegowina;
wir kamen auf das Reisen in Italien zu sprechen, und ich fragte meinen
Reisegefährten, ob er schon in Orvieto gewesen und dort die berühmten
Fresken des *** besichtigt habe.
b) Das Namen vergessen erklärt sich erst, wenn ich mich an das
in jener Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Thema erinnere, und
,:i I 1 sich als eine Störung des neu auftauchenden
Themas durch das vorhergehende zu erkennen. Kurz
ehe ich an meinen Reisegefährten die Frage stellte, ob er schon in
Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten der in Bosnien
und in der Herzegowina lebenden Türken unterhalten. Ich
Ute erzäldt, was ich von einem unter diesen Leuten praktizierenden
gehört hatte, daß sie sich voll Vertrauen in den Arzt und voll
l>ung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen an-
Vergessen von Eigennamen.
kündigen muß, daß es für den Kranken keine Hilfe gibt, so antworten
sie: ,,H e r r , was ist da zu sagen ? Ich weiß, wenn er zu ritten wäre,
hättest du ihn gerettet." — Erst in diesen Sätzen finden sich die Worte
und Namen : Bosnien, Herzegowina, Herr vor, welche
sich in eine Assoziationsreihe zwischen Signorelli — Botti-
c e 1 1 i und Boltraffio einschalten lassen.
c) Ich nehme an, daß der Gedankenreihe von den Sitten der
Türken in Bosnien usw. die Fähigkeit, einen nächsten Gedanken zu
stören, darum zukam, weil ich ihr meine Aufmerksamkeit entzogen
hatte, ehe sie noch zu Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, daß
ich eine zweite Anekdote erzälücn wollte, .die nahe bei der ersten in
meinem Gedächtnis ruhte. Diese Türken schätzen den Sexualgenuß
über alles und verfallen bei sexuellen Störungen in eine Verzweiflung,
welche seltsam gegen ihre Resignation bei Todesgefahr absticht. Einer
der Patienten meines Kollegen hatte ihm einmal gesagt : ,,Du weißt
ja, H e r r , wenn das nicht mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert."
Ich unterdrückte die Mitteilung dieses charakteristischen Zuges,
weil ich das heikle Thema nicht im Gespräch mit einem Fremden be-
rühren wollte. Ich tat aber noch mehr; ich lenkte meine Aufmerk-
-amkeit auch von der Fortsetzung der Gedanken ab, die sich bei mir
an das Thema ,,Tod und Sexualität" hätten knüpfen können. Ich
stand damals unter der Nachwirkung einer Nachricht, die ich wenige
Wochen vorher während eines kurzen Aufenthaltes in T r a f o i erhalten
hatte. Ein Patient, mit dem ich mir viele Mühe gegeben, hatte wegen
einer unheilbaren sexuellen Störung seinem Leben ein Ende gemacht.
Ich weiß bestimmt, daß mir auf jener Reise in die Herzegowina dieses
traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt, nicht zur
bewußten Erinnerung kam. Aber die Übereinstimmung T r a f o i —
Boltraffio nötigt mich anzunehmen, daß damals diese Reminiszenz
trotz der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur
Wirksamkeit gebracht worden ist.
d) Ich kann das Vergessen des Namens Signorelli nicht tnehl
als ein zufälliges Ereignis auffassen. Ich muß den Einfluß eines
Motivs bei diesem Vorgang anerkennen. Es waren Motive, die mich
veranlaßten, mich in der Mitteilung meiner Gedanken (über die Sitten
der Türken usw.) zu unterbrechen, und die mich ferner beeinflußten,
'!ie daran sich knüpfenden Gedanken, die bis zur Nachricht in Trafoi
geführt hätten, in mir vom Bewußtwerden auszuschließen. Ich wollt
also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt. Ich wollt
allerdings etwas anderes vergessen als den Namen des Meisters
Vergessen von Eigennamen.
Orvieto; aber dieses andere brachte es zustande, sich mit diesem Namen in
assoziative Verbindung zu setzen, so daß mein Willensakt das Ziel
verfehlte, und ich das eine wider Willen vergaß, während ich
das andere mit Absicht vergessen wollte. Die Abneigung, zu
erinnern, richtete sich gegen den einen Inhalt; die Unfähigkeit, zu er-
innern, trat an einem anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer
Fall, wenn Abneigung und Unfähigkeit, zu erinnern, denselben Inhalt
beträfen. — Die Ersatznamen erscheinen mir auch nicht mehr so völlig
unberechtigt wie vor der Aufklärung; sie mahnen mich (nach Art eines
Kompromisses) eben so sehr an das, was ich vergessen, wie an das, was
ich erinnern wollte, und zeigen mir, daß meine Absicht, etwas zu ver-
gessen, weder ganz gelungen noch ganz mißglückt ist.
e) Sehr auffällig ist die Art der Verknüpfung, die sich zwischen
dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von Tod und
Sexualität usw., in dem die Namen Bosnien, Herzegowina, Trafoi vor-
kommen) hergestellt hat. Das hier eingeschaltete, aus der Abhandlung
des Jahres 1898 wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich
darzustellen.
Signor eilt
(ßo)tttcelU
\Her] ceguuina u
ÄßvJ »as ist dazu sagen etc.
Tod und Seiujlität
(Verdrängte Gedanken)
Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worden.
Das eine Silbenpaar ist in einem der Ersatznamen unverändert wieder-
gl kehrt (e 1 1 i), das andere hat durch die Übersetzung Signor —
Herr mehrfache und verschiedenartige Beziehungen zu den im ver-
drängten Thema enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die
Vergessen von Eigennamen.
Reproduktion verloren gegangen. Sein Ersatz hat so stattgefunden, als
ob eine Verschiebung längs der Namenverbindung „Herzegowina und
Bosnien" vorgenommen worden wäre, ohne Rücksicht auf den Sinn
und auf die akustische Abgrenzung der Silben zu nehmen. Die Namen
sind also bei diesem Vorgang ähnlich behandelt worden wie die Schrift-
bilder eines Satzes, der in ein Bilderrätsel (Rebus) umgewandelt werden
soll. Von dem ganzen Hergang, der anstatt des Namens Signorelü
auf solchen Wegen die Ersatznamen geschaffen hat, ist dem Bewußtsein
keine Kunde gegeben worden. Eine Beziehung zwischen dem Thema,
in dem der Name Signorelü vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden
verdrängten Thema, welche über diese Wiederkehr gleicher Silben
(oder vielmehr Buchstabenfolgen) hinausginge, scheint zunächst
nicht auffindbar zu sein.
Es ist vielleicht nicht überflüssig, zu bemerken, daß die von den
Psychologen angenommenen Bedingungen der Reproduktion und des
Vergessens, die in gewissen Relationen und Dispositionen gesucht
werden, durch die vorstehende Aufklärung einen Widerspruch nicht
erfahren. Wir haben nur für gewisse Fälle zu all den längst anerkannten
Momenten, die das Vergessen eines Namens bewirken können, noch ein
Motiv hinzugefügt und überdies den Mechanismus des Fehlerinner ns
klar gelegt. Jene Dispositionen sind auch für unseren Fall unentbehrlich,
um die Möglichkeit zu schaffen, daß das verdrängte Element sich asso-
ziativ des gesuchten Namens bemächtige und es mit sich in die Ver-
drängung nehme. Bei einem anderen Namen mit günstigeren Repro-
duktionsbedingungen wäre dies vielleicht nicht geschehen. Es ist ja
wahrscheinlich, daß ein unterdrücktes Element allemal bestrebt ist,
sich irgendwo anders zur Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur
dort erreicht, wo ihm geeignete Bedingungen entgegenkommen. Andere
Male gelingt die Unterdrückung ohne Funktionsstörung, oder, wie wir
mit Recht sagen können, ohne Symptome.
Die Zusammenfassung der Bedingungen für das Vergessen eines
Namens mit Fehlerinnern ergibt also: i. eine gewisse Disposition zum
Vergessen desselben, 2. einen kurz vorher abgelaufenen Unterdrückungs-
vorgang, 3. die Möglichkeit, eine äußerliche Assoziation zwischen
dem betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten Element her-
zu- teilen. Letztere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr
hoch veranschlagen müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die
Nation eine solche in den allermeisten Fällen durchzusetzen sein
tc. Eine andere und tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche
rliche Assoziation wirklich die genügende Bedingung dafür sein
8
Vergessen von Eigennamen.
kann, daß das verdrängte Element die Reproduktion des gesuchten
Namens störe, ob nicht doch notwendig ein intimerer Zusammenhang
der beiden Themata erforderlich wird. Bei oberflächlicher Betrachtung
würde man letztere Forderung abweisen wollen und das zeitliche An-
einanderstoßen bei völlig disparatem Inhalt für genügend halten. Bei
eingehender Untersuchung findet man aber immer häufiger, daß die
beiden durch eine äußerliche Assoziation verknüpften Elemente (das
verdrängte und das neue) außerdem einen inhaltlichen Zusammenhang
besitzen, und auch in dem Beispiel S i g n o r e 1 1 i läßt sich ein solcher
erweisen.
Der Wert der Einsicht, die wir bei der Analyse des Bei-
S i g n o r e 1 1 i gewonnen haben, hängt natürlich davon ab. ob wir di
Fall für ein typisches oder für ein vereinzeltes Vorkommnis erklären
müssen. Ich muß nun behaupten, daß das Namenvergessen mit Fehl-
erinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle S i g n o r e I 1 i
aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst
beobachten konnte, war ich auch imstande, es mir in der vorerwähnten
Weise als durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muß auch
noch einen anderen Gesichtspunkt zu Gunsten der typischen Natur
unserer Analyse geltend machen. Ich glaube, daß man nicht berechtigt
ist, die Fälle von Namenvergessen mit Fehlerinnern prinzipiell von
solchen zu trennen, in denen sich unrichtige Ersatznamen nicht ein*
gestellt haben. Diese Ersatznamen kommen in einer Anzahl von
Fällen spontan; in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht
*ind. kann man sie durch Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auf-
tauchen zwingen, und sie zeigen dann die nämlichen Beziehungen zum
verdrängten Element und zum gesuchten Namen, wie wenn sie spontan
gekommen wären. Für das Bewußtwerden der Ersatznamen scheinen
zwei Momente maßgebend zu sein, ers t em die Bemühung der Auf-
merksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen
Material haftet. Ich könnte letztere in der größeren oder geringeren
Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte äußerliche Assoziation
zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von
Namenvergessen ohne Fehlerinnern schließt sich so den Fällen mit
Ersatznamenbildung an, für welche der Mechanismus des Beis]
S i g n o r e 1 1 i gilt. Ich werde aber mich gewiß nicht der Behauptung
erkühnen, daß alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche Gruppe
einzureihen seien. Es gibt ohne Zweifel Fälle von Namenvergi-
die weit einfacher zugehen. Wir werden den Sachverhalt wohl vor-
sichtig genug dargestelh haben, wenn wir aussprechen: N eben d
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
einfachen Vergessen von Eigennamen kommt
auch ein Vergessen vor, welches durch Verdrän-
gung motiviert ist.
II.
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen Sprache scheint
innerhalb der Breite normaler Funktion gegen das Vergessen geschützt.
Anders steht es bekanntlich mit den Vokabeln einer fremden Sprache.
Die Disposition zum Vergessen derselben ist für alle Redeteile vor-
handen, und ein erster Grad von Funktionsstörung zeigt sich in der
Ungleichmäßigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz,
je nach unserem Allgemeinbefinden und dem Grade unserer Ermüdung.
Dieses Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach demselben
Mechanismus vor sich, den uns das Beispiel S i g n o r e 1 1 i enthüllt
hat. Ich werde zum Beweise hiefür eine einzige, aber durch wertvolle
Eigentümlichkeiten ausgezeichnete Analyse mitteilen, die den Fall des
Vergessens eines nicht substantivischen Wortes aus einem lateinischen
Zitat betrifft. Man gestatte mir, den kleinen Vorfall breit und an-
schaulich vorzutragen.
Im letzten Sommer erneuerte ich, — wiederum auf der Ferien-
reise — die Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer
Bildung, der, wie ich bald merkte, mit einigen meiner psychologischen
Publikationen vertraut war. Wir waren im Gespräch — ich weiß
nicht mehr wie — auf die soziale Lage des Volksstammes gekommen,
dem wir beide angehören, und er, der Ehrgeizige, erging sich in Be-
dauern darüber, daß seine Generation, wie er sich äußerte, zur Ver-
kümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht entwickeln und ihre Be-
dürlnisse nicht befriedigen könne. Er schloß seine leidenschaftlich
bewegte Rede mit dem bekannten V e r g i 1 sehen Vers, in dem die
unglückliche Dido ihre Rache an Aeneas der Nachwelt überträgt:
Exoriare , vielmehr er wollte so schließen, denn er brachte das
Zitat nicht zustande und suchte eine offenkundige Lücke der Er-
innerung durch Umstellung von Worten zu verdecken: Exoriar(i) ex
nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte machen Sie
nicht ein so spöttisches Gesiebt, als ob Sie sich an meiner VerlegeiJn it
io
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas.
Wie heißt er eigentlich vollständig?"
Gerne, erwiderte ich und zitierte, wie es richtig lautet:
Exoriar(e) aliquis nostris ex ossibus ultor!
„Zu dumm, ein solches Wort zu vergesssen. Übrigens von Ihnen
hört man ja, daß man nichts ohne Grund vergißt. Ich wäre doch zu
neugierig, zu erfahren, wie ich zum Vergessen dieses unbestimmten
Pronomen aliquis komme."
Ich nahm diese Herausforderung bereitwilligst an, da ich einen
Beitrag zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte also: Das können
wir gleich haben. Ich muß Sie nur bitten, mir aufrichtig und
kritiklos alles mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne be-
stimmte Absicht Ihre Aufmerksamkeit auf das vergessene Wort richten. 1 )
„Gut, also da komme ich auf den lächerlichen Einfall, mir das
Wort in folgender Art zu zerteilen: a und liquis."
Was soll das? — „Weiß ich nicht." — Was fällt Ihnen weiter
dazu ein ? — „Das setzt sich so fort : Reliquien — Liqui-
dation — Flüssigkeit — Fluid. Wissen sie jetzt schon
etwas?"
Nein, noch lange nicht. Aber fahren sie fort.
„Ich denke," fuhr er höhnisch lachend fort, „an Simon von
T r i e n t , dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in
Trient gesehen habe. Ich denke an die Blutbeschuldigung, die gerade
jetzt wieder gegen die Juden erhoben wird, und an die Schrift von
K 1 e i n p a u 1 , der in all diesen angebüchen Opfern Inkarnationen, so-
zusagen Neuauflagen, des Heilands sieht."
Der Einfall ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem Thema,
über das wir uns unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.
„Richtig. Ich denke ferner an einen Zeitungsartikel in einem
italienischen Journal, den ich kürzlich gelesen. Ich glaube, er war
überschrieben: Was der h. Augustinus über die Frauen sagt.
Was machen Sie damit?"
Ich warte.
„Also jetzt kommt etwas, was ganz gewiß außer Zusammenhang
mit unserem Thema steht."
Enthalten Sie sich gefälligst jeder Kritik und —
•) Dies ist der allgemeine Weg, um Vorstellungselemente, die sich ver-
bergen, dem Bewußtsein zuzuführen. Vgl. meine ..Traumdeutung", p. 69.
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
I I
„Ich weiü schon. Ich erinnere mich eines prächtigen alten Herrn,
den ich vorige Woche auf der Reise getroffen. Ein wahres Original.
Er sieht aus wie ein großer Raubvogel. Er heißt, wenn Sie es wissen
wollen. B e n e d i k t."
Doch wenigstens eine Aneinanderreihung von Heiügen und Kirchen-
v.iu-rn: Der heilige Simon, St. Augustinus, St. Benediktus.
Ein Kirchenvater hieß, glaube ich, O r i g i n e s. Drei dieser Namen
sind übrigens auch Vornamen, wie Paul im Namen K 1 e i n p a u 1.
„Jetzt fällt mir der heilige Januarius ein und sein Blutwunder
— ich finde, das geht mechanisch so weiter."
Lassen Sie das ; der heilige Januarius und der heilige Augu-
stinus haben beide mit dem Kalender zu tun. Wollen Sie mich nicht
an das Blutwunder erinnern?
„Das werden Sie doch kennen ? In einer Kirche zu Neapel wird
in einer Phiole das Blut des heiügen Januarius aufbewahrt, welches
durch ein Wunder an einem bestimmten Festtage wieder flüssig
wird. Das Volk hält viel auf dieses Wunder und wird sehr aufgeregt,
wenn es sich verzögert, wie es einmal zur Zeit einer französischen
Okkupation geschah. Da nahm der kommandierende General —
oder irre ich mich ? war es Garibaldi ? — den geistlichen Herrn bei
Seite und bedeutete ihm mit einer sehr verständlichen Geberde auf
die draußen aufgestellten Soldaten, er h o f f e , das Wunder werde sich
sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich wirklich . . ."
Nun und weiter? Warum stocken Sie?
„Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen . . . das ist aber zu
intim für die Mitteilung.. Ich sehe übrigens keinen Zusammenhang
und keine Nötigung, es zu erzählen."
Für den Zusammenhang würde ich sorgen. Ich kann Sie ja nicht
zwingen, zu erzählen, was Ihnen unangenehm ist; dann verlangen
iher auch nicht von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie jenes
Wort „aliquis" vergessen haben.
„Wirklich? Glauben Sie? Also ich habe plötzlich an eine Dame
gedacht, von der ich leicht eine Nachricht bekommen könnte, die uns
beiden recht unangenehm wäre."
Daß ihr die Periode ausgeblieben ist ?
„Wie können Sie das erraten?"
Das ist nicht mehr schwierig. Sie haben mich genügend darauf
vorbereitet. Denken Sie an die Kalenderheiligen, an das
Flüssig werden des Blutes zu einem bestimmten
Tage, den Aufruhr, wenn das Ereignis nicht ein-
12
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
tritt, die deutliche Drohung, daß das Wunde!
vorsichgehen muß, sonst.. Sie haben ja das Wunder
heiligen Januarius zu einer prächtigen Anspielung aul die Periode der
Frau verarbeitet.
..Ohne daß ich es gewußt hätte. Und Sie meinen wirklich, wegen
dieser ängstlichen Erwartung hätte ich das Wörtchen „aliquis"
nicht reproduzieren können?"
Das scheint mir unzweifelhaft. Erinnern Sie .sich doch an Ihre
Zerlegung in a — 1 1 q u i s und an die Assoziationen: Reliquien.
Liquidation, Flüssigkeit. Soll ich noch den als Kind
hingeopferten heiligen Simon, auf den Sie von den Reliquien
her kamen, in den Zusammenhang einflechten?
„Tun Sie das lieber nicht. Ich hoffe, Sie nehmen diese Gedanken,
wenn ich sie wirklich gehabt habe, nicht für Ernst. Ich will Ihnen
dafür gestehen, daß die Dame eine Italienerin ist. in deren Gesellschaft
ich auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles Zufall sein ?"
Ich muß es Ihrer eigenen Beurteilung überlassen, ob Sie sich
alle diese Zusammenhänge durch die Annahme eines Zufalls aufklären
können. Ich sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren
wollen, wird Sie auf ebenso merkwürdige „Zufälle" führen.
Ich habe mehrere Gründe, diese kleine Analyse, für deren Über-
lassung ich meinem damaligen Reisegenossen Dank schulde, zu schätzen.
Erstens, weil mir in diesem Falle gestattet war. aus einer Quelle zu
schöpfen, die mir sonst versagt ist. Ich bin zumeist genötigt, die Bei-
spiele von psychischer Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich
hier zusammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das
weit reichere Material, das mir meine neurotischen Patienten liefern,
suche ich zu vermeiden, weil ich den Einwand fürchten muß. die be-
treffenden Phänomene seien eben Erfolge und Äußerungen der Neu-
rose. Es hat also besonderen Wert für meine Zwecke, wenn sich eine
nervengesundc fremde Person zum Objekt einer solchen Untersuchung
erbietet. In anderer Hinsicht wird mir diese Analyse bedeutungs-
voll, indem sie einen Fall von Wortvergessen ohne Ersatzerinnern
beleuchtet und meinen vorhin aufgestellten Satz bestätigt, daß das
Auftauchen oder Ausbleiben von unrichtigen Ersatzerinnerungen
eine wesentliche Unterscheidung nicht begründen kann.')
•) Feinere Beobachtung schränkt den Gegensatz zwischen der Analyse:
S i g n o r e 1 1 i und der: aliquis betreffs der Ersatzerinnerungen um Einiges
ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer Ersntzbiklung begleite*
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
«3
Der Haupt wert des Beispieles : a 1 i q u i s ist aber in einem anderen
seiner Unterschiede von dem Falle: Signorelli gelegen. Im
letzteren Beispiel wird die Reproduktion des Namens gestört durch
Nachwirkung eines Gedankenganges, der kurz vorher begonnen
und abgebrochen wurde, dessen Inhalt aber in keinem deutlichen Zu-
- minenhang mit dem neuen Thema stand, in dem der Name Signorelli
dten war. Zwischen dem verdrängten und dem Thema des ver-
gessenen Namens bestand bloß die Beziehung der zeitlichen Konti-
guität; dieselbe reichte hin, damit sich die beiden durch eine äußerliche
A -o/iation in Verbindung setzen konnten. 1 ) Im Beispiele: aliquis
hingegen ist von einem solchen unabhängigen verdrängten Thema,
zu sein. Als ich an meinen Partner nachträglich die Frage stellte, ob ihm bei seinen
Bemühungen, das fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas zum Ersatz
eingefallen sei, berichtete er, daß er zunächst die Versuchung verspürt habe, ein
a b in den Vers zu bringen: notris ab ossibus (vielleicht das unverknüpfte Stück
von a-liquis) und dann, dall sich ihm das E x o r i a r e besonders deutlich und
hartnackig aufgedrängt habe. Als Skeptiker setzte er hinzu, offenbar weil es
ilas erste Wort des Verses war. Als ich ihn bat. doch auf die Assoziationen von
Exoriarc aus zu achten, gab er mir Exorzismus an. Ich kann mir also sehr wohl
denken, daß die Verstärkung von Exoriare in der Reproduktion eigentlich den
Wirt einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe wäre über die Assoziation:
Exorzismus von den Namen der Heiligen her erfolgt. Indes sind dies
Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht. — Er erscheint nun aber
mU möglich, daß das Auftreten irgend einer Art von Ersatzerinnerung ein kon-
stantes, vielleicht auch nur ein charakteristisches und verräterisches Zeichen des
tendenziösen, durch Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese Ersatz-
bildung bestände auch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatznamen
ausbleibt, in der Verstärkung eines Elementes, welches dem vergessenen benach-
ist. Im Beispiele: Signorelli war z. B., solange mir der Name des Krim
unzugänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Zyklus von Fresken und an
sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes Selbstporträt überdeutlich.
jedenfalls weit intensiver als visuelle Erinnerungsspuren sonst bei mir auftreten.
In einem anderen Falle, der gleichfalls in der Abhandlung von 1898 mitgeteilt
}-'.. hatte ich von der Adresse eines mir unbequemen Besuches in einer fremden
Stadt den Straßennamen hoffnungslos vergessen, die Hausnummer aber wie
zum Spott — überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von Zahlen
mir die größte Schwierigkeit bereitet.
') Ich möchte für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges zwischen
den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht mit voller Überzeugung
einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten Gedanken über das Thema
■. n lod und Sexualleben stößt man doch auf eine Idee, die sich mit dem Thema
resken von Orvieto nahe berührt.
14
Vergessen von fremdsprachigen Worten.
welches unmittelbar vorher das bewußte Denken beschäftigt hätte und
nun als Störung nachklänge, nichts zu merken. Die Störung der Re-
produktion erfolgt hier aus dem Innern des angeschlagenen Themas
heraus, indem sich unbewußt ein Widerspruch gegen die im Zitat
dargestellte Wunschidee erhebt. Man muß sich den Hergang in folgender
Art konstruieren: Der Redner hat bedauert, daß die gegenwärtige
Generation seines Volkes in ihren Rechten verkürzt wird; eine neue
Generation, weissagt er wie Dido, wird die Rache an den Bedrängern
übernehmen. Er hat also den Wunsch nach Nachkommenschaft
ausgesprochen. In diesem Momente fährt ihm ein widersprechender
Gedanke dazwischen. „Wünschest du dir Nachkommenschaft wirklich
so lebhaft? Das ist nicht wahr. In welche Verlegenheit kämest du,
wenn du jetzt die Nachricht erhieltest, daß du von der einen Seite,
die du kennst, Nachkommen zu erwarten hast? Nein, keine Nach-
kommenschaft, — wiewohl wir sie für die Rache brauchen." Dieser
Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem er genau wie im Beispiel :
Signorelli eine äußerliche Assoziation zwischen einem seiner Vorstellungs-
elemente und einem Elemente des beanstandeten Wunsches herstellt,
und zwar diesmal auf eine höchst gewaltsame Weise durch einen
gekünstelt erscheinenden Assoziationsumweg. Eine zweite wesent-
liche Übereinstimmung mit dem Beispiel Signorelli ergibt sich daraus,
daß der Widerspruch aus verdrängten Quellen stammt und von Ge-
danken ausgeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit hervor-
rufen würden. — Soviel über die Verschiedenheit und über die innere
Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir
haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die
Störung eines Gedankens durch einen aus dem Verdrängten kommenden
inneren Widerspruch. Wir werden diesem Vorgang, der uns als der
leichter verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch
wiederholt begegnen.
Vergcsseo von Namen und Wortfolgen.
'5
III.
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
Erfahrungen, wie die eben erwähnte, über den Hergang des Ver-
gessens eines Stückes aus einer fremdsprachigen Wortfolge können die
Wißbegierde rege machen, ob denn das Vergessen von Wortfolgen in
der Muttersprache eine wesentlich andere Aufklärung erfordere. Man
pflegt zwar nicht verwundert zu sein, wenn man eine auswendig gelernte
Formel oder ein Gedicht nach einiger Zeit nur ungetreu, mit Ab-
änderungen und Lücken reproduzieren kann. Da aber dieses Ver-
gessen das im Zusammenhang Erlernte nicht gleichmäßig betrifft,
sondern wiederum einzelne Stücke daraus loszubröckeln scheint,
könnte es sich der Mühe verlohnen, einzelne Beispiele von solcher
fehlerhaft gewordenen Reproduktion analytisch zu untersuchen.
Ein jüngerer Kollege, der im Gespräch mit mir die Vermutung
äußerte, das Vergessen von Gedichten in der Muttersprache könnte
wohl ähnlich motiviert sein wie das Vergessen einzelner Elemente in
einer fremdsprachigen Wortfolge, erbot sich zugleich zum Unter-
suchungsobjekt. Ich fragte ihn, an welchem Gedicht er die Probe
machen wolle, und er wählte „Die Braut von Korinth", welches Gedicht
er sehr liebe und wenigstens strophenweise auswendig zu können glaube.
Zu Beginn der Reproduktion traf sich ihm eine eigentliche auffällige
Unsicherheit. „Heißt es: „Von Korinthos nach Athen gezogen",
fragte er, oder „Nach Korinthos v o n Athen gezogen?". Auch ich
war einen Moment lange schwankend, bis ich lachend bemerkte, daß
der Titel des Gedichts „Die Braut von Korinth" ja keinen Zweifel
darüber lasse, welchen Weg der Jüngling ziehe. Die Reproduktion der
ersten Strophe ging dann glatt oder wenigstens ohne auffällige Ver-
fälschung vor sich. Nach der ersten Zeile der zweiten Strophe seinen
der Kollege eine Weile zu suchen; er setzte bald fort und rezitierte also:
Aber wird er auch willkommen scheinen.
Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt ?
Denn er ist noch Heide mit den Seinen
Und sie sind Christen und — getauft.
Ich hatte schon vorher wie befremdet aufgehorcht ; nach dem Schluß
da letzten Zeile waren wir beide einig, daß hier eine Entstellung statt-
gefunden habe. Da es uns aber nicht gelang, dieselbe zu korrigi<
eilten wir zur Bibliothek, um Goethes Gedichte zur Hand zu nehmen,
und fanden zu unserer Überraschung, daß die zweite Zeile dieser Strophe
i6
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
einen völlig anderen Wortlaut habe, der vom Gedächtnis des Kollegen
gleichsam herausgeworfen, und durch etwas anscheinend fremdes asetsl
worden war. Es hieß richtig:
„Aber wird er auch willkommen scheinen,
Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft."
Auf „verkauft" reimte „getauft", und es schien mir sonderbar,
dali die Konstellation : Heide, Christen und getauft, ihn bei der Wieder-
herstellung des Textes so wenig gefördert hatte.
Können Sie sich erklären, fragte ich den Kollegen, daß Sie in dem
[fallen angeblich so wohl vertrauten Gedicht die Zeile so vollständig
gestrichen haben, und haben Sie eine Ahnung, aus welchem Zusammen-
hang Sie den Ersatz holen konnten?
Er war imstande, Aufklärung zu geben, obwohl er es offenbar
nicht sehr gerne tat. „Die Zeile: Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt,
kommt mir bekannt vor; ich muß sie vor kurzem mit bezug auf meine
Praxis gebraucht haben, mit deren Aufschwung ich, wie Sie wissen,
gegenwärtig sehr zufrieden bin. Wie dieser Satz aber dahinein gehört ?
Ich wüßte einen Zusammenhang. Die Zeile ..wenn er teuer nicht die
Gunst erkauft" war mir offenbar nicht angenehm. Es hängt das mit
einer Bewerbung zusammen, die ein erstes Mal abgeschlagen worden
ist. und die ich jetzt mit Rücksicht auf meine sehr gebesserte materielle
Lage zu wiederholen gedenke. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, aber
es kann mir doch gewiß nicht lieb sein, wenn ich jetzt angenommen
werde, mich daran zu erinnern, daß eine Art von Berechnung damals
wie nun den Ausschlag gegeben hat."
Das erschien mir einleuchtend, auch ohne daß ich die näheren Um-
stände zu wissen brauchte. Aber ich fragte weiter: Wie kommen Sie
üi'iThaupt dazu, sich und Ihre privaten Verhältnisse in den Text der
„Braut von Korinth" zu mengen? Bestehen vielleicht in Ihrem Falle
solche Unterschiede des Religionsbekenntnisses, wie sie im Gedichte
zur Bedeutung kommen?"
(„Keimt ein Glaube neu.
wird oft Lieb' und Treu
wie ein böses Unkraut ausgerauft.")
Ich hatte nicht richtig geraten, aber es war merkwürdig zu erfahren,
wie die eine wohlgezielte Frage den Mann plötzlich hellsehend machte,
so daß er mir als Antwort bringen konnte, was ihm sicherlich bis dahin
selbst unbekannt geblieben war. Er sah mich mit einem gequälten und
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
'7
auch unwilligen Blick an, murmelte eine spätere Stelle des Gedichtes vor
sich hin:
,,Sieh' sie an genau! ')
Morgen ist sie grau."
und fügte kurz hinzu: Sie ist etwas älter als ich. Um ihm nicht noch
mehr Pein zu bereiten, brach ich die Erkundigung ab. Die Aufklärung
erschien mir zureichend. Aber es war gewiß überraschend, daß die
Bemühung, eine harmlose Fehlleistung des Gedächtnisses auf ihren
Grund zurückzuführen, an so ferne liegende, intime und mit peinlichem
Affekt besetzte Angelegenheiten des Untersuchten rühren mußte.
Ein anderes Beispiel vom Vergessen in der Wortfolge eines bekannten
< redichtes will ich nach C. G. J u n g 2 ) und mit den Worten d s Autors
anführen.
„Ein Herr will das bekannte Gedicht rezitieren: „Ein Fichtenbaum
steht einsam usw." In der Zeile: „Ihn schläfert" bleibt er rettungslos
stecken, er hat „mit weißer Decke" total vergessen. Dieses Vergessen
in tinem so bekannten Vers schien mir auffallend, und ich ließ ihn nun
reproduzieren, was ihm zu „mit weißer Decke" einfiel. Es entstand
folgende Reihe: „Man denkt bei weißer Decke an ein Totentuch —
rin Leintuch, mit dem man einen Toten zudeckt — (Pause) — jetzt
fällt mir ein naher Freund ein — sein Bruder ist jüngst ganz plötzlich
gestorben — er soll an einem Herzschlag gestorben sein — er war
eben auch sehr korpulent — mein Freund ist auch korpulent und
ich habe schon gedacht, es könnte ihm a u c h so gehen — er gibt sich
wahrscheinlich zu wenig Bewegung — als ich von dem Todesfall hörte,
ist mir plötzlich Angst geworden, es könnte mir auch so gehen, da
wir in unserer Familie sowieso Neigung zur Fettsucht haben, und
auch mein Großvater an einem Herzschlag gestorben ist; ich finde
mich a u c h zu korpulent und habe deshalb in diesen Tagen mit einer
Entfettungskur begonnen."
l ) Der Kollege hat übrigens die schöne Stelle des Gedichts sowohl in ihrem
Wortlaut wie nach ihrer Anwendung etwas abgeändert : Das gespenstische Mädchen
*agt ihrem Bräutigam
„Meine Locke hab" ich Dir gegeben.
Deine Locke nehm' ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist Du grau.
Und nur braun erscheinst Du wieder dort".
*) C. G. Jung, Über die Psychologie der Dementia praecox. 11)07.
64.
Freud, Psychopathologie des Alltagsleben», 2 ■
i8
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
„Der Herr hat sich also unbewußt sofort mit dem Fichtenbaum
identifiziert", bemerkt Jung, „der vom weißen Leichentuch um-
hüllt ist".
Ich habe seither zahlreiche andere Analysen in Fällen von Vergessen
oder fehlerhafter Reproduktion einer Wortfolge angestellt und bin
durch das übereinstimmende Ergebnis dieser Untersuchungen der An-
nahme geneigt worden, daß der in den Beispielen „aliquis" und „Braut
von Korinth" nachgewiesene Mechanismus des Vergessens fast all-
gemeine Gütigkeit hat. Es ist meist nicht sehr bequem, solche Analysen
mitzuteilen, da sie wie die vorstehend erwähnten stets zu intimen und
für den Analysierten peinlichen Dingen hinleiten; ich werde die Zahl
solcher Beispiele darum auch nicht weiter vermehren. Gemeinsam
bleibt all diesen Fällen ohne Unterschied des Materials, daß das Ver-
gessene oder Entstellte auf irgend einem assoziativen Wege mit einem
unbewußten Gedankeninhalt in Verbindung gebracht wird, von welchem
die als Vergessen sichtbar gewordene Wirkung ausgeht. —
Ich wende mich nun wiederum zu dem Vergessen von Namen,
wovon wir bisher weder die Kasuistik noch die Motive erschöpfend
betrachtet haben. Da ich gerade diese Art von Fehlleistung bei mir
zu Zeiten reichlich beobachten kann, bin ich um Beispiele hierfür
nicht verlegen. Die leisen Migränen, an denen ich noch immer leide,
pflegen sich Stunden vorher durch Namen vergessen anzukündigen,
und auf der Höhe des Zustandes, während dessen ich die Arbeit auf-
zugeben nicht genötigt bin, bleiben mir häufig alle eigenen Namen
aus. Nun könnten gerade Fälle wie der meinige zu einer prinzipiellen
Einwendung gegen unsere analytischen Bemühungen Anlaß geben.
Soll man aus solchen Beobachtungen nicht folgern müssen, daß die
Verursachung der Vergeßüchkeit und speziell des Namensverge^
in Zirkulations- und allgemeinen Funktionsstörungen des Großhirns
gelegen ist, und sich darum psychologische Erklärungsversuche für
diese Phänomene ersparen? Ich meine, keineswegs; das hieße den in
allen Fällen gleichartigen Mechanismus eines Vorgangs mit dessen
variabeln und nicht notwendig erforderlichen Begünstigungen vci-
wechseln. An Stelle einer Auseinandersetzung will ich aber ein Gleichnis
zur Erledigung des Einwandes bringen.
Nehmen wir an, ich sei so unvorsichtig gewesen, zur Nachtzeit
in einer menschenleeren Gegend der Großstadt spazieren zu gehen, werde
überfallen und meiner Uhr und Börse beraubt. An der nächsten Polizei-
wachstelle erstatte ich dann die Meldung mit den Worten: Ich bin in
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
'9
dieser und jener Straße gewesen, dort haben Einsamkeit und Dunkel-
heit mir Uhr und Börse weggenommen. Obwohl ich in diesen Worten
nichts gesagt hätte, was nicht richtig wäre, üefe ich doch Gefahr, nach
dem Wortlaut meiner Meldung für nicht ganz richtig im Kopfe gehalten
zu werden. Der Sachverhalt kann in korrekter Weise nur so beschrieben
werden, daß von der Einsamkeit des Ortes begünstigt, unter dem
Schutze der Dunkelheit unbekannte Täter mich meiner Kostbar-
keiten beraubt haben. Nun denn, der Sachverhalt beim Namenvergessen
braucht kein anderer zu sein; durch Ermüdung, Zirkulationsstörung
und Intoxikation begünstigt raubt mir eine unbekannte psychische
Macht die Verfügung über die meinem Gedächtnis zustehenden Eigen-
namen, dieselbe Macht, welche in anderen Fällen dasselbe Versagen des
Gedächtnisses bei voller Gesundheit und Leistungsfähigkeit zustande
bringen kann.
Wenn ich die an mir selbst beobachteten Fälle von Namenvergessen
analysiere, so finde ich fast regelmäßig, daß der vorenthaltene Name
eine Beziehung zu einem Thema hat, welches meine Person nahe angeht,
und starke, oft peinliche Affekte in mir hervorzurufen vermag. Nach
der bequemen und empfehlenswerten Übung der Züricher Schule
(Bleuler, Jung, Riklin) kann ich dasselbe auch in der Form
ausdrücken: Der entzogene Name habe einen „persönlichen Kom-
plex" in mir gestreift. Die Beziehung des Namens zu meiner Person
ist eine unerwartete, meist durch oberflächliche Assoziation (Wort-
zweideutigkeit, Gleichklang) vermittelte; sie kann allgemein als eine
Seitenbeziehung gekennzeichnet werden. Einige einfache Beispiele
werden die Natur derselben am Besten erläutern:
a) Ein Patient bittet mich, ihm einen Kurort an der Riviera zu
empfehlen. Ich weiß einen solchen Ort ganz nahe bei Genua, erinnere
auch den Namen des deutschen Kollegen, der dort praktiziert, aber den
Ort selbst kann ich nicht nennen, so gut ich ihn auch zu kennen glaube.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Patienten warten zu heißen
und mich rasch an die Frauen meiner Familie zu wenden. „Wie
heißt doch der Ort bei Genua, wo Dr. N. seine kleine Anstalt hat, in der
die und jene Frau so lange in Behandlung war?" „Natürlich, gerade
Du mußtest diesen Namen vergessen. Nervi heißt er." Mit
Nerven habe ich allerdings genug zu tun.
b) Ein anderer spricht von einer nahen Sommerfrische und behauptet ,
es gebe dort außer den zwei bekannten ein drittes Wirtshaus, an welches
sich für ihn eine gewisse Erinnerung knüpft; den Namen werde er mir
ao
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
sogleich sagen. Ich bestreite die Existenz dieses dritten Wirtshauses
und berufe mich darauf, daß ich sieben Sommer hindurch in jenem
Ort gewohnt habe, ihn also besser kennen muß als er. Durch den
Widerspruch gereizt, hat er sich aber schon des Namens bemächtigt.
Das Gasthaus heißt: der Hoch war tner. Da muß ich freilich
nachgeben, ja ich muß bekennen, daß ich sieben Sommer lang in der
nächsten Nähe dieses von mir verleugneten Wirtshauses gewohnt habe.
Warum sollte ich hier Namen und Sache vergessen haben ? Ich meine,
weil der Name gar zu deutlich an den eines Wiener Fachkollegen an-
klingt, widerum den „professionellen" Komplex in mir anrührt.
c) Ein andermal, im Begriffe auf dem Bahnhof von Reichen-
hall eine Fahrkarte zu lösen, will mir der sonst so sehr vertraute
Name der nächsten großen Bahnstation, die ich schon so oft passiert
habe, nicht einfallen. Ich muß ihn allen Ernstes auf dem Fahrplan
suchen. Er lautet : Rosenheim. Dann weiß ich aber sofort, durch
welche Assoziation er mir abhanden gekommen ist. Eine Stunde
vorher hatte ich meine Schwester in ihrem Wohnorte ganz nahe bei
Reichenhall besucht ; meine Schwester heißt Rosa, also auch ein
Rosenheim. Diesen Namen hat mir der „Familienkomplex"
weggenommen.
d) Das geradezu räuberische Wirken des „Familienkomplexes"
kann ich dann in einer ganzen Anzahl von Beispielen verfolgen.
Eines Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer
Bruder einer Patientin, den ich ungezählte Male gesehen hatte, und
dessen Person ich mit dem Vornamen zu bezeichnen gewohnt war.
Als ich dann von seinem Besuch erzählen wollte, hatte ich seinen, wie
ich wußte, keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte
ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Straße, um
Firmenschilder zu lesen, und erkannte den Namen, sowie er mir das erste
Mal entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, daß ich zwischen
dem Besucher und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen hatte,
die in der verdrängten Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein Bruder im
gleichen Falle ähnlich oder vielmehr entgegengesetzt benommen ? Die
äußerliche Verbindung zwischen den Gedanken über die fremde und
über die eigene Familie war durch den Zufall ermöglicht worden, daß
die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia tragen. Ich
verstand dann auch nachträglich die Ersatznamen : Daniel und Franz,
die sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind
dies, wie auch Amalia, Namen aus den Räubern von Schiller, an
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
1!
welche sich ein Scherz des Wiener Spaziergängers Daniel Spitzer
knüpft.
e) Ein anderes Mal kann ich den Namen eines Patienten nicht
finden, der zu meinen Jugendbeziehungen gehört. Die Analyse führt
über einen langen Umweg, ehe sie mir den gesuchten Namen liefert.
Der Patient hatte die Angst geäußert, das Augenlicht zu verlieren;
dies rief die Erinnerung an einen jungen Mann wach, der durch einen
Schuß blind geworden war; daran knüpfte sich wieder das Bild eines
anderen Jünglings, der sich angeschossen hatte, und dieser letztere
trug denselben Namen wie der erste Patient, obwohl er nicht mit ihm
verwandt war. Den Namen fand ich aber erst, nachdem mir die Über-
tragung einer ängstlichen Erwartung von diesen beiden juvenilen
Fällen auf eine Person meiner eigenen Familie bewußt geworden war.
Ein beständiger Strom von ..Eigenbeziehung" geht so durch mein
Denken, von dem ich für gewöhnlich keine Kunde erhalte, der sich
mir aber durch solches Namen vergessen verrät. Es ist, als wäre ich
genötigt, alles, was ich über fremde Personen höre, mit der eigenen
Person zu vergleichen, als ob meine persönlichen Komplexe bei jeder
Kenntnisnahme von anderen rege würden. Dies kann unmöglich eine
individuelle Eigenheit meiner Person sein; es muß vielmehr einen
Hinweis auf die Art, wie wir überhaupt ,, Anderes" verstehen, enthalten.
Ich habe Gründe anzunehmen, daß es bei anderen Individuen ganz
ähnlich zugeht wie bei mir.
Das Schönste dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis ein Herr
Leder er berichtet. Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig
mit einem ihm oberflächlich bekannten Herrn zusammen, den er seiner
jungen Frau vorstellen mußte. Da er aber den Namen des Fremden
vergessen hatte, half er sich das erste Mal mit einem unverständlichen
Gemurmel. Als er dann dem Herrn, wie in Venedig unausweichlich,
ein zweites Mal begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn, ihm doch
aus der Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den
er leider vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von über-
legener Menschenkenntnis: Ich glaube es gerne, daß Sie sich meinen
Namen nicht gemerkt haben. Ich heiße wie Sie: Lederer! — Man
kann sich einer leicht unangenehmen Empfindung nicht erwehren,
wenn man seinen eigenen Namen bei einem Fremden wiederfindet.
Ich verspürte sie unlängst recht deutlich, als sich mir in der ärztlichen
Sprechstunde ein Herr S. Freud vorstellte. Übrigens nehme ich Notiz
von der Versicherung eines meiner Kritiker, daß er sich in diesem
Punkte entgegengesetzt wie ich verhalte.
22
Vergessen von Namen and Wortfolgen.
f) Die Wirksamkeit der Eigenbeziehung erkennt man auch in
folgendem, von Jung 1 ) mitgeteilten Beispiel :
„Ein Herr Y. verliebte sich erfolglos in eine Dame, welche bald
darauf einen Herrn X. heiratete. Trotzdem nun Herr Y. den Herrn
X. schon seit geraumer Zeit kennt und sogar in geschäftlichen Ver-
bindungen mit ihm steht, vergißt er immer und immer wieder dessen
Namen, so daß er sich mehrere Male bei anderen Leuten danach
erkundigen mußte, wenn er mit Herrn X. korrespondieren wollte."
Indes ist die Motivierung des Vergessens in diesem Falle durch-
sichtiger als in den vorigen, welche unter der Konstellation der Eigen-
beziehung stehen. Das Vergessen scheint hier direkte Folge der
Abneigung des Herrn Y. gegen seinen glücklicheren Rivalen; er will
nichts von ihm wissen; „nicht gedacht soll seiner werden."
g) Anders und feiner motiviert ist ein Beispiel von Namenvergessen,
welches sich der Betreffende selbst aufgeklärt hat:
„Als ich Prüfung aus Philosophie als Nebengegenstand machte,
wurde ich vom Examinator nach der Lehre E p i k u r s gefragt, und
dann weiter, ob ich wisse, wer dessen Lehre in späteren Jahrhunderten
wieder aufgenommen habe. Ich antwortete mit dem Namen Pierre
Gassendi, den ich gerade zwei Tage vorher im Cafe als Schüler
E p i k u r s hatte nennen hören. Auf die erstaunte Frage, woher ich
das wisse, gab ich kühn die Antwort, daß ich mich seit Langem für
Gassendi interessiert habe. Daraus ergab sich ein magna cum
laude fürs Zeugnis, aber leider auch für später eine hartnäckige Neigung,
den Namen Gassendi zu vergessen. Ich glaube, mein schlechtes
Gewissen ist schuld daran, wenn ich diesen Namen allen Bemühungen
zum Trotz jetzt nicht behalten kann. Ich hätte ihn ja auch damals
nicht wissen sollen."
Will man die Intensität der Abneigung gegen die Erinnerung an
diese Prüfungsepisode bei unserem Gewährsmann richtig würdigen,
so muß man erfahren haben, wie hoch er seinen Doktortitel anschlägt,
und für wieviel anderes ihm dieser Ersatz bieten muß.
Ich könnte die Beispiele vom Namenvergessen vermehren und die
Diskussion derselben sehr viel weiter führen, wenn ich nicht vermeiden
wollte, fast alle Gesichtspunkte, die für spätere Themata in Betracht
kommen, schon hier beim ersten zu erörtern. Doch darf ich mir
gestatten, die Ergebnisse der hier mitgeteilten Analysen in einigen
Sätzen zusammenzufassen:
>) Dementia praecox, p. 52.
Vergessen von Namen und Wortfolgen.
2 3
Der Mechanismus des Namenvergessens (richtiger: des Entfallens,
zeitweiligen Vergessens) besteht in der Störung der intendierten Repro-
duktion des Namens durch eine fremde und derzeit nicht bewußte
Gedankenfolge. Zwischen dem gestörten Namen und dem störenden
Komplex besteht entweder ein Zusammenhang von vorne herein, oder
ein solcher hat sich, oft auf gekünstelt erscheinenden Wegen, durch
oberflächliche (äußerliche) Assoziationen hergestellt.
Unter den störenden Komplexen erweisen sich die der Eigen-
beziehung (die persönlichen, familiären, beruflichen) als die wirksamsten.
Ein Name, der infolge von Mehrdeutigkeit mehreren Gedanken-
kreisen (Komplexen) angehört, wird häufig im Zusammenhange der
einen Gedankenfolge durch seine Zugehörigkeit zum anderen, stärkeren
Komplex gestört.
Unter den Motiven dieser Störungen leuchtet die Absicht hervor,
die Erweckung von Unlust durch Erinnern zu vermeiden.
Man kann im allgemeinen zwei Hauptfälle des Namenvergessens
unterscheiden, wenn der Name selbst an Unangenehmes rührt, oder
wenn er mit anderem in Verbindung gebracht ist, dem solche Wirkung
zukäme, so daß Namen um ihrer selbst willen oder wegen ihrer näheren
oder entfernteren Assoziationsl>eziehungen in der Reproduktion gestört
wrrden können.
Ein Überblick dieser allgemeinen Sätze läßt uns verstehen, daß das
zeitweilige Namenvergessen als die häufigste unserer Fehlleistungen zur
Beobachtung kommt.
Wir sind indes weit davon entfernt, alle Eigentümlichkeiten dieses
Phänomens verzeichnet zu haben. Ich will noch darauf hinweisen, daß
das Namenvergessen in hohem Grade ansteckend ist. In einem Gespräch
zweier Personen reicht es oft hin, daß die eine äußere, sie haben diesen
oder jenen Namen vergessen, um ihn auch bei der zweiten Person ent-
fallen zu lassen. Doch stellt sich dort, wo das Vergessen induziert ist,
der vergessene Name leicht wieder ein.
Es kommt auch ein fortgesetztes Namenvergessen vor, in dem ganze
Ketten von Namen dem Gedächtnis entzogen werden. Hascht man,
um einen entfallenen Namen wiederzufinden, nach anderen, mit denen
jener in fester Bindung steht, so entfliehen nicht selten auch diese neuen
als Anhalt aufgesuchten Namen. Das Vergessen springt so von einem
Namen zum andern über, wie um die Existenz eines nicht leicht zu be-
M-ingenden Hindernisses zu beweisen.
»4
Über Kindheits- und Deckerinnerungen.
IV.
Über Kindheits- und Deckerinnerungen.
In einer zweiten Abhandlung (1899 in der Monatsschrift für
Psychiatrie und Neurologie veröffentlicht) habe ich die tendenziöse
Natur unseres Erinnerns an unvermuteter Stelle nachweisen können.
Ich bin von der auffälligen Tatsache ausgegangen, daß die frühesten
Kindheitserinnerungen einer Person häufig bewahrt zu haben scheinen,
was gleichgiltig und nebensächlich ist. während von wichtigen, ein-
drucksvollen und affektreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig, gewiß
nicht allgemein!) sich im Gedächtnis der Erwachsenen keine Spur vor-
findet. Da es bekannt ist, daß das Gedächtnis unter den ihm dar-
gebotenen Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der An-
nahme, daß diese Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Prinzipien
vor sich geht, als zur Zeit der intellektuellen Reife. Eingehende Unter-
suchung weist aber nach, daß diese Annahme überflüssig ist. Die in-
differenten Kindheitserinnerungen verdanken ihre Existenz einem Ver-
schiebungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Reproduktion für andere
wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch psychische
Analyse aus ihnen entwickeln läßt, deren direkte Reproduktion aber
durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht
dem eigenen Inhalt, sondern einer assoziativen Beziehung ihres Inhaltes
zu einem anderen, verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen
..Deckerinnerungen", mit welchem ich sie ausgezeichnet habe, begrün-
deten Anspruch.
Die Mannigfaltigkeiten in den Beziehungen und Bedeutungen der
Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten Aufsatze nur gestreift,
keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich analysierten Beispiel
habe ich eine Besonderheit der zeitlichen Relation zwischen der
Deckerinnerung und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders hervor-
gehoben. Der Inhalt der Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem
der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis ver-
tretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewußt geblieben waren, in
späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der Ver-
schiebung eine rückgreifende oder rückläufige. Vielleicht
noch häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, daß ein
indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im
Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Verknüpfung mit
einem früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen direkte Reproduktion
Über Kindheils- und Deckerinnerungen.
25
sich Widerstände erheben. Dies wären vorgreifende oder vor-
geschobene Deckerinnerungen. Das Wesentliche, was das Ge-
dächtnis bekümmert, liegt hier der Zeit nach h i n t e r der Deckerinne-
rung. Endlich wird der dritte noch mögliche Fall nicht vermißt, daß die
Deckerinnerung nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch
Kontiguität in der Zeit mit dem von ihr gedeckten Eindruck verknüpft
ist, also die gleichzeitige oder anstoßende Deckerinnerung.
Ein wie großer Teil unseres Gedächtnisschatzes in die Kategorie
der Deckerinnerungen gehört, und welche Rolle bei verschiedenen neu-
rotischen Denkvorgängen diesen zufallt, das sind Probleme, in deren
Würdigung ich weder dort eingegangen bin, noch hier eintreten werde.
Es kommt mir nur darauf an, die Gleichartigkeit zwischen dem Ver-
gessen von Eigennamen mit Fehlerinnern und der Bildung der Deck-
erinnerungen hervorzuheben.
Auf den ersten Anblick sind die Verschiedenheiten der beiden
Phänomene weit auffälliger als ihre etwaigen Analogien. Dort handelt
es sich um Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder
in der Realität oder in Gedanken Erlebtes; dort um ein manifestes
Versagen der Erinnerungsfunktion, hier um eine Erinnerungsleistung,
die uns befremdend erscheint; dort um eine momentane Störung —
denn der eben vergessene Name kann vorher hundert Male richtig
reproduziert worden sein und es von morgen an wieder werden — , hier
um dauernden Besitz ohne Ausfall, denn die indifferenten Kindheits-
erinnerungen scheinen uns durch ein langes Stück unseres Lebens be-
gleiten zu können. Das Rätsel scheint in diesen beiden Fallen ganz
anders orientiert zu sein. Dort ist es das Vergessen, hier das Merken,
was unsere wissenschaftliche Neugierde rege macht. Nach einiger Ver-
tiefung merkt man, daß trotz der Verschiedenheit im psychischen
Material und in der Zeitdauer der beiden Phänomene die Überein-
stimmungen weit überwiegen. Es handelt sich hier wie dort um das
Fehlgehen des Erinnerns; es wird nicht das vom Gedächtnis reproduziert,
was korrekterweise reproduziert werden sollte, sondern etwas anderes
zum Ersatz. Dem Falle des Namenvergessens fehlt nicht die Gedächtnis-
leistung in der Form der Ersatznamen. Der Fall der Deckerinnerungs-
bildung beruht auf dem Vergessen von anderen, wesentlichen Eindrücken.
In beiden Fällen gibt uns eine intellektuelle Empfindung Kunde von der
Einmengung einer Störung, nur jedesmal in anderer Form. Beim Namen-
vergessen wissen wir, daß die Ersatznamen falsch sind; bei den
Deckerinnerungen verwundern wir uns, daß wir sie überhaupt
besitzen. Wenn dann die psychologische Analyse nachweist, daß die
2t
Über Kindheits- und Deckerinaerungen.
Ersatzbildung in beiden Fällen auf die nämliche Weise durch Ver-
schiebung längs einer oberflächlichen Assoziation zustande gekommen
ist, so tragen gerade die Verschiedenheiten im Material, in der Zeitdauer
und in der Zentrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Er-
wartung zu steigern, daß wir etwas Wichtiges und Allgemeingültiges
aufgefunden haben. Diese Allgemeine würde lauten, daß das Versagen
und Irregehen der reproduzierenden Funktion weit häufiger, als wir ver-
muten, auf die Einmengung eines parteiischen Faktors, einer Tendenz
hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer
anderen entgegenzuarbeiten bemüht ist.
Das Thema der Kindheitserinnerungen erscheint mir so bedeutsam
und interessant, daß ich ihm noch einige Bemerkungen widmen möchte,
die über die bisherigen Gesichtspunkte hinausgehen.
Wie weit zurück in die Kindheit reichen die Erinnerungen? Es
sind mir einige Untersuchungen über diese Frage bekannt, so von V. et C.
Henri ') und P o t w i n *); dieselben ergeben, daß große individuelle
Verschiedenheiten bei den Untersuchten bestehen, indem einzelne ihre
erste Erinnerung in den 6. Lebensmonat verlegen, andere von ihrem
Leben bis zum vollendeten sechsten, ja achten Lebensjahr nichts wissen.
Aber womit hängen diese Verschiedenheiten im Verhalten der Kindheits-
erinnerungen zusammen, und welche Bedeutung kommt ihnen zu ?
Es ist offenbar nicht ausreichend, das Material für diese Fragen durch
Sammelerkundigung herbeizuschaffen; es bedarf dann noch einer Be-
arbeitung desselben, an der die auskunftgebende Person beteiligt sein
muß.
Ich meine, wir nehmen die Tatsache der infantilen Amnesie, des
Ausfalls der Erinnerungen für die ersten Jahre unseres Lebens viel
zu gleichmütig hin, und versäumen es, ein seltsames Rätsel in ihr zu
finden. Wir vergessen, welch hoher intellektueller Leistungen und wie
komplizierter Gefühlserregungen ein Kind von etwa vier Jahren fähig
ist. und sollten uns geradezu verwundern, daß das Gedächtnis späterer
Jahre von diesen seelischen Vorgängen in der Regel so wenig bewahrt
hat, zumal da wir allen Grund zur Annahme haben, daß diese selben
vergessenen Kindheitsleistungen nicht etwa spurlos an der Entwicklung
der Person abgeglitten sind, sondern einen für alle späteren Zeiten be-
stimmenden Einfluß ausgeübt haben. Und trotz dieser unvergleich-
*) Enquete sur les premiera souvcniers de l'enfauce. L'annee psychologiqne.
III. 1897.
*) Study of early memories. Psycholog. Review. 1901.
Über Kindheits- und Deckerinnerungen.
27
liehen Wirksamkeit sind sie vergessen worden! Es weist dies auf
ganz speziell geartete Bedingungen des Erinnerns (im Sinne der be-
wußten Reproduktion) hin, die sich unserer Erkenntnis bisher entzogen
haben. Es ist sehr wohl möglich, daß das Kindheitsvergessen uns den
Schlüssel zum Verständnis jener Amnesien liefern kann, die nach
unseren neueren Erkenntnissen der Bildung aller neurotischen Symptome
zu Grunde hegen.
Von den erhaltenen Kindheitserinnerungen erscheinen uns einige gut
begreiflich, andere befremdend oder unverständlich. Es ist nicht schwer,
einige Irrtümer in Betreff beider Arten zu berichtigen. Unterzieht man
die erhaltenen Erinnerungen eines Menschen einer analytischen Prüfung,
so kann man leicht feststellen, daß eine Gewähr für die Richtigkeit der-
selben nicht besteht. Einige der Erinnerungsbilder sind sicherlich ge-
fälscht, unvollständig, oder zeitlich und räumlich verschoben. Die An-
gaben der untersuchten Personen wie, ihre erste Erinnerung rühre etwa
aus dem zweiten Lebensjahr her, sind offenbar unverläßlich. Es ge-
lingt bald auch Motive zu finden, welche die Entstellung und Ver-
schiebung des Erlebten verständlich machen, aber auch beweisen,
daß nicht einfache Gedächtnisuntreue die Ursache dieser Erinnerungs-
fehler sein kann. Starke Mächte aus der späteren Lebenszeit haben
die Erinnerungsfähigkeit der Kindheitserlebnisse gemodelt, dieselben
Mächte wahrscheinlich, an denen es liegt, daß wir uns allgemein dem
Verständnis unserer Kindheitsjahre so weit entfremdet haben.
Das Erinnern der Erwachsenen geht bekanntlich an verschiedenem
psychischen Material vor sich. Die einen erinnern in Gesichtsbildern,
ihre Erinnerungen haben visuellen Charakter; andere Individuen
können kaum die dürftigsten Umrisse des Erlebten in der Erinnerung
reproduzieren; man nennt solche Personen „Auditifs" und „Moteurs"
im Gegensatz zu den „Visuels" nach Charcots Vorschlag. Im
Träumen verschwinden diese Unterschiede, wir träumen alle in vor-
wiegenden Gesichtsbildern. Aber ebenso bildet sich diese Entwicklung
für die Kindheitserinnerungen zurück; diese sind plastisch visuell
auch bei jenen Personen, deren späteres Erinnern des visuellen Elementes
entbehren muß. Das visuelle Erinnern bewahrt somit den Typus des
infantilen Erinnerns. Bei mir sind die frühesten Kindheitserinnerungen
die einzigen von visuellem Charakter; es sind geradezu plastisch heraus-
gearbeitete Szenen, nur den Darstellungen auf der Bühne vergleichbar.
In diesen Szenen aus der Kindheit, ob sie sich nun als wahr oder als ver-
fälscht ferweisen, sieht man regelmäßig auch die eigene kindliche
Person in ihren Umrissen und mit ihrer Kleidung. Dieser Umstand
28
Über Kindheits- und Deckerinnerongen.
muß Befremden erregen; erwachsene Visuelle sehen nicht mehr ihre
Person in ihren Erinnerungen an spätere Erlebnisse. 1 ) Es widerspricht
auch allen unseren Erfahrungen anzunehmen, daß die Aufmerksamkeit
des Kindes bei seinen Erlebnissen auf sich selbst anstatt ausschließlich
auf die äußeren Eindrücke gerichtet wäre. Man wird so von ver-
schiedenen Seiten her zur Vermutung gedrängt, daß wir in den sog.
frühesten Kindheitserinnerungen nicht die wirkliche Erinnerungs-
spur, sondern eine spätere Bearbeitung derselben besitzen, eine Be-
arbeitung, welche die Einflüsse mannigfacher späterer psychischer
Mächte erfahren haben mag. Die ..Kindheitserinnerungen" der In-
dividuen rücken so ganz allgemein zur Bedeutung von ,, Deckerinne-
rungen" vor und gewinnen dabei eine bemerkenswerte Analogie mit den
in Sagen und Mythen niedergelegten Kindheitserinnerungen der Volker.
Wer eine Anzahl von Personen mit der Methode der Psychoanalyse
seelisch untersucht hat, hat bei dieser Arbeit reichlich Beispiele von
Deckerinnerungen jeder Art gesammelt. Die Mitteilung dieser Beispiele
wird aber gerade durch die vorhin erörterte Natur der Beziehungen
der Kindheitserinnerungen zum späteren Leben außerordentlich
erschwert: um eine Kindheitserinnerung als Deckerinnerung würdigen
zu lassen, müßte man oft die ganze Lebensgeschichte der betreffenden
Person zur Darstellung bringen. Es ist nur selten, wie im nachstehenden
hübschen Beispiel möglich, eine einzelne Kindheitserinnerung aus
ihrem Zusammenhange für die Mitteilung herauszuheben.
Ein 24 jähriger Mann hat folgendes Bild aus seinem 5. Lebens-
jahr bewahrt. Er sitzt im Garten eines Sommerhauses auf einem
Stühlchen neben der Tante, die bemüht ist. ihm die Kenntnis der
Buchstaben beizubringen. Die Unterscheidung von m und n bereitet
ihm Schwierigkeiten, und erbittet die Tante, ihm doch zu sagen, woran
man erkennt, was das eine und was das andere ist. Die Tante macht
ihn aufmerksam, daß das m doch um ein ganzes Stück, um den dritten
Strich, mehr habe als das n. — Es fand sich kein Anlaß, die Zuverlässig-
keit dieser Kindheitserinnerung zu bestreiten; ihre Bedeutung hatte
sie aber erst später erworben, als sie sich geeignet zeigte, die symbolische
Vertretung für eine andere Wißbegierde des Knaben zu übernehmen.
Denn, sowie er damals den Lmterschied zwischen m und n wissen
wollte, so bemühte er sich später, den Unterschied zwischen Knabea
und Mädchen zu erfahren, und wäre gewiß einverstanden gewesen,
daß gerade diese Tante seine Lehrmeisterin werde. Er fand dann auch
*) Ich behaupte die€ nach einigen von mir eingeholten Erkundigungen.
Ober Kindheits- und Deckerinnerungen.
29
heraus, daß der Unterschied ein ähnlicher sei, daß der Buh wiederum
ein ganzes Stück mehr habe als das Mädchen, und zur Zeit dieser Er-
kenntnis weckte er die Erinnerung an die entsprechende kindliche
Wißbegierde.
An einem einzigen Beispiel möchte ich noch zeigen, welchen Sinn
eine Kindheitserinnerung durch analytische Bearbeitung gewinnen
kann, die vorher keinen Sinn zu enthalten schien. Als ich in meinem
43. Jahr begann, mein Interesse den Resten der Erinnerung an die
eigene Kindheit zuzuwenden, fiel mir eine Szene auf, die mir seit Langem,
— wie ich meinte, seit jeher — vonZeit zu Zeit zum Bewußtsein gekommen
war, und die nach guten Merkzeichen vor das vollendete dritte Lebens-
jalir verlegt werden durfte. Ich sah mich fordernd und heulend vor
einem Kasten stehen, dessen Türe mein um 20 Jahre älterer Halbbruder
geöffnet hielt, und dann trat plötzlich meine Mutter, schön und schlank,
wie von der Straße zurückkehrend ins Zimmer. In diese Worte hatte
ich die plastisch gesehene Szene gefaßt, mit der ich sonst nichts an-
zufangen wußte. Ob mein Bruder den Kasten — in der ersten Über-
ing des Bildes hieß es ..Schrank" — öffnen oder schließen wollte,
warum ich dabei weinte, und was die Ankunft der Mutter damit zu
tun habe, das alles war mir dunkel; ich war versucht, mir die Erklärung
zu geben, daß es sich um die Erinnerung an eine Hänselei des älteren
Bruders handle, die durch die Mutter unterbrochen wurde. Solche
Mißverständnisse einer im Gedächtnis bewahrten Kindheitsszene sind
nichts seltenes; man erinnert sich einer Situation, aber dieselbe ist nicht
zentriert; man weiß nicht, auf welches Element derselben der psychische
Akzent zu setzen ist. Analytische Bemühung führte mich zu einer
<anz unerwarteten Auffassung des Bildes. Ich hatte die Mutter vermißt,
war auf den Verdacht gekommen, daß sie in diesem Schrank oder Kasten
eingesperrt sei, und forderte darum den Bruder auf, den Kasten auf-
zusperren. Als er mir willfahrte, und ich mich überzeugte, die Mutter
sei nicht im Kasten, fing ich zu schreien an; dies ist der von der Er-
innerung festgehaltene Moment, auf den alsbald das meine Sorge oder
Sehnsucht beschwichtigende Erscheinen der Mutter folgte. Wie kam
aber das Kind zu der Idee, die abwesende Mutter im Kasten zu suchen ?
Gleichzeitige Träume wiesen dunkel auf eine Kinderfrau hin, von welcher
noch andere Reminiszenzen erhalten waren, wie z. B. daß sie mich
gewissenhaft anzuhalten pflegte, ihr die kleinen Münzen abzuliefern,
die ich als Geschenke erhalten hatte, ein Detail, das selbst wieder auf
den Wert einer Deckerinnerung für Späteres Anspruch machen kann.
So beschloß ich denn, mir diesmal die Deutungsaufgabe zu erleichtern,
30
Das Versprechen.
und meine jetzt alte Mutter nach jener Kinderfrau zu befragen. Ich
erfuhr allerlei, darunter, daß die kluge aber unredliche Person während
des Wochenbettes der Mutter große Hausdiebstähle verübt hatte und
auf Betreiben meines Halbbruders dem Gericht übergeben worden sei.
Diese Auskunft gab mir das Verständnis der Kinderszene wie durch
eine Art von Erleuchtung. Das plötzliche Verschwinden der Kinder-
frau war mir nicht gleichgiltig gewesen; ich hatte mich gerade an
diesen Bruder mit der Frage gewendet, wo sie sei, wahrscheinlich
weil ich gemerkt hatte, daß ihm eine Rolle bei ihrem Verschwinden
zukomme, und er hatte ausweichend und wortspielerisch, wie seine
Art noch heute ist, geantwortet: sie ist , .eingekastelt". Diese Antwort
verstand ich "nun nach kindlicher Weise, ließ aber zu fragen ab, weil
nichts mehr zu erfahren war. Als mir nun kurze Zeit darauf die Mutter
abging, argwöhnte ich, der schlimme Bruder habe mit ihr dasselbe
angestellt wie mit der Kinderfrau, und nötigte ihn, mir den Kasten
zu öffnen. Ich verstehe nun auch, warum in der Übersetzung der
visuellen Kinderszene die Schlankheit der Mutter betont ist, die mir
als neu wiederhergestellt aufgefallen sein muß. Ich bin 2 '/, Jahre älter
als die damals, geborene Schwester, und als ich 3 Jahre alt wurde,
fand das Zusammenleben mit dem Halbbruder ein Ende.
V.
Das Versprechen.
Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Mutter-
sprache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterhegt dessen
Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als „Versprechen"
bekannt ist. Das beim normalen Menschen beobachtete Versprechen
macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Be-
dingungen auftretenden sogen. „Paraphasien".
Ich befinde mich hier in der ausnahmsweisen Lage, eine Vorarbeit
würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben Meringer und C. M a y e r
eine Studie über „Versprechen und Verlesen" publiziert, an deren
Gesichtspunkte die meinigen nicht heranreichen. Der eine der Autoren,
der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von lin-
guistischen Interessen zur Untersuchung veranlaßt worden, den Regeln
nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte, aus diesen
Daa Versprechen.
3'
Regeln auf das Vorhandensein „eines gewissen geistigen Mechanismus"
schließen zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes,
und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise
verbunden und verknüpft sind" (S. 10).
Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele des
„Versprechens" zunächst nach rein deskriptiven Gesichtspunkten als
Vertauschungen (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von
Milo), Vorklänge oder Antizipationen (z. B. es war mir auf
der Schwest . . . auf der Brust so schwer), Nachklänge, Post-
positionen (z. B. „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres
Chefs a u f zustoßen" für anzustoßen), Kontaminationen (z. B.
„Er setzt sich auf den Hinterkopf" aus: „Er setzt sich einen Kopf auf"
und: „Er stellt sich auf die Hinterbeine"), Substitutionen (z. B.
„Ich gebe diePräparate in den Briefkasten" statt Brütkasten), zu welchen
Hauptkategorien noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke
minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppie-
rung keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmel-
zung usw. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des
intendierten Satzes betrifft.
Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt
Meringer eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprachlaute
auf. Wenn wir den ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines
Satzes innervieren, wendet sich bereits der Erregungsvorgang den
späteren Lauten, den folgenden Worten zu, und soweit diese Inner-
vationen miteinander gleichzeitig sind, können sie einander abändernd
beeinflussen. Die Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt
vor oder hallt nach und stört so den minderwertigen Innervationsvorgang.
Es handelt sich nun darum, zu bestimmen, welche die höchstwertigen
Laute eines Wortes sind. Meringer meint : „Wenn man wissen
will, welchem Laute eines Wortes die höchste Intensität zukommt, so
beobachte man sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort, z. B.
einem Namen. Was zuerst wieder ins Bewußtsein kommt, hatte jeden-
falls die größte Intensität vor dem Vergessen (S. 160). Die hochwen
Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der Wortanlaut und
der oder die betonten Vokale" (S. 162).
Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben. Ob
der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen Elementen des Wortes
gehöre oder nicht, es ist gewiß nicht richtig, daß er im Falle des Wort-
ssens zuerst wieder ins Bewußtsein tritt; die obige Regel ist also
unbrauchbar. Wenn man sich bei der Suche nach einem vergessenen
3«
Das Versprechen.
Namen beobachtet, so wird man verhältnismäßig häufig die Über-
zeugung äußern müssen, er fange mit einem bestimmten Buchstaben
an. Diese Überzeugung erweist sich nun ebenso oft als unbegründet
wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proklamiert in der
Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in unserem Beispiel:
S i g n o r e 1 1 i ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und sind die wesent-
lichen Silben verloren gegangen; gerade das minderwertige Silbenpaar
elli ist im Ersatznamen B o 1 1 i c e 1 1 i dem Bewußtsein wiedergekehrt.
Wie wenig die Ersatznamen den Anlaut des entfallenen Namens respek-
tieren, mag z. B. folgender Fall lehren. Eines Tages ist es mir unmöglich,
den Namen des kleinen Landes zu erinnern, dessen Hauptort Monte
Carlo ist. Die Ersatznamen für ihn lauten :
Piemont, Albanien, Montevideo. Colico.
Für Albanien tritt bald Montenegro ein, und dann fällt mir auf,
daß die Silbe M o n t (M o n ausgesprochen) doch allen Ersatznamen
bis auf den letzten zukommt. Es wird mir so erleichtert, vom Namen
des Fürsten Albert aus das vergessene Monaco aufzufinden. Colico
ahmt die Silbenfolge und Rhythmik des vergessenen Namens ungefähr
nach.
Wenn man der Vermutung Raum gibt, daß ein ähnlicher Mecha-
nismus wie der fürs Namenvergessen nachgewiesene auch an den Er-
scheinungen des Versprechens Anteil haben könne, so wird man zu
einer tiefer begründeten Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt.
Die Störung in der Rede, welche sich als Versprechen kundgibt, kann
erstens verursacht sein durch den Einfluß eines anderen Bestandteils
derselben Rede, also durch das Vorklingen oder Nachhallen, oder durch
eine zweite Fassung innerhalb des Satzes oder des Zusammenhanges,
den auszusprechen man intendiert — hierher gehören alle oben Meb-
r i n g e r und Mayer entlehnten Beispiele — ; zweitens aber könnte
die Störung analog dem Vorgang im Falle: Signorelli zustande
kommen durch Einflüsse außerhalb dieses Wortes, Satzes oder
Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man nicht
intendiert, und von deren Erregung man erst durch eben die Störung
Kenntnis erhält. In der Gleichzeitigkeit der Erregung läge das Ge-
meinsame, in der Stellung innerhalb oder außerhalb desselben Satzes
oder Zusammenhanges das Unterscheidende für die beiden Entstehungs-
arten des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst nicht so
groß, als er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des
Versprechens in Betracht kommt. Es ist aber klar, daß man nur im
ersteren Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens
Das Versprechen.
33
Schlüsse auf einen Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur
gegenseitigen Beeinflussung ihrer Artikulation miteinander verknüplt,
also Schlüsse, wie sie der Sprachforscher aus dem Studium des Ver-
sprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle der Störung durch Einflüsse
außerhalb des nämlichen Satzes oder Redezusammenhanges würde es
sich vor allem darum handeln, die störenden Elemente kennen zu
lernen, und dann entstände die Frage, ob auch der Mechanismus dieser
Störung die zu vermutenden Gesetze der Sprachbildung verraten kann.
Man darf nicht behaupten, daß M e r i n g e r und Mayer die
Mögüchkeit der Sprechstörung durch „kompliziertere psychische Ein-
flüsse' ' , durch Elemente außerhalb desselben Wortes, Satzes oder derselben
Redefolge übersehen haben. Sie mußten ja bemerken, daß die Theorie
der psychischen Ungleichwertigkeit der Laute strenge genommen nur
für die Aufklärung der Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge
ausreicht. Wo sich die Wortstörungen nicht auf Lautstörungen redu-
zieren lassen, z. B. bei den Substitutionen und Kontaminationen von
Worten, haben auch sie unbedenklich die Ursache des Versprechens
außerhalb des intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen
Sachverhalt durch schöne Beispiele erwiesen. Ich zitiere folgende
Stellen:
(S. 62.) „Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem Innern
für „Schweinereien" erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form
und beginnt: „Dann aber sind Tatsachen zum Vorschwein ge-
kommen ..." Mayer und ich waren anwesend und Ru. bestätigte,
daß er „Schweinereien" gedacht hatte. Daß sich dieses gedachte Wort
bei „Vorschein" verriet und plötzlich wirksam wurde, findet in der Ähn-
lichkeit der Wörter seine genügende Erklärung." —
(S. 73.) „Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den Kon-
taminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die „schwebenden
oder „vagierenden" Sprachbilder eine große Rolle. Sie sind, wenn
auch unter der Schwelle des Bewußtseins, so doch noch in wirksamer
Nähe, können leicht durch eine Ähnlichkeit des zu sprechenden Kom-
plexes herangezogen werden und führen dann eine Entgleisung herbei
oder kreuzen den Zug der Wörter. Die „schwebenden" oder „vagie-
renden" Sprachbüder sind, wie gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich
abgelaufenen Sprachprozessen (Nachklänge)."
(S. 97.) „Eine Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit möglich,
wenn ein anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewußtseinsschwelle
hegt, ohne daß es gesprochen zu werden bestimmt
wäre. Das ist der Fall bei den Substitutionen. — So hoffe ich, daß man
Freud, Psychopathologie de» Alltagsleben* 3
34
Das Versprechen.
beim Nachprüfen meine Regeln wird bestätigen müssen. Aber dazu ist
notwendig, daß man (wenn ein anderer spricht) sich Klarheit
darüber verschafft, an was Alles der Sprecher g e-
d a c h t h a t. 1 ) Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in
unserer Gesellschaft : „Die Frau würde mir Furcht einlagen." Ich wurde
stutzig, denn das 1 schien mir unerklärlich. Ich erlaubte mir, den
Sprecher auf seinen Fehler „einlagen" für „einjagen" aufmerksam zu
machen, worauf er sofort antwortete: „Ja, das kommt daher, weil ich
dachte: ich wäre nicht in der Lage u. s. f."
„Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinem kranken
Pferde gehe. Er antwortete : , Ja, das d r a u t . . . dauert vielleicht noch
einen Monat. „Das „draut" mit seinem r war mir unverständlich, denn
das r von dauert konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also
R. v. S. aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht, „das ist eine
traurige Geschichte." Der Sprecher hatte also zwei Antworten im
Sinne und diese vermengten sich."
Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme auf die
„vagierenden" Sprachbüder, die unter der Schwelle des Bewußtseins
stehen und nicht zum Gesprochenwerden bestimmt sind, und die For-
derung, sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe,
an die Verhältnisse bei unseren „Analysen" herankommen. Auch wir
suchen unbewußtes Material, und zwar auf dem nämlichen Wege, nur
daß wir von den Einfällen des Befragten bis zur Auffindung des störenden
Elementes einen längeren Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe
zurückzulegen haben.
Ich verweüe noch bei einem anderen interessanten Verhalten, für
das die Beispiele Meringers Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht
des Autors selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit eines Wortes im inten-
dierten Satz mit einem anderen nicht intendierten, welche dem letzteren
gestattet, sich durch die Verursachung einer Entstellung, Mischbüdung,
Kompromißbildung (Kontamination) im Bewußtsein zur Geltung
zu bringen.
lagen, dauert, Vorschein,
jagen, traurig, ... schwein.
Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung" a ) dar-
getan, welchen Anteil die Ver dich tu ngs arbeit an der Entstehung
>) Von m i r hervorgehoben.
*) Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, 1900.
Das Versprechen.
35
des sog. manifesten Trauminhaltes aus den latenten Traumgedanken
hat. Irgend eine Ähnlichkeit der Dinge oder der Wortvorstellungen
zwischen zwei Elementen des unbewußten Materials wird da zum An-
laß genommen, um ein Drittes, eine Misch- oder Kompromißvorstellung
zu schaffen, welche im Trauminhalt ihre beiden Komponenten vertritt,
und die infolge dieses Ursprungs so häufig mit widersprechenden Einzel-
bestimmungen ausgestattet ist. Die Bildung von Substitutionen und
Kontaminationen beim Versprechen ist somit ein Beginn jener Ver-
dichtungsarbeit, die wir in eifrigster Tätigkeit am Aufbau des Traumes
beteiligt finden.
In einem kleinen für weitere Kreise bestimmten Aufsatz (Neue
freie Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man sich versprechen kann")
hat Meringer eine besondere praktische Bedeutung für gewisse Fälle
von Wortvertauschungen in Anspruch genommen, für solche nämlich,
in denen man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt.
„Man erinnert sich wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident
des österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung eröffnete:
„Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von so und soviel
Herren und erkläre somit die Sitzung für „geschlossen!" Die
allgemeine Heiterkeit machte ihn erst aufmerksam, und er verbesserte
den Felder. Im vorliegenden Falle wird die Erklärung wohl diese sein,
daß der Präsident sich wünschte, er wäre schon in der Lage, die
Sitzung, von der wenig Gutes zu erwarten stand, zu schließen, aber —
eine häufige Erscheinung — der Nebengedanke setzte sich wenigstens
teilweise durch, und das Resultat war „geschlossen" für „eröffnet",
also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber viel-
fältige Beobachtung hat mich belehrt, daß man gegensätzliche Worte
überhaupt sehr häufig mit einander vertauscht; sie sind eben schon
in unserem Sprachbewußtsein assoziiert, liegen hart nebeneinander
und werden leicht irrtümlich aufgerufen."
Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird es so leicht,
wie hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zu machen, daß
das Versprechen infolge eines Widerspruchs geschieht, der sich im
Innern des Redners gegen den geäußerten Satz erhebt. Wir haben
den analogen Mechanismus in der Analyse des Beispiels: aliquis
gefunden; dort äußerte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines
Wortes anstatt in seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen
zur Ausgleichung des Unterschiedes bemerken, daß das Wörtchen
aliquis eines ähnlichen Gegensatzes, wie ihn „schließen" zu „eröffnen"
ergibt, eigentlich nicht fähig ist, und das „eröffnen" als gebräuchlicher
3*
36
Das Versprechen.
Bestandteil des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein
kann.
Zeigen uns die letzten Beispiele von Meringer und Mayer,
daß die Sprechstörung ebensowohl durch den Einfluß vor- und nach-
klingender Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum
Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von
Worten außerhalb des intendierten Satzes, derenErregung sich
sonst nicht verraten hätte, so werden wir zunächst erfahren
wollen, ob man die beiden Klassen von Versprechen scharf sondern, und
wie man ein Beispiel der einen von einem Fall der anderen Klasse unter-
scheiden kann. An dieser Stelle der Erörterung muß man aber der Äuße-
rungen W u n d t s gedenken, der in seiner eben erscheinenden um-
fassenden Bearbeitung der Entwicklungsgesetze der Sprache (Völker-
psychologie, I. Band, I. Teil S. 371 u. ff., 1900) auch die Erscheinungen
des Versprechens behandelt. Was bei diesen Erscheinungen und
anderen, ihnen verwandten, niemals fehlt, das sind nach W u n d t
gewisse psychische Einflüsse. „Dahin gehört zunächst als positive
Bedingung der ungehemmte Fluß der von den gesprochenen Lauten
angeregten Laut- und Wortassoziationen. Ihm tritt der
Wegfall oder der Nachlaß der diesen Lauf hemmenden Wirkungen des
Willens und der auch hier als Willensfunktion sich betätigenden Auf-
merksamkeit als negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der
Assoziation darin sich äußert, das ein kommender Laut antizipiert oder
die vorausgegangenen reproduziert, oder ein gewohnheitsmäßig ein-
geübter zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, daß
ganz andere Worte, die mit den gesprochenen Lauten in assoziativer
Beziehung stehen, auf diese herüberwirken — alles dies bezeichnet nur
Unterschiede in der Richtung und allenfalls in dem Spielraum der
stattfindenden Assoziationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben.
Auch kann es in manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man
eine bestimmte Störung zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit größerem
Rechte nach dem Prinzip der Komplikation der
Ursachen 1 ) auf ein Zusammentreffen mehrerer Motive zurück-
zuführen habe" (S. 380 und 381).
Ich halte diese Bemerkungen W u n d t s für vollberechtigt und
sehr instruktiv. Vielleicht könnte man mit größerer Entschiedenheit
als W u n d t betonen, daß das positiv begünstigende Moment der
Sprechfehler — der ungehemmte Fluß der Assoziationen — und das
*l Von m i r hervorgehoben.
Das Versprechen.
37
negative — der Nachlaß der hemmenden Aufmerksamkeit — regel-
mäßig miteinander zur Wirkung gelangen, so daß beide Momente nur
zu verschiedenen Bestimmungen des nämlichen Vorganges werden.
Mit dem Nachlaß der hemmenden Aufmerksamkeit tritt eben der unge-
hemmte Fluß der Assoziationen in Tätigkeit; noch unzweifelhafter
ausgedrückt : durch diesen Nachlaß.
Unter den Beispielen von Versprechen, die sich selbst gesammelt,
finde ich kaum eines, bei dem ich die Sprechstörung einzig und allein
auf das, was W u n d t „Kontaktwirkung der Laute" nennt, zurück-
führen müßte. Fast regelmäßig entdecke ich überdies einen störenden
Einfluß von etwas außerhalb der intendierten Rede, und das
Störende ist entweder ein einzelner, unbewußt gebüebener Gedanke,
der sich durch das Versprechen kundgibt und oft erst durch eingehende
Analyse zum Bewußtsein gefördert werden kann, oder es ist ein all-
gemeineres psychisches Motiv, welches sich gegen die ganze Rede
richtet.
Beispiel a): Ich will gegen meine Tochter, die beim Einbeißen in
einen Apfel ein garstiges Gesicht gesclinitten hat, zitieren:
Der Affe gar possierlich ist,
Zumal wenn er vom Apfel frißt.
Ich beginne aber: Der Apfe... Dies scheint eine Kontamination
von „A f f e" und „Apfel" (Kompromißbildung) oder kann auch als
Antizipation des vorbereiteten „Apfel" aufgefaßt werden. Der genauere
Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Zitat schon einmal begonnen
und mich das erste Mal dabei nicht versprochen. Ich versprach mich
erst bei der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil die An-
gesprochene, von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhörte.
Diese Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld, des Satzes
ledig zu werden, muß ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der
sich als eine Verdichtungsleistung darstellt, mit einrechnen.
b) Meine Tochter sagt : Ich schreibe der Frau S c h r e singer . . .
Die Frau heißt S c h 1 e singer. Dieser Sprechfehler hängt wohl mit
einer Tendenz zur Erleichterung der Artikulation zusammen, denn das
1 ist nach wiederholtem r schwer auszusprechen. Ich muß aber hinzu-
fügen, daß sich dieses Versprechen bei meiner Tochter ereignete, nach-
dem ich ihr wenige Minuten zuvor „Apfe" anstatt „Affe" vorgesagt
hatte. Nun ist das Versprechen in hohem Maße ansteckend, ähnlich
wie das Namenvergessen, bei dem M e r i n g e r und Mayer diese
Eigentümlichkeit bemerkt haben. Einen Grund für diese psych:
Kontagiosität weiß ich nicht anzugeben.
38
Das Versprechen.
c) „Ich klappe zusammen wie ein Tassenmescher — Taschen-
messer", sagt eine Patientin zu Beginn der Behandlungsstunde, die
Laute vertauschend, wobei ihr wieder die Artikulationsschwierigkeit
(„Wiener Weiber Wascherinnen waschen weiße Wäsche" — „Fischflosse"
und ähnliche Prüfworte) zur Entschuldigung dienen kann. Auf den
Sprechfehler aufmerksam gemacht, erwidert sie prompt: „Ja, das ist
nur, weil Sie heute „Ernscht" gesagt haben." Ich hatte sie wirklich
mit der Rede empfangen: „Heute wird es also Ernst" (weil es die letzte
Stunde vor dem Urlaub werden sollte) und hatte das „Ernst" scherz-
haft zu „Ernscht" verbreitert. Im Laufe der Stunde verspricht sie
sich immer wieder von neuem, und ich merke endlich, daß sie mich
nicht blos imitiert, sondern daß sie einen besonderen Grund hat, im
Unbewußten bei dem Worte Ernst als Namen zu verweilen. 1 )
d) „Ich bin so verschnupft, ich kann nicht durch die A s e n a t -
men — Nase atmen" passiert derselben Patientin ein anderes Mal.
Sie weiß sofort, wie sie zu diesem Sprechfehler kommt. „Ich steige
jeden Tag in der Hasenauergasse in die Tramway, und heute
früh ist mir während des Wartens auf den Wagen eingefallen, wenn ich
eine Französin wäre, würde ich Asenauer aussprechen, denn die
Franzosen lassen das H im Anlaut immer weg." Sie bringt dann eine
Reihe von Reminiszenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat,
und langt nach weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, daß sie
als 14 jähriges Mädchen in dem kleinen Stück „Kurmärker und Picarde"
die Picarde gespielt und damals gebrochen Deutsch gesprochen hat.
Die Zufälligkeit, daß in ihrem Logierhaus ein Gast aus Paris an-
gekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinnerungen wachgerufen.
Die Lautvertauschung ist also Folge der Störung durch einen unbewußten
Gedanken aus einem ganz fremden Zusammenhang.
e) Ähnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer anderen
Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst verschollenen
Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen wird. An welche
Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand des Anderen gegriffen
') Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluß von unbewußten
Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den Worten: „zu-
sammengeklappt wie ein Taschenmesser", welche sie bewußt als Klage vorbrachte.
wollte sie die Haltung des Kindes im Mutterleib« beschreiben. Das Wort „Ernst'*
in meiner Anrede hatte sie an den Namen (S. Ernst) der bekannten Wiener Firma
in der KärthnersUaßc gemahnt, welche sich als Verkaufsstätte von Schutzmitteln
gegen die Konzeption zu annoncieren pflegt.
Das Versprechen.
39
hat, will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar
darauf einen Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr
über Sommerwohnungen. Gefragt, wo denn ihr Häuschen in M. gelegen
sei, antwortet sie : an der B e r g 1 e n d e anstatt Berglehne.
f) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage,
wie es ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiß nicht, ich sehe ihn
jetzt nur in flagrant i". Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe
mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort gegeben zu haben.
Sie müssen mich natürlich für eine ganz ungebildete Person halten,
die beständig Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: en pas-
s a n t." Wir wußten damals noch nicht, woher sie die unrichtig an-
gewendeten Fremdworte genommen hatte. In derselben Sitzung
aber brachte sie als Fortsetzung des vortägigen Themas eine Reminiszenz,
in welcher das Ertapptwerden in flagranti die Hauptrolle spielte.
Der Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht
bewußt gewordene Erinnerung antizipiert.
g) Gegen eine Andere muß ich an einer gewissen Stelle der Analyse
die Vermutung aussprechen, daß sie sich zu der Zeit, von welcher wir
eben handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem Vater einen uns noch
unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran,
erklärt es übrigens für unwahrscheinlich. Sie setzt aber das Gespräch
mit Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muß ihnen das eine
lassen : Es sind doch besondere Menschen, sie haben alle Geiz — ich
wollte sagen Geist". Das war denn auch wirklich der Vorwurf,
den sie aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Daß sich in dem Ver-
sprechen gerade jene Idee durchdrängt, die man zurückhalten will, ist
ein häufiges Vorkommnis (vgl. den Fall von Meringer: zum Vor-
schwein gekommen). Der Unterschied liegt nur darin, daß die Person
bei Meringer etwas zurückhalten will, was ihr bewußt ist, während
meine Patientin das Zurückgehaltene nicht weiß, oder wie man auch
sagen kann, nicht weiß, daß sie etwas und was sie zurückhält.
h) „Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen sie nur zu Kauf-
mann in der Mathäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort auch emp-
fehlen", sagt mir eine Dame. Ich wiederhole: „Also bei Mathäus
... bei Kaufmann' will ich sagen". Es sieht aus wie Folge von
Zerstreutheit, wenn ich den einen Namen an Stelle des anderen wieder-
hole. Die Rede der Dame hat mich auch wirklich zerstreut gemacht,
denn sie hat meine Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt, was mir weit
wi-litiger ist als Teppiche. In der Mathäusgasse steht nämlich das
Haus, in dem meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Eingang des
4 o
Das Versprechen.
Hauses war in einer anderen Gasse, und nun merke ich, daß ich deren
Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem Umweg bewußt
machen muß. Der Name Mathäus, bei dem ich verweile, ist mir also
ein Ersatzname für den vergessenen Namen der Straße. Er eignet sich
besser dazu als der Name Kaufmann, denn Mathäus ist ausschließlich
ein Personenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergessene Straße
heißt auch nach einem Personennamen: Radetzky.
i) Folgenden Fall könnte ich ebenso gut bei den später zu be-
sprechenden „Irrtümern" unterbringen, führe ihn aber hier an, weü
die Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wortersetzung erfolgt, ganz
besonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt mir ihren Traum: Ein
Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiß zu töten. Es
führt den Entschluß aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfen windet
usw. Sie soll nun die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie
erinnert sofort, daß sie gestern abends eine populäre Vorlesung über
erste Hilfe bei Schlangenbissen mit angehört hat. Wenn ein Er-
wachsener und ein Kind gleichzeitig gebissen worden sind, so soll man
zuerst die Wunde des Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche Vor-
schriften für die Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme
sehr viel darauf an, hatte er auch geäußert, von welcher Art man ge-
bissen worden ist. Hier unterbreche ich sie und frage: Hat er denn
nicht gesagt, daß wir nur sehr wenige giftige Arten in unserer Gegend
haben, und welche die gefürchteten sind ? ,.Ja, er hat die Klapper-
schlange hervorgehoben." Mein Lachen macht sie dann aufmerksam,
daß sie etwas Unrichtiges gesagt hat. Sie korrigiert jetzt aber nicht etwa
den Namen, sondern sie nimmt ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt
ja bei uns nicht vor; er hat von der Viper gesprochen. Wie gerate ich
nur auf die Klapperschlange ?" Ich vermutete, durch die Einmengung
der Gedanken, die sich hinter ihrem Traum verborgen hatten. Der
Selbstmord durch Schlangenbiß kann kaum etwas anderes sein als eine
Anspielung auf die schöne Kleopatra. Die weitgehende Lautähnlichkeit
der beiden Worte, die Übereinstimmung in den Buchstaben Kl . . p . . r
in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten a sind nicht zu ver-
kennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapper-
schlange und Kleopatra erzeugt bei ihr eine momentane Einschrän-
kung des Urteils, derzufolge sie an der Behauptung, der Vortragende
habe sein Publikum in Wien in der Behandlung von Klapperschlangen-
bissen unterwiesen, keinen Anstoß nimmt. Sie weiß sonst so gut wie ich,
daß diese Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen
es ihr nicht verübeln, daß sie an die Versetzung der Klapperschlange
Das Versprechen.
41
nach Egypten ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir sind gewöhnt,
alles Außereuropäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst
mußte mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behauptung aufstellte,
daß die Klapperschlange nur der neuen Welt angehört.
Weitere Bestätigungen ergeben sich bei Fortsetzung der Analyse.
Die Träumerin hat gestern zum erstenmal die in der Nähe ihrer Wohnung
aufgestellte Antonius gruppe von S t r a ß e r besichtigt. Dies war
also der zweite Traumanlaß (der erste der Vortrag über Schlangenbisse).
In der Fortsetzung ihres Traumes wiegte sie ein Kind in ihren Armen,
zu welcher Szene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen
Reminiszenzen an „A r r i a und M e s s a 1 i n a". Das Auftauchen
so vieler Namen von Theaterstücken in den Traumgedanken läßt be-
reits vermuten, daß bei der Träumerin in früheren Jahren eine ge-
heim gehaltene Schwärmerei für den Beruf der Schauspielerin bestand.
Der Anfang des Traumes: „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben
durch einen Schlangenbiß zu enden", bedeutet wirklich nichts anderes
als: Sie hat sich als Kind vorgenommen, einst eine berühmte Schau-
spielerin zu werden. Von dem Namen M e s s a 1 i n a zweigt endlich
der Gedankenweg ab, der zu dem wesentlichen Inhalt dieses Traumes
führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in ihr die Besorgnis
erweckt, daß ihr einziger Bruder eine nicht standesgemäße Ehe mit
einer Nicht-A r i e r i n , eine Mesalliance eingehen könnte.
k) Ein völlig harmloses, oder vielleicht uns nicht genügend in
seinen Motiven aufgeklärtes Beispiel will ich hier wiedergeben, weil es
einen durchsichtigen Mechanismus erkennen läßt:
Ein in Italien reisender Deutscher bedarf eines Riemens, um seinen
schadhaft gewordenen Koffer zu umschnüren. Das Wörterbuch liefert
ihm für Riemen das italienische Wort correggia. Dieses Wort werde
ich mir leicht merken, meint er, indem ich an den Maler (C o r r e g g i o)
denke. Er geht dann in einen Laden und verlangt : una r i b e r a.
Es war ihm anscheinend nicht gelungen, das deutsche Wort in seinem
Gedächtnis durch das italienische zu ersetzen, aber seine Bemühung
war doch nicht gänzlich ohne Erfolg geblieben. Er wußte, daß er sich
an den Namen eines Malers halten müsse, und so geriet er nicht auf
jenen Malernamen, der an das italienische Wort anklingt, sondern an
einen andern, der sich dem deutschen Worte Riemen annähert. Ich
hätte dieses Beispiel natürlich ebensowohl beim N'amenvergessen wie
hier beim Versprechen unterbringen können.
Als ich Erfahrungen von Versprechen für die erste Auflage dieser
Schrift sammelte, ging ich so vor, daß ich alle Fälle, die ich beobachten
42
Das Versprechen.
konnte, darunter also auch die minder eindrucksvollen, der Analyse
unterzog. Seither haben manche Andere sich der amüsanten Mühe,
Versprechen zu sammeln und zu analysieren, unterzogen und mich so
in den Stand gesetzt, Auswahl aus einem reicheren Material zu schöpfen.
1) Ein junger Mann sagt zu seiner Schwester: Mit den D. bin ich
jetzt ganz zerfallen, ich grüße sie nicht mehr. Sie antwortet : Überhaupt
eine saubere Lippschaft. Sie wollte sagen: S i p p schalt, aber sie
drängte noch zweierlei in dem Sprechirrtum zusammen, daß ihr Bruder
einst selbst mit der Tochter dieser Familie einen Flirt begonnen hatte,
und daß es von dieser hieß, sie habe sich in letzter Zeit in eine ernst-
hafte unerlaubte Lieb schaf t eingelassen.
m) Eine Anzahl von Beispielen entnehme ich einem Aufsatze
meines Kollegen Dr. W. S t e k e 1 aus dem Berliner Tageblatt vom
4. Januar 1904, betitelt „Unbewußte Geständnisse".
„Ein unangenehmes Stück meiner unbewußten Gedanken enthüllt
das folgende Beispiel. Ich schicke voraus, daß ich in meiner Eigenschaft
als Arzt niemals auf meinen Erwerb bedacht bin und immer nur das
Interesse des Kranken im Auge habe, was ja eine selbstverständliche
Sache ist. Ich befinde mich bei einer Kranken, der ich nach schwerer
Krankheit in einem Rekonvaleszentenstadium meinen ärztlichen Bei-
stand leiste. Wir haben schwere Tage und Nächte mitgemacht. Ich
bin glücklich, sie besser zu finden, male ihr die Wonnen eines Aufent-
haltes in Abbazia aus und gebrauche dabei den Nachsatz: „Wenn Sie,
was ich hoffe, das Bett bald nicht verlassen werden — ". Offenbar
entsprang das einem egoistischen Motive des Unbewußten, diese wohl-
habende Kranke noch länger behandeln zu dürfen, einem Wunsche, der
meinem wachen Bewußtsein vollkommen fremd ist, und den ich mit
Entrüstung zurückweisen würde."
n) Ein anderes Beispiel (Dr. W. S t e k e 1). „Meine Frau nimmt
eine Französin für die Nachmittage auf und will, nachdem man sich über
die Bedingungen geeinigt hatte, ihre Zeugnisse zurückbehalten. Die
Französin bittet, sie behalten zu dürfen, mit der Motivierung: Je cherche
encore pour les apres-midis, pardon, pour les avant-midis. Offenbar
hatte sie die Absicht, sich noch anderweitig umzusehen und vielleicht
bessere Bedingungen zu erhalten, — eine Absicht, die sie auch ausge-
führt hat."
o) „Ich soll einer Frau die Leviten lesen, und ihr Mann, auf dessen
Bitte das geschieht, steht lauschend hinter der Türe. Am Ende meiner
Predigt, die einen sichtlichen Eindruck gemacht hatte, sagte ich:
Das Versprechen.
43
,.Küß' die Hand, gnädiger Herr!" Dem Kundigen hatte ich damit ver-
raten, daß die Worte an die Adresse des Herrn gerichtet waren, daß ich
sie um seinetwillen gesprochen hatte."
p) Dr. S t e k e 1 berichtet von sich selbst, daß er zu einer Zeit zwei
Patienten aus Triest in Behandlung gehabt habe, die er immer verkehrt
zu begrüßen pflegte. „Guten Morgen, Herr Peloni!" sagte ich zu
Askoli — „Guten Morgen, Herr Askoli!" zu Peloni. Er war anfangs
geneigt, dieser Verwechslung keine tiefere Motivierung zuzuschreiben,
sondern sie durch die mehrfachen Gemeinsamkeiten der beiden Personen
zu erklären. Er ließ sich aber leicht überzeugen, daß die Namenver-
tauschung hier einer Art von Prahlerei entsprach, indem er durch sie
jeden seiner italienischen Patienten wissen lassen konnte, er sei nicht
der einzige Triestiner, der nach Wien gekommen sei, um seinen ärztlichen
Rat zu suchen.
q) Dr. S t e k e 1 selbst in einer stürmischen Generalversammlung:
Wir streiten (schreiten) nun zu Punktj4 der Tagesordnung.
r) Ein Professor bei seiner Antrittsvorlesung: „Ich bin nicht
geneigt (geeignet), die Verdienste meines sehr geschätzten Vor-
gängers zu schildern."
s) Dr. S t e k e 1 zu einer Dame, bei welcher er Basedow'sche Krank-
heit vermutet: „Sie sind um einen Kropf (Kopf) größer als Ihre
Schwester."
Bei dem psychotherapeutischen Verfahren, dessen ich mich zur
Auflösung und Beseitigung neurotischer Symptome bediene, ist sehr
häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vorgebrachten Reden
und Einfällen des Patienten einen Gedankeninhalt aufzuspüren, der
zwar sich zu verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich
in mannigfaltigster Weise unabsichtlich zu verraten. Dabei leistet oft
das Versprechen die wertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugend-
sten und anderseits sonderbarsten Beispielen dartun könnte. Die
Patienten sprechen z. B. von ihrer Tante und nennen sie konsequent,
ohne das Versprechen zu merken, „meine Mutter", oder bezeichnen
ihren Mann als ihren „Bruder". Sie machen mich auf diese Weise auf-
merksam, daß sie diese Personen miteinander „identifiziert", in eine
Reihe gebracht haben, welche für ihr Gefühlsleben die Wiederkehr
desselben Typus bedeutet. Oder: ein junger Mann von 20 Jahren
stellt sich mir in der Sprechstunde mit den Worten vor: Ich bin der
Vater des N. N., den Sie behandelt haben. — Pardon, ich will sagen,
dar Bruder; er ist ja um vier Jahre älter als ich. Ich verstehe, daß
44
Das Versprechen.
er durch dieses Versprechen ausdrücken will, daß er wie der Bruder
durch die Schuld des Vaters erkrankt sei, wie der Bruder Heilung ver-
lange, daß aber der Vater derjenige ist, dem die Behandlung am dring-
lichsten wäre. Andere Male reicht eine ungewöhnlich klingende Wort-
fügung, eine gezwungen erscheinende Ausdrucks weise hin, um den
Anteil eines verdrängten Gedankens an der anders motivierten Rede
des Patienten aufzudecken.
In groben wie in solchen feineren Redestörungen, die sich eben
noch dem „Versprechen" subsumieren lassen, findeich also nicht den
Einfluß von Kontaktwirkungen der Laute, sondern den von Gedanken
außerhalb der Redeintention maßgebend für die Entstehung des Ver-
sprechens und hinreichend zur Aufhellung des zustande gekommenen
Sprechfehlers. Die Gesetze, nach denen die Laufe verändernd auf
einander einwirken, möchte ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber
nicht wirksam genug, um für sich allein die korrekte Ausführung der
Rede zu stören. In den Fällen, die ich genauer studiert und durch-
schaut habe, stellen sie bloß den vorgebüdeten Mechanismus dar, dessen
sich ein ferner gelegenes psychisches Motiv bequemerweise bedient,
ohne sich aber an den Machtbereich dieser Beziehungen zu binden.
In einer großen Reihe von Substitutionen wird beim Versprechen
von solchen Lautgesetzen völlig abgesehen. Ich befinde mich hierbei
in voller Übereinstimmung mit Wundt, der gleichfalls die Bedin-
gungen des Versprechens als zusammengesetzte und weit über die
Kontaktwirkungen der Laute hinausgehende vermutet.
Wenn ich diese „entfernteren psychischen Einflüsse" nach W u n d t s
Ausdruck für gesichert halte, so weiß ich anderseits von keiner Ab-
haltung, um auch zuzugeben, daß bei beschleunigter Rede und einiger-
maßen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedingungen fürs Versprechen
sich leicht auf das von Meringer und Mayer bestimmte Maß ein-
schränken können. Bei einem Teil der von diesen Autoren gesammelten
Beispiele ist wohl eine kompliziertere Auflösung wahrscheinlicher.
Ich greife etwa den vorhin angeführten Fall heraus:
Es war mir auf der Schwest...
Brust so schwer.
Geht es hier wohl so einfach zu, daß das s c h w e das gleichwertige
B r u als Vorklang verdrängt ? Es ist kaum abzuweisen, daß die Laute
schwe außerdem durch eine besondere Relation zu dieser Vordringlich-
keit befähigt werden. Diese könnte dann keine andere sein als die
Assoziation : Schwester — Bruder, etwa noch : Brust der
S c h w e s t e r , die zu anderen Gedankenkreisen hinüberleitet. Dieser
Das Versprechen.
45
hinter der Szene unsichtbare Helfer verleiht dem sonst harmlosen
s c h w e die Macht, deren Erfolg sich als Sprech fehler äußert.
Für anderes Versprechen läßt sich annehmen, daß der Anklang
an obszöne Worte und Bedeutungen das eigentlich Störende ist. Die
absichtliche Entstellung und Verzerrung der Worte und Redensarten,
die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts anderes, als
beim harmlosen Anlaß an das Verpönte zu mahnen, und diese Spielerei
ist so häufig, daß es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch un-
absichtlich und wider Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie : E i -
scheißweibchen für Eiweißscheibchen, Apopos
Fritz für Apropos, Lokuskapitäl für Lotuskapitäl usw.
vielleicht noch die Alabüsterbachse (Alabasterbüchse) der hl. Magdalena
gehören wohl in diese Kategorie.') — „Ich fordere Sie auf, auf das
Wohl unseres Chefs aufzustoßen", ist kaum etwas anderes als eine
unbeabsichtigte Parodie als Nachklang einer beabsichtigten. Wenn
ich der Chef wäre, zu dessen Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus
beigetragen hätte, würde ich wohl daran denken, wie klug die Römer
gehandelt haben, als sie den Soldaten des triumphierenden Imperators
gestatteten, den inneren Einspruch gegen den Gefeierten in Spott-
liedern laut zu äußern. — Meringer erzählt von sich selbst, daß er
zu einer Person, die als die älteste der Gesellschaft mit dem vertraulichen
Ehrennamen „Senexl" oder „altes Senexl" angesprochen wurde, einmal
gesagt habe: „Prost Senex altesl!" Er erschrak selbst über diesen
Fehler (S. 50). Wir können uns vielleicht seinen Affekt deuten, wenn
wir daran mahnen, wie nahe „Altesl" an den Schimpf „alter Esel"
kommt. Auf die Verletzung der Ehrfurcht vor dem Alter (d. i., auf
die Kindheit reduziert, vor dem Vater) sind große innere Strafen gesetzt.
Ich hoffe, die Leser werden den Wert unterschied dieser Deutungen,
die sich durch nichts beweisen lassen, und der Beispiele, die ich selbst
gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht vernachlässigen.
Wenn ich aber im stillen immer noch an der Erwartung festhalte,
auch die scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf
Störung durch eine halb unterdrückte Idee außerhalb des inten-
dierten Zusammenhanges zurückführen lassen, so verlockt mich dazu
eine sehr beachtenswerte Bemerkung von Meringer. Dieser Autor
sagt, es i t merkwürdig, daß niemand sich versprochen haben will.
>) Bei einer meiner Patientinnen setzte sich das Versprechen als Symptom
so lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das Wort ruinieren durch uri-
nieren zu ersetzen, zurückgeführt war.
46
Das Versprechen.
Es gibt sehr gescheute und ehrliche Menschen, welche beleidigt sind,
wenn man ihnen sagt, sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich
nicht, diese Behauptung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das
„niemand" von Meringer hingestellt wird. Die Spur Affekt aber,
die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur
des Schämens ist, hat ihre Bedeutung. Sie ist gleichzusetzen dem Ärger,
wenn wir einen vergessenen Namen nicht erinnern, und der Verwunde-
rung über die Haltbarkeit einer scheinbar belanglosen Erinnerung,
und weist allemale auf die Beteiligung eines Motivs am Zustandekommen
der Störung hin.
Das Verdrehen von Namen entspricht einer Schmähung, wenn es
absichtlich geschieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen,
wo es als unabsichtliches Versprechen auftritt, dieselbe Bedeutung
haben. Jene Person, die nach Mayers Bericht einmal „Freude r"
sagte anstatt Freud, weil sie kurz darauf den Namen „Breue r"
vorbrachte (S. 38), ein andermal von einer Freuer- Brcud sehen
Methode (S.28) sprach, war wohl ein Fachgenosse und von dieser Methode
nicht sonderlich entzückt. Einen gewiß nicht anders aufzuklärenden
Fall von Namensentstellung werde ich weiter unten beim Verschreiben
mitteilen. 1 ) In diesen Fällen mengt sich als störendes Moment eine
Kritik ein, welche bei Seite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem
Zeitpunkte der Intention des Redners nicht entspricht. In anderen
und weit bedeutsameren Fällen ist es Selbstkritik, innerer Widerspruch
gegen die eigene Äußerung, was zum Versprechen, ja zum Ersatz des
Intendierten durch seinen Gegensatz nötigt. Man merkt dann mit Er-
staunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung die Absicht derselben
aufhebt, und wie der Sprechfehler die innere Unaufrichtigkeit bloß-
gelegt hat. 8 ) Das Versprechen wird hier zu einem mimischen Ausdrucks-
mittel, freilich oftmals für den Ausdruck dessen, was man nicht sagen
wollte, zu einem Mittel des Selbstverrats. So z. B. wenn ein Mann, der
in seinen Beziehungen zum Weibe den sog. normalen Verkehr nicht
bevorzugt, in ein Gespräch über ein für kokett erklärtes Mädchen mit
den Worten einfällt: Im Umgang mit mir würde sie sich das
') Man kann auch bemerken. daß gerade Aristokraten besonders hänfig
die Namen von Ärzten, die sie konsultiert haben, entstellen, und darf daraus
schließen, daß sie dieselben innerlich gering schätzen, trotz der Höflichkeit, mit
welcher sie ihnen zu begegnen pflegen.
! ) Durch solches Versprechen brandmarkt z. B. Anzengruber im
..G'wissenswurm" den heuchlerischen Erbschleicher.
Das Versprechen.
47
Koettieren schon abgewöhnen. Kein Zweifel, daß es nur das
andere Wort k o i l i e r e n sein kann, dessen Einwirkung auf das
intendierte kokettieren solche Abänderung zuzuschreiben ist.
Die zufällige Gunst des Sprachrnaterials läßt oft Beispiele von Ver-
sprechen entstehen, denen die geradezu niederschmetternde Wirkung
einer Enthüllung oder der volle komische Effekt eines Witzes zukommt.
So in nachstehendem, vom Kollegen Dr. R e i 1 1 e r beobachteten
und mitgeteilten Falle:
„Diesen neuen, reizenden Hut haben Sie wohl sich selbst auf-
gepatzt?" sagte eine Dame in bewunderndem Tone zu einer anderen.
Die Fortsetzung des beabsichtigten Lobes mußte nunmehr unter-
bleiben; denn die im stillen geübte Kritik, der Hutaufputz sei eine
„Patrerei", hatte sich denn doch viel zu deutlich in dem unliebsamen
Versprechen geäußert, als daß irgend welche Phrasen konventioneller
Bewunderung noch glaubwürdig erschienen wären.
Oder in folgendem von Dr. Max Graf erlebtem Beispiele:
„In der Generalversammlung des Journalisten Vereins „Concordia"
hält ein junges, stets geldbedürftiges Mitglied eine heftige Oppositions-
rede und sagt in seiner Erregung : „Die Herren Vorschuß mitglieder"
(anstatt Vor Stands- oder Aus s c h u ß mitglieder). Dieselben haben
das Recht, Darlehen zu bewilligen, und auch der junge Redner hat ein
Darlehensgesuch eingebracht."
Erheiternd wirkt das Versprechen, wenn es als Mittel benützt wird,
um während eines Widerspruches zu bestätigen, was dem Arzte in der
psychoanalytischen Arbeit sehr willkommen sein mag. Bei einem
meiner Patientin hatte ich einst einen Traum zu deuten, in welchem
der Name J a u n e r vorkam. Der Träumer kannte eine Person dieses
Namens, es ließ sich aber nicht finden, weshalb diese Person in den
Zusammenhang des Traumes aufgenommen war, und darum wagte ich
die Vermutung, es könnte bloß wegen des Namens, der an den Schimpf
Gauner anklinge, geschehen sein. Der Patient widersprach rasch
und energisch, versprach sich aber dabei und bestätigte meine Ver-
mutung, indem er sich der Ersetzung ein zweites Mal bediente. Seine
Antwort lautete: Das erscheint mir doch zu je wagt. Als ich ihn
auf das Versprechen aufmerksam machte, gab er meiner Deutung nach.
Wenn im ernsthaften Wortstreit ein solches Versprechen, welches
die Redeabsicht in ihr Gegenteil verkehrt, sich dem einen der beiden
Streiter ereignet, so setzt es ihn sofort in Nachteil gegen den anderen,
der es selten versäumt, sich seiner verbesserten Position zu bedienen.
4 8
Das Versprechen.
Ein schönes Beispiel von Versprechen, welches nicht so sehr den
Verrat des Redners als die Orientierung des außer der Szene stehenden
Hörers bezweckt, findet sich im Wallenstein (Piccolomini, I. Auf-
zug, 5. Auftritt) und zeigt uns, daß der Dichter, der sich hier dieses
Mittels bedient, Mechanismus und Sinn des Versprechens wohl gekannt
hat. Max Piccolomini hat in der vorhergehenden Szene aufs leiden-
schaftlichste für den Herzog Partei genommen und dabei von den Seg-
nungen des Friedens geschwärmt, die sich ihm auf seiner Reise enthüllt,
während er die Tochter Wallensteins ins Lager begleitete. Er läßt
seinen Vater und den Abgesandten des Hofes, Questenberg, in voller Be-
stürzung zurück. Und nun geht der fünfte Auftritt weiter:
Questenberg: weh uns! Steht es so?
Freund, und wir lassen ihn in diesem Wahn
Dahingehen, rufen ihn nicht gleich
Zurück, daß wir die Augen auf der Stelle
Ihm öffnen?
Octavio: (aus einem tiefen Nachdenken zu sich kommend)
M i r hat er sie jetzt geöffnet,
Und mehr erblick ich, als mich freut.
Questenberg: Was ist es, Freund?
Octavio: Fluch über diese Reise!
Questenberg: Wieso? Was ist es?
Octavio: Kommen Sie! Ich muß
Sogleich die unglückselige Spur verfolgen.
Mit meinen Augen seilen — kommen Sie —
(will ihn fortführen).
Questenberg: Was denn? Wohin?
Octavio (pressiert): Zu ihr!
Questenberg: Zu —
Octavio (korrigiert sich): Zum Herzog! Gehen wir! nSW,
Dies kleine Versprechen: Zu ihr anstatt: Zu ihm soll uns verraten,
daß der Vater das Motiv der Parteinahme seines Sohnes durchschaut
hat, während der Höfling klagt, „daß er in lauter Rätseln zu ihm rede".
Die hier vertretene Auffassung des Versprechens hält übrigens der
Probe an dem Kleinsten Stand. Ich habe wiederholt zeigen können,
daß die geringfügigsten und naheliegendsten Fälle von Redeirrung
ihren guten Sinn haben und die nämliche Lösung zulassen wie die auf-
fälligeren Beispiele. Eine Patientin, die ganz gegen meinen Willen, aber
mit starkem eigenem Vorsatz, einen kurzen Ausflug nach Budapest
unternimmt, rechtfertigt sich vor mir, sie gehe ja nur für drei Tage
Das Versprechen.
49
dahin, verspricht sich aber und sagt: nur für drei Wochen. Sie
verrät, daß sie mir zum Trotze lieber drei Wochen als drei Tage in jener
llschaft bleiben will, die ich als unpassend für sie erachte. —
Ich soll mich eines Abends entschuldigen, daß ich meine Frau nicht
vom Theater abgeholt und sage : Ich war 10 Minuten nach 10 Uhr
beim Theater. Man korrigiert mich: Du willst sagen: v o r 10 Uhr.
Natürlich wollte ich v o r 10 Uhr sagen. Nach 10 Uhr wäre ja keine
Entschuldigung. Man hatte mir gesagt, auf dem Theaterzettel stehe:
Ende vor 10 Uhr. Als ich beim Theater anlangte, fand ich das Vestibül
verdunkelt und das Theater entleert. Die Vorstellung war eben früher
zu Ende gewesen, und meine Frau hatte nicht auf mich gewartet. Als
ich auf die Uhr sah, fehlten noch 5 Minuten zu 10 Uhr. Ich nahm mir
aber vor, meinen Fall zu Hause günstiger darzustellen und zu sagen,
es hätten noch 10 Minuten zur zehnten Stunde gefehlt. Leider verdarb
11111 das Versprechen die Absicht und stellte meine Unaufrichtigkeit
bloß, indem es mich selbst mehr bekennenMieß, als ich zu bekennen hatte.
Man gelangt von hier aus zu jenen*Redestörungen, die nicht mehr
als Versprechen beschrieben werden, weil sie nicht das einzelne Wort,
>ondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede beeinträchtigen,
wie z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegenheit. Aber hier wie
dort ist es der innere Konflikt, der uns durch dieStörung der Rede verraten
wird. Ich glaube wirklich nicht, daß jemand sich versprechen würde
in der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten Liebes-
werbung, in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den Ge-
schworenen, kurz in all den Fällen, in denen man ganz dabei isl .
wie wir so bezeichnend sagen. Selbst bis'in die Schätzung des Stils, den
ein Autor schreibt, dürfen wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungs-
jinn/ip zu tragen, welches wir bei der Ableitung des einzelnen Sprech-
fehlers nicht entbehren können. Eine klare und unzweideutige Schreib-
9 • ise belehrt uns, daß der Autor hier mit sich einig ist, und wo wir ge-
zwungenen und gewundenen Ausdruck finden, der, wie so richtig ge-
igt wird, nach mehr als einem Scheine schielt, da können wir den Anteil
nicht genugsam erledigten, komplizierenden Gedankens erkennen,
oder die erstickte Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören.
Fftutl. Piychopathologie <le» Alltagsleben».
5°
Verlesen und Verschreiben.
VI.
Verlesen und Verschreiben.
Daß für die Fehler im Lesen und Schreiben die nämlichen Gesichts-
punkte und Bemerkungen Geltung haben, wie für die Sprechfehler,
ist bei der inneren Verwandtschaft dieser Funktionen nicht zu ver-
wundern. Ich werde mich hier darauf beschränken, einige sorgfältig
analysierte Beispiele mitzuteilen, und keinen Versuch unternehmen,
das Ganze der Erscheinungen zu umfassen.
A. Verlesen.
a) Ich durchblättere im Caföhaus eine Nummer der „Leipziger
Illustrierten", die ich schräg vor mir halte, und lese als Unterschrift
eines sich über die Seite erstreckenden Bildes: Eine Hochzeitsfeier
inderOdyssee. Aufmerksam geworden und verwundert rücke ich
mir das Blatt zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochzeitsfeier an
der Ostsee. Wie komme ich zu diesem unsinnigen Lesefehler ?
Meine Gedanken lenken sich sofort auf ein Buch von Ruths „Expe-
rimentaluntersuchungen über Musikphantome usw.", das mich in der
letzten Zeit viel beschäftigt hat, weil es nahe an die von mir behan-
delten psychologischen Probleme streift. Der Autor verspricht für
nächste Zeit ein Werk, welches „Analyse und Grundgesetze der Traum-
phänomene" heißen wird. Kein Wunder, daß ich, der ich eben ein«
., Traumdeutung" veröffentlicht habe, mit größter Spannung diesem
Buche entgegensehe. In der Schrift Ruths über Musikphantome
fand ich vorne im Inhaltsverzeichnis die Ankündigung des ausführ-
lichen induktiven Nachweises, daß die althellenischen Mythen und Sagen
ihre Hauptwurzeln in Schlummer- und Musikphantomen, in Traum-
phänomenen und auch in Delirien haben. Ich schlug damals sofort im
Texte nach, um herauszufinden, ob er auch um die Zurückführung der
Szene, wie Odysseus vor N a u s i k a a erscheint, auf den gemeinen
Nacktheitstraum wisse. Mich hatte ein Freund auf die schöne Stelle
in G. Kellers „Grünem Heinrich" aufmerksam gemacht, welche
diese Episode der Odyssee als Objektivierung der Träume des fern von
der Heimat irrenden Schiffers aufklärt, und ich hatte die Beziehung
zum Exhibitionstraum der Nacktheit hinzugefügt (S. 170). Bei R u t b -
entdeckte ich nichts davon. Mich beschäftigen in diesem Falle offenbar
Prioritätsgedanken.
b) Wie kam ich dazu, eines Tages aus der Zeitung zu lesen: ,,I n
Faß durch Europa, anstatt: zu Fuß?" Diese Auflösung bereitete
Verlesen und Verschreiben.
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mir lange Zeit Schwierigkeiten. Die nächsten Einfälle deuteten aller-
dings: Es müsse das Faß des Diogenes gemeint sein, und in einer Kunst-
geschichte hatte ich unlängst etwas über die Kunst zur Zeit Alexanders
gelesen. Es lag dann nahe, an die bekannte Rede Alexanders zu denken :
Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich Diogenes sein. Auch
schwebte mir etwas von einem gewissen Hermann Zeitung vor,
der in eine Kiste verpackt sich auf Reisen begeben hatte. Aber weiter
wollte sich der Zusammenhang nicht herstellen, und es gelang mir
nicht, die Seite in der Kunstgeschichte wieder aufzuschlagen, auf
welcher mir jene Bemerkung ius Auge gefallen war. Erst Monate
später fiel mir das beiseite geworfene Rätsel plötzlich wieder ein, und
diesmal zugleich mit seiner Lösung. Ich erinnerte mich an die Bemer-
kung in einem Zeitungsartikel, was für sonderbare Arten der B e -
förderung die Leute jetzt wählten, um nach Paris zur Weltaus-
stellung zu kommen, und dort war auch, wie ich glaube, scherzhaft
mitgeteilt worden, daß irgend ein Herr die Absicht habe, sich von
einem anderen Herrn in einem Faß nach Paris rollen zu lassen.
Natürlich hätten diese Leute kein anderes Motiv, als durch solche Tor-
heiten Aufsehen zu machen. Hermann Zeitung war in der
Tat der Name desjenigen Mannes, der für solche außergewöhnliche
Beförderungen das erste Beispiel gegeben hatte. Dann fiel mir ein,
daß ich einmal einen Patienten behandelt, dessen krankhafte Angst
vor der Zeitung sich als Reaktion gegen den krankhaften Ehrgeiz
auflöste, sich gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt zu sehen.
Der mazedonische Alexander war gewiß einer der ehrgeizigsten Männer,
die je gelebt haben. Er klagte ja, daß er keinen Homer finden werde,
der seine Taten besinge. Aber wie konnte ich nur nicht daran
denken, daß ein anderer Alexander mir näher stehe, daß
Alexander der Name meines jüngeren Bruders ist ! Ich fand nun sofort
den anstößigen und der Verdrängung bedürftigen Gedanken in betreff
dieses Alexanders und die aktuelle Veranlassung für ihn. Mein Bruder
ist Sachverständiger in Dingen, die Tarife und Transporte an-
gehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für seine Lehrtätigkeit an einer
kommerziellen Hochschule den Titel Professor erhalten. Für die
In he Beförderung war ich an der Universität seit mehreren
Jahren vorgeschlagen, ohne sie erreicht zu haben. Unsere Mutter
äußerte damals ihr Befremden darüber, daß ihr kleiner Sohn eher
Professor werden sollte als ihr großer. So stand es zur Zeit, als ich die
Lösung für jenen Leseirrtum nicht finden konnte. Dann erhoben sich
Schwierigkeiten auch bei meinem Bruder; seine Chancen, Professor
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Verlesen und Verschreiben.
zu werden, fielen noch unter die meinigen. Da aber wnrde mir plötzlich
der Sinn jenes Verlesens offenbar; es war, als hätte die Minderung In
den Chancen des Bruders ein Hindernis beseitigt. Ich hatte mich sei
benommen, als läse ich die Ernennung des Bruders in der Zeitung
und sagte mir dabei: Merkwürdig, daß man wegen solcher Dumm-
heiten (wie er sie als Beruf betreibt) in der Zeitung stehen (d. h. zum
Professor ernannt werden) kann! Die Stelle über die hellenistische
Kunst im Zeitalter Alexanders schlug ich dann ohne Mühe auf und
überzeugte mich zu meinem Erstaunen, daß ich während des vorherigen
Suchens wiederholt auf derselben Seite gelesen und jedesmal wie unter
der Herrschaft einer negativen Halluzination den betreffenden Satz,
übergangen hatte. Dieser enthielt übrigens gar nichts, war mir Auf-
klärung brachte, was des Vergessens wert gewesen wäre. Ich meine,
das Symptom des Nichtauffindens im Buche ist nur zu meiner Irre-
führung geschaffen worden. Ich sollte die Fortsetzung der Gedanken-
verknüpfung dort suchen, wo meiner Nachforschung ein Hindernis
in den Weg gelegt war, also in irgend einer Idee über den mazedonischen
Alexander, und sollte so vom gleichnamigen Bruder sicherer abgelenkt
werden. Dies gelang auch vollkommen; ich richtete alle meine Be-
mühungen darauf, die verlorene Stelle in jener Kunstgeschichte wieder
aufzufinden.
Der Doppelsinn des Wortes „Beförderung" ist in diesem
Falle die Assoziationsbrücke zwischen den zwei Komplexen, dem
unwichtigen, der durch die Zeitungsnotiz angeregt wird, und dem
interessanteren, aber anstößigen, der sich hier als Störung des zu
Lesenden geltend machen darf. Man ersieht aus diesem Beispiel, daß
es nicht immer leicht wird, Vorkommnisse wie diesen Lesefehler aufzu-
klären. Gelegentlich ist man auch genötigt, die Lösung des Rätsels
auf eine günstigere Zeit zu verschieben. Je schwieriger sich aber die
Lösungsarbeit erweist, desto sicherer darf man erwarten, daß der
endlich aufgedeckte störende Gedanke von unserem bewußten Denken
als fremdartig und gegensätzlich beurteilt werden wird.
c) Ich erhalte eines Tages einen Brief aus der Nähe Wiens, der
mir eine erschütternde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch sofort meine
Frau an und fordere sie zur Teilnahme daran auf, daß d i e arme
Wilhelm M. so schwer erkrankt und von den Ärzten aufgegeben ist.
An den Worten, in welche ich mein Bedauern kleide, muß aber etwas
falsch geklungen haben, denn meine Frau wird mißtrauisch, verlangt
den Brief zu sehen und äußert als ihre Überzeugung, so könne es nicht
darin stehen, denn niemand nenne eine Frau nach dem Namen des
Verlesen und Verschreiben.
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Mannes, und überdies sei der Korrespondentin der Vorname der Frau
sehr wohl bekannt. Ich verteidige meine Behauptung hartnäckig und
verweise auf die so gebräuchlichen Visitkarten, auf denen eine Frau
sich selbst mit dem Vornamen des Mannes bezeichnet. Ich muß endlich
den Brief zur Hand nehmen, und wir lesen darin tatsächlich ,,d e r
arme W. M.", ja sogar was ich ganz übersehen hatte: „der arme Dr.
W. M.". Mein Versehen bedeutete also einen, sozusagen krampfhaften,
Versuch, die traurige Neuigkeit von dem Manne auf die Frau zu über-
wälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name eingeschobene Titel
paßte schlecht zu der Forderung, es müßte die Frau gemeint sein. Darum
wurde er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser Verfälschung
war aber nicht, daß mir die Frau weniger sympathisch wäre als der Mann,
sondern das Schicksal des armen Mannes hatte meine Besorgnisse um
<ine andere, mir nahe stehende Person rege gemacht, welche eine der
mir bekannten Krankheitsbedingungen mit diesem Falle gemeinsam
hatte.
d) Ärgerlich und lächerlich ist mir ein Verlesen, dem ich sehr
häufig unterliege, wenn ich in den Ferien in den Straßen einer fremden
Stadt spaziere. Ich lese dann jede Ladentafel, die dem irgendwie
entgegenkommt als : Antiquitäten. Hierin äußert sich die Abenteuer-
lust des Sammler-.
B. Verschreiben.
a) Auf einem Blatte, welches kurze tägliche Aufzeichnungen
meist von geschäftlichem Interesse enthalt, finde ich zu meiner Über-
raschung mitten unter den richtigen Daten des Monats September ein-
geschlossen das verschriebene Datum „Donnerstag, den 20. Okt." Es
i-t nicht schwierig, diese Antizipation aufzuklären, und zwar als Aus-
druck eines Wunsches. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der
Ferienreise zurückgekehrt und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche
Beschäftigung, aber die Anzahl der Patienten ist noch gering. Bei
meiner Ankunft fand ich einen Brief von einer Kranken vor. die sich
für den 20. Oktober ankündigte. Als ich die gleiche Tageszahl im
September niederschrieb, kann ich wohl gedacht haben: Die X. sollte
doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem
Gedanken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in
diesem Falle kaum ein aastößiger zu nennen: dafür weiß ich auch
sofort die Auflösung des Schreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt
kabe. Ein ganz analoges und ähnlich motiviertes Verschreiben wieder-
hole ich dann im Herbst des nächsten Jahres.
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Verlesen und Verschreiben.
b) Ich erhalte die Korrektur meines Beitrags zum Jahresbericht
für Neurologie und Psychiatrie und muß natürlich mit besonderer
Sorgfalt die Autornamen revidieren, die, weil verschiedenen Nationen
angehörig, dem Setzer die größten Schwierigkeiten zu bereiten pflegen.
Manchen fremd klingenden Namen finde ich wirklich noch zu korrigieren,
aber einen einzigen Namen hat merkwürdiger Weise der Setzer gegen
mein Manuskript verbessert und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte
nämlich Buckrhard geschrieben, woraus der Setzer B u r c k -
h a r d erriet. Ich hatte die Abhandlung eines Geburtshelfers über den
Einfluß der Geburt auf die Entstehung der Kinderlähmungen selbst als
verdienstlich gelobt, wüßte auch nichts gegen deren Autor zu sagen,
aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Schriftsteller in Wien,
der mich durch eine unverständige Kritik über meine „Traumdeutung"
geärgert hat. Es ist gerade so, als hätte ich mir bei der Niederschrift
• !<-h Namen Bure khard. der den Geburtshelfer bezeichnete, etwas
Arges über den anderen B., den Schriftsteller, gedacht, denn Namen-
verdrehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Versprechen
erwähnt habe, Schmähung. 1 )
c) Ein anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich viel-
leicht mit ebensoviel Recht dem ,, Vergreifen" einordnen könnte: Ich
habe die Absicht, mir aus der Postsparkassa die Summe von 300 Kronen
kommen zu lassen, die ich einem zum Kurgebrauch abwesenden Ver-
wandten schicken will. Ich bemerke dabei, daß mein Konto auf 4380 Kr.
lautet, und nehme mir vor, es jetzt auf die runde Summe von 4000 Kr.
herunterzusetzen, die in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden
soll. Nachdem ich den Check ordnungsmäßig ausgeschrieben und di<
Zahl entsprechenden Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich,
daß ich nicht 380 Kr., wie ich wollte, sondern gerade 438 bestellt habe,
und erschrecke über die Unzuverlässigkeit meines Tuns. Den Schreck
erkenne ich bald als unberechtigt ; ich bin ja jetzt nicht ärmer geworden,
als ich vorher war. Aber ich muß eine ganze Weile darüber nachsinnen,
welcher Einfluß hier meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem
Bewußtsein anzukündigen. Ich gerate zuerst auf falsche Wege, will
») Vgl. etwa die Stelle im Julius Caesar III. 3:
Cinna. Ehrlich, mein Name ist Cinna.
Bürger. Reißt ihn in Stücket er ist ein Verschworener.
Cinna. Ich bin Cinna der Poetl Ich bin nicht Cinna der Verschworene.
Bürger. Es tut nichts; sein Name ist Cinna, reißt ihm den Namen aus
dem Herzen und laßt ihn laufen.
Verlesen und Verschreiben.
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die beiden Zahlen, 380 und 438, von einander abziehen, weiß aber dann
nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein
plötzlicher Einfall den wahren Zusammenhang. 438 entspricht ja
zehn Prozent des ganzen Konto von 4380 Kr. ! 10% Rabatt hat
man aber beim Buchändler ! Ich besinne mich, daß ich vor
wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke, die ihr Interesse für
mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade
für 300 Kronen anzubieten. Er fand die Forderung zu hoch und ver-
sprach, in den nächsten Tagen endgiltige Antwort zu sagen. Wenn er
mein Angebot annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche
ich für den Kranken verausgaben soll. Es ist nicht zu verkennen, daß
es mir um diese Ausgabe leid tut. Der Affekt bei der Wahrnehmung
meines Irrtums läßt sich besser verstehen als Furcht, durch solche Aus-
gaben arm zu werden. Aber beides, das Bedauern wegen dieser Aus-
gabe und die an sie geknüpfte Verarmungsangst, sind meinem Bewußtsein
völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht verspürt, als ich jene Summe
zusagte, und fände die Motivierung desselben lächerlich. Ich würde
mir eine solche Regung wahrscheinlich gar nicht zutrauen, wenn ich nicht
durch die Übung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem Verdrängten
im Seelenleben ziemlich vertraut wäre, und wenn ich nicht vor einigen
Tagen einen Traum gehabt hätte, welcher die nämliche Lösung er-
forderte.')
d) Nach meinem Kollegen Dr. W. S t e k e 1 zitiere ich folgenden
Fall, für dessen Authenzität ich gleichfalls einstehen kann: „Ein geradezu
unglaubliches Beispiel im Verschreiben und Verlesen ist in der Redaktion
eines verbreiteten Wochenblattes vorgekommen. Die betreffende
Leitung wurde öffentlich als „käuflich" bezeichnet; es galt, einen
Artikel der Abwehr und Verteidigung zu schreiben. Das geschah auch
— mit großer Wärme und großem Pathos. Der Chefredakteur des
Blattes las den Artikel, der Verfasser selbstverständlich mehrmals im
Manuskript, dann noch im Bürstenabzuge, alle waren sehr befriedigt.
Plötzlich meldet sich der Korrektor, und macht auf einen kleinen Fehler
aufmerksam, der der Aufmerksamkeit aller entgangen war. Dort stand
es ja deutlich : Unsere Leser werden uns das Zeugnis ausstellen, daß wir
immer in eigennützigster Weise für das Wohl der Allgemeinheit
eingetreten sind. Selbstverständlich sollte es uneigennützig-
') Es ist dies jener Traum, den ich in einer kurzen Abhandlung, „Über
den Traum", No. VTII der ..Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens", heraus-
gegeben von Löwen (cid und Kurella, 1901. zum Paradigma genommen habe.
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Verlesen und Verschreiben.
s t e r Weise heißen. Aber die wahren Gedanken brachen mit elemen-
tarer Gewalt durch die pathetische Rede."
W u n d t gibt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu
bestätigende Tatsache, daß wir uns leichter verschreiben ab ver-
sprechen (1. c. S. 374). „Im Verlaufe der normalen Rede ist fortwährend
die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet, Vorstellungsverlauf
und Artikulationsbewegung mit einander in Einklang zu bringen.
Wird die den Vorstellungen folgende Ausdrucksbewegung durch mecha-
nische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben so treten daher
solche Antizipationen besonders leicht ein."
Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Verlesen
auftritt, gibt Anlaß zu einem Zweifel, den ich nicht unerwähnt lassen
möchte, weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer frucht-
baren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie
häufig beim Vorlesen die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text
verläßt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Ab-
5chwetfe09 der Aufmerksamkeit ist nicht selten, daß er überhaupt
nicht anzugeben weiß, was er gelesen hat. wenn man ihn im Vorlesen
unterbricht und l>efragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber
it fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, daß die Lese-
fehler sich unter solchen Bedingungen merküch vermehren. Von einer
ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewöhnt, anzunehmen,
daß sie automatisch, also von kaum bewußter Aufmerksamkeit be-
gleitet, am exaktesten vollzogen werden. Daraus scheint zu folgen.
daß die Aufmerksamkeitsbedingung der Sprech-. Lese- und Schi eil >-
fehler anders zu bestimmen ist, als sie bei W u n d t lautet (Wegfall oder
Nachlaß der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse
unterzogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quantita-
tive Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden,
was vielleicht nicht ganz dasselbe ist, eine Störung der Aufmerksam*
keit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken.
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
57
VII.
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegenwäi ■<
Kenntnis vom Seelenleben zu überschätzen, so brauchte man ihn nur an
die Gedächtnisfunktion zu mahnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen.
Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht, von dem fundamen-
talen Phänomen des Erinnerns und Vergessen- im Zusammenhange
Rechenschaft zu geben; ja, die vollständige Zergliederung dessen, was man
als tatsächlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff genommen.
Vielleicht ist uns heute das Vergessen rätselhafter geworden als das Er-
innern, seitdem uns das Studium des Traumes und pathologischer Er-
eignisse gelehrt hat, daß auch das plötzlich wieder im Bewußtsei!,
auffauchen kann, was wir für längst vergessen geschätzt haben.
Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichtspunkt!.-,
für welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen au,
daß das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen
zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, daß beim Ver-
gessen eine gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindrücken statt-
findet und ebenso unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder
Erlebnisses. Wir kennen einige der Bedingungen für die Haltbarkeit
im Gedächtnis und für die Erweckbarkeit dessen, was sonst vergessen
würde. Bei unzähligen Anlässen im täglichen Leben können wir
bemerken, wie unvollständig und unbefriedigend unsere Erkenntnis ist.
Man höre zu, wie zwei Personen, die gemeinsam äußere Eindrücke emp-
fangen, z. B. eine Reise mit einander gemacht haben, eine Zeitlang
später ihre Erinnerungen austauschen. Was dem einen fest im Ge-
dächtnis geblieben ist, das hat der andere oft vergessen, als ob es nicht
geschehen wäre, und zwar ohne daß man ein Recht zur Behauptung hätte,
der Eindruck sei für den einen psychisch bedeutsamer gewesen als für
den anderen. Eine ganze Anzahl der die Auswahl fürs Gedächtnis
l « .t immenden Momente entzieht sich offenbar noch unserer Kenntm--.
In der Absicht, zur Kenntnis der Bedingungen des Vergi
einen kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die Fälle, in denen mir das
Vergessen selbst widerfährt, einer psychologischen Analyse zu unter-
stehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer gewissen Grupi*
dieser Fälle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in Er-
staunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende wissen
sollte, [ch will noch bemerken, daß ich zur Vergeßlichkeit im ally-
5«
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
meinen (für Erlebtes, nicht für Gelerntes!) nicht neige, und daß ich
durch eine kurze Periode meiner Jugend auch außergewöhnlicher
Gedächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner Schulknabenzeit
war es mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich gelesen hatte,
auswendig hersagen zu können, und kurz vor der Universität war ich
imstande, populäre Vorträge wissenschaftlichen Inhalts unmittelbar
nachher fast wortgetreu niederzuschreiben. In der Spannung vor dem
letzten medizinischen Rigorosum muß ich noch Gebrauch von dem
Rest dieser Fähigkeit gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegen-
ständen den Prüfern wie automatisch Antworten, die sich getreu mit
dem Text des Lehrbuches deckten, welchen ich doch nur einmal in der
größten Hast durchflogen hatte.
Die Verfügung über den Gedächtnisschatz ist seither bei mir immer
schlechter geworden, doch habe ich mich bis in die letzte Zeit hinein
überzeugt, daß ich mit Hilfe eines Kunstgriffes weit mehr erinnern
kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn z. B. ein Patient in der Sprech-
-tunde sich darauf beruft, daß ich ihn schon einmal gesehen habe,
und ich mich weder an die Tatsache noch an den Zeitpunkt erinnern
kann, so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl von
Jahren, von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. Wo Auf-
schreibungen oder die sichere Angabe des Patienten eine Kontrolle
meines Einfalles ermöglichen, da zeigt es sich, daß ich selten um mehr
als ein Halbjahr bei über 10 Jahren geirrt habe. 1 ) Ahnlich, wenn ich
einen entfernteren Bekannten treffe, den ich aus Höflichkeit nach seinen
kleinen Kindern frage. Erzählt er von den Fortschritten derselben,
so suche ich mir einfallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist, kon-
trolliere durch die Auskunft des Vaters und gehe höchstens um einen
Monat, bei älteren Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht
angeben kann, welche Anhaltspunkte ich für diese Schätzung hatte.
Ich bin zuletzt so kühn geworden, daß ich meine Schätzung immer
spontan vorbringe, und laufe dabei nicht Gefahr, den Vater durch
die Bloßstellung meiner Unwissenheit über seinen Sprößling zu kränken.
Ich erweitere so mein bewußtes Erinnern durch Anrufen meines jeden-
falls, weit reichhaltigeren unbewußten Gedächtnisses.
Ich werde also über auffällige Beispiele von Vergessen, die ich
zumeist an mir selbst beobachtet, berichten. Ich unterscheide Vergessen
von Eindrücken und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von
') Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der Besprechung die Einzelheiten
des damaligen ersten Besuches bewußt aufzutauchen.
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
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Vorsätzen, also Unterlassungen. Das einförmige Ergebnis der ganzen
Reihe von Beobachtungen kann ich voranstellen : In allen Fällen
erwies sich das Vergessen als begründet durch
ein Unlustmotiv.
A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.
a) Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich harmlosen Anlaß
zu heftigem Ärger. Wir saßen an der Table d'höte einem Herrn aus
Wien gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl auch an mich zu
erinnern wußte. Ich hatte aber meine Gründe, die Bekanntschaft nicht
zu erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegen-
über gehört hatte, verriet zu sehr, daß sie seinem Gespräch mit den Nach-
barn zuhörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen,
die den dort gesponnenen Faden aufnahmen. Ich wurde ungeduldig
und endlich gereizt. Wenige Wochen später führte ich bei einer Ver-
wandten Klage über dieses Verhalten meiner Frau. Ich war aber nicht im
imstande, auch nur ein Wort von der Unterhaltung jenes Herrn zu
erinnern. Da ich sonst eher nachtragend bin und keine Einzelheit eines
Vorfalls, der mich geärgert hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in
diesem Falle wohl durch Rücksichten auf die Person der Ehefrau
motiviert. Ahnlich erging es mir erst vor kurzem wieder. Ich wollte
mich gegen einen intim Bekannten über eine Äußerung meiner Frau
lustig machen, die erst vor wenigen Stunden gefallen war, fand mich
aber in diesem Vorsatz durch den bemerkenswerten Umstand gehindert,
«laß ich die betreffende Äußerung spurlos vergessen hatte. Ich mußte
erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu erinnern. Es ist leicht zu
verstehen, daß dies mein Vergessen analog zu fassen ist der typischen
l'rteilsstörung, welcher wir unterliegen, wenn es sich um unsere nächsten
Angehörigen handelt.
I)) Ich hatte 89 übernommen, einer fremd in Wien angekommenen
Dame eine kleine eiserne Handkassette zur Aufbewahrung ihrer Doku-
mente und Gelder zu besorgen. Als ich mich dazu erbot, schwebte
mir mit ungewöhnlicher visueller Lebhaftigkeit das Bild einer Auslage
in der Inneren Stadt vor, in welcher ich solche Kassen gesehen haben
mußte. Ich konnte mich zwar an den Namen der Straße nicht erinnern,
fühlte mich aber sicher, daß ich den Laden auf einem Spaziergang durch
die Stadt auffinden werde, denn meine Erinnerung sagte mir, daß ich
unzählige Male an ihm vorübergegangen sei. Zu meinem Ärger gelang
ei mir aber nicht, diese Auslage mit den Kassetten aufzufinden, obwohl
ich die Innere Stadt nach allen Richtungen durchstreifte. Es blieb
6o
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
mir nichts anderes übrig, meinte ich, als mir aus einem Adressenkalendt r
die Kassenfabrikanten herauszusuchen, um dann auf einem zweiten
Rundgang die gesuchte Auslage zu identifizieren. Es bedurfte al><-r
nicht soviel; unter den im Kalender angezeigten Adressen befand sich
eine, die sich mir sofort als die vergessene enthüllte. Es war richtig, daß
ich ungezählte Male an dem Auslagefenster vorübergegangen w.u.
jedesmal nämlich, wenn ich die Familie M. besucht hatte, die seit
langen Jahren in dem nämlichen Hause wohnt. Seitdem dieser intime
Verkehr einer völligen Entfremdung gewichen war, pflegte ich, ohne mir
von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch die Gegend und das Haus
zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt hatte ich, als ich die
Kassetten in der Auslage suchte, jede Straße in der Umgebung begangen,
dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot darauf läge, ausgewichen.
Das Unlustmotiv, welches in diesem Fall meine Unorientiertheit ver-
schuldete, ist greifbar. Der Mechanismus des Vergessens ist aber nicht
mehr so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine Abneigung gilt natürlich
nicht dem Kassenfabrikanten, sondern einem anderen, von dem ich
nichts wissen will, und überträgt sich von diesem anderen auf die
Gelegenheit, wo sie das Vergessen zustande bringt. Ganz ähnlich
hatte im Falle Burckhard der Groll gegen den einen den Schreib-
fehler im Namen hervorgebracht, wo es sich um den anderen handelte.
Was hier die Namensgleichheit leistete, die Verknüpfung zwischen zwei
im Wesen verschiedenen Gedankenkreisen herzustellen, das konnte
im Beispiel von dem Auslagefenster die Kontiguität im Raum, die
untrennbare Nachbarschaft, ersetzen. Übrigens war dieser letzte Fall
fester gefügt; es fand sich noch eine zweite inhaltliche Verknüpfung vor,
denn unter den Gründen der Entfremdung mit der im Hause wohnenden
Familie hatte das Geld eine große Rolle gespielt.
c) Ich werde von dem Bureau B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten
ärztlich zu besuchen. Auf dem Wege zu dessen Wohnung beschäftigt
mich die Idee, ich müßte schon wiederholt in dem Hause gewesen
sein, in welchem sich die Firma befindet. Es ist mir, als ob mir die
Tafel derselben in einem niedrigen Stockwerk aufgefallen wäre, während
ich in einem höheren einen ärztlichen Besuch zu machen hatte. Ich
kann mich aber weder daran erinnern, welches dieses Haus ist, noch
wen ich dort besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleich-
gültig und bedeutungslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahl Q
endlich auf dem gewöhnlichen Umwege, in dem ich meine Einfälle
dazu sammle, daß sich einen Stock über den Lokalitäten der Firma
B. & R. die Pension Fischer befindet, in welcher ich häufig Patienten
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
Ol
i' ht habe. Ich kenne jetzt auch das Haus, welches die Bureaus
und die Pension beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv
l «i diesem Vergessen im Spiele war. Ich finde nichts für die Erinnerung
Anstößiges an der Firma selbst oder an Pension Fischer oder an den
Patienten, die dort wohnten. Ich vermute auch, daß es sich um nicht
sehr Peinliches handeln kann; sonst wäre es mir kaum gelungen, mich
des Vergessenen auf einem Umwege wieder zu bemächtigen, ohne äußere
Hilfsmittel wie im vorigen Beispiel heranzuziehen. Es fällt mir endlich ein,
daß mich eben vorhin, als ich den Weg zu dem neuen Patienten antrat,
fiii Herr auf der Straße gegrüßt hat, den ich Mühe hatte zu erkennen.
Ich hatte diesen Mann vor Monaten in einem anscheinend schweren
Zustand gesehen und die Diagnose der progressiven Paralyse über ihn
verhängt, dann aber gehört, daß er hergestellt sei, so daß mein Urteil
unrichtig gewesen wäre. Wenn nicht etwa hier eine der Remissionen
vorliegt, die sich auch bei Dementia paralytica finden, so daß meine
Diagnose doch noch gerechtfertigt wäre! Von dieser Begegnung ging
der Einfluß aus, der mich an die Nachbarschaft der Bureaus von B.
& R. vergessen ließ, und mein Interesse, die Lösung des Vergessenen zu
finden, war von diesem Fall strittiger Diagnostik her übertragen. Die
assoziative Verknüpfung aber wurde bei geringem inneren Zusammen-
hang — der wider Erwarten Genesene war auch Beamter eines großen
Bureaus, welches mir Kranke zuzuweisen pflegte — durch eine Namens-
gleichheit besorgt. Der Arzt, mit welchem gemeinsam ich den fraglichen
Paralytiker gesehen hatte, hieß auch Fischer, wie die in dem Haus
I» lindliche, vom Vergessen betroffene Pension.
d) Ein Ding verlegen heißt ja nichts anderes als vergessen,
wohin man es gelegt hat, und wie die meisten mit Schriften und Büchern
hantierenden Personen bin ich auf meinem Schreibtisch wohl orientiert
und weiß das Gesuchte mit einem Griff hervorzuholen. Was anderen
als Unordnung erscheint, ist für mich historisch gewordene Ordnung.
Warum habe ich aber unlängst einen Bücherkatalog, der mir zugeschickt
wurde, so verlegt, daß er unauffindbar geblieben ist? Ich hatte doch
• lie Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand, „Über die Sprache'",
zu bestellen, weil es von einem Autor herrührt, dessen geistreich belebten
Stil ich liebe, dessen Einsicht in der Psychologie und dessen Kenntnisse
in der Kulturhistorie ich zu schätzen weiß. Ich meine, gerade darum habe
ich den Katalog verlegt. Ich pflege nämlich Bücher dieses Autors zur Auf-
klärung unter meinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen Tagen hat
mir jemand bei der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert mich ganz
an den Ihrigen, und auch die Art zu denken ist dieselbe". Der Redner
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Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
wußte nicht, an was er mit dieser Bemerkung rührte. Vor Jahren, als
ich noch jünger und anschlußbedürftiger war, hat mir ungefähr das Näm-
liche ein älterer Kollege gesagt, dem ich die Schriften eines bekannten
medizinischen Autors angepriesen hatte. „Ganz Ihr Stil und Ihre
Art." So beeinflußt hatte ich diesem Autor einen um näheren Ver-
kehr werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine kühle Antwort
in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verbergen sich außer-
dem noch frühere abschreckende Erfahrungen hinter dieser letzten,
denn ich habe den verlegten Katalog nicht wiedergefunden und bin
durch dieses Vorzeichen wirklich abgehalten worden, das angezeigte
Buch zu bestellen, obwohl ein wirkliches Hindernis durch das Ver-
schwinden des Kataloges nicht geschaffen worden ist. Ich habe ja die
Namen des Buches und des Autors im Gedächtnis behalten. 1 )
Ein anderer Fall von Verlegen verdient wegen der Be-
dingungen, unter denen das Verlegte wiedergefunden wurde, unser
Interesse. Ein jüngerer Mann erzählt mir: Es gab vor einigen Jahren
Mißverständnisse in meiner Ehe, ich fand meine Frau zu kühl,
und obwohl ich ihre vortrefflichen Eigenschaften gerne anerkannte,
lebten wir ohne Zärtlichkeit neben einander. Eines Tages brachte
sie mir von einem Spaziergange ein Buch mit, das sie gekauft hatte,
weil es mich interessieren dürfte. Ich dankte für dieses Zeichen
von „Aufmerksamkeit", versprach das Buch zu lesen, legte es mir
zurecht und fand es nicht wieder. Monate vergingen so, in denen
ich mich gelegentlich an dies verschollene Buch erinnerte und es
auch vergebüch aufzufinden versuchte. Etwa ein halbes Jahr später
erkrankte meine, getrennt von uns wohnende, geliebte Mutter. Meine
Frau verließ das Haus, um ihre Schwiegermutter zu pflogen. Der Zu-
stand der Kranken wurde ernst und gab meiner Frau Gelegenheit, sich
von ihren besten Seiten zu zeigen. Eines abends komme ich begeistert
von der Leistung meiner Frau und dankerfüllt gegen sie nach Hause.
Ich trete zu meinem Schreibtisch, öffne ohne bestimmte Absicht,
aber wie mit somnambuler Sicherheit eine bestimmte Lade dessell«-n
und zuoberst in ihr finde ich das so lange vermißte, das verlegte Buch.
Wenn man die Fälle von Verlegen übersieht, wird es wirklich schwer
anzunehmen, daß ein Verlegen jemals anders als infolge einer unbewußten
Absicht erfolgt.
•) Für vielerlei Zufälligkeiten, die man seit Th. Vi seh er der „Tücke
des Objekts" zuschreibt, möchte ich ähnliche Erklärungen vorschlagen.
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
6j
e) Im Sommer des Jahres 1901 erklärte ich einmal einem Freunde,
mit dem ich damals in regem Gedankenaustausch über wissenschaftliche
Fragen stand: Diese neurotischen Probleme sind nur dann zu lösen,
wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme einer ursprüng-
lichen Bisexualität des Individuums stellen. Ich erhielt zur Antwort :
..Das habe ich Dir schon vor 2 '/ t Jahren in Br. gesagt, als wir jenen
Abendspaziergang machten. Du wolltest damals nichts davon hören."
Es ist nun schmerzlich, so zum Aufgeben seiner Originalität aufgefordert
zu werden. Ich konnte mich an ein solches Gespräch und an diese
Eröffnung meines Freundes nicht erinnern. Einer von uns beiden
mußte sich da täuschen ; nach dem Prinzip der Frage cui prodest?
mußte ich das sein. Ich habe im Laufe der nächsten Wochen in der
Tat alles so erinnert, wie mein Freund es in mir erwecken wollte; ich
weiß selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte ich noch nicht,
ich will mich darauf nicht einlassen. Aber ich bin seither um ein Stück
toleranter geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen Literatur
auf eine der wenigen Ideen stoße, mit denen man meinen Namen ver-
knüpfen kann, und wenn ich dabei die Erwähnung meines Namens
vermisse.
Ausstellungen an seiner Ehefrau — Freundschaft, die ins Gegen-
teil umgeschlagen hat — Irrtum in ärztlicher Diagnostik — Zurück-
weisung durch Gleichstrebende — Entlehnung von Ideen; es ist wohl
kaum zufällig, daß eine Anzahl von Beispielen des Vergessens, die ohne
Auswahl gesammelt worden sind, zu ihrer Auflösung des Eingehens auf
so peinliche Themata bedürfen. Ich vermute vielmehr, daß jeder
Andere, der sein eigenes Vergessen einer Prüfung nach den Motiven
unterziehen will, eine ähnliche Musterkarte von Widerwärtigkeiten
aufzeichnen können wird. Die Neigung zum Vergessen des Unan-
genehmen scheint mir ganz allgemein zu sein; die Fähigkeit dazu ist
wohl bei verschiedenen Personen verschieden gut ausgebildet. Manches
Ableugnen, das uns in der ärztlichen Tätigkeit begegnet, ist wahr-
scheinlich auf Vergessen zurückzuführen. *) Unsere Auffassung
') Wenn man sich bei einem Menschen erkundigt, ob er vor 10 oder 1 5 Jahren
eine luctische Infektion durchgemacht hat, vergißt man zu leicht daran, daß
der Befragte diesen Krankheitszufall psychisch ganz anders behandelt hat als
etwa einen akuten Rheumatismus. — In den Anamnesen, welche Eltern über ihre
neurotisch erkrankten Töchter geben, ist der Anteil des Vergessens von dem
des Verbergcns kaum je mit Sicherheit zu sondern, weil alles, was der spät» 1 VB
Verheiratung des Mädchens im Wege steht, von den Eltern systematisch !>••-
seitigt, d. h. verdrängt wird.
64
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
eines solchen Vergessens beschränkt den Unterschied zwischen dem
und jenem Benehmen allerdings auf rein psychologische Verhältnisse
und gestattet uns, in beiden Reaktions weisen den Ausdruck desselben
Motivs zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der Verleugnung
unangenehmer Erinnerungen, die ich bei Angehörigen von Kranken
gesehen habe, ist mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis ge-
blieben. Eine Mutter informierte mich über die Kinderjahre ihres
•n kranken, in der Pubertät befindlichen Sohnes und erzählte dabei,
daß er wie seine Geschwister bis in späte Jahre an Bettnässen gelitten
habe, was ja für eine neurotische Krankengeschichte nicht bedeu-
tungslos ist. Einige Wochen später, als sie sich Auskunft über den
Stand der Behandlung holen wollte, hatte ich Anlaß, sie auf die Zeichen
konstitutioneller Krankheitsveranlagung bei dem jungen Mann auf-
iiurksam zu machen, und berief mich hierbei auf das anamnestisch
erhobene Bettnässen. Zu meinem Erstaunen bestritt sie die Tatsache
»wohl für dies als auch für die anderen Kinder, fragte mich, woher
ich das wissen könne, und hörte endlich von mir, daß sie selbst es mir
vor kurzer Zeit erzählt habe, was also von ihr vergessen worden war. 1 )
>) In den Tagen, während ich mit der Niederschrift dieser Seiten beschäftigt
war, ist mir folgender, fast unglaublicher Fall von Vergessen widerfahren. Ich
revidiere am i. Januar mein ärztliches Buch, um meine Honorarrechnungen
aussenden zu können, stoße dabei im Juni auf den Namen M. . . .1 und kann mich
an eine zu ihm gehörige Person nicht erinnern. Mein Befremden wächst, indem
ich beim Weiterblättern bemerke, daß ich den Fall in einem Sanatorium be-
handelt, und daß ich ihn durch Wochen täglich besucht habe. Einen Kranken,
mit dem man sich unter solchen Bedingungen beschäftigt, vergißt man als Arzt
nicht nach kaum 6 Monaten. Sollte es ein Mann, ein Paralytiker, ein Fall ohne
Interesse gewesen sein, frage ich mich? Endlich bei dem Vermerk über das
empfangene Honorar kommt mir all die Kenntnis wieder, die sich der Erinnerung
entziehen wollte. M. . . .1 war ein 14 jähriges Mädchen gewesen, der merkwürdigste
Fall meiner letzten Jahre, welcher mir eine Lehre hinterlassen, an die ich kaum
je vergessen werde, und dessen Ausgang mir die peinlichsten Stunden bereitet
hat. Das Kind erkrankte an unzweideutiger Hysterie, die sich auch unter meinen
Händen rasch und gründlich besserte. Nach dieser Besserung wurde mir das
Kind von den Eltern entzogen; es klagte noch über abdominale Schmerzen, denen
die Hauptrolle im Symptombild der Hysterie zugefallen war. Zwei Monate später
war es an Sarkom der Unterleibsdrüscn gestorben. Die Hysterie, zu der das
Kind nebst bei prädisponiert war, hatte die Tumorbildung zur provozierenden
Ursache genommen, und ich hatte, von den lärmenden, aber harmlosen Er-
scheinungen der Hysterie gefesselt, vielleicht die ersten Anzeichen der schleichendes
unheilvollen Erkrankung übersehen.
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
65
Man findet also auch bei gesunden, nicht neurotischen Menschen
reichlich Anzeichen dafür, daß sich der Erinnerung an peinliche Ein-
drücke, der Vorstellung peinlicher Gedanken, ein Widerstand entgegen-
setzt. Die volle Bedeutung dieser Tatsache laßt sich aber erst ermessen,
wenn man in die Psychologie neurotischer Personen eingeht. Man
ist genötigt, ein solches elementares Abwehrbestrebe u
gegen Vorstellungen, welche Unlustempfindungen erwecken können,
ein Bestreben, das sich nur dem Fluchtreflex bei Schmerzreizen an die
Seite stellen läßt, zu einem der Hauptpfeiler des Mechanismus zu machen,
welcher die hysterischen Symptome trägt. Man möge gegen die An-
nahme einer solchen Abwehrtendenz nicht einwenden, daß wir es im
Gegenteil häufig genug unmögüch finden, peinliche Erinnerungen, die
uns verfolgen, los zu werden und peinliche Affektregungen wie Reue,
Gewissensvorwürfe zu verscheuchen. Es wird ja nicht behauptet, d;iß
diese Abwehrtendenz sich überall durchzusetzen vermag, daß sie nicht
im Spiel der psychischen Kräfte auf Faktoren stoßen kann, welche zu
anderen Zwecken das Entgegengesetzte anstreben und ihr zum Trotz
zustande bringen. Als das architektonische Prinzip
des seelischen Apparates läßt sich die Schich-
tung, der Aufbau aus einander überlagernden
Instanzen erraten, und es ist sehr wohl möglich, daß dies
Abwehrbestreben einer niedrigeren psychischen Instanz angehört,
von höheren Instanzen aber gehemmt wird. Es spricht jedenfalls für
die Existenz und Mächtigkeit dieser Tendenz zur Abwehr, wenn wir
Vorgänge wie die in unseren Beispielen von Vergessen auf sie zurück-
führen können. Wir sehen, daß manches um seiner selbst willen ver-
gessen wird; wo dies nicht möglich ist. verschiebt die Abwehrtendenz
ihr Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder Bedeutsames,
zum Vergessen, welches in assoziative Verknüpfung mit dem eigentlich
Anstößigen geraten ist.
Der hier entwickelte Gesichtspunkt, daß peinliche Erinnerungen
mit besonderer Leichtigkeit dem motivierten Vergessen verfallen, ver-
diente auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch
keine oder eine zu geringe Beachtung gefunden hat. So erscheint er
mir noch immer nicht genügend scharf betont bei der Würdigung von
Zeugenaussagen vor Gericht, ] ) wobei man offenbar der unter Eid-
stellung des Zeugen einen allzu großen purifizierenden Einfluß auf
dessen psychisches Kräftespiel zutraut. Daß man bei der Entstehung
l ) Vgl. Hans GroQ. Kriminalpsychologie 1898.
Fteud, Psychopathologie des AUugtlebea».
66
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
der Traditionen und der Sagengeschichte eines Volkes einem solchen
Motiv, das dem Nationalgefühl Peinliche aus der Erinnerung auszu-
merzen, Rechnung tragen muß, wird allgemein zugestanden. Vielleicht
würde sich bei genauerer Verfolgung eine vollständige Analogie heraus-
stellen zwischen der Art, wie Völkertraditionen und wie die Kindheits-
erinnerungen des einzelnen Individuums gebildet werden.
Ganz ähnlich wie beim Namenvergessen kann auch beim Vergessen
von Eindrücken Fehlerinnern eintreten, das dort, wo es Glauben findet,
als Erinnerungstäuschung bezeichnet wird. Die Erinnerungstäuschung
in pathologischen Fällen — in der Paranoia spielt sie geradezu die Rolle
eines konstituierenden Momentes bei der Wahnbüdung — hat eine
ausgedehnte Literatur wachgerufen, in welcher ich durchgängig den
Hinweis auf eine Motivierung derselben vermisse. Da auch dieses
Thema der Neurosenpsychologie angehört, entzieht es sich in unserem
Zusammenhange der Behandlung. Ich werde dafür ein sonderbares
Beispiel einer eigenen Erinnerungstäuschung mitteilen, bei dem die
Motivierung durch unbewußtes verdrängtes Material und die Art und
Weise der Verknüpfung mit demselben deutlich genug kenntlich werden.
Als ich die späteren Abschnitte meines Buches über Traumdeutung
schrieb, befand ich mich in einer Sommerfrische ohne Zugang zu Bib-
liotheken und Nachschlagebüchern und war genötigt, mit Vorbehalt
späterer Korrektur, allerlei Beziehungen und Zitate aus dem Gedächtnis
in das Manuskript einzutragen. Beim Abschnitt über das Tagträumen
fiel mir die ausgezeichnete Figur des armen Buchhalters im „Nabab"
von Alph. Daudet ein, mit welcher der Dichter wahrscheinlich
seine eigene Träumerei geschildert hat. Ich glaubte mich an eine der
Phantasien, die dieser Mann — Mr. Jocelyn nannte ich ihn — auf seinen
Spaziergängen durch die Straßen von Paris ausbrütet, deutlich zu
erinnern und begann sie aus dem Gedächtnis zu reproduzieren. Wie
also Herr Jocelyn auf der Straße sich kühn einem durchgehenden
Pferd entgegenwirft, es zum Stehen bringt, der Wagenschlag sich
öffnet, eine hohe Persönlichkeit dem Koupd entsteigt, Herrn Jocelyn
die Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein Retter, Ihnen verdanke
ich mein Leben. Was kann ich für Sie tun?"
Etwaige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dieser Phantasie,
tröstete ich mich, würden sich leicht zu Hause verbessern lassen, wenn
ich das Buch zur Hand nähme. Als ich dann aber den „Nabab"
durchblätterte, um die^ druckbereite Stelle meines Manuskriptes zu
vergleichen, fand ich zu meiner größten Beschämung und Bestürzung
nichts von einer solchen Träumerei des Herrn Jocelyn darin, ja der
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
67
arme Buchhalter trug gar nicht diesen Namen, sondern hieß Mr.
J oyeuse. Dieser zweite Irrtum gab dann bald den Schlüssel zur
Klärung des ersten, der Erinnerungstäuschung. J o y e u x (wovon
der Name die feminine Form darstellt): so und nicht anders müßte
ich ja meinen eigenen Namen: Freud ins Französische übersetzen.
Woher konnte also die fälschlich erinnerte Phantasie sein, die ich
Daudet zugeschrieben hatte ? Sie konnte nur ein eigenes Produkt
sein, ein Tagtraum, den ich selbst gemacht, und der mir nicht bewußt
geworden, oder der mir einst bewußt gewesen, und den ich seither
gründlich vergessen habe. Vielleicht daß ich ihn selbst in Paris gemacht,
wo ich oft genug einsam und voll Sehnsucht durch die Straßen spaziert
bin, eines Helfers und Protektors sehr bedürftig, bis Meister Charcot
mich dann in seinen Verkehr zog. Den Dichter des „N a b a b" habe
ich dann wiederholt im Hause Charcots gesehen. Das Ärgerliche
an der Sache ist nur, daß ich kaum irgend einem anderen Vorstellungs-
kreis so feindselig gegenüberstehe, wie dem des Protegiertwerdens.
Was man in unserem Vaterlande davon sieht, verdirbt einem alle Lust
daran, und meinem Charakter sagt die Situation des Protektionskindes
überhaupt wenig zu. Ich habe immer ungewöhnlich viel Neigung dazu
verspürt, „selbst der brave Mann zu sein". Und gerade ich mußte
dann an solche, übrigens nie erfüllte, Tagträume gemahnt werden!
Außerdem ist der Vorfall auch ein gutes Beispiel dafür, wie die zurück-
gehaltene — in der Paranoia siegreich hervorbrechende — Beziehung
zum eigenen Ich uns in der objektiven Erfassung der Dinge stört und
verwirrt.
Ein anderer Fall von Erinnerungstäuschung, der sich befrie-
digend aufklären ließ, mahnt an die später zu besprechende „fausse
reconnaissance" (vgl. Seite 122): Ich hatte einem meiner Patienten,
einem ehrgeizigen und sehr befähigten Manne, erzählt, daß ein junger
Student sich kürzlich durch eine interessante Arbeit „Der Künstler,
Versuch einer Sexual psychologie" in den Kreis meiner Schüler einge-
führt habe. Als diese Schrift i 1 /« Jahre später gedruckt vorlag, be-
hauptete mein Patient, sich mit Sicherheit daran erinnern zu können,
daß er die Ankündigung derselben bereits vor meiner ersten Mit-
teilung (einen Monat oder ein halbes Jahr vorher) irgendwo, etwa in
einer Buchhändleranzeige, gelesen habe. Es sei ihm diese Notiz auch
damals gleich in den Sinn gekommen, und er konstatiere überdies, daß
der Autor den Titel verändert habe, da es nicht mehr „Versuch",
sondern „Ansätze zu einer Sexualpsychologie" heiße. Sorgfältige
Erkundigung beim Autor und Vergleichung aller Zeitangaben zeigten
5*
68
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
indes, daß mein Patient etwas Unmögliches erinnern wollte. Von jener
Schrift war nirgends eine Anzeige vor dem Drucke erschienen, am
wenigsten aber i 1 /« Jahre vor ihrer Drucklegung. Als ich eine Deutung
dieser Erinnerungstäuschung unterließ, brachte derselbe Mann eine
gleichwertige Erneuerung derselben zu Stande. Er meinte, vor kurzem
eine Schrift über „Agoraphobie" in dem Auslagefenster einer Buch-
handlung bemerkt zu haben, und suchte derselben nun durch Nach-
forschung in allen Verlagskatalogen habhaft zu werden. Ich konnte
ihn dann aufklären, warum diese Bemühung erfolglos bleiben mußtr.
Die Schrift über Agoraphobie bestand erst in seiner Phantasie als
unbewußter Vorsatz und sollte von ihm selbst abgefaßt werden. Sein
Ehrgeiz, es jenem jungen Manne gleichzutun und durch eine solche
wissenschaftliche Arbeit zum Schüler zu werden, hatte ihn zu jener
ersten wie zur wiederholten Erinnerungstäuschung geführt. Er besann
sich dann auch, daß die Buchhändleranzeige, welche ihm zu diesem
falschen Erkennen gedient hatte, sich auf ein Werk, betitelt : „Genesis,
Das Gesetz der Zeugung" bezog. Die von ihm erwähnte Abänderung
des Titels kam aber auf meine Rechnung, denn ich wußte mich selbst
zu erinnern, daß ich diese Ungenauigkeit in der Widergabe des Titels
„Versuch — anstatt: Ansätze" begangen hatte.
B. Das Vergessen von Vorsätzen.
Keine andere Gruppe von Phänomenen eignet sich besser zum
Beweis der These, daß die Geringfügigkeit der Aufmerksamkeit für
sich allein nicht hinreiche, die Fehlleistung zu erklären, als die des Ver-
gessens von Vorsätzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls zur Handlung,
der bereits Billigung gefunden hat, dessen Ausführung aber auf einen
geeigneten Zeitpunkt verschoben wurde. Nun kann in dem so ge-
schaffenen Intervall allerdings eine derartige Veränderung in den Mo-
tiven eintreten, daß der Vorsatz nicht zur Ausführung gelangt, aber
dann wird er nicht vergessen, sondern revidiert und aufgehoben. Das
Vergessen von Vorsätzen, dem wir alltäglich und in allen möglichen
Situationen unterliegen, pflegen wir uns nicht durch eine Neuerung in
der Motivengleichung zu erklären, sondern lassen es gemeinhin unerklärt,
oder wir suchen eine psychologische Erklärung in der Annahme, gegen
die Zeit der Ausführung hin habe sich die erforderliche Aufmerksamkeit
für die Handlung nicht mehr bereit gefunden, die doch für das Zu-
standekommen des Vorsatzes unerläßliche Bedingung war, damals also
für die nämliche Handlung zur Verfügung stand. Die Beobachtung
unseres normalen Verhaltens gegen Vorsätze läßt uns diesen Erklärungs-
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
69
versuch als willkürlich abweisen. Wenn ich des Morgens einen Vorsatz
fasse, der abends ausgeführt werden soll, so kann ich im Laufe des
Tages einigemal an ihn gemahnt werden. Er braucht aber tagsüber
überhaupt nicht mehr bewußt zu werden. Wenn sich die Zeit der Aus-
führung nähert, fällt er mir plötzlich ein und veranlaßt mich, die zur
vorgesetzten Handlung nötigen Vorbereitungen zu treffen. Wenn
ich auf einen Spaziergang einen Brief mitnehme, welcher noch befördert
werden soll, so brauche ich ihn als normales und nicht nervöses Indi-
viduum keineswegs die ganze Strecke über in der Hand zu tragen und
unterdessen nach einem Briefkasten auszuspähen, in den ich ihn werfe,
sondern ich pflege ihn in die Tasche zu stecken, meiner Wege zu gehen,
meine Gedanken frei schweifen zu lassen, und ich rechne darauf, daß
einer der nächsten Briefkästen meine Aufmerksamkeit erregen und
mich veranlassen wird, in die Tasche zu greifen und den Brief hervor-
zuziehen. Das normale Verhalten bei gefaßtem Vorsatz deckt sich
vollkommen mit dem experimentell zu erzeugenden Benehmen von
Personen, denen man eine sog. „posthypnotische Suggestion auf lange
Sicht" in der Hypnose eingegeben hat. 1 ) Man ist gewöhnt, das Phä-
nomen in folgender Art zu beschreiben: Der suggerierte Vorsatz
• lilutnmrvi m den betreffenden Personen, bis die Zeit seiner Aus-
führung herannaht. Dann wacht er auf und treibt zur Handlung.
In zweierlei Lebenslagen gibt sich auch der Laie Rechenschaft
davon, daß das Vergessen in Bezug auf Vorsätze keineswegs den An-
spruch erheben darf, als ein nicht weiter zurück iiihrbares Elementar-
phänomen zu gelten, sondern zum Schluß auf u neingestandene Motive
berechtigt. Ich meine: im Liebesverhältnis und in der Militärabhängig-
keit. Ein Liebhaber, der das Rendezvous versäumt hat, wird sich
vergeblich bei seiner Dame entschuldigen, er habe leider ganz daran
vergessen. Sie wird nicht versäumen, ihm zu antworten: ..Vor einem
Jahr hattest Du es nicht vergessen. Es liegt Dir eben nicht- mehr
an mir." Selbst wenn er nach der oben erwähnten psychologischen
Erklärung griffe und sein Vergessen durch gehäufte Geschäfte ent-
Si huldigen wollte, würde er nur erreichen, daß die Dame — so scharf»
Sichtig geworden wie der Arzt in der Psychoanalyse — zur Antwort
gäbe: „Wie merkwürdig, daß sich solche geschäftliche Störungen
früher nicht ereignet haben." Gewiß will auch die Dame die Mogln h-
keit des Vergessens nirht in Abrede stellen; sie meint nur, und nicht
>) Vgl. Bcrolieim, Neue Studien über Hypnotismus, Suggestion und
Psychotherapie, 189.1.
7o
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
mit Unrecht, aus dem unabsichtlichen Vergessen sei ungefähr der
nämliche Schluß auf ein gewisses Nichtwollen zu ziehen wie aus der
bewußten Ausflucht.
Ähnlich wird im militärischen Dienstverhältnis der Unterschied
zwischen der Unterlassung durch Vergessen und der infolge von Ab-
sicht prinzipiell, und zwar mit Recht, vernachlässigt. Der Soldat
darf an nichts vergessen, was der militärische Dienst von ihm
fordert. Wenn er doch daran vergißt, obwohl ihm die Forderung be-
kannt ist, so geht dies so zu, daß sich den Motiven, die auf Erfüllung
der militärischen Forderung dringen, andere Gegenmotive entgegen-
stellen. Der Einjährige etwa, der sich beim Rapport entschuldigen
wollte, er habe vergessen, seine Knöpfe blank zu putzen, ist
der Strafe sicher. Aber diese Strafe ist geringfügig zu nennen im Ver-
gleich zu jener, der er sich aussetzte, wenn er das Motiv seiner Unter-
lassung sich und seinem Vorgesetzten eingestehen würde: „Der
elende Gamaschendienst ist mir überhaupt zuwider." Wegen dieser
Strafersparnis, aus ökonomischen Gründen gleichsam, bedient er
sich des Vergessens als Ausrede, oder kommt es als Kompromiß
zustande.
Frauendienst wie Militärdienst erheben den Anspruch, daß alles
zu ihnen Gehörige dem Vergessen entrückt sein müsse, und erwecken
so die Meinung, Vergessen sei zulässig bei unwichtigen Dingen, während
es bei wichtigen Dingen ein Anzeichen davon sei, daß man sie wie
unwichtige behandeln wolle, ihnen also die Wichtigkeit abspreche.
Der Gesichtspunkt der psychischen Wertschätzung ist hier in der Tat
nicht abzuweisen. Kein Mensch vergißt Handlungen auszuführen, die
ihm selbst wichtig erscheinen, ohne sich dem Verdachte geistiger
Störung auszusetzen. Unsere Untersuchung kann sich also nur auf
das Vergessen von mehr oder minder nebensächlichen Vorsätzen er-
strecken; für ganz und gar gleichgiltig werden wir keinen Vorsatz
erachten, denn in diesem Falle wäre er wohl gewiß nicht gefaßt worden.
Ich habe nun wie bei den früheren Funktionsstörungen die bei
mir selbst beobachteten Fälle von Unterlassung durch Vergessen ge-
sammelt und aufzuklären gesucht und hierbei ganz allgemein gefunden,
daß sie auf Einmengung unbekannter und uneingestandener Motive
— oder, wie man sagen kann, auf einen Gegenwillen — zurück-
zuführen waren. In einer Reihe dieser Fälle befand ich mich in einer
dem Dienstverhältnisse ähnlichen Lage, unter einem Zwange, gegen
welchen ich es nicht ganz aufgegeben hatte, mich zu sträuben, so daß
ich durch Vergessen gegen ihn demonstrierte. Dazu gehört, daß ich
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
7«
besonders leicht vergesse, zu Geburtstagen, Jubiläen, Hochzeitsfeiern
und Standeserhöhungen zu gratulieren. Ich nehme es mir immer
wieder vor und überzeuge mich immer mehr, daß es mir nicht gelingen
will. Ich bin jetzt im Begriffe, darauf zu verzichten, und den Motiven,
die sich sträuben, mit Bewußtsein Recht zu geben. In einem Über-
gangsstadium habe ich einem Freund, der mich bat, auch für ihn ein
Glückwunschtelegramm zum bestimmten Termin zu besorgen, vorher
gesagt, ich würde an beide vergessen, und es war nicht zu verwundern,
daß die Prophezeiung wahr wurde. Es hängt nämlich mit schmerz-
lichen Lebenserfahrungen zusammen, daß ich nicht imstande bin,
Anteilnahme zu äußern, wo diese Äußerung notwendigerweise über-
trieben ausfallen muß, da für den geringen Betrag meiner Ergriffenheit
der entsprechende Ausdruck nicht zulässig ist. Seitdem ich erkannt,
daß ich oft vorgebliche Sympathie bei anderen für echte genommen
habe, befinde ich mich in einer Auflehnung gegen diese Konventionen
der Mitgefühlsbezeugung, deren soziale Nützlichkeit ich anderseits
einsehe. Kondolenzen bei Todesfällen sind von dieser zwiespältigen
Behandlung ausgenommen; wenn ich mich zu ihnen entschlossen
habe, versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühlsbetätigung mit
gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu tun hat, da findet sie ihren
Ausdruck auch niemals durch Vergessen gehemmt.
Ähnlich erklären sich durch den Widerstreit einer konventionellen
Pflicht und einer nicht eingestandenen inneren Schätzung die Fälle,
in denen man Handlungen auszuführen vergißt, die_man einem anderen
zu seinen Gunsten auszuführen versprochen hat. Hier trifft es dann
regelmäßig zu, daß nur der Versprecher an die entschuldigende Kraft
des Vergessens glaubt, während der Bittsteller sich ohne Zweifel die
richtige Antwort gibt: Er hat kein Interesse daran, sonst hätte er
es nicht vergessen. Es gibt Menschen, die man als allgemein ver-
geßlich bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als entschuldigt
gelten läßt wie etwa den Kurzsichtigen, wenn er auf der Straße nicht
grüßt. 1 ) Diese Personen vergessen alle kleinen Versprechungen, die
sie gegeben, lassen alle Aufträge unausgeführt, die sie empfangen haben,
1 ) Frauen sind mit ihrem feinen Verständnis für unbewußte seelische Vor-
gänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn man sie auf
der Straße nicht erkennt, also nicht grüßt, als an die nächstliegenden Erklärungen
zu denken, daß der Säumige kurzsichtig sei oder in Gedanken versunken sie nicht
bemerkt habe. Sie schließen, man hätte sie schon bemerkt, wenn man sich „etwas
aus ihnen machen würde".
7«
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
erweisen sich also in kleinen Dingen als unverläßlich und erheben
dabei die Forderung, daß man ihnen diese kleineren Verstöße nicht
übel nehmen, d. h. nicht durch ihren Charakter erklären, sondern auf
organische Eigentümlichkeit zurückführen solle. Ich gehöre selbst
nicht zu diesen Leuten und habe keine Gelegenheit gehabt, die Hand-
lungen einer solchen Person zu analysieren, um durch die Auswahl
des Vergessens die Motivierung desselben aufzudecken. Ich kann
mich aber der Vermutung per analogiam nicht erwehren, daß hier
ein ungewöhnliche großes Maß von nicht eingestandener Geringschätzung
des anderen das Motiv ist, welches das konstitutionelle Moment für
seine Zwecke ausbeutet.
Bei anderen Fällen sind die Motive des Vergessens weniger leicht
aufzufinden und erregen, wenn gefunden, ein größeres Befremden. So
merkte ich in früheren Jahren, daß ich bei einer größeren Anzahl von
Krankenbesuchen nie an einen anderen Besuch vergesse als bei einem
Gratispatienten oder bei einem Kollegen. Aus Beschämung hierüber
hatte ich mir angewöhnt, die Besuche des Tages schon am Morgen
als Vorsatz zu notieren. Ich weiß nicht, ob andere Ärzte auf dem
nämlichen Wege zu der gleichen Übung gekommen sind. Aber man
gewinnt so eine Ahnung davon, was den sog. Neurastheniker veranlaßt,
die Mitteilungen, die er dem Arzt machen will, auf dem berüchtigten
„Zettel" zu notieren. Angeblich fehlt es ihm an Zutrauen zur Re-
produktionsleistung seines Gedächtnisses. Das ist gewiß richtig, aber
die Szene geht zumeist so vor sich: Der Kranke hat seine verschie-
denen Beschwerden und Anfragen höchst langatmig vorgebracht.
Nachdem er fertig geworden ist, macht er einen Moment Pause, darauf
zieht er den Zettel hervor, und sagt entschuldigend: Ich habe mir
etwas aufgeschrieben, weil ich mir so gar nichts merke. In der Regel
findet er auf dem Zettel nichts Neues. Er wiederholt jeden Punkt
und beantwortet ihn selbst: Ja, danach habe ich schon gefragt. Er
demonstriert mit dem Zettel wahrscheinlich nur eines seiner Symptome,
die Häufigkeit, mit der seine Vorsätze durch Einmengung dunkler
Motive gestört werden.
Ich rühre ferner an Leiden, an welchen auch der größere Teil
der mir bekannten Gesunden krankt, wenn ich zugestehe, daß ich be-
sonders in früheren Jahren sehr leicht und für lange Zeit vergessen
habe, entlehnte Bücher zurückzugeben, oder daß es mir besonders
leicht begegnet ist, Zahlungen durch Vergessen aufzuschieben. Unlängst
verließ ich eines Morgens die Tabaktrafik, in welcher ich meinen täg-
lichen Zigarreneinkauf gemacht hatte, ohne ihn zu bezahlen. Es war
Vergessen vou Eindrücken und Vorsätzen.
73
eine höchst harmlose Unterlassung, denn ich bin dort bekannt und konnte
daher erwarten, am nächsten Tage an die Schuld gemahnt zu werden.
Aber die kleine Versäumnis, der Versuch, Schulden zu machen, steht
gewiß nicht außer Zusammenhang mit den Budgeterwägungen, die mich
den Vortrag über beschäftigt hatten. In bezug auf das Thema von
Geld und Besitz lassen sich die Spuren eines zwiespältigen Verhaltens
auch bei den meisten sog. anständigen Menschen leicht nachweisen.
Die primitive Gier des Säuglings, der sich aller Objekte zu bemächtigen
sucht (um sie zum Munde zu führen), zeigt sich vielleicht allgemein
als nur unvollständig durch Kultur und Erziehung überwunden. 1 )
Ich fürchte, ich bin mit allen bisherigen Beispielen einfach banal
geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge
stoße, die jedermann bekannt sind, und die jeder in der nämlichen
Weise versteht, da ich bloß vorhabe, das Alltägliche zu sammeln und
wissenschaftlich zu verwerten. Ich sehe nicht ein, weshalb der Weis-
heit, die Niederschlag der gemeinen Lebenserfahrung ist, die Aufnahme
unter die Erwerbungen der Wissenschaft versagt sein sollte. Nicht die
') Der Einheit des Themas zuliebe darf ich hier die gewählte Einteilung
durchbrechen und dem oben Gesagten anschließen, daß in bezug auf Geld-
sachen das Gedächtnis der Menschen eine besondere Parteilichkeit zeigt. Er-
innerungstäuschungen, etwas bereits bezahlt zu haben, sind, wie ich von mir
selbst weiß, oft sehr hartnäckig. Wo der gewinnsüchtigen Absicht ab-ti- von
den großen Interessen der Lebensführung, und daher eigentlich zum Schi rz,
Lauf gelassen wird wie beim Kartenspiel, neigen die ehrlichsten Männer
zn Irrtümern, Erinnerungs- und Rechenfehlern und finden sich selbst, ohne recht
xii wissen wie, in kleine Betrügereien verwickelt. Auf solchen Freiheiten beruht
nicht zum mindesten der psychisch erfrischende Charakter des Spiels. Das
Sprichwort, daß man beim Spiel den Charakter des Menschen erkennt, ist zu-
zugeben, wenn man hinzulügen will: den unterdrückten Charakter. — Wenn es
unabsichtliche Rechenfehler bei Zahlkellnern noch gibt, so unterliegen sie offen-
bar derselben Beurteilung. — Im Kaufmannsstande kann man häufig eine gewisse
Zögerung in der Verausgabung von Geldsummen, bei der Bezahlung von Rech-
nungen und dgl. beobachten, die dem Eigner keinen Gewinn bringt, sondern mir
psychologisch zu verstehen ist als eine Äußerung des Gegcnwillens, Geld von sich
zu tun. — Mit den intimsten und am wenigsten klar gewordenen Regungen hängt
es zusammen, wenn gerade Frauen eine besondere 'nlnst zeigen, den Arzt zu
honorieren. Sie haben gewöhnlich ihr Portemonnaie vergessen, können darum
in der Ordination nicht zahlen, vergessen dann regelmäßig, das Honorar vom
Hause aus zu schicken, und setzen es so durch, daß man sie umsonst — ..um
ihrer MhAOca Aue/n (rillen" — behandelt hat. Sie zahlen gleichsam mit ihrem
Anblick.
74
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
Verschiedenheit der Objekte, sondern die strengere Methode bei der
Feststellung und das Streben nach weitreichendem Zusammenhang
machen den wesentlichen Charakter der wissenschaftlichen Arbeit aus.
Für die Vorsätze von einigem Belang haben wir allgemein ge-
funden, daß sie dann vergessen werden, wenn sich dunkle Motive
gegen sie erheben. Bei noch weniger wichtigen Vorsätzen erkennt
man als zweiten Mechanismus des Vergessens, daß ein Gegenwille sich
von wo anders her auf den Vorsatz überträgt, nachdem zwischen jenem
andern und dem Inhalt des Vorsatzes eine äußerliche Assoziation
hergestellt worden ist. Hierzu gehört folgendes Beispiel: Ich lege Wert
auf schönes Löschpapier und nehme mir vor, auf meinem heutigen Nach-
mittagsweg in die Innere Stadt neues einzukaufen. Aber an vier auf-
einanderfolgendenTagen vergesse ich daran, bis ich mich befrage, welchen
Grund diese Unterlassung hat. Ich finde ihn dann leicht, nachdem
ich mich besonnen habe, daß ich zwar „Löschpapier" zu schreiben,
aber „Fließpapier" zu sagen gewöhnt bin. „Fließ" ist der Name eines
Freundes in Berlin, der mir in den nämlichen Tagen Anlaß zu einem
quälenden, besorgten Gedanken gegeben hatte. Diesen Gedanken
kann ich nicht los werden, aber die Abwehrneigung (vgl. Seite 65)
äußert sich, indem sie sich mittelst der Wortgleichheit auf den indiffe-
renten und darum wenig resistenten Vorsatz überträgt.
Direkter Gegenwille und entferntere Motivierung treffen in fol-
gendem Falle von Aufschub zusammen: In der Sammlung „Grenzfragen
des Nerven- und Seelenlebens" hatte ich eine kurze Abhandlung über
den Traum geschrieben, welche den Inhalt meiner „Traumdeutung"
resümiert. Bergmann in Wiesbaden sendet eine Korrektur und
bittet um umgehende Erledigung, weil er das Heft noch vor Weihnachten
ausgeben will. Ich mache die Korrektur noch in der Nacht und lege sie
auf meinen Schreibtisch, um sie am nächsten Morgen mitzunehmen.
Am Morgen vergesse ich daran, erinnere mich erst nachmittags beim
Anblick des Kreuzbandes auf meinem Schreibtisch. Ebenso vergesse
ich die Korrektur am Nachmittage, am Abend und am nächsten Morgen,
bis ich mich aufraffe und am Nachmittag des zweiten Tages die Korrek-
tur zu einem Briefkasten trage, verwundert, was der Grund dieser Ver-
zögerung sein mag. Ich will sie offenbar nicht absenden, aber ich finde
nicht, warum. Auf demselben Spaziergang trete ich aber bei meinem
Wiener Verleger, der auch das Traumbuch publiziert hat, ein, mache
eine Bestellung und sage dann, wie von einem plötzlichen Einfall ge-
trieben: „Sie wissen doch, daß ich den „Traum" ein zweites Mal ge-
schrieben habe?" — „Ah, da würde ich doch bitten." — „Beruhigen
Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.
75
Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfeld-Kurella-
sche Sammlung." Es war ihm aber doch nicht recht; er besorgte,
der Vortrag würde dem Absatz des Buches schaden. Ich widersprach
und fragte endlich: „Wenn ich mich früher an Sie gewendet hätte,
würden Sie mir die Publikation untersagt haben?" — „Nein, das
keineswegs." Ich glaube selbst, daß ich in meinem vollen Recht
gehandelt und nichts Anderes getan habe, als was allgemein üblich
ist; doch scheint es mir gewiß, daß ein ähnliches Bedenken, wie es der
Verleger äußerte, das Motiv meiner Zögerung war, die Korrektur
abzusenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück,
bei welcher ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie
unvermeidlich, einige Blätter Text aus einer früheren, in anderem
Verlag erschienenen Arbeit über zerebrale Kinderlähmung unverändert
in die Bearbeitung desselben Themas im Handbuch von Noth-
nagel hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf abermals keine
Anerkennung; ich hatte auch damals meinen ersten Verleger (identisch
mit dem der „Traumdeutung") loyal von meiner Absicht verständigt.
Wenn aber diese Erinnerungsreihe noch weiter zurückgeht, so rückt
sie mir einen noch früheren Anlaß vor, den einer Übersetzung aus dem
Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer Publikation in
Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe. Ich hatte dem
übersetzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für diese An-
merkungen die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe
einige Jahre später Grund zur Annahme bekommen, daß der Autor mit
dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden war.
Es gibt ein Sprichwort, welches die populäre Kenntnis verrät,
daß das Vergessen von Vorsätzen nichts Zufälliges ist. „Was man
einmal zu tun vergessen hat, das vergißt man dann noch öfter."
Das Vergessen von Vorsätzen erfährt übrigens eine gute Be-
leuchtung durch etwas, was man als das „Fassen von falschen Vor-
sätzen" bezeichnen könnte. Ich hatte einmal einem jungen Autor
versprochen, ein Referat über sein kleines Opus zu schreiben, schob
es aber wegen innerer, mir nicht unbekannter Widerstände auf, bis
ich mich eines Tages durch sein Drängen bewegen ließ zu versprechen,
daß es noch am selben Abend geschehen werde. Ich hatte auch die
ernste Absicht so zu tun, aber ich hatte vergessen, daß die Abfassung
eines unaufschiebbaren Gutachtens für den nämlichen Abend angesetzt
war. Nachdem ich so meinen Vorsatz als falsch erkannt hatte, gab
ich den Kampf gegen meine Widerstände auf und sagte dem Autor ab.
76
Das Vergreifen.
VIII.
Das Vergreifen.
Der dankenswerten Arbeit von Meringer und Mayer ent-
nehme ich noch die Stelle (S. 98):
„Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie entsprechen
den Fehlern, die bei anderen Tätigkeiten des Menschen sich oft ein-
stellen und ziemlich töricht „Vergeßlichkeiten" genannt werden."
Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht hinter den
kleinen Funktionsstörungen des täglichen Lebens Gesunder vermutet.
Wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorische Leistung
ist, eine solche Auffassung zugelassen haben, so liegt es nahe, auf die
Fehler unserer sonstigen motorischen Verrichtungen die nämüche
Erwartung zu übertragen. Ich habe hier zwei Gruppen von Fällen
gebildet; alle die Fälle, in denen der Fehleffekt das Wesentliche scheint,
also die Abirrung von der Intention, bezeichne ich als „V er-
greife n", die anderen, in denen eher die ganze Handlung unzweck-
mäßig erscheint, benenne ich „Symptom- und Zufalls-
han dl ungen". Die Scheidung ist aber wiederum nicht reinlich
durchzuführen; wir kommen ja wohl zur Einsicht, daß alle in <1
Abhandlung gebrauchten Einteilungen nur deskriptiv bedeutsame
sind und der inneren Einheit des Erscheinungsgebietes widersprechen.
Das psychologische Verständnis des „Vergreifens" erfährt offenbar
keine besondere Förderung, wenn wir es der Ataxie und speziell der
„kortikalen Ataxie" subsumieren. Versuchen wir lieber, die einzelnen
Beispiele auf ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich werde
wiederum Selbstbeobachtungen hierzu verwenden, zu denen sich die
Anlässe bei mir nicht besonders häufig finden.
a) In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten noch
häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, daß ich, vor der
Türe, an die ich klopfen oder läuten sollte, angekommen, die Schlüssel
meiner eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um — sie dann fast
beschämt wieder einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei
welchen Patienten dies der Fall war, so muß ich annehmen, die Fehl-
handlung — Schlüssel herausziehen anstatt läuten — bedeutete eine
Huldigung für das Haus, wo ich in diesen Mißgriff verfiel. Sie war
äquivalent dem Gedanken: „Hier bin ich wie zu Hause", denn sie trug
sich nur zu, wo ich den Kranken lieb gewonnen hatte. (An meinet
Das Vergreifen.
77
eigenen Wohnungstür läute ich natürlich niemals.) Die Fehlhandlung
war also eine symbolische Darstellung eines doch eigentlich nicht für
ernsthalte, bewußte Annahme bestimmten Gedankens, denn in der
Realität weiß der Nervenarzt genau, daß der Kranke ihm nur so
lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm erwartet, und daß
er selbst nur zum Zweck der psychischen Hilfeleistung ein übermäßig
warmes Interesse für seine Patienten bei sich gewähren läßt.
b) In einem bestimmten Hause, wo ich seit sechs Jahren zweimal
täglich zu festgesetzten Zeiten vor einer Türe im zweiten Stock auf
Einlaß warte, ist es mir während dieses langen Zeitraums zweimal
(mit einem kurzen Intervall) geschehen, daß ich um einen Stock höher
gegangen bin, also mich „verstiegen" habe. Das eine Mal
befand ich mich in einem ehrgeizigen Tagtraum, der mich „höher
und immer höher steigen" ließ. Ich überhörte damals sogar, daß sich
die fragliche Tür geöffnet hatte, als ich den Fuß auf die ersten Stufen
des dritten Stockwerks setzte. Das andere Mal ging ich wiederum „in
Gedanken versunken" zu weit; als ich es bemerkte, umkehrte und die
mich beherrschende Phantasie zu erhaschen suchte, fand ich, daß ich
mich über eine (phantasierte) Kritik meiner Schriften ärgerte, in welcher
mir der Vorwurf gemacht wurde, daß ich immer „zu weit ginge", und
in die ich nun den wenig respektvollen Ausdruck „verstiegen"
einzusetzen hatte.
c) Auf meinem Schreibtische liegen seit vielen Jahren neben ein-
ander ein Reflexhammer und eine Stimmgabel. Eines Tages eile
ich nach Schluß der Sprechstunde fort, weil ich einen bestimmten
Stadtbahnzug erreichen will, stecke bei vollem Tageslicht anstatt des
Hammers die Stimmgabel in die Rocktasche und werde durch die
Schwere des die Tasche herabziehenden Gegenstandes auf meinen
Mißgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so kleine Vorkommnisse
Gedanken zu machen nicht gewöhnt ist, wird ohne Zweifel den Fehl-
griff durch die Eile des Momentes erklären und entschuldigen. Ich
habe es trotzdem vorgezogen, mir die Frage zu stellen, warum ich
eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammers genommen. Die
Eilfertigkeit hätte ebensowohl ein Motiv sein können, den Griff richtig
auszuführen, um nicht Zeit mit der Korrektur zu versäumen.
Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die Frage,
die sich mir da aufdrängt. Das war vor wenigen Tagen ein idio-
tisches Kind, bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseindrücke
prüfte, und das durch die Stimmgabel so gefesselt wurde, daß ich sie
ihm nur schwer entreißen konnte. Soll das also heißen, ich sei ein Idiot ?
78
Das Vergreifen.
Allerdings scheint es so, denn der nächste Einfall, der sich an Hammer
assoziiert, lautet „Cham er" (hebräisch: Esel).
Was soll aber dieses Geschimpfe? Man muß hier die Situation
befragen. Ich eile zu einer Konsultation in einem Ort an der West-
bahnstrecke, zu einer Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten
Anamnese vor Monaten vom Balkon herabgestürzt ist und seither nicht
gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt, schreibt, er wisse trotzdem
nicht, ob es sich um Rückenmarksverletzung oder um traumatische
Neurose — Hysterie — handle. Das soll ich nun entscheiden. Da
wäre also eine Mahnung am Platze, in der heiklen Differentialdiagnose
besonders vorsichtig zu sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man
diagnostiziere viel zu leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere
Dinge handle. Aber die Beschimpfung ist noch nicht gerechtfertigt!
Ja, es kommt hinzu, daß die kleine Bahnstation der nämliche Ort ist,
an dem ich vor Jahren einen jungen Mann gesehen, der seit einer Ge-
mütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich diagnostizierte
damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische Be-
handlung, und dann stellte es sich heraus, daß ich freilich nicht unrichtig
diagnostiziert hatte, aber auch nicht richtig. Eine ganze Anzahl der
Symptome des Kranken war hysterisch gewesen, und diese schwanden
auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber hinter diesen wurde
nun ein für die Therapie unantastbarer Rest sichtbar, der sich nur
auf eine multiple Sklerose beziehen ließ. Die den Kranken nach mir
sahen, hatten es leicht, die organische Affektion zu erkennen; ich hätte
kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck
war doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen der Heilung,
das ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Miß-
griff nach der Stimmgabel anstatt nach dem Hammer üeß sich also
so in Worte übersetzen: Du Trottel, Du Esel, nimm Dich diesmal zu-
sammen, daß du nicht wieder eine Hysterie diagnostizierst, wo eine
unheilbare Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann an demselben
Ort vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch
zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer
spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem
idiotischen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.
Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich
durch das Fehlgreifen vernehmlich macht. Zu solcher Verwendung
als Selbstvorwurf ist der Fehlgriff "ganz besonders geeignet. Der
Mißgriff hier will den Mißgriff, den man anderswo begangen hat,
darstellen.
Das Vergreiieu.
79
c) Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen
Reihe anderer dunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es
kommt sehr selten vor, daß ich etwas zerschlage. Ich bin nicht be-
sonders geschickt, aber infolge der anatomischen Integrität meiner
Nervmuskelapparate sind Gründe für so ungeschickte Bewegungen
mit unerwünschtem Erfolg bei mir offenbar nicht gegeben. Ich weiß
also kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen ich je
zerschlagen hätte. Ich war durch die Enge in meinem Studierzimmer
oft genötigt, in den unbequemsten Stellungen mit einer Anzahl von
antiken Ton- und Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung
habe, zu hantieren, so daß Zuschauer die Besorgnis ausdrückten, ich
würde etwas herunterschleudern und zerschlagen. Es ist aber niemals
geschehen. Warum habe ich also einmal den marmornen Deckel
meines einfachen Tintengefäßes zu Boden geworfen, so daß er zerbrach ?
Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untersberger Marmor,
die für die Aufnahme des gläsernen Tintenfäßchens ausgehöhlt ist;
das Tintenfaß trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein.
Ein Kranz von Bronzestatuetten und Terrakotta- Figürchen ist hinter
diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu
schreiben, mache mit der Hand, welche den Federstiel hält, eine merk-
würdig ungeschickte, ausfahrende Bewegung und werfe so den Deckel
des Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Er-
klärung ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine
Schwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue Erwerbungen
anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äußerte dann: „Jetzt sieht
Dein Schreibtisch wirklich hübsch aus, nur das Tintenzeug paßt nicht
dazu. Du mußt ein schöneres haben." Ich begleitete die Schwester hinaus
und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint,
an dem verurteilten Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloß ich
etwa aus den Worten der Schwester, daß sie sich vorgenommen
habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit einem schöneren
Tintenzeug zu beschenken, und zerschlug das unschöne alte, um sie
zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötigen ? Wenn dem
so ist, so war meine schleudernde Bewegung nur scheinbar ungeschickt;
in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und zielbewußt und verstand
es, allen wertvolleren in der Nähe befindlichen Objekten schonend
auszuweichen.
Ich glaube wirklich, daß man diese Beurteilung für eine ganze
Reihe von anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen
muß. Es ist richtig, daß diese etwas Gewaltsames, Schleuderndes,
8o
Das Vergreifen.
wie Spastisch-ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als
von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit ciaer Sicherheit,
die man den bewußt willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nach-
rühmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treff-
sicherheit, haben sie übrigens mit den motorischen Äußerungen der
hysterischen Neurose und zum Teil auch mit den motorischen Leistungen
des Somnambulismus gemeinsam, was wohl hier wie dort auf die nämliche
unbekannte Modifikation des Innervations Vorganges hinweist.
Es ist mir in den letzten Jahren, seitdem ich solche Beobachtungen
sammle, noch einige Male geschehen, daß ich Gegenstände von ge-
wissem Werte zerschlagen oder zerbrochen habe, aber die Untersuchung
dieser Fälle hat mich überzeugt, daß es niemals ein Erfolg des Zufalls
oder meiner absichtslosen Ungeschicklichkeit war. So habe ich eines
Morgens, als ich im Badekostüm, die Füße mit Strohpantoffeln be-
kleidet, durch ein Zimmer ging, einem plötzlichen Impuls folgend,
einen der Pantoffel vom Fuß weg gegen die Wand geschleudert, so
daß er eine hübsche kleine Venus von Marmor von ihrer Konsole
herunterholte. Während sie in Stücke ging, zitierte ich ganz ungerührt
die Verse von Busch:
Ach! Die Venus ist perdü —
Klickeradoms! — von Medici!
Dieses tolle Treiben und meine Ruhe bei dem Schaden finden
ihre Aufklärung in der damaligen Situation. Wir hatten eine schwer
Kranke in der Familie, an deren Genesung ich im Stillen bereits ver-
zweifelt hatte. An jenem Morgen hatte ich von einer großen Besserung
erfahren; ich weiß, daß ich mir gesagt hatte: also bleibt sie doch am
Leben. Dann diente mein Anfall von Zerstörungswut zum Ausdrucke
einer dankbaren Stimmung gegen das Schicksal und gestattete mir.
eine „Opferhandlung" zu vollziehen, gleichsam als hätte ich gelobt ;
wenn sie gesund wird, bringe ich dies oder jenes zum Opfer! Daß ich
für dieses Opfer die Venus von Medici ausgesucht, sollte gewiß nichts
anderes als eine galante Huldigung für die Genesende sein; unbegreif-
lich bleibt mir aber auch diesmal, daß ich, so rasch entschlossen, so
geschickt gezielt und kein anderes der in so großer Nähe befindlichen
Objekte getroffen habe.
Ein anderes Zerbrechen, für das ich mich wiederum des der Hand
entfahrenden Federstiels bedient habe, hatte gleichfalls die Bedeutung
eines Opfers, aber diesmal eines Bittopfers zur Abwendung. Ich
hatte mir einmal darin gefallen, einem treuen und verdienten Freunde
einen Vorwurf zu machen, der sich auf die Deutung gewisser Zeichen
Das Vergreifen.
8!
aus seinem Unbewußten, auf nichts anderes, stützte. Er nahm es übel
auf und schrieb mir einen Brief, in dem er mich bat, meine Freund»
nicht psychoanalytisch zu behandeln. Ich mußte ihm recht geben
und beschwichtigte ihn durch meine Antwort. Während ich diesen
Brief schrieb, hatte ich meine neueste Erwerbung, ein prächtig glasn
egyptisches Figürchen, vor mir stehen. Ich zerschlug sie auf die be-
-duiebene Weise und wußte dann sofort, daß ich dies Unheil an-
^'-richtct, um ein größeres abzuwenden. Zum Glück ließ sich beides
— die Freundschaft wie die Figur — so kitten, daß man den Sprung
nicht merken würde.
Ein drittes Zerbrechen stand in weniger ernsthaftem Zusammen-
hang; es war nur eine maskierte „Exekution", um den Ausdruck von
Th. V i s c h e r („Auch Einer") zu gebrauchen, an einem Objekt,
das sich meines Gefallens nicht mehr erfreute. Ich hatte eine Zeitlang
einen Stock mit Silbergriff getragen; als die dünne Silberplatte einmal
ohne mein Verschulden beschädigt worden war, wurde sie schlecht
repariert. Bald nachdem der Stock zurückgekommen war, benützte
ich den Griff, um im Übermut nach dem Bein eines meinei Kleinen
zu angeln. Dabei brach er natürlich entzwei, und ich war von ihm
reit,
Der Gleichmut, mit dem man in all diesen Fällen den entstandenen
(den aufnimmt, darf wohl als Beweis für das Bestehen einer un-
bewußten Absicht bei der Ausführung in Anspruch genommen werden.
Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlagen derselben
scheint sehr häufig zum Ausdruck unbewußter Gedankengänge ver-
wendet zu werden, wie man gelegentlich durch Analyse beweisen kann,
häufiger aber aus den abergläubisch oder scherzhaft daran geküpften
Deutungen im Volksmunde erraten möchte. Es ist bekannt, welche
Deutungen sich an das Ausschütten von Salz, Umwerfen eines Wein-
glases, Steckenbleiben eines zu Boden gefallenen Messers u. dgl. knüpfen.
Welches Anrecht auf Beachtung solche abergläubische Deutungen
haben, werde ich erst an späterer Stelle erörtern; hierher gehört nur
die Bemerkung, daß die einzelne ungeschickte Verrichtung keineswegs
einen konstanten Sinn hat, sondern je nach Umständen sich dieser
oder jener Absicht als Darstellungsmittel bietet.
Wenn dienende Personen gebrechliche Gegenstände durch Fallen-
lassen vernichten, so wird man an eine psychologische Erklärung hiefür
gewiß nicht in erster Linie denken, doch ist auch dabei ein Beitrag
dunkler Motive nicht unwahrscheinlich. Nichts liegt dem Unge-
bildeten ferner als die Schätzung der Kunst und der Kunstwerke.
Freud, Psychopathologie dci Allugjlchem. O
82
Das Vergreifen.
Eine dumpfe Feindseligkeit gegen deren Erzeugnisse beherrscht unser
dienendes Volk, zumal wenn die Gegenstände, deren Wert sie nicht
einsehen, eine Quelle von Arbeitsanforderung für sie werden. Leute
von derselben Bildungsstufe und Herkunft zeichnen sich dagegen in
wissenschaftlichen Instituten oft durch große Geschicklichkeit und
Verläßlichkeit in der Handhabung heikler Objekte aus, wenn sie erst
begonnen haben, sich mit ihrem Herrn zu identifizieren und sich zum
wesentlichen Personal des Instituts zu rechnen.
Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, ausgleiten, braucht
gleichfalls nicht immer als rein zufälliges Fehlschlagen motorischer
Aktion gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppelsinn dieser Aus-
drücke weist bereits auf die Art von verhaltenen Phantasien hin, die
sich durch solches Aufgeben des Körpergleichgewichts darstellen
können. Ich erinnere mich an eine Anzahl von leichteren nervösen
Erkrankungen bei Frauen und Mädchen, die nach einem Fall ohne
Verletzung aufgetreten waren und als traumatische Hysterie zufolge
des Schrecks beim Falle aufgefaßt wurden. Ich bekam schon damals
den Eindruck, als ob die Dinge anders zusammenhingen, als wäre das
Fallen bereits eine Veranstaltung der Neurose und ein Ausdruck der-
selben unbewußten Phantasien sexuellen Inhalts gewesen, die man als
die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen vermuten darf. Sollte
dasselbe nicht auch ein Sprichwort sagen wollen, welches lautet: „Wenn
eine Jungfrau fällt, fällt sie auf den Rücken"?
Zum Vergreifen kann man auch den Fall rechnen, daß jemand
einem Bettler anstatt einer Kupfer- oder kleinen Silbermünze ein
Goldstück gibt. Die Auflösung solcher Fehlgriffe ist leicht, es sind
Opferhandlungen, bestimmt, das Schicksal zu erweichen, Unheil abzu-
wehren u. dgl. Hat man die zärtliche Mutter oder Tante unmittelbar
vor dem Spaziergang, auf dem sie sich so widerwillig großmütig erzeigt,
eine Besorgnis über die Gesundheit eines Kindes äußern gehört, so
kann man an dem Sinn des angeblich unliebsamen Zufalls nicht mehr
zweifeln. Auf solche Art ermöglichen unsere Fehlleistungen die Aus-
übung aller jener frommen und abergläubischen Gebräuche, die wegen
des Sträubens unserer ungläubig gewordenen Vernunft das Licht des
Bewußtseins scheuen müssen.
e) Daß zufällige Aktionen eigentlich absichtliche sind, wird auf
keinem anderen Gebiete eher Glauben finden als auf dem der sexuellen
Betätigung, wo die Grenze zwischen beiderlei Arten sich wirklich zu
verwischen scheint. Daß eine scheinbar ungeschickte Bewegung höchst
raffiniert zu sexuellen Zwecken ausgenutzt werden kann, davon habe
Das Vergreifen.
83
ich vor einigen Jahren an mir selbst ein schönes Beispiel erlebt. Ich
traf in einem befreundeten Hause ein als Gast angelangtes junges
Mädchen, welches ein längst für erloschen gehaltenes Wohlgefallen bei
mir erregte und mich darum heiter, gesprächig und zuvorkommend
stimmte. Ich habe damals auch nachgeforscht, auf welchen Bahnen
dies zuging; ein Jahr vorher hatte dasselbe Mädchen mich kühl gelassen.
Als nun der Onkel des Mädchens, ein sehr alter Herr, ins Zimmer trat,
sprangen wir beide auf, um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl
zu bringen. Sie war behender als ich, wohl auch dem Objekt näher;
so hatte sie sich zuerst des Sessels bemächtigt und trug ihn mit der
Lehne nach rückwärts, beide Hände auf die Sesselränder gelegt, vor
sich hin. Indem ich später hinzutrat und den Anspruch, den Sessel
zu tragen, doch nicht aufgab, stand ich plötzlich dicht hinter ihr,
hatte beide Arme von rückwärts um sie geschlungen, und die Hände
trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoß. Ich löste natürüch
die Situation ebenso rasch, als sie entstanden war. Es schien auch
keinem aufzufallen, wie geschickt ich diese ungeschickte Bewegung
ausgebeutet hatte.
Gelegentlich habe ich mir auch sagen müssen, daß das ärgerliche,
ungeschickte Ausweichen auf der Straße, wobei man durch einige
Sekunden hin und her, aber doch stets nach der nämlichen Seite wie
der oder die Andere, Schritte macht, bis endlich beide vor einander
stehen bleiben, daß auch dieses „den Weg Vertreten" ein unartig
provozierendes Benehmen früherer Jahre wiederholt und sexuelle Ab-
sichten unter der Maske der Ungeschicklichkeit verfolgt. Aus meinen
Psychoanalysen Neurotischer weiß ich, daß die sogenannte Naivität
junger Leute und Kinder häufig nur solch eine Maske ist, um das Un-
anständige unbeirrt durch Genieren aussprechen oder tun zu können.
Ganz änliche Beobachtungen hat W. S t e k e 1 von seiner eigenen
Person mitgeteilt „Ich trete in ein Haus ein und reiche der Dame des
Hauses meine Rechte. Merkwürdigerweise löse ich dabei die Schleife,
die ihr loses Morgenkleid zusammenhält. Ich bin mir keiner unehr-
baren Absicht bewußt und doch habe ich diese ungeschickte Bewegung
mit der Geschicklichkeit eines Eskamoteurs vollbracht."
f) Die Effekte, die durch das Fehlgreifen normaler Menschen zu-
stande kommen, sind in der Regel von harmlosester Art. Gerade
darum wird sich ein besonderes Interesse an die Frage knüpfen, ob
Fehlgriffe von erheblicher Tragweite, die von bedeutsamen Folgen
begleitet sein können, wie z. B. die des Arztes oder Apothekers, nach
irgend einer Richtung unter unsere Gesichtspunkte fallen.
6»
«4
Das Vergreifen.
Da ich sehr selten in die Lage komme, ärztliche Eingriffe vor-
zunehmen, habe ich nur über ein Beispiel von ärztlichem Vergreifen
aus eigener Erlahrung zu berichten. Bei einer sehr alten Dame, die
ich seit Jahren zweimal tägüch besuche, beschränkt sich meine ärzt-
liche Tätigkeit beim Morgenbesuch auf zwei Akte: ich träufle ihr ein
paar Tropfen Augenwasser ins Auge und gebe ihr eine Morphium -
injektion. Zwei Fläschchen, ein blaues für das Kollyrium und ein
weißes mit der Morphinlösung, sind regelmäßig vorbereitet. Während
der beiden Verrichtungen beschäftigen sich meine Gedanken wohl
meist mit etwas anderem; das hat sich eben schon so oft wiederholt,
daß die Aufmerksamkeit sich wie frei benimmt. Eines Morgens be-
merkte ich, daß der Automat falsch gearbeitet hatte; das Tropfröhrchen
hatte ins weiße anstatt ins blaue Fläschchen eingetaucht und nicht
Kollyrium, sondern Morphin ins Auge geträufelt. Ich erschrak heftig
und beruhigte mich dann durch die Überlegung, daß einige Tropfen
einer zweiprozentigen Morphinlösung auch im Bindehautsack kein
Unheil anzurichten vermögen. Die Schreckempfindung war offenbar
anderswoher abzuleiten.
Bei dem Versuch, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel mir
/.ii nächst die Phrase ein: „sich an der Alten vergreifen", die den kurzen
Weg zur Lösung weisen konnte. Ich stand unter dem Eindrucke eines
Traumes, den mir am Abend vorher ein junger Mann erzählt hatte,
dessen Inhalt sich nur auf sexuellen Verkehr mit der eigenen Mutter
deuten ließ. 1 ) Die Sonderbarkeit, daß die Sage keinen Anstoß an
• 1< 'in Alter der Königin Jokaste nimmt, schien mir gut zu dem Ergebnis
zu stimmen, daß es sich bei der Verliebtheit in die eigene Mutter niemals
um deren gegenwärtige Person handelt, sondern um ihr jugendliches
Erinnerungsbild aus den Kinder jähren. Solche Inkongruenzen stellen
sich immer heraus, wo eine zwischen zwei Zeiten schwankende Phan-
tasie bewußt gemacht und dadurch an eine bestimmte Zeit gebunden
wird. In Gedanken solcher Art versunken kam ich zu meiner über
neunzigjährigen Patientin, und ich muß wohl auf dem Wege gewesen
sein, den allgemein menschlichen Charakter der Oedipusfabel als das
Korrelat des Verhängnisses, das sich in den Orakeln äußert, zu erfassen,
denn ich vergriff mich dann „bei oder an der Alten". Indes dies Ver-
*) Des Oedipus-Traumes, wie ich ihn zu nennen pflege, weil er
den Schlüssel zum Verständnis der Sage von König Oedipus enthält. Im Text des
Suphokles ist die Beziehung auf einen solchen Traum der Jokaste in den Mund
gelegt. (Vgl. ,, Traumdeutung", p. 182).
Das Vergreifen.
«5
greifen war wiederum harmlos; ich hatte von den beiden möglichen
Irrtümern, die Morphinlösung fürs Auge zu verwenden, oder das Augen-
wasser zur Injektion zu nehmen, den bei weitem harmloseren gewählt.
Es bleibt immer noch die Frage, ob man bei Fehlgriffen, die schweren
Schaden stiften können, in ähnlicher Weise wie bei den hier behandelten
eine unbewußte Absicht in Erwägung ziehen darf.
Hier läßt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im Stiche,
und ich bleibe auf Vermutungen und Annäherungen angewiesen.
Es ist bekannt, daß bei den schwereren Fällen von Psychoneurose
Selbstbeschädigungen gelegentlich als Krankheitssymptome auftreten,
und daß der Ausgang des psychischen Konfliktes in Selbstmord bei
ihnen niemals auszuschließen ist. Ich habe nun erfahren, und werde
es eines Tages durch gut aufgeklärte Beispiele belegen, daß viele schein-
bar zufällige Schädigungen, die solche Kranke treffen, eigentlich Selbst-
beschädigungen sind, indem eine beständig lauernde Tendenz zur
Selbstbestrafung, die sich sonst als Selbstvorwurf äußert, oder ihren
Beitrag zur Symptombildung stellt, eine zufällig gebotene äußere
Situation geschickt ausnützt, oder ihr etwa noch bis zur Erreichung
des gewünschten schädigenden Effektes nachhilft. Solche Vorkommn isse
sind auch bei mittelschweren Fällen keineswegs selten, und sie verraten
den Anteil der unbewußten Absicht durch eine Reihe von besonderen
Zügen, z. B. durch die auffällige Fassung, welche die Kranken bei
dem angeblichen Unglücksfalle bewahren. 1 )
Aus der ärztlichen Erfahrung wül ich anstatt vieler nur ein einziges
Beispiel ausführlich berichten: Eine junge Frau bricht sich bei einem
Wagenunfall die Knochen des einen UnterschenkeL-., so daß sie für
Wochen bettlägerig wird, fällt dabei durch den Mangel an Schmerzen—
äußerungen und durch die Ruhe auf, mit der sie ihr Ungemach erträgt.
Dieser Unfall leitet eine lange und schwere neurotische Erkrankung ein,
von der sie endlich durch Psychotherapie hergestellt wird. In der
Behandlung erfahre ich die Nebenumstände des Unfalles sowie ge-
wisse Eindrücke, die ihm vorausgegangen sind. Die junge Frau befand
Sil li mit ihrem sehr eifersüchtigen Manne auf dem Gut einer verheirateten
•) Die Sclbstbeschädigung. die nicht voll auf Selbslvernichtung hinzielt,
hat in unserem gegenwärtigen Kulturzustand überhaupt keine andere Wahl, als
sich hinter der Zufälligkeit zu verbergen, oder sich durch Simulation einer spon-
tanen Erkrankung durchzusetzen. Früher einmal war sie ein gebräuchliches
Zeichen der Trauer; zu anderen Zeiten konnte sie Ideen der Frömmigkeit und
Wrltcntsagung Ausdruck geben.
86
Das Vergreifen.
Schwester in Gesellschaft ihrer zahlreichen übrigen Geschwister und
deren Männer und Frauen. Eines Abends gab sie in diesem intimen
Kreise eine Vorstellung in einer ihrer Künste, sie tanzte kunstgerecht
Cancan unter großem Beifall der Verwandten, aber zur geringen Be-
friedigung ihres Mannes, der ihr nachher zuzischelte; Du hast Dich
wider benommen wie eine Dirne. Das Wort traf; wir wollen es dahin-
gestellt sein lassen, ob gerade wegen der Tanzproduktion. Sie schhei
die Nacht unruhig, am nächsten Vormittag begehrte sie eine Ausfahrt
zu machen. Aber sie walte die Pferde selbst, refüsierte das eine Paar
und verlangte ein anderes. Die jüngste Schwester wollte ihren Säugüng
mit seiner Amme im Wagen mitfahren lassen; dem widersetzte sie
sich energisch. Auf der Fahrt zeigte sie sich nervös, mahnte den Kut-
scher, daß die Pferde scheu würden, und als die unruhigen Tiere wirklich
einen Augenblick Schwierigkeiten machten, sprang sie im Schrecken
aus dem Wagen und brach sich den Fuß, während die im Wagen Ver-
bliebenen heil davonkamen. Kann man nach der Aufdeckung dieser
Einzelheiten kaum mehr bezweifeln, daß dieser Unfall eigentlich eine
Veranstaltung war, so wollen wir doch nicht versäumen die Geschick-
lichkeit zu bewundern, welche den Zufall nötigte, die Strafe so passend
für die Schuld auszuteilen. Denn nun war ihr das Cancantanzen (üi
längere Zeit unmöglich gemacht.
Von eigenen Selbstbeschädigungen weiß ich in ruhigen Zeiten
wenig zu berichten, aber ich finde mich solcher unter außerordentlichen
Bedingungen nicht unfähig. Wenn eines der Mitgüeder meiner Familie
sich beklagt, jetzt habe es sich auf die Zunge gebissen, die Finger
gequetscht usw., so erfolgt anstatt der erhofften Teilnahme von meiner
Seite die Frage : Wozu hast du das getan ? Aber ich habe mir selbst aufs
schmerzhafteste den Daumen eingeklemmt, nachdem ein jugendlicher
Patient in der Behandlungsstunde die (natürlich nicht ernsthaft zu
nehmende) Absicht bekannt hatte, meine älteste Tochter zu heiraten,
während ich wußte, daß sie sich gerade im Sanatorium in äußerster
Lebensgefahr befand.
Einer meiner Knaben, dessen lebhaftes Temperament der Kranken-
pflege Schwierigkeiten zu bereiten pflegte, hatte eines Morgens einen
Zornanfall gehabt, weil man ihm zugemutet hatte, den Vormittag
im Bette zuzubringen, und gedroht, sich umzubringen, wie es ihm aus
der Zeitung bekannt geworden war. Abends zeigte er mir eine Beule,
die er sich durch Anstoßen an die Türklinke an der Seite des Brust-
korbs zugezogen hatte. Auf meine ironische Frage, wozu er das getan
und was er damit gewollt habe, antwortete das n jährige Kind wie
Das Vergreifen.
87
erleuchtet: Das war mein Selbstmordversuch, mit dem ich in der Früh'
gedroht habe. Ich glaube übrigens nicht, daß meine Anschauungen
über die Selbstbeschädigung meinen Kindern damals zugänglich waren.
Wer an das Vorkommen von halb absichtlicher Selbstbeschädigung
— wenn der ungeschickte Ausdruck gestattet ist — glaubt, der wird
dadurch vorbereitet anzunehmen, daß es außer dem bewußt absicht-
li> tun Selbstmord auch halb absichtliche Selbstvernichtung — mit un-
bewußter Absicht — gibt, die eine Lebensbedrohung geschickt aus-
zunützen und sie als zufällige Verunglückung zu maskieren weiß. Eine
solche braucht keineswegs selten zu sein. Denn die Tendenz zur Selbst-
vernichtung ist bei sehr viel mehr Menschen in einer gewissen Stärke
vorhanden, als bei denen sie sich durchsetzt; die Selbstbeschädigungen
sind in der Regel ein Kompromiß zwischen diesem Trieb und den
ihm noch entgegenwirkenden Kräften, und auch wo es wirklich zum
Selbstmord kommt, da ist die Neigung dazu eine lange Zeit vorher in
geringerer Stärke oder als unbewußte und unterdrückte Tendenz vor-
handen gewesen.
Auch die bewußte Selbstmordabsicht wählt ihre Zeit, Mittel und
Gelegenheit, es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbewußte einen
Anlaß abwartet, der einen Teil der Verursachung auf sich nehmen
und sie durch Inanspruchnahme der Abwehrkräfte der Person von
ihrer Bedrückung frei machen kann.') Es sind keineswegs müßige
Erwägungen, die ich da vorbringe; mir ist mehr als ein Fall von an-
scheinend zufälligem Verunglücken (zu Pferde oder aus dem Wagen)
bekannt geworden, dessen nähere Umstände den Verdacht auf un-
>) Der Fall ist dann schließlich kein anderer als der des sexuellen Attentats
auf eine Frau, bei dem der Angriff des Mannes nicht durch die volle Muskelkraft
des Weibes abgewehrt werden kann, weil ihm ein Teil der unbewußten Regungen
der Angegriffenen fördernd entgegen kommt. Man sagt ja wohl, eine solche
Situation lähme die Kräfte der Frau ; man braucht dann nur noch die Gründe
für die»e Lähmung hinzufügen. Insofern ist der geistreiche Richterspruch
des Sancho Pansa, den er als Gouverneur auf seiner Insel fällt, psycho-
logisch ungerecht. (Don Quijote II. T. Kap. XLV.) Eine Frau zerrt einen Mann
vor den Richter, der sie angeblich gewaltsam ihrer Ehre beraubt hat. Sancho
entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem Angeklagten abnimmt, und
gibt diesem nach dem Abgange der Frau die Erlaubnis, ihr nachzueilen und ihr
die Börse wieder zu entreißen. Sie kommen beide ringend wieder, und die Frau
berühmt sich, daß der Bösewicht nicht imstande gewesen sei. sich der Börse zu
bemächtigen. Darauf Sancho: Hättest Du Deine Ehre halb so ernsthaft
verteidigt wie diese Börse, so hätte sie Dir der Mann nicht rauben können.
88
Das Vergreifen.
bewußt zugelassenen Selbstmord rechtfertigen. Da stürzt z. B. Wähl
eines Offizierswettrennens ein Offizier vom Pferde und verletzt sich
so schwer, daß er mehrere Tage nachher erliegt. Sein Benehmen,
nachdem er zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch
bemerkenswerter ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief vta -
srimmt durch den Tod seiner geüebten Mutter, wird von Weinkrämpfen
in der Gesellschaft seiner Kameraden befallen, er äußert Lebens-
überdruß gegen seine vertrauten Freunde, will den Dienst quittieren,
um an einem Kriege in Afrika Anteil zu nehmen, der ihn sonst nicht
berührt; 1 ) früher ein schneidiger Reiter, weicht er jetzt dem Reiten
aus, wo es nur möglich ist. Vor dem Wettrennen endlich, dem er sich
nicht entziehen kann, äußert er eine trübe Ahnung; wir werden uns
bei unserer Auffassung nicht mehr verwundern, daß diese Ahnung
Recht behielt. Man wird mir entgegenhalten, es sei ja ohne weiteres
verständlich, daß ein Mensch in solcher nervöser Depression das Tier
nicht zu meistern versteht wie in gesunden Tagen. Ich bin ganz ein-
verstanden; nur möchte ich den Mechanismus dieser motorischen
Hemmung durch die Nervosität in der hier betonten Selbst vernichturies-
absicht suchen.
Wenn so ein Wüten gegen die eigene Integrität und das eigene
Leben hinter anscheinend zufälliger Ungeschicklichkeit und motorischer
Unzulänglichkeit verborgen sein kann, so braucht man keinen großen
Schritt mehr zu tun, um die Übertragung der nämlichen Auffassung
auf Fehlgriffe möglich zu finden, welche Leben und Gesundheit anderer
ernstlich in Gefahr bringen. Was ich an Belegen für die Triftigkeit
dieser Auffassung vorbringen kann, ist der Erfahrung an Neurotikern
entnommen, deckt sich also nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich
werde über einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehl-
griff, sondern, was man eher eine Symptom- oder ZufaUshandlung
nennen kann, auf die Spur brachte, welche dann die Lösung des Kon-
flikts bei dem Patienten ermöglichte. Ich übernahm es einmal, die
Ehe eines sehr intelligenten Mannes zu bessern, dessen Mißhelligkeiten
mit seiner ihn zärtlich liebenden jungen Frau sich gewiß auf reale
Begründungen berufen konnten, aber wie er selbst zugab, durch diese
nicht voll erklärt wurden. Er beschäftigte sich unablässig mit dem
') Daß die Situation des Schlachtfeldes eine solche ist. wie sie der bewulilen
Selbstmordabsicht entgegenkommt, die doch den direkten Weg scheut, ist im-
Ieuchtend. Vgl. im „W a 1 1 e n s t e i n" die Worte des schwedischen Haupt-
manns über den Tod des Max Piccolomini: „Man sagt, er wollte sterbtn"
Das Vergreifen.
8*
Gedanken der Scheidung, den er dann wieder verwarf, weil er seine
beiden kleinen Kinder zärtlich hebte. Trotzdem kam er immer wieder
auf den Vorsatz zurück und versuchte dabei kein Mittel, um sich Hie
Situation erträglich zu gestalten. Solches Nicht fertigwerden mit einem
Konflikt gilt mir als Beweis dafür, daß sich unbewußte und verdrängte
Motive zur Verstärkung der miteinander streitenden bewußten bereit
gefunden haben, und ich unternehme es in solchen Fällen, den Kon-
flikt durch psychische Analyse zu beenden. Der Mann erzählte mir
eines Tages von einem kleinen Vorfall, der ihn aufs äußerste erschreckt
hatte. Er „hetzte" mit seinem älteren Kind, dem weitaus geliebteren.
hob es hoch und ließ es nieder und einmal an solcher Stelle un<l 90
hoch, daß das Kind mit dem Scheitel fast an den schwer herabhängenden
Gasluster angestoßen hätte. Fast, aber doch eigentlich nicht oder
gerade eben noch! Dem Kind war nichts geschehen, aber es wurde
vor Schreck schwindlig. Der Vater blieb entsetzt mit dem Kinde im
Arme stehen, die Mutter bekam einen hysterischen Anfall. Die be-
sondere Geschicklichkeit dieser unvorsichtigen Bewegung, die Heftig-
keit der Reaktion bei den Eltern legten es mir nahe, in dieser Zu-
fälligkeit eine Symptomhandlung zu suchen, welche eine böse Absicht
gegen das geliebte Kind zum Ausdruck bringen sollte. Den Wider-
spruch gegen die aktuelle Zärtlichkeit dieses Vaters zu seinem Kind<_-
konnte ich aufheben, wenn ich den Impuls zur Schädigung in die Zeit
zurückverlegte, da dieses Kind das einzige und so klein gewesen war.
daß sich der Vater noch nicht zärtlich für dasselbe zu interessieren
brauchte. Dann hatte ich es leicht, anzunehmen, daß der von seiltet
Frau wenig befriedigte Mann damals den Gedanken gehabt oder den
Vorsatz gefaßt: Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar nichts
liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau scheiden
lassen. Ein Wunsch nach dem Tode dieses jetzt so geliebten Wesen-«
mußte also unbewußt weiterbestehen. Von hier ab war der Weg zur
unbewußten Fixierung dieses Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige
Determinierung ergab sich wirklich aus der Kindheitserinnerung des
Patienten, daß der Tod eines kleinen Bruders, den die Mutter dei
Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen Auseinander-
setzungen zwischen den Eltern mit Scheidungsandrohung geführt hatte.
Der weitere Verlauf der Ehe meines Patienten bestätigte meine Koin-
hination auch durch den therapeutischen Erfolg.
9Q
Symptom- und Zufallsliandluagen.
IX.
Symptom- und Zufallshandlungen.
Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir die Aus-
führung einer unbewußten Absicht erkannten, traten als Störungen
anderer beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit dem
Vorwand der Ungeschicklichkeit. Die Zufallshandlungen, von denen
jetzt die Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens
nur dadurch, daß sie die Anlehnung an eine bewußte Intention ver-
schmähen und also des Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich
auf und werden zugelassen, weil man Zweck und Absicht bei ihnen
nicht vermutet. Man führt sie aus, „ohne sich etwas bei ihnen zu
denken", nur „rein zufällig", „wie um die Hände zu beschäftigen",
und man rechnet darauf, daß solche Auskunft der Nachforschung
nach der Bedeutung der Handlung ein Ende bereiten wird. Um sich
dieser Ausnahmsstellung erfreuen zu können, müssen diese Hand-
lungen, die nicht mehr die Entschuldigung der Ungeschicklichkeit in
Anspruch nehmen, bestimmte Bedingungen erfüllen; sie müssen un-
auffällig und ihre Effekte müssen geringfügig sein.
Ich habe eine große Anzahl solcher Zufallshandlungen bei mir
und anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Untersuchung
der einzelnen Beispiele, daß sie eher den Namen von Symptom-
handlungen verdienen. Sie bringen etwas zum Ausdruck, was
der Täter selbst nicht in ihnen vermutet, und was er in der Regel
nicht mitzuteilen, sondern für sich zu behalten beabsichtigt. Sie spielen
also ganz so wie alle anderen bisher betrachteten Phänomene die Rolle
von Symptomen.
Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls- oder Symptomhand-
lungen erhält man allerdings bei der psychoanalytischen Behandlung
der Neurotiker. Ich kann es mir nicht versagen, an zwei Beispielen
dieser Herkunft zu zeigen, wie weit und wie fein die Determinierung
r unscheinbaren Vorkommnisse durch unbewußte Gedanken ge-
trieben ist. Die Grenze der Symptomhandlungen gegen das Vergreifen
ist so wenig scharf, daß ich diese Beispiele auch im vorigen Abschnitt
hätte unterbringen können.
a) Eine junge Frau erzählte als Einfall während der Sitzung, daß
Sie sich gestern beim NägeLschneiden „ins Fleisch geschnitten, während
las feine Häutchen im Nagelbett abzutragen bemüht war". Das
wenig interessant, daß man sich verwundert fragt, wozu es über-
Symptom- und ZufaUshandlungen.
9"
haupt erinnert und erwähnt wird, und auf die Vermutung gerät, man
habe es mit einer Symptomhandlung zu tun. Es war auch wirklich
der Ringfinger, an dem das kleine Ungeschick vorfiel, der Finger, an
dem man den Ehering trägt. Es was überdies ihr Hochzeitstag, was
der Verletzung des feinen Häutchens einen ganz bestimmten, leicht
zu erratenden Sinn verleiht. Sie erzählt auch gleichzeitig einen Traum,
der auf die Ungeschicklichkeit ihres Mannes und auf ihre Anästhesie
als Frau anspielt. Warum war es aber der Ringfinger der linken
Hand, an dem sie sich verletzte, da man doch den Ehering an der
rechten Hand trägt? Ihr Mann ist Jurist, „Doktor der Rechte", und
ihre geheime Neigung hatte als Mädchen einem Arzt (scherzhaft :
,, Doktor der Linke") gehört. Eine Ehe zur linken Hand hat auch
ihre bestimmte Bedeutung.
b) Eine unverheiratete junge Dame erzählt: „Ich habe gestern
ganz unabsichtlich eine ioo Guldennote in zwei Stücke gerissen und
die Hälfte davon einer mich besuchenden Dame gegeben. Soll das
auch eine Symptomhandlung sein?" Die genauere Erforschung deckt
folgende Einzelheiten auf: Die Hundertguldennote: Sie widmet einen
Teil ihrer Zeit und ihres Vermögens wohltätigen Werken. Gemeinsam
mit einer anderen Dame sorgt sie für die Erziehung eines verwaisten
Kindes. Die ioo Gulden sind der ihr zugeschickte Beitrag jener Dame,
den sie in ein Couvert einschloß und vorläufig auf ihren Schreibtisch
niederlegte.
Die Besucherin war eine angesehene Dame, der sie bei einer
anderen Wohltätigkeitsaktion beisteht. Diese Dame wollte eine Reihe
von Namen von Personen notieren, an die man sich um Unterstützung
wenden könnte. Es fehlte an Papier, da griff meine Patientin nach
dem Couvert auf ihrem Schreibtisch und riß es, ohne sich an seinen
Inhalt zu besinnen, in zwei Stücke, von denen sie eines selbst behielt.
um ein Duplikat der Namensliste zu haben, das andere ihrer Besucherin
übergab. Man bemerke die Harmlosigkeit dieses unzweckmäßigen
Vorgehens. Eine Hundertguldennote erleidet bekanntlich keine Ein-
buße an ihrem Werte, wenn sie zerrissen wird, falls sie sich aus den
Rißstücken vollständig zusammensetzen läßt. Daß die Dame das
Stück Papier nicht wegwerfen würde, war durch die Wichtigkeit der
darauf stehenden Namen verbürgt, und ebensowenig litt es einen
Zweifel, daß sie den wertvollen Inhalt zurückstellen würde, sobald
sie ihn bemerkt hätte.
Welchem unbewußten Gedanken sollte aber diese Zufallshand-
lung, die sich durch ein Vergessen ermöglichte, Ausdruck geben? Die
92
Symptom- und Zufallshandlungen.
besuchende Dame hatte eine ganz bestimmte Beziehung zu unserer
Kur. Es war dieselbe, die mich seinerzeit dem leidenden Mädchen
als Arzt empfohlen, und wenn ich nicht irre, hält sich meine Patientin
zum Dank (ür diesen Rat verpflichtet. Soll die halbierte Hundert -
guldennote etwa ein Honorar für diese Vermittlung darstellen? Da*
bliebe noch recht befremdlich.
Es kommt aber anderes Material hinzu. Einige Tage vorher hatte
eine Vermittlerin ganz anderer Art bei einer Verwandten angefragt,
ob das gnädige Fräulein wohl die Bekanntschaft eines gewissen Herrn
machen wolle, und am Morgen, einige Stunden vor dem Besuche der
Dame, war der Werbebrief des Freiers eingetroffen, der viel Anlaß
zur Heiterkeit gegeben hatte. Als nun die Dame das Gespräch mit
einer Erkundigung nach dem Befinden meiner Patientin eröffnete,
konnte diese wohl gedacht haben: „Den richtigen Arzt hast Du mir zwar
empfohlen, wenn Du mir aber zum richtigen Mann (und dahinter: zu
einem Kind) verhelfen könntest, wäre ich Dir doch dankbarer." Von
diesem verdrängt gehaltenen Gedanken aus flössen ihr die beiden Ver-
mittlerinnen in eins zusammen, und sie überreichte der Besucherin das
Honorar, das ihre Phantasie der anderen zu geben bereit war. Völlig
verbindlich wird diese Lösung, wenn ich hinzufüge, daß ich ihr erst
am Abend vorher von solchen Zufalls- oder Symptomhandlungen er-
zählt hatte. Sie bediente sich dann der nächsten Gelegenheit, um
etwas Analoges zu produzieren.
Eine Gruppierung der so überaus häufigen Zufalls- und Symptom -
handlungen könnte man vornehmen, je nachdem sie gewohnheitsmäßig,
regelmäßig unter gewissen Umständen, oder vereinzelt erfolgen. Die
ersteren (wie das Spielen mit der Uhrkette, das Zwirbeln am Bart etc.),
die fast zur Charakteristik der betreffenden Personen dienen können.
streifen an die mannigfaltigen Tikbewegungen und verdienen wohl im
Zusammenhange mit letzteren behandelt zu werden. Zur zweiten
Gruppe rechne ich das Spielen, wenn man einen Stock, das Kritzeln,
wenn man einen Bleistift in der Hand hält, das Klimpern mit Münzen
in der Tasche, das Kneten von Teig und anderen plastischen Stoffen,
allerlei Hantierungen an seiner Gewandung u. dgl. mehr. Unter diesen
spielenden Beschäftigungen verbergen sich während der psychischen Be-
handlung regelmäßig Sinn und Bedeutung, denen ein anderer An-
druck versagt ist. Gewölinlich weiß die betreffende Person nichts davon,
daß sie dergleichen tut, oder daß sie gewisse Modifikationen an ihrem
gewöhnlichen Tändeln vorgenommen hat, und sie übersieht und über-
hört auch die Effekte dieser Handlungen. Sie hört z. B. das Geräi
Symptom- und Zufallshandlungen.
93
nicht, das sie beim Klimpern mit Geldstücken hervorbringt, und be-
nimmt sich wie erstaunt und ungläubig, wenn man sie darauf auf-
merksam macht. Ebenso ist alles, was man, oft ohne es zu merken,
mit seinen Kleidern vornimmt, bedeutungsvoll und der Beachtung des
Arztes wert. Jede Veränderung des gewohnten Aufzuges, jede kleine
Nachlässigkeit wie etwa ein nicht schließender Knopf, jede Spur von
Entblößung will etwas besagen, was der Eigentümer der Kleidung
nicht direkt sagen will, meist gar nicht zu sagen weiß. Die Deutungen
dieser kleinen Zufallshandlungen, sowie die Beweise für diese Deutungen
ergeben sich jedesmal mit zureichender Sicherheit aus den Begleit-
umständen während der Sitzung, aus dem eben behandelten Thema
und aus den Einfällen, die sich einstellen, wenn man die Aufmerksamkeit
auf die anscheinende Zufälligkeit lenkt. Wegen dieses Zusammen-
hanges unterlasse ich es, meine Behauptungen durch Mitteilung von
Beispielen mit Analyse zu unterstützen; ich erwähne diese Dinge aber,
weil ich glaube, daß sie bei normalen Menschen dieselbe Bedeutung
haben wie bei meinen Patienten.
Ich kann etwa aus meiner psychotherapeutischen Erfahrung einen
Fall erzählen, in dem die mit einem Klumpen Brotkrume spielende Hand
eise beredte Aussage ablegte. Mein Patient war ein noch nicht 13J..
seil i;<st zwei Jahren schwer hysterischer Knabe, den ich endlich in
hoanalytische Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufent-
halt in einer Wasserheilanstalt sich erfolglos erwiesen hatte. Er mußte
nach meiner Vorausssetzung sexuelle Erfahrungen gemacht haben und
■-einer Altersstufe entsprechend von sexuellen Fragen gequält sein:
ich hütete mich aber, ihm mit Aufklärungen zur Hilfe zu kommen,
weil ich wieder einmal eine Probe auf meine Voraussetzungen anstellen
wollte. Ich durfte also neugierig sein, auf welchem Wege sich das
( A>uchte bei ihm andeuten würde. Da fiel es mir auf, daß er ein---
Tages irgend etwas zwischen den Fingern der rechten Hand rollte,
damit in die Tasche fuhr, dort weiter spielte, es wieder hervorzog etc.
Ich fragte nicht, was er in der Hand habe; er zeigte es mir aber, indem
! plötzlich die Hand öffnete. Es war Brotkrume, die zu einem Klumpen
zusammengeknetet war. In der nächsten Sitzung brachte er wieder
einen solchen Klumpen mit, formte aber aus ihm, während wir das
Gespräch führten, mit unglaublicher Raschheit und bei geschlossenen
Augen Figuren, die mein Interesse erregten. Es waren unzweifelhalt
M.innchen mit Kopf, zwei Armen, zwei Beinen, wie die rohesten prä-
historischen Idole, und einem Fortsatz zwischen beiden Beinen, den
r in eine lange Spitze auszog. Kaum daß dieser gefertigt war, knetete
94
Symptom- und Zufallshandlungen.
er das Männchen wieder zusammen; später ließ er es bestehen, zog abCK
einen ebensolchen Fortsatz an der Rückenfläche und an anderen Stellen
aus, um die Bedeutung des ersten zu verhüllen. Ich wollte ihm zeigen,
daß ich ihn verstanden habe, ihm aber dabei die Ausflucht benehmen,
daß er sich bei dieser Menschen formenden Tätigkeit nichts gedacht
habe. In dieser Absicht fragte ich ihn plötzlich, ob er sich an die Ge-
schichte jenes römischen Königs erinnere, der dem Abgesandten seines
Sohnes eine pantomimische Antwort im Garten gegeben. Der Knabe
wollte sich nicht an das erinnern, was er doch vor so viel kürzerer Zeit
als ich gelernt haben mußte. Er fragte, ob das die Geschichte von dem
Sklaven sei, auf dessen glattrasierten Schädel man die Antwort ge-
schrieben habe. Nein, das gehört in die griechische Geschichte, sagte
ich und erzählte: Der König Tarquinius Superbus hatte seinen Sohn
Sextus veranlaßt, sich in eine feindliche latinische Stadt einzuschleichen.
Der Sohn, der sich unterdes Anhang in dieser Stadt verschafft hattet
schickte einen Boten an den König mit der Frage, was nun weiter ge-
schehen solle. Der König gab keine Antwort, sondern ging in seinen
Garten, ließ sich dort die Frage wiederholen und schlug schweigend
die größten und schönsten Mohnköpfe ab. Dem Boten blieb nichts
übrig als dieses dem Sextus zu berichten, der den Vater verstand und
es sich angelegen sein ließ, die angesehensten Bürger der Stadt durch
Mord zu beseitigen.
Während ich redete, hielt der Knabe in seinem Kneten inne, und
als ich mich anschickte zu erzählen, was der König in seinem Garten
tat, schon bei den Worten „schlug schweigend", hatte er mit einer
blitzschnellen Bewegung seinem Männchen den Kopf abgerissen. Er
hatte mich also verstanden und gemerkt, daß er von mir verstanden
worden war. Ich konnte ihn nun direkt befragen, gab ihm die Aus-
künfte, um die es ihm zu tun war, und wir hatten binnen kurzem der
Neurose ein Ende gemacht.
Die Symptomhandlungen, die man in fast unerschöpflicher Reich-
haltigkeit bei Gesunden wie Kranken beobachten kann, verdienen unser
Interesse aus mehr als einem Grunde. Dem Arzte dienen sie oft als
wertvolle Winke zur Orientierung in neuen oder ihm wenig bekannten
Verhältnissen, dem Menschenbeobachter verraten sie oft alles, und
mitunter selbst mehr, als er zu wissen wünscht. Wer mit ihrer Würdi-
gung vertraut ist, darf sich gelegentlich wie der König Salomo vor-
kommen, der nach der orientalischen Sage die Sprachen der Tiere ver-
stand. Eines Tages sollte ich einen mir fremden jungen Mann im
Hause seiner Mutter ärztlich untersuchen. Als er mir entgegentrat.
Symptom- und Zufallshandlungen.
95
fiel mir ein großer Eiweißüeck, kenntlich an seinen eigentümlich starren
Rändern, auf seiner Hose auf. Der junge Mann entschuldigte sich
nach kurzer Verlegenheit, er habe sich heiser gefühlt und darum ein rohes
Ei getrunken, von dem wahrscheinlich etwas schlüpfriges Eiweiß aut
seine Kleidung herabgeronnen sei, und konnte zur Bestätigung auf die
Eierschale hinweisen, die noch auf einem Tellerchen im Zimmer zu sehen
war. Somit war der suspekte Fleck in harmloser Weise aufgeklärt ; ab-
aber die Mutter uns allein gelassen hatte, dankte ich ihm, daß er mir
die Diagnose so sehr erleichtert habe, und nahm ohne weiteres sein Ge-
ständnis, daß er unter den Beschwerden der Masturbation leide, zur
Grundlage unserer Unterhaltung. Ein anderes Mal machte ich einen Be-
such bei einer ebenso reichen als geizigen und närrischen Dame, die dem
Arzte die Aufgabe zu stellen pflegte, sich durch ein Heer von Klagen
durchzuarbeiten, ehe man zur simpeln Begründung ihrer Zustände
gelangte. Als ich eintrat, saß sie bei einem Tischchen damit beschäftigt,
Silbergulden in Häufchen zu schichten, und während sie sich erhob,
warf sie einige der Geldstücke zu Boden. Ich half ihr beim Aufklauben
derselben, unterbrach sie bald in der Schilderung ihres Elends und fragte :
Hat Sie also der vornehme Schwiegersohn wiederum um soviel Geld
gebracht ? Sie antwortete mit erbitterter Verneinung, um die kürzeste
Zeit nachher die klägliche Geschichte von der Aufregung über die Ver-
schwendung des Schwiegersohnes zu erzählen, hat mich aber allerdings
seither nicht wieder gerufen. Ich kann nicht behaupten, daß man sich
immer Freunde unter denen wirbt, denen man die Bedeutung ihrer
Symptomhandlungen mitteilt.
Die Zufalls- oder Symptomhandlungen, die sich in Ehesachen ■
eignen, haben oft die ernsteste Bedeutung und könnten den, der sich
um die Psychologie des Unbewußten nicht bekümmern will, zum
Glauben an Vorzeichen nötigen. Es ist kein guter Anfang, wenn eine
junge Frau auf der Hochzeitsreise ihren Ehering verliert, doch war er
meist nur verlegt und wird bald wiedergefunden. — Ich kenne eine
jetzt von ihrem Manne geschiedene Dame, die bei der Verwaltung
ihres Vermögens Dokumente häufig mit ihrem Mädchennamen unter-
zeichnet hat, viele Jahre vorher, ehe sie diesen wirklich wieder annahm.
— Einst war ich Gast bei einem jung verheirateten Paare und hörte die
junge Frau lachend ihr letztes Erlebnis erzählen, wie sie am Tage nach
der Rückkehr von der Reise wieder ihre ledige Schwester aufgesucht
hätte, um mit^ihr wie in früheren Zeiten Einkäufe zu machen, während
der Ehemann_seinen Geschäften nachging. Plötzüch sei ihr ein Herr
auf der anderen Seite der Straße aufgefallen, und sie habe, ihre Schwester
96
Symptom- und Zufallshandlungen.
anstoßend, gerufen: Schau, dort geht ja der Herr L. Sie hatte ver-
gessen, daß dieser Herr seit einigen Wochen ihr Ehegemahl war.
Mich überlief es kalt bei dieser Erzählung, aber ich getraute nüch
der Folgerung nicht; die kleine Geschichte fiel mir erst Jahre später
wieder ein, nachdem diese Ehe den unglücklichsten Ausgang ge-
nommen hatte.
Von der großen Schauspielerin Eleonora Düse erzählte mir
ein Freund, der auf Zeichen achten gelernt hat, sie bringe in einer
ihrer Rollen eine Symptomhandlung an, die so recht zeige, aus welcher
Tiefe sie ihr Spiel heraufhole. Es ist ein Ehebruchsdrama; sie hat
eben eine Auseinandersetzung mit ihrem Manne gehabt und steht nun
in Gedanken abseits, ehe sich ihr der Versucher nähert. In diesem kurzen
Intervall spielt sie mit dem Ehering an ihrem Finger, zieht ihn ab,
um ihn wieder anzustecken, und zieht ihn wieder ab. Sie ist nun reif für
den Anderen.
Ich weiß auch von einem älteren Herrn, der ein sehr junges Mädchen
zur Frau nahm und die Hochzeitsnacht anstatt abzureisen in einem
Hotel der Großstadt zuzubringen gedachte. Kaum im Hotel angelangt,
merkte er mit Schrecken, daß er seine Brieftasche, in der sich die ganze
für die Hochzeitsreise bestimmte Geldsumme befand, vermisse, also
verlegt oder verloren habe. Es gelang noch, den Diener telephonisch
zu erreichen, der das Vermißte in dem abgelegten Rock des Hoch-
zeiters auffand und dem Harrenden, der so ohne Vermögen in die
Ehe gegangen war, ins Hotel brachte. Er konnte also am nächsten
Morgen die Reise mit seiner jungen Frau antreten; in der Nacht
selbst war er, wie seine Befürchtung vorausgesehen hatte, „un-
vermögend" geblieben.
Es ist tröstlich zu denken, daß das „ V e r 1 i e r e n" der Menschen in
ungeahnter Ausdehnung Symptomhandlung und somit wenigstens einer
geheimen Absicht des Verlustträgers willkommen ist. Es ist oft nur
ein Ausdruck der geringen Schätzung des verlorenen Gegenstandes
oder einer geheimen Abneigung gegen denselben oder gegen die Person,
von der etwa herstammt, oder die Verlustneigung hat sich auf diesen
Gegenstand durch symbolische Gedankenverbindung von anderen
und bedeutsameren Objekten her übertragen. Das Verlieren wert-
vollerer Dinge dient mannigfachen Regungen zum Ausdruck, es soll
entweder einen verdrängten Gedanken symbolisch darstellen, also
eine Mahnung wiederholen, die man gerne überhören möchte, oder es
soll — und dies vor allem anderen — den dunkeln Schicksals-
Symptom- und Zufallshandlungen.
97
mächten — Opfer bringen, deren Dienst auch unter uns noch nicht
erloschen ist. 1 )
Von den vereinzelten Zufallshandlungen will ich ein Beispiel mit-
teilen, welches auch ohne Analyse eine tiefere Deutung zuließ, das
die Bedingungen trefflich erläutert, unter denen solche Symptome
vollkommen unauffällig produziert werden können, und an das sich
eine praktisch bedeutsame Bemerkung anknüpfen läßt. Auf einer
Sommerreise traf es sich, daß ich einige Tage an einem gewissen Orte
auf die Ankunft meines Reisegefährten zu warten hatte. Ich machte
unterdes die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich gleichfalls
einsam zu fühlen schien und sich bereitwillig mir anschloß. Da wir in
demselben Hotel wohnten, fügte es sich leicht, daß wir alle Mahlzeiten
gemeinsam einnahmen und Spaziergänge miteinander machten. Am
') Hier noch eine kleine Sammlung mannigfaltiger Symptomhandlungen
bei Gesunden und Neurotikern: Ein älterer Kollege, der nicht gerne im Karten-
spiel verliert, hat SfBM abends eine größere Verlustsumme klaglos aber in eigentüm-
lich verhaltener Stimmung ausgezahlt. Nach seinem Weggehen wird entdeckt,
daß er so ziemlich alles, was er bei sich trägt, auf seinem Platz zurückgelassen
hat: Brille, Zigarrentasche und Sacktuch. Das fordert wohl die Übersetzung:
Ihr Räuber, ihr habt mich da schön ausgeplündert. — Ein Mann, der an gelegentlich
auftretender sexueller Impotenz leidet, welche in der Innigkeit seiner Kinder-
beziehungen zur Mutter begründet ist, berichtet, daß er gewohnt ist. Schriften
und Aulzeichnungen mit einem S.. dem Anfangsbuchstaben des Namens seiner
Mutter, zu verzieren. Er VCTtrigt es nicht, daß Briefe von Hause auf seinem
Schreibtisch in Berührung mit anderen, unheiligeu Briefschaften geraten, und
i-i darum genötigt, ersterc gesondert aufzubewahren. — Eine junge Dame reißt
plötzlich die Türe des Behandlungszimmers auf, in dem sich noch ihre Vorgängerin
befindet. Sie entschuldigt sich mit „Gedankenlosigkeit": es ergibt sich bald,
daß sie die Neugierde demonstriert hat, welche sie seinerzeit ins Schlafzimmer
der Eltern dringen ließ. — Mädchen, die auf ihre schönen Haare stolz sind, wissen
so geschickt mit Kamm und Haarnadeln umzugehen, daß sich ihnen mitten im
Gespr.icli dii II um lAaen. — Manche Männer zerstreuen während der Behandlung
(in liegender Stellung) Kleingeld aus der Hosentasche und honorieren so die Arbeit
der Behandlungsstunde je nach ihrer Schätzung. — Wer beim Arzt einen mit-
gebrachten Gegenstand wie Zwicker. Handschuhe, Täschchen vergißt, deutet
damit gewöhnlich an. daß er sich nicht losreißen kann und gerne bald wiederkommen
möchte. — Wer sich wie Jung (Über die Psychologie der Dementia praecox,
1907. p. 62) die Mühe nehmen will, auf die Melodien zu achten, welche man ohne
es zu beabsichtigen, oft ohne es zu merken, vor sich hin trällert, wird die Be-
ziehung des Textes zu einem die Person beschäftigenden Komplex wohl regelmäßig
aufdecken können.
Freud, Psychopathologie de» Allcagtlcbena. 7
9 8
Symptom- und Zufallshandlungen.
Nachmittag des dritten Tages teilte er mir plötzlich mit, daß er heute
abends seine mit dem Eilzuge anlangende Frau erwarte. Mein psycho-
logisches Interesse wurde nun rege, denn es war mir an meinem Ge-
sellschafter bereits am Vormittag aufgefallen, daß er meinen Vorschlag
zu einer größeren Partie zurückgewiesen und auf unserem kleinen
Spaziergang einen gewissen Weg als zu steil und gefährlich nicht hatte
begehen wollen. Auf dem Nachmittagsspaziergang behauptete er
plötzlich, ich müßte doch hungrig sein, ich sollte doch ja nicht seinet-
wegen die Abendmahlzeit aufschieben, er werde erst nach der Ankunft
seiner Frau mit ihr zu Abend essen. Ich verstand den Wink und setzte
mich an den Tisch, während er auf den Bahnhof ging. Am nächsten
Morgen trafen wir uns in der Vorhalle des Hotels. Er stellte mich
seiner Frau vor und fügte hinzu: Sie werden doch mit uns das Früh-
stück nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgung in der nächsten
Straße vor und versicherte, ich würde bald nachkommen. Als ich
dann in den Frühstückssaal trat, sah ich, daß das Paar an einem
kleinen Fenstertisch Platz genommen hatte, auf dessen einer Seite sie
beide saßen. Auf der Gegenseite befand sich nur ein Sessel, aber ülwr
dessen Lehne hing der große und schwere Lodenmantel des Mannes
herab, den Platz verdeckend. Ich verstand sehr wohl den Sinn dieser
gewiß nicht absichtlichen, aber darum um so ausdrucksvolleren
Lagerung. Es hieß: für Dich ist hier kein Platz, Du bist jetzt über-
flüssig. Der Mann bemerkte es nicht, daß ich vor dem Tische stehen
blieb, ohne mich zu setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort
anstieß und ihm zuflüsterte: Du hast ja dem Herrn den Platz verlegt.
Bei diesem wie bei anderen ähnlichen Erlebnissen habe ich mir
gesagt, daß die unabsichtlich ausgeführten Handlungen unvermeidlich
zur Quelle von Mißverständnissen im menschlichen Verkehr werden
müssen. Der Täter, der von einer mit ihnen verknüpften Absicht
nichts weiß, rechnet sich dieselben nicht an und hält sich nicht ver-
antwortlich für sie. Der andere hingegen erkennt, indem er regel-
mäßig auch solche Handlungen seines Partners zu Schlüssen über
dessen Absichten und Gesinnungen verwertet, mehr von den psychischen
Vorgängen des Fremden, als dieser selbst zuzugeben bereit ist und
mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer aber entrüstet sich, wenn ihm
diese aus seinen Symptomhandlungen gezogenen Schlüsse vorgehaltt-n
werden, erklärt sie für grundlos, da ihm das Bewußtsein für die Ab-
sicht bei der Ausführung fehlt, und klagt über Mißverständnis von
Seiten des anderen. Genau besehen beruht ein solches Mißverständnis
auf einem Zufein- und Zuviel vorstehen. Je „nervöser" zwei Menseln n
Irrtümer.
99
sind, desto eher werden sie einander Anlaß zu Entzweiungen bieten,
deren Begründung jeder für seine eigene Person ebenso bestimmt
leugnet, wie er sie für die Person des anderen als gesichert annimmt.
Und dies ist wohl die Strafe für die innere Unaufrichtigkeit, daß die
Menschen unter den Vorwänden des Vergessens, Vergreifens und der
Unabsichtlichkeit Regungen den Ausdruck gestatten, die sie besser sich
und anderen eingestehen würden, wenn sie sie schon nicht beherrschen
können. Man kann in der Tat ganz allgemein behaupten, daß jeder-
mann fortwährend psychische Analyse an seinen Nelienmenschen
betreibt und diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne
sich selbst. Der Weg zur Befolgung der Mahnung ■r ,fi > il «««öv führt
durch das Studium seiner eigenen scheinbar zufälligen Handlungen
und Unterlassungen.
X.
Irrtümer.
Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit Feld-
erinnern nur durch den einen Zug unterschieden, daß der Irrtum
(das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondern Glauben
findet. Der Gebrauch des Ausdruckes „Irrtum" scheint aber noch an
einer anderen Bedingung zu hängen. Wir sprechen von „Irren" an-
statt von „falsch Erinnern", wo in dem zu reproduzierenden psychischen
Material der Charakter der objektiven Realität hervorgehoben werden
soll, wo also etwas anderes erinnert werden soll als eine Tatsache meines
eigenen psychischen Lebens, vielmehr etwas, was der Bestätigung
oder Widerlegung durch die Erinnerung anderer zugänglich ist. Den
Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in diesem Sinn bildet die Un-
wissenheit.
In meinem Buche „Die Traumdeutung (1900)" habe ich mich
einer Reihe von Verfälschungen an geschichtlichem und überhaupt
t.i! sachlichem Material schuldig gemacht, auf die ich nach dem Er-
scheinen des Buches mit Verwunderung aufmerksam geworden bin.
Ich habe bei näherer Prüfung derselben gefunden, daß sie nicht meiner
Unwissenheit entsprungen sind, sondern sich auf Irrtümer des Gedächt-
nisses zurückleiten, welche sich durch Analyse aufklären lassen.
a) Auf S. 266 bezeichne ich als <l<-n Geburtsort Schillers die
Stadt Marburg, deren Name in der Steiermark wiederkehrt. Der
T
I oo
Irrlümer.
IiTtum findet sich in der Analyse eines Traumes während einer Nacht-
reise, aus dem ich durch den vom Kondukteur ausgerufenen Stations-
namen Marburg geweckt wurde. Im Trauminhalt wird nach einem
Buch von Schiller gefragt. Nun ist Schiller nicht in der
Universitätsstadt Marburg, sondern in dem schwäbischen Mar-
b ach geboren. Ich behaupte auch, daß ich dies immer gewußt habe.
b) Auf S. 135 wird Hannibals Vater Hasdrubal ge-
nannt. Dieser Irrtum war mir besonders ärgerlich, hat mich aber
in der Auffassung solcher Irrtümer am meisten bestärkt. In der Ge-
schichte der Barkiden dürften wenige der Leser des Buches besser
Bescheid wissen als der Verfasser, der diesen Fehler niederschrieb
und ihn bei drei Korrekturen übersah. Der Vater Hannibals
hieß Hamilkar Barkas, Hasdrubal war der Name von
Hannibals Bruder, übrigens auch der seines Schwagers und Vor-
gängers im Kommando.
c) Auf S. 177 und S. 370 behaupte ich, daß Zeus seinen Vatef
Kronos entmannt und ihn vom Throne stürzt. Diesen Greuel habe
ich aber irrtümlich um eine Generation vorgeschoben; die griechische
Mythologie läßt ihn von Kronos an seinem Vater L'ranos ver-
üben.
Wie ist es nun zu erklären, daß mein Gedächtnis in diesen
Funkten Ungetreues lieferte, während es mir sonst, wie sich Leser
des Buches überzeugen können, das entlegenste und ungebräuchlichste
Material zur Verfügung stellte ? L'nd ferner, daß ich bei drei sorgfältig
durchgeführten Korrekturen wie mit Blindheit geschlagen an dieses
Irrtümern vorbeiging?
Goethe hat von Lichtenberg gesagt : Wo er einen Spaß
macht, liegt ein Problem verborgen. Ähnlich kann man über die
hier angeführten Stellen meines Buches behaupten: wo ein Irrtum
vorliegt, da steckt eine Verdrängung dahinter. Richtiger gesagt: eme
Unaufrichtigkeit, eine Entstellung, die schließlich auf Verdrängtem
fußt. Ich bin bei der Analyse der dort mitgeteilten Träume durch
die bloße Natur der Themata, auf welche sich die Traumgedanken
beziehen, genötigt gewesen, einerseits die Analyse irgendwo vor ihrer
Abrundung abzubrechen, anderseits einer indiskreten Einzelheit
durch leise Entstellung die Schärfe zu benehmen. Ich konnte nicht
anders und hatte auch keine andere Wahl, wenn ich überhaupt Bei-
spiele und Belege vorbringen wollte; meine Zwangslage leitete sich
mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Träume ab. Verdrängtem,
Irrtümer.
IUI
d. h. Bewußtseinsunfähigem, Ausdruck zu geben. Es dürfte trotzdem
genug übrig geblieben sein, woran empfindlichere Seelen AnstoO ge-
nommen haben. Die Entstellung oder Verschweigung der mir selbst
noch bekannten fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht spurlos
durchführen lassen. Was ich unterdrücken wollte, hat sich oftmals
wider meinen Willen den Zugang in das von mir Aufgenommene erkämpft
und ist darin als von mir unbemerkter Irrtum zum Vorschein gekommen.
In allen drei hervorgehobenen Beispielen liegt übrigens das nämliche
Thema zu Grunde; die Irrtümer sind Abkömmlinge verdrängter
Gedanken, die sich mit meinem verstorbenen Vater beschäftigen.
ad. a) Wer den auf S. 266 analysierten Traum durchliest, wird
teils unverhüllt erfahren, teils aus Andeutungen erraten können, daß
ich bei Gedanken abgebrochen habe, die eine unfreundliche Kritik
am Vater enthalten hätten. In der Fortsetzung dieses Zuges von
Gedanken und Erinnerungen liegt nun eine ärgerliche Geschichte, in
welcher Bücher eine Rolle spielen und ein Geschäftsfreund des Vaters,
der den Namen Marburg führt, denselben Namen, durch dessen An-
ruf in der gleichnamigen Südbahnstation ich aus dem Schlaf geweckt
wurde. Diesen Herrn Marburg wollte ich bei der Analyse mir und
den Lesern unterschlagen; er rächte sich dadurch, daß er sich dort
einmengte, wo er nicht hingehört, und den Namen des Geburtsortes
Schillers aus Marbach in Marburg veränderte.
ad. b) Der Irrtum Hasdrubal anstatt Hamilkar, der
Name des Bruders an Stelle des Namens des Vaters, ereignete sich
gerade in einem Zusammenhange, der von den Hannibalphantasien
meiner Gymnasiastenjahre und von meiner Unzufriedenheit mit dem
Benehmen des Vaters gegen die „Feinde unseres Volkes" handelt.
Ich hätte fortsetzen und erzählen können, wie mein Verhältnis zum
Vater durch einen Besuch in England verändert wurde, der mich die
Bekanntschaft meines dort lebenden Halbbruders aus früherer Ehe
des Vaters machen ließ. Mein Bruder hat einen ältesten Sohn, der
mir gleichalterig ist; die Phantasien, wie anders es geworden wäre,
Wl Dd ich nicht als Sohn des Vaters, sondern des Bruders zur Welt
gekommen wäre, fanden also kein Hindernis an den Altersrelationen.
Diese unterdrückten Phantasien fälschten nun an der Stelle, wo ich
in der Analyse abbrach, den Text meines Buches, indem sie mich not igten
den Namen des Bruders für den des Vaters zu setzen.
ad. c) Dem Einfluß der Erinnerung an diesen selben Bruder
schreibe ich es zu, daß ich die mythologischen Greuel der griechischen
i-rwelt um eine Generation vorgeschoben habe. Von den Mahnungen
102
Irrtünu-r.
des Bruders ist mir lange Zeit eine im Gedächtnis geblieben: ..Vergiß
nicht, in Bezug auf Lebensführung, eines", hatte er mir gesagt, „daß Du
nicht der zweiten, sondern eigentlich der dritten Generation vom Vater
aus angehörst." Unser Vater hatte sich in späteren Jahren wieder ver-
heiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich
begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade, wo ich von der
Pietät zwischen Eltern und Kindern handle.
Es ist auch einige Male vorgekommen, daß Freunde und Patienu n.
deren Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen
anspielte, mich aufmerksam machten, die Umstände der gemeinsam
erlebten Begebenheit seien von mir ungenau erzählt worden. Das wären
nun wiederum historische Irrtümer. Ich habe die einzelnen Fälle
nach der Richtigstellung nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt,
daß meine Erinnerung des Sachlichen nur dort ungetreu war, wo ich in
der Analyse etwas mit Absicht entstellt oder verhehlt hatte. Auch
hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für
eine absichtliche Verschweigung oder Ver-
drängung.
Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen, heben
sich scharf andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit beruhen. So
war es z. B. Unwissenheit, wenn ich auf einem Ausflug in die Wachau
den Aufenthalt des Revolutionärs F i s c h h o f berührt zu haben
glaubte. Die beiden Orte haben nur den Namen gemein; das E m -
mersdorf Fischhofs liegt in Kärnthen. Ich wußte es aber
nicht anders.
Noch ein beschämender und lehrreicher Irrtum, ein Beispiel von
temporärer Ignoranz, wenn man so sagen darf. Ein Patient mahnte
mich eines Tages, ihm die zwei versprochenen Bücher über Venedig
mitzugeben, aus denen er sich für seine Osterreise vorbereiten wolle.
Ich habe sie bereit gelegt, erwiderte ich, und ging in das Bibliothek^-
zimmur, um sie zu holen. In Wahrheit hatte ich aber vergessen, sie
herauszusuchen, denn ich war mit der Reise meines Patienten, in der
ich eine unnötige Störung der Behandlung und eine materielle Schädi-
gung des Arztes erblickte, nicht recht einverstanden. Ich halte also
in der Bibliothek rasche Umschau nach den beiden Büchern, die ich
ins Auge gefaßt hatte. „Venedig als Kunststätte" ist das eine; außer-
dem aber muß ich noch ein historisches Werk in einer ähnlichen Samm-
lung besitzen. Richtig, da ist es: „Die Mcdiceer," ich nehme es und
bringe es dem Wartenden, um dann beschämt den Irrtum einzugestehen.
Ich weiß doch wirklich, daß die Medici nichts mit Venedig zu tun
Irrtümer.
I03
haben, aber es erschien mir für eine kurze Weile gar nicht unrichtig.
Nun muß ich Gerechtigkeit üben; da ich dem Patienten so häufig seine
eigenen Symptomhandlungen vorgehalten habe, kann ich meine
Autorität vor ihm nur retten, wenn ich ehrlich werde und ihm die
geheim gehaltenen Motive meiner Abneigung gegen seine Reise kundgebe.
Man darf ganz allgemein erstaunt sein, daß der Wahrheitsdi ang
der Menschen soviel stärker ist, als man ihn für gewöhnlich einschätzt.
Vielleicht ist es übrigens eine Folge meiner Beschäftigung mit der
Psychoanalyse, daß ich kaum mehr lügen kann. So oft ich eine Ent-
stellung versuche, unterhege ich einer Irrung oder anderen Fehlleistung,
durch die sich meine Unaufrichtigkeit wie in diesen und den vorstehenden
Beispielen verrät.
Der Mechanismus des Irrtums scheint der lockerste unter allen
Fehlleistungen, d. h. das Vorkommen des Irrtum* zeigt ganz allgemein
an, daß die betreffende seelische Tätigkeit mit irgend einem störenden
Einfluß zu kämpfen hatte, ohne daß die Art des Irrtums durch die
Qualität der im dunkeln gebliebenen störenden Idee determiniert wäre.
Wir tragen indeß an dieser Stelle nach, daß bei vielen einfachen Fällen
von Versprechen und Verschreiben derselbe Tatbestand anzunehmen
ist. Jedesmal, wenn wir uns versprechen oder versehreibeB, dürfen
wir eine Störung durch seelische Vorgänge außerhalb der Intention
erschließen, aber es ist zuzugeben, daß das Versprechen und Ver-
schreiben oftmals den Gesetzen der Ähnlichkeit, der Bequemlichkeit
oder der Neigung zur Beschleunigung folgt, ohne daß es dem Störenden
gelungen wäre, ein Stück seines eigenen Charakters in dem beim Ver-
sprechen oder Verschreiben resultierenden Fehler durchzusetzen.
Das Entgegenkommen des sprachlichen Materiales ermöglicht erst
die Determinierung des Fehlers und setzt derselben auch die Grenze.
Um nicht ausschließlich eigene Irrtümer anzuführen, will ich
noch zwei Beispiele mitteilen, die allerdings ebensowohl beim Ver-
sprechen und Vergreifen hätten eingereiht werden können, was aber
bei der Gleichwertigkeit all dieser Weisen von Fehlleistung bedeutungslos
zu nennen ist.
a) Ich habe einem Patienten untersagt, die Gehebte, mit der er
selbst brechen möchte, telephonisch anzurufen, da jedes Gespräch
den Abgewöhnungskampf von neuem entfacht. Er soll ihr seine letzte
Meinung schreiben, wiewohl es Schwierigkeiten hat, ihr Briefe zuzu-
stellen. Er besucht mich nun um 1 Uhr, um mir zu sagen, daß er
einen Weg gefunden hat, der diese Schwierigkeiten umgeht, fragt auch
unter anderem, ob er sich auf meine ärztliche Autorität berufen darf.
104
Irrtümer.
Um 2 Uhr ist er mit der Abfassung des Absagebnefes beschäftigt,
unterbricht sich plötzlich, sagt der dabei anwesenden Mutter: Jetzt
habe ich vergessen, den Professor zu fragen, ob ich in dem Brief seinen
Namen nennen darf, eilt zum Telephon, läßt sich verbinden und ruft
die Frage ins Rohr: Bitte, ist der Herr Professor schon nach dem
Speisen zu sprechen? Als Antwort tönt ihm ein erstauntes „Adolf,
bist Du verrückt geworden?" entgegen und zwar von der nämlichen
Stimme, die er nach meinem Gebote nicht mehr hätte hören sollen.
Er hatte sich bloß „geirrt" und anstatt der Nummer des Arztes die
der Geliebten angegeben.
b) In einer Sommerfrische hat der Schullehrer, ein ganz armer,
aber stattlicher junger Mann, der Tochter eines Villenbesitzers aus
der Großstadt so lange den Hof gemacht, bis das Mädchen sich leiden-
schaftlich in ihn verhebt und auch ihre Familie bewogen hat, die
Heirat trotz der bestehenden Standes- und Rassenunterschiede gut-
zuheißen. Da schreibt der Lehrer eines Tages seinem Bruder einen
Brief, in dem es heißt: Schön ist das Dirndl ja gar nicht, aber recht
lieb, und soweit wäre gut. Ob ich mich aber werd" entschließen können,
eine Jüdin zu heiraten, das kann ich Dir noch nicht sagen. Dieser
Brief gerät in die Hände der Braut und macht dem Verlöbnis ein Ende,
während der Bruder sich gleichzeitig über die an ihn gerichteten Liebes-
beteuerungen zu verwundern hat. Mein Gewährsmann versicherte
mir, daß hier Irrtum und nicht eine schlaue Veranstaltung vorlag.
Mir ist auch ein anderer Fall bekannt geworden, in dem eine Dame,
die, mit ihrem alten Arzt unzufrieden, ihm doch nicht offen absagen
wollte, diesen Zweck mittelst einer Briefverwechslung erreichte, und
wenigstens hier kann ich dafür einstehen, daß der Irrtum und nicht
die bewußte List sich des bekannten Lustspielmotivs bedient hat.
Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irrtümern,
für die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr zahlreich oder besonders
bedeutungsvoll zu halten. Ich gebe aber zu bedenken, ob man nicht
Grund hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung der
ungleich wichtigeren Urteilsirrtümer der Menschen im Leben
und in der Wissenschaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und
ausgeglichensten Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild der
wahrgenommenen äußeren Realität vor der Verzerrung zu bewahren,
die es sonst beim Durchgang durch die psychische Individualität des
Wahrnehmenden erfährt.
Kombinierte Fehlleistungen.
I°5
XI.
Kombinierte Fehlleistungen.
Zwei der letzterwähnten Beispiele, mein Irrtum, der die Mediceer
nach Venedig bringt, und der des jungen Mannes, der ein telephonisches
Gespräch mit seiner Geliebten dem Verbote abzutrotzen weiß, haben
eigentlich eine ungenaue Beschreibung gefunden und stellen sich bei
sorgfältigerer Betrachtung als Vereinigung eines Vergessens mit einem
Irrtum dar, Dieselbe Vereinigung kann ich noch deutlicher an einigen
anderen Beispielen aufzeigen.
a) Ein Freund teilt mir folgendes Erlebnis mit: Ich habe vor
einigen Jahren die Wahl in den Ausschuß einer bestimmten Literarischen
Vereinigung angenommen, weil ich vermutete, die Gesellschaft könnte
mir einmal behilflich sein, eine Aufführung meines Dramas durch-
zusetzen, und nahm regelmäßig, wenn auch ohne viel Interesse, an
den jeden Freitag stattfindenden Sitzungen teil. Vor einigen Monaten
erhielt ich nun die Zusicherung einer Aufführung am Theater in F.,
und seither passierte es mir regelmäßig, daß ich an die Sitzungen jenes
Vereins vergaß. Als ich Ihre Schrift über diese Dinge las, schämte
ich mich meines Vergessens, machte mir Vorwürfe, es sei doch eine
Gemeinheit, daß ich jetzt ausbleibe, nachdem ich die Leute nicht mehr
brauche, und beschloß, nächsten Freitag gewiß nicht zu vergessen.
Ich erinnerte mich an diesen Vorsatz immer wieder, bis ich ihn aus-
führte und vor der Tür des Sitzungssaales stand. Zu meinem Er-
staunen war sie geschlossen, die Sitzung war schon vorüber; ich hatte
mich nämlich im Tage geirrt; es war schon Samstag!
b) Das nächste Beispiel ist eine Kombination einer Symptom-
handlung mit einem Verlegen; es ist auf entfernteren Umwegen, aber
aus guter Quelle zu mir gelangt.
Eine Dame reist mit ihrem Schwager, einem berühmten Künstler,
nach Rom. Der Besucher wird von den in Rom lebenden Deutschen
sehr gefeiert und erhält unter anderem eine goldene Medaille antiker
Herkunft zum Geschenk. Die Dame kränkt sich darüber, daß ihr
Schwager das schöne Stück nicht genug zu schätzen weiß. Nachdem
sie, von ihrer Schwester abgelöst, wieder zu Hause angelangt ist, ent-
deckt sie beim Auspacken, daß sie die Medaille — sie weiß nicht, wie
— mitgenommen hat. Sie teilt es sofort dem Schwager brieflich mit
und kündigt ihm an, daß sie das Entführte am nächsten Tage nach
Rom zurückschicken wird. Am nächsten Tage aber ist die Medaille
IOÖ Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
so geschickt verlegt, daß sie unauffindbar und unabsendbar ist, und
dann dämmert der Dame, was ihre „Zerstreutheit" bedeute, nämlich,
daß sie das Stück für sich selbst behalten wolle.
Ich will nicht behaupten, daß solche Fälle von kombinierten Fehl-
leistungen etwas neues lehren können, was nicht schon aus den Einzel-
fällen zu ersehen wäre, aber dieser Formenwechsel der Fehlleistung
bei Erhaltung desselben Erfolgs gibt doch den plastischen Eindruck
eines Willens, der nach einem bestimmten Ziele strebt, und wider-
spricht in ungleich energischerer Weise der Auffassung, daß die Fehl-
leistung etwas zufälliges und der Deutung nicht bedürftiges sei. Es
darf uns auch auffallen, daß es in diesen Beispielen einem bewußten
Vorsatz so gründlich mißlingt, den Erfolg der Fehlleistung hintanzu-
halten. Mein Freund setzt es doch nicht durch, die Vereinssitzung
zu besuchen, und die Dame findet sich außer Stande, sich von der
Medaille zu trennen. Jenes Unbekannte, das sich gegen diese Vor-
sätze sträubt, findet einen anderen Ausweg, nachdem ihm der erste
Weg versperrt wird. Zur Überwindung des unbekannten Motivs ist
nämlich noch etwas anderes als der bewußte Gegenvorsatz erforder-
lich; es brauchte eine psychische Arbeit, welche das Unbekannte dem
Bewußtsein bekannt macht.
XII.
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben.
— Gesichtspunkte.
Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen
kann man folgende Einsicht hinstellen : Gewisse Unzuläng-
lichkeiten unserer psychischen Leistungen —
deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll
— und gewisse absichtslos erscheinende Verrich-
tungen erweisen sich, wenn man das Verfahren
der psychoanalytischen Untersuchung auf sie
anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Be-
wußtsein unbekannte Motive determiniert.
Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene eingereiht
zu werden, muß eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen
genügen :
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 107
a) Sie darf nicht über ein gewisses Maß hinausgehen, welches
von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Ausdruck „inner-
halb der Breite des Normalen" bezeichnet wird.
b) Sie muß den Charakter der momentanen und mi« eiligen
Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vorher
korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter
auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen
wir die Richtigkeit der Korrektur und die Unrichtigkeit unseres eigenen
psychischen Vorganges sofort erkennen.
c) Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen
wir von einer Motivierung derselben nichts in uns verspüren, sondern
müssen versucht sein, sie durch „Unaufmerksamkeit" zu erklären oder
als „Zufälligkeit" hinzustellen.
Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen
und die Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen,
Verschreiben, Vergreifen und die sog. Zufallshandlungen. Die glei
Zusammensetzung mit der Vorsilbe v e r deutet für die meisten dieser
Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Auf-
klärung dieser so bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber eine
Reihe von Bemerkungen an, die zum Teil ein weitergehendes Interesse
erwecken dürfen.
I. Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als un-
aufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Um-
fang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und
noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im
Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literarhistorikers R. M. Meyer in
der „Zeit" ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, daß es
unmöglich ist, absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren.
Seit längerer Zeit weiß ich, daß man es nicht zustande bringt, sich
eine Zahl nach freiem Beheben einfallen zu lassen, ebensowenig u ie
etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich ge-
bildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene
Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich
nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel
eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein
analoges Beispiel einer „gedankenlos hingeworfenen" Zahl ausführlicher
analysieren.
a) Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patientinnen
für die Publikation herzurichten, erwäge ich. welchen Vornamen ich
ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr groß; gewiß
I08 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
schließen sich einige Namen von vorne herein aus, in erster Linie der
echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen,
an denen ich Anstoß nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen
von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um
einen solchen Namen nicht verlegen zu sein. Man sollte erwarten und
ich erwarte selbst, daß sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen
zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf,
kein zweiter neben ihm, der Name D o r a. Ich (rage nach seiner
Determinierung. Wer heißt denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte
ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, daß das Kinder-
mädchen meiner Schwester so heißt. Aber ich besitze soviel Selbst-
zucht oder Übung im Analysieren, daß ich den Einfall festhalte und
weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des
vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung bringt, Ich
sah auf dem Tisch im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief
liegen mit der Aufschrift: „An Fräulein Rosa W." Erstaunt fragte
ich, wer so heißt, und wurde belehrt, daß die vermeintliche Dora
eigentlich Rosa heißt, und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus
ablegen mußte, weil meine Schwester den Ruf „Rosa" auch auf ihre
eigene Person beziehen kann. Ich sage bedauernd: Die armen Leute,
nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt
besinne, wurde ich dann für einen Moment still und begann an allerlei
ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklare verliefen, die ich mir jetzt
aber leicht bewußt machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag
nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen
nicht beibehalten durfte, fiel mir kein anderer als „Dora"
ein. Die Ausschließlichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Ver-
knüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch
für den Verlauf der Kur entscheidender Einfluß von der im fremden
Haus dienenden Person, von einer Gouvernante, her.
Diese kleine Begebenheit fand Jahre später eine unerwarirte
Fortsetzung. Als ich einmal die längst veröffentlichte Krankenge-
schichte des nun Dora genannten Mädchens in meiner Vorlesung be-
sprach, fiel mir ein, daß ja eine meiner beiden Hörerinnen den gleichen
Namen Dora, den ich in den verschiedensten Verknüpfungen so oft
auszusprechen hatte, trage, und ich wandle mich an die junge Kollegin,
die mir auch persönlich bekannt war. mit der Entschuldigung, ich
hätte wirklich nicht daran gedacht, daß sie auch so heiße, sei aber gern
bereit, den Namen in der Vorlesung durch einen anderen zu ersetzen.
Ich hatte nun die Aufgabe, rasch einen anderen zu wählen, und überlegte
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. IOQ
dabei, jetzt dürfe ich nur nicht auf den Vornamen der anderen Hörerin
kommen und so den psychoanalytisch bereits geschulten Kollegen
ein schlechtes Beispiel geben. Ich war also sehr zufrieden, als mir
zum Ersatz für Dora der Name Erna einfiel, dessen ich mich nun
im Vortrage bediente. Nach der Vorlesung fragte ich mich, woher
wohl der Name Erna stammen möge, und mußte lachen, als ich
merkte, daß die gefürchtete Möglichkeit sich bei der Wahl des Ersatz-
namens dennoch, wenigstens teilweise, durchgesetzt hatte. Die andere
Dame hieß mit ihrem Familiennamen L u c e r n a , wovon Erna
ein Stück ist.
ß) In einem Briefe an einen Freund kündige ich ihm an, daß ich
jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe und nichts
mehr an dem Werk ändern will, „möge es auch 2467 Felder enthalten."
Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine
Analyse noch als Nachschrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich
jetzt, wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:
„Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltags-
lebens. Du findest im Brief die Zahl 2467 als übermütige Willkiir-
Itzoog der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll
heißen : irgend eine große Zahl, und da stellt sich diese ein. Nun gibt
es aber nichts Willkürliches, Undetcrminiertes im Psychischen. Du
wirst also auch mit Recht erwarten, daß das Unbewußte sich beeilt
hat, die Zahl zu determinieren, die von dem Bewußten freigelassen
wurde. Nun hatte ich gerade vorher in der Zeitung gelesen, daß ein
General E. M. als Feldzeugnuistei in den Ruhestand getreten ist. Du
mußt wissen, der Mann interessiert mich. Während ich als militär-
ärztlicher Eleve diente, kam er einmal, damals Oberst, in den Kranken-
stand und sagte zum Arzt: „Sie müssen mich aber in 8 Tagen gesund
machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet. "
Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen,
und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzeugmeister
und schon im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in welcher Zeit
er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an, daß ich ihn 1882 im Spital
gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich erzähle meiner Frau davon
und sie bemerkt: „Da müßtest Du also auch schon im Ruhestand
sein?" Und ich protestiere: Davor bewahre mich Gott. Nach diesem
1 .1 sprach setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben. Der frühere
Gedankengang setzt sich aber fort und mit gutem Recht. Es War
falsch gerechnet ; ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Erinnerung.
Meine Großjährigkeit, meinen 24. Geburtstag also, habe ich im Militär-
IIO Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
rarest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte). Das
war also 1880: es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl 24 in
2467! Nimm nun meine Alterszahl 43 und gib 24 Jahre hinzu, so
bekommst Du die 67! D. h. auf die Frage, ob ich auch in den Ruhe-
stand treten will, habe ich mir im Wunsch noch 24 Jahre Arbeit zu-
gelegt. Offenbar bin ich gekränkt darüber, daß ich es in dem Intervall,
durch das ich den Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe,
und doch wie in einer Art von Triumph darüber, daß er jetzt schon fertig
ist, während ich noch Alles vor mir habe. Da darf man doch mit Recht
sagen, daß nicht einmal die absichtslos hingeworfene Zahl 2467 ihrer
Determinierung aus dem Unbewußten entbehrt."
Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar will-
kürlich gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit
dem nämlichen Erfolg wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr
intimen Inhalts, daß sie sich der Mitteilung entziehen.
Gerade darum aber will ich es nicht versäumen, eine sehr interessante
Analyse eines „Zahleneinfalls" hier anzufügen, welche mein Kollege
Dr. AlfredAdler von einem ihm bekannten „durchaus gesunden"
Gewährsmann erhielt: 1 ) A. schreibt mir: „Gestern Abend habe ich mich
über die „Psychopathologie des Alltags" hergemacht und ich hätte
das Buch gleich ausgelesen, wenn mich nicht ein merkwürdiger
Zwischenfall gehindert hätte. Als ich nämlich las, daß jede Zahl, die
wir scheinbar ganz willkürlich ins Bewußtsein rufen, einen bestimmten
Sinn hat, beschloß ich, einen Versuch zu machen. Es fiel mir die Zahl
1734 ein. Nun überstürzten sich folgende Einfälle:
1734 : 17 = 102; 102: 17 = 6. Dann zerreiße ich die Zahl in 17 und
34. Ich bin 34 Jahre alt. Ich betrachte, wie ich Jhnen, glaube ich,
einmal gesagt habe, das 34. Jahr als das letzte Jugendjahr, und ich habe
mich darum an meinem letzten Geburtstag sehr miserabel gefühlt. Am
Ende meines 17. Jahres begann für mich eine sehr schöne und interessante
Periode meiner Entwicklung. Ich teile mein Leben in Abschnitte
von 17 Jahren. Was haben nun die Divisionen zu bedeuten? Es fällt
mir zu der Zahl 102 ein, daß die Nummer 102 der Reclam'schen Uni-
versalbibliothek das K 1 z e b u e'sche Stück „Measchenhaß und R»
enthält.
Mein gegenwärtiger psychischer Zustand ist Menschenhaß und Reue.
Nr. 6 der U.-B. (ich weiß eine ganze Menge Nummern auswendig) ist
•) Alf. Adler. Drei Psycho- Analysen von Zahleneinfällen und obsedieren-
den Zahlen. Psych.-Neur. Wochenschrift. Nr. 38, 1905.
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. i i i
M ü 1 1 n e r s „Schuld". Mich quält in einem (ort der Gedanke, daß
ich durch meine Schuld nicht geworden bin, was ich nach meinen
Fähigkeiten hätte werden können. Weiter fällt mir ein, daß Nr. 34
der U.-B. eine Erzählung desselben Müllner, betitelt „Der Kaliber"
enthält. Ich zerreiße das Wort in „Ka liber"; weiter fällt mir ein, daß
es die Worte „Ah" und „Kali" enthält. Das erinnert mich daran, daß
ich einmal mit meinem (6 jährigen) Sohn Ali Reime machte. Ich forderte
ihn auf, einen Reim auf Ah zu suchen. Es fiel ihm keiner ein und ich
sagte ihm, als er einen von mir wollte: „Ali reinigt den Mund mit hyper-
mangansaurem Kali." Wir lachten viel und Ah war sehr heb. In den
letzten Tagen mußte ich mit Verdruß konstatieren, daß er „ka (kein)
lieber Ali sei."
„Ich fragte mich nun: Was ist Nr. 17 der U.-B.?, konnte es aber
nicht herausbringen. Ich habe es aber früher ganz bestimmt gewußt,
nehme also an, daß ich diese Zahl vergessen wollte. Alles Nachsinnen
blieb umsonst. Ich wollte weiter lesen, las aber nur mechanisch, ohne
ein Wort zu verstehen, da mich die 17 quälte. Ich löschte das Licht
aus und suchte weiter. Schließlich fiel mir ein, daß Nr. 17 ein Stück
von Shakespeare sein muß. Welches aber? Es fällt mir ein: Hero und
Leander. Offenbar ein blödsinniger Versuch meines Willens, mich ab-
zulenken. Ich stehe endlich auf und suche den Katalog der U.-B.
Nr. 17 ist „Macbeth". Zu meiner Verblüffung muß ich konstatieren,
daß ich von dem Stück fast gar nichts weiß, trotzdem es mich nicht
weniger beschäftigt hat als andere Dramen Shakespeares. Es fällt
mir nur ein: Mörder, Lady Macbeth, Hexen, „Schön ist häßlich", und
daß ich seinerzeit Schillers Macbethbearbeitung sehr schön gefunden
habe. Zweifellos habe ich also auch das Stück vergessen wollen. Noch
fällt mir ein. daß 17 und 34 durch 17 dividiert 1 und 2 ergibt. Nr. 1
und 2 der U.-B. ist Goethes „Faust". Ich habe früher sehr viel Fausii-
sches in mir gefunden."
Wir müssen bedauern, daß die Diskretion des Arztes uns keinen
Einblick in die Bedeutung dieser Reihe von Einfällen gegönnt hat.
Adler bemerkt, daß dem Manne die Synthese seiner Auseinander-
setzungen nicht gelungen ist. Dieselben würden uns auch kaum mit-
teilenswert erschienen sein, wenn in deren Fortsetzung nicht etwas
aufträte, was uns den Schlüssel zum Verständnis der Zahl 1734 und der
ganzen Einfallsreihe in die Hand spielte.
„Heute früh hatte ich freilich ein Erlebnis, das sehr für die Richtig-
keit der Freud sehen Auffassung spricht. Meine Frau, die ich beim
112 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
Aufstehen des Nachts aufgeweckt hatte, fragte mich, was ich denn
mit dem Katalog der U.-B. gewollt hätte. Ich erzählte ihr die Geschichte.
Sie fand, daß alles Rabulistik sei, nur — sehr interessant! — den
Macbeth, gegen den ich mich so sehr gewehrt hatte, ließ sie gelten.
Sie sagte, ihr falle gar nichts ein, wenn sie sich eine Zahl denke. Ich
antwortete: „Machen wir eine Probe." Sie nennt die Zahl 117. Ich
erwidere darauf sofort: „17 ist eine Beziehung auf das, was ich Dir er-
zählt habe. Ferner habe ich Dir gestern gesagt: wenn eine Frau im
Sa. Jahre steht und ein Mann im 35., so ist das ein arges Mißverhältnis."
Ich frozzle seit ein paar Tagen meine Frau mit der Behauptung, daß sie
ein altes Mütterchen von 82 Jahren sei. 82 +35 = 117"
Der Mann, der seine eigene Zahl nicht zu determinieren wußte,
fand also sofort die Auflösung, als seine Frau ihm eine angebüch will-
kürlich gewählte Zahl nannte. In Wirklichkeit hatte die Frau sehr
wohl aufgefaßt, aus welchem Komplex die Zahl ihres Mannes stammte,
und wählte die eigene Zahl aus dem nämlichen Komplex, der gewiß
beiden Personen gemeinsam war, da es sich in ihm um das Alters-
vnhiiltnis der beiden handelte. Wir haben es nun leicht, den Zahlen-
einfall des Mannes zu übersetzen. Er spricht, wie Dr. Adler an-
deutet, einen unterdrückten Wunsch des Mannes aus, der voll ent-
wickelt lauten würde: „Zu einem Manne von 34 Jahren, wie i< b
einer bin, paßt nur eine Frau von 17 Jahren."
Damit man nicht allzu geringschätzig von solchen „Spielereien"
denken möge, will ich hinzufügen, was ich kürzlich von Dr. Adler
erfahren habe, daß ein Jahr nach Veröffentlichung dieser Analyse der
Mann von seiner Frau geschieden war. 1 )
Ähnliche Aufklärungen gibt Adler für die Entstehung obse-
dierender Zahlen. Ein hübsches Beispiel von Herleitung eines obse-
dierenden, d. h. verfolgenden Wortes findet sich bei J u n g (Diagnost.
Assoziationsstudien IV, S. 215). „Eine Dame erzählte mir, daß ihr
seit einigen Tagen beständig das Wort „Taganrog" im Munde
liege, ohne daß sie eine Idee habe, woher das komme. Ich fragte die
Dame nach den affektbetonten Ereignissen und verdrängten Wünschen
») Zur Aufklärung des „Macbeth" Nr. 17 der U.-B. teilt mir Adler mit.
daß der betreffende in seinem 17. Lebensjahr einer anarchistischen Gesellschaft
beigetreten war, die sich den Königsmord zum Ziel gesetzt hatte. Darum v
wohl der Inhalt des Macbeth dem Vergessen. Zu jener Zeit erfand die nämliche
Person eine Geheimschrift, in der die Buchstaben durch Zahlen ersetzt waren.
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte, i [ 3
der Jüngstvergangenheit. Nach einigem Zögern erzählte sie mir,
daß sie sehr gerne einen „Morgenrock" hätte, ihr Mann aber
nicht das gewünschte Interesse dafür habe. „Morgen -rock: Tag-
an-rock", man sieht die partielle Sinn- und Klangverwandtschatt.
Die Determination der russischen Form kommt daher, daß ungefähr
zu gleicher Zeit die Dame eine Persönlichkeit aus Taganrog kennen
gelernt hatte."
In eigenen Analysen dieser Art ist mir zweierlei besonders auf-
fällig: Erstens die geradezu somnambule Sicherheit, mit der ich auf
das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in einen rechnenden Gedanken-
gang versenke, der dann plötzlich bei der gesuchten Zahl angelangt
ist, und die Raschheit, mit der sich die ganze Nacharbeit vollzieht;
zweitens aber der Umstand, daß die Zahlen meinem unbewußten
Denken so bereitwillig zur Verfügung stehen, während ich ein schlechter
Rechner bin und die größten Schwierigkeiten habe, mir Jahreszahlen,
Hausnummern und dergleichen bewußt zu merken. Ich finde übrigens
in diesen unbewußten Gedankenoperationen mit Zahlen eine Neigung
zum Aberglauben, deren Herkunft mir lange Zeit fremd gebheben ist.
II. Diese Einsicht in die Determinierung scheinbar willkürlich
gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klärung eines anderen
Problems beitragen. Gegen die Annahme eines durchgehenden psy-
chischen Determinismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf
ein besonderes Uberzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens.
Dieses Überzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben
an den Determinismus nicht. Es muß wie alle normalen Gefühle
durch irgend etwas berechtigt sein. Es äußert sich aber, soviel ich
beobachten kann, nicht bei den großen und wichtigen Willensent-
scheidungen; bei diesen Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung
des psychischen Zwanges und beruft sich gerne auf sie („Hier stehe
ich, ich kann nicht anders"). Hingegen möchte man gerade bei den
belanglosen, indifferenten Entschließungen versichern, daß man
ebensowohl anders hätte handeln können, daß man aus freiem, nicht
motiviertem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht
man nun das Recht des Überzeugungsgefühles vom freien Willen
nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der Motivierung
aus dem Bewußten von der Motivierung aus dem Unbewußten ein,
so berichtet uns das Uberzeugungsgefühl, daß die bewußte Motivierung
sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen erstreckt.
Minima non curat praetor. Was aber so von der einen Seite frei ge-
lassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus
Freud. Psychopathologie des Alltagsleben». 8
114 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
dem Unbewußten, und so ist die Determiniening im Psychischen
doch lückenlos durchgeführt. 1 )
III. Wenngleich dem bewußten Denken die Kenntnis von der
Motivierung der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen Sach-
lage abgehen muß, so wäre es doch erwünscht, einen psychologischen
Beweis für deren Existenz aufzufinden; ja es ist aus Gründen, die sich
bei näherer Kenntnis des Unbewußten ergeben, wahrscheinlich, daß
solche Beweise irgendwo auffindbar sind. Es lassen sich wirklich
auf zwei Gebieten Phänomene nachweisen, welche einer unbewußten
und darum verschobenen Kenntnis von dieser Motivierung zu ent-
sprechen scheinen.
a) Es ist ein auffälliger und allgemein bemerkter Zug im Ver-
halten der Paranoiker, daß sie den kleinen, sonst von uns vernach-
lässigten Details im Benehmen der anderen die größte Bedeutung
beilegen, dieselben ausdeuten und zur Grundlage weitgehender
Schlüsse machen. Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe,
schloß auf ein allgemeines Einverständnis in seiner Umgebung, weil
die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung
mit der einen Hand gemacht hatten. Ein anderer hat die Art notiert,
wie die Leute auf der Straße gehen, mit den Spazierstöcken fuchteln
und dgl. f )
Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Bedürftigen,
welche der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Lei-
stungen und Fehlleistungen gelten läßt, verwirft der Paranoiker also
l ) Diese Anschauungen über die strenge Determinierung anscheinend will-
kürlicher psychischer Aktionen haben bereits reiche Früchte für die Psychologie,
— vielleicht auch für die Rechtspflege — getragen. Bleuler und Jung
haben in diesem Sinne die Reaktionen beim sogenannten Assoziationsexperiment
verständlich gemacht, bei dem die untersuchte Person auf ein ihr zugerufenes
Wort mit einem ihr dazu einfallenden antwortet (Reizwort-Reaktion) und die
indes verlaufende Zeit gemessen wird (Reaktionszeit). Jung hat in seinen „Diag-
nostischen Assoziationsstudien 1906" gezeigt, welch feines Reagens für spychische
Zustände wir in dem so gedeuteten Assoziationsexperiment besitzen. Zwei Schüler
des Strafrechtslehrers H. Groß in Prag. Wertheimer und Klein haben
aus diesen Experimenten eine Technik zur „Tatbestands-Diagnostik" in straf-
rechtlichen Fällen entwickelt, deren Prüfung gegenwärtig Psychologen und Juristen
beschäftigt.
*) Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man diese Beurteilung
unwesentlicher und zufälliger Äußerungen bei anderen zum „Beziehungswahn"
gerechnet.
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 115
in der Anwendung auf die psychischen Äußerungen der anderen. Alle-,
was er an den anderen bemerkt, ist bedeutungsvoll, alles ist deutbar.
Wie kommt er nur dazu? Er projiziert wahrscheinlich in das Seelen-
leben der anderen, was im eigenen unbewußt vorhanden ist, hier wie
in so vielen ähnlichen Fällen. In der Paranoia drängt sich eben so
vielerlei zum Bewußtsein durch, was wir bei Normalen und Neurotikern
erst durch die Psychoanalyse als im Unbewußten vorhanden nach-
weisen. 1 ) Der Paranoiker hat also hierin in gewissem Sinne Recht,
er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sieht schärfer als das
normale Denkvermögen, aber die Verschiebung des so erkannten
Sachverhaltes auf andere macht seine Erkenntnis wertlos. Die Recht-
fertigung der einzelnen paranoischen Deutungen wird man dann
hoffentlich von mir nicht erwarten. Das Stück Berechtigung aber,
welches wir der Paranoia bei dieser Auffassung der Zufallshandlungen
zugestehen, wird uns das psychologische Verständnis der Überzeugung
erleichtern, welche sich beim Paranoiker an alle diese Deutungen
geknüpft hat. Es ist eben etwas Wahres daran; auch
unsere nicht als krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben
das ihnen zugehörige Uberzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies
Gefühl ist für ein gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges
oder für die Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird dann von
uns auf den übrigen Zusammenhang ausgedehnt.
I>) Ein anderer Hinweis auf die unbewußte und verschobene
Kenntnis der Motivierung bei Zufalls- und Fehlleistungen findet sich
in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Meinung dun h
die Diskussion des kleinen Erlebnisses klar legen, welches für mich
der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war.
Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken
alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeits-
jahr beschäftigen sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr alten Dame,
bd '!ci ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen Mani-
pulationen zweimal täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmig-
keit haben sich unbewußte Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu
der Kranken und während der Beschäftigung mit ihr Ausdruck ver-
») Die durch Analyse bewußt zu machenden Pliantasien der Hysteriker
von sexuellen und grausamen MiOhandlungen decken sich z. B. gelegentlich bis
ins Einzelne mit den Klagen verfolgter Paranoiker. Es ist bemerkenswert, aber
nicht unverständlich, wenn der identische Inhalt uns auch als Realität in den
Veranstaltungen Perverser zur Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt.
8*
1 1 6 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
schafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es liegt also nahe, sich bei Beginn eines
jeden Jahres zu fragen, wie lange sie wohl noch zu leben hat. An dem
Tage, von dem ich erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagen,
der mich vor ihr Haus führen soll. Jeder der Kutscher auf dem Wagen-
standplatz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, denn
jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignet es sich
nun, daß der Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern vor dem gleich-
bezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich aussehenden
Parallelstraße Halt macht. Ich merke den Irrtum und werfe ihn dem
Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten,
daß ich vor ein Haas geführt werde, in dem ich die alte Dame nicht
vorfinde ? Für mich gewiß nicht, aber wenn ich abergläubisch
wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen
Fingerzeig des Schicksals, daß dies Jahr das letzte für die alte Frau
sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt
hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen. Ich er-
kläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.
Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuß gemacht
und dann in „Gedanken", in der „Zerstreutheit" vor das Haus der
Parallelstraße anstatt vors richtige gekommen wäre. Das würde
ich für keinen Zufall erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige
Handlung mit unbewußter Absicht. Diesem „Vergehen" müßte
ich wahrscheinlich die Deutung geben, daß ich die alte Dame bald
nicht mehr anzutreffen erwarte.
Ich unterscheide k mich also von einem Abergläubischen in
folgendem :
Ich glaube nicht, daß ein Ereignis, an dessen Zustandekommen
mein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zu-
künftige Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, daß
eine unbeabsichtigte Äußerung meiner eigenen Seelentätigkeit mir
allerdings etwas Verborgenes enthüllt, was wiederum nur meinem
Seelenleben angehört; ich glaube zwar an äußeren (realen) Zufall,
aber nicht an innere (psychische) Zufälligkeit. Der Abergläubische
umgekehrt: er weiß nichts von der Motivierung seiner zufälligen Hand-
lungen und Fehlleistungen, er glaubt, daß es psychische Zufälligkeiten
gibt; dafür ist er geneigt, dem äußeren Zufall eine Bedeutung zuzu-
schreiben, die sich im realen Geschehen äußern wird, im Zufall ein
Ausdrucksmittel für etwas draußen ihm Verborgenes zu sehen. Die
Unterschiede zwischen mir und dem Abergläubischen sind zwei:
11s projiziert er eine Motivierung nach außen, die ich innen suche;
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. l i 7
zweitens deutet er den Zufall durch ein Geschehen, den ich auf einen
Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene bei ihm entspricht
dem Unbewußten bei mir, und der Zwang, den Zufall nicht als Zufall
gelten zu lassen, sondern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.
Ich nehme nun an, daß diese bewußte Unkenntnis und unbewußte
Kenntnis von der Motivierung der psychischen Zufälligkeiten eine
der psychischen Wurzeln des Aberglaubens ist. \V e i 1 der Aber-
gläubische von der Motivierung der eigenen zufälligen Handlungen
nichts weiß, und weil die Tatsache dieser Motivierung nach einem
Platz in seiner Anerkennung drängt, ist er genötigt, sie durch Ver-
schiebung in der Außenwelt unterzubringen. Besteht ein solcher Zu-
sammenhang, so wird er kaum auf diesen einzelnen Fall beschränkt
sein. Ich glaube in der Tat, daß ein großes Stück der mythologischen
Welt auf fassung, die weit bis in die modernsten Religionen hinein reicht,
nichts anderes ist als in die Außenwelt projizierte
Psychologie. Die dunkle Erkenntnis (sozusagen : endopsychische
Wahrnehmung) psychischer Faktoren und Verhältnisse') des l'nhe-
wußten spiegelt sich — es ist schwer, es anders zu sagen, die Analogie
mit der Paranoia muß hier zur Hilfe genommen werden — in der Kon-
struktion einer übersinnlichen Realität, welche von der
Wissenschaft in Psychologie des Unbewußten zurück-
verwandelt werden soll. Man könnte sich getrauen, die Mythen vom
Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der
Unsterblichkeit und dgl. in solcher Weise aufzulösen, die Meta-
physik in Metapsychologie umzusetzen. Die Klutt
zwischen der Verschiebung des Paranoikers und der des Abergläubischen
ist minder groß, als sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen
zu denken begannen, waren sie bekanntlich genötigt, die Außenwelt
anthropomorphisch in eine Vielheit von Persönlichkeiten nach ihrem
Gleichnis aufzulösen; die Zufälligkeiten, die sie abergläubisch deuteten,
waren also Handlungen, Äußerungen von Personen, und sie haben sich
demnach genau so benommen wie die Paranoiker, welche aus den un-
scheinbaren Anzeichen, die ihnen die Anderen geben, Schlüsse sehen,
und wie die Gesunden alle, welche mit Recht die zufälligen und tu
absichtigten Handlungen ihrer Nebenmenschen zur Grundlage
Schätzung ihres Charakters machen. Der Aberglaube erscheint nui
■hr deplaziert in unserer modernen, naturwissenschaftliche:] ab«
noch keineswegs abgerundeten Weltanschauung; in der Weltanschai
M Die natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat.
I 1 8 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
vonvissenschaftlicher Zeiten und Völker war er berechtigt und
konsequent.
Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn ihm
ein widriger Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht; er handelte
konsequent nach seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unter-
nehmung abstand, weil er an der Schwelle seiner Tür gestolpert war
(,,Un Romain retournerait"), so war er uns Ungläubigen auch absolut
überlegen, ein besserer Seelenkundiger, als wir uns zu sein bemühen.
Denn dies Stolpern konnte ihm die Existenz eines Zweifels, einer Gegen-
strömung in seinem Innern beweisen, deren Kraft sich im Momente der
Ausführung von der Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des
vollen Erfolges ist man nämlich nur dann sicher, wenn alle Seelenkräfte
einig dem gewünschten Ziel entgegenstreben. Wie antwortet
Schillers Teil, der so lange gezaudert, den Apfel vom Haupt
seines Knaben zu schießen, auf die Frage des Vogts, wozu er den zweiten
Pfeil eingesteckt?
„Mit diesem zweiten Pfeil durchbohrt' ich — Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Euer — wahrlich — hätt' ich nicht gefehlt."
IV. Wer die Gelegenheit gehabt hat, die verborgenen Seelenregungen
der Menschen mit dem Mittel der Psychoanalyse zu studieren, der
kann auch über die Qualität der unbewußten Motive, die sich im Aber-
glauben ausdrücken, einiges Neue sagen. Am deutlichsten erkennt
man bei den oft sehr intelligenten, mit Zwangsdenken und Zwangs-
zuständen behafteten Nervösen, daß der Aberglaube aus unterdrürkten
feindseligen und grausamen Regungen hervorgeht. Aberglaube ist
zum großen Teile Unheilserwartung, und wer anderen häufig Böses
gewünscht, aber infolge der Erziehung zur Güte solche Wünsche ins
Unbewußte verdrängt hat, dem wird es besonders nahe liegen, die
Strafe für solches unbewußte Böse als ein ilim drohendes Unheil von
außen zu erwarten.
Wenn wir zugeben, daß wir die Psychologie des Aberglaubens
mit diesen Bemerkungen keineswegs erschöpft haben, so werden wir
auf der anderen Seite die Frage wenigstens streifen müssen, ob denn
reale Wurzeln des Aberglaubens durchaus zu bestreiten seien, ob es
gewiß keine Ahnungen, prophetische Träume, telepathische Erfahrungen,
Äußerungen übersinnlicher Kräfte u. dgl. gebe. Ich bin nun weit
davon entfernt, diese Phänomene überall so kurzer Hand aburteilen
zu wollen, über welche so viele eingehende Beobachtungen selbst
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 119
intellektuell hervorragender Männer vorliegen, und die am besten die
Objekte weiterer Untersuchungen bilden sollen. Es ist dann sogar zu
hoffen, daß ein Teil dieser Beobachtungen durch unsere beginnende
Erkenntnis der unbewußten seelischen Vorgänge zur Aufklärung ge-
langen wird, ohne uns zu grundstürzenden Abänderungen unserer
heutigen Anschauungen zu nötigen. Wenn noch andere, wie z. B.
die von den Spiritisten behaupteten Phänomene, erweisbar werden
sollten, so werden wir eben die von der neuen Erfahrung geforderten
Modifikationen unserer „Gesetze" vornehmen, ohne an dem Zusammen-
hang der Dinge in der Welt irre zu werden.
Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kann ich die nun auf-
geworfenen Fragen nicht anders als subjektiv, d. i. nach meiner persön-
lichen Erfahrung beantworten. Ich muß leider bekennen, daß ich
zu jenen unwürdigen Individuen gehöre, vor denen die Geister ihre
Tätigkeit einstellen und das Übersinnliche entweicht, so daß ich
niemals in die Lage gekommen bin, selbst etwas zum Wunderglauben
anregendes zu erleben. Ich habe wie alle Menschen Ahnungen gehabt
und Unheil erfahren, aber die beiden wichen einander aus, so daß
auf die Ahnungen nichts folgte, und das Unheil unangekündigt über
mich kam. Zur Zeit, als ich, ein junger Mann, allein in einer fremden
Stadt lebte, habe ich oft genug meinen Namen plötzlich von einer
unverkennbaren, teuern Stimme rufen hören, und mir dann den Zeit-
moment der Halluzination notiert, um mich besorgt bei den Daheim-
gebliebenen zu erkundigen, was um jene Zeit vorgefallen. Es war
nichts. Zum Ersatz dafür habe ich später ungerührt und ahnungslos
mit meinen Kranken gearbeitet, während mein liebes Kind einer Ver-
blutung zu erliegen drohte. Es hat auch keine der Alinungen, von
denen mir Patienten berichtet haben, meine Anerkennung als reales
Phänomen erwerben können.
Der Glaube an prophetische Träume zählt viele Anhänger, weil
er sich darauf stützen kann, daß manches sich wirklich in der Zukunft
so gestaltet, wie es der Wunsch im Traume vorher konstruiert hat.
Allein daran ist wenig zu verwundern, und zwischen dem Traum und
der Erfüllung lassen sich in der Regel noch weitgehende Abweichungen
nachweisen, welche die Gläubigkeit der Träumer zu vernachlässigen
liebt. Ein schönes Beispiel eines mit Recht prophetisch zu nennenden
Traumes bot mir einmal eine intelligente und wahrheitsliebende Patientin
zur genauen Analyse. Sie erzählte, daß sie einmal geträumt, sie treffe
ihren früheren Freund und Hausarzt vor einem bestimmten Laden
einer gewissen Straße, und als sie am nächsten Morgen in die Innere
1 20 Determinismus. — Zulalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
Stadt ging, traf sie ihn wirklich an der im Traum genannten Stelle.
Ich bemerke, daß dieses wunderbare Zusammentreffen seine Bedeutung
durch kein nachfolgendes Ereignis erwies, also nicht aus dem Zu-
künftigen zu rechtfertigen war.
Das sorgfältige Examen stellte fest, daß kein Beweis dafür vor-
liege, die Dame habe den Traum bereits am Morgen nach der Traum-
nacht, also vor dem Spaziergang und der Begegnung erinnert. Sie
konnte nichts gegen eine Darstellung des Sachverhaltes einwenden,
die der Begebenheit alles Wunderbare nimmt und nur ein interessantes
iiologisches Problem übrig läßt. Sie ist eines Vormittags durch
die gewisse Straße gegangen, hat vor dem einen Laden ihren alten
Hausarzt begegnet und nun bei seinem Anblick die Überzeugung
bekommen, daß sie die letzte Nacht von diesem Zusammentreffen an
der nämlichen Stelle geträumt habe. Die Analyse konnte dann mit
großer Wahrscheinlichkeit andeuten, wie sie zu dieser Überzeugung
gekommen war, welcher man ja nach allgemeinen Regeln ein gewisses
Anrecht auf Glaubwürdigkeit nicht versagen darf. Ein Zusammen-
treffen am bestimmten Orte nach vorheriger Erwartung, das ist ja
der Tatbestand eines Rendezvous. Der alte Hausarzt rief die Er-
innerung an alte Zeiten in ihr wach, in denen Zusammenkünfte mit
einer dritten, auch dem Arzt befreundeten Person für sie bedeutungs-
voll gewesen waren. Mit diesem Herrn war sie seitdem in Verkehr
geblieben und hatte am Tage vor dem angeblichen Traum vergeblich
auf ihn gewartet. Könnte ich die hier vorliegenden Beziehungen aus-
führlicher mitteilen, so wäre es mir leicht zu zeigen, daß die Illusion
des prophetischen Traumes beim Anblick des Freundes aus frül
Zeit äquivalent ist etwa folgender Rede: „Ach, Herr Doktor, Sie er-
innern mich jetzt an vergangene Zeiten, in denen ich niemals vergeblich
auf N. zu warten brauchte, wenn wir eine Zusammenkunft bestellt
hatten."
Von jenem bekannten „merkwürdigen Zusammentreffen", daß
man einer Person begegnet, mit welcher man sich gerade in Gedanken
beschäftigt hat, habe ich bei mir selbst ein einfaches und leicht zu
deutendes Beispiel beobachtet, welches wahrscheinlich ein gutes Vor-
bild für ähnliche Vorfälle ist. Wenige Tage, nachdem mir der Titel
eines Professors verliehen worden war, der in monarchisch eingerichteten
Staaten selbst viel Autorität verleiht, lenkten während eines Spazier-
ganges durch die Innere Stadt meine Gedanken plötzlich in eine kindische
Rachephantasie ein, die sich gegen ein gewisses Elternpaar richtete.
Diese hatten mich einige Monate vorher zu ihrem Töchterchen gerufen,
Determinismus. — Zulalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 12 1
bei dem sich eine interessante Zwangserscheinung im Anschluß an
einen Traum eingestellt hatte. Ich brachte dem Falle, dessen Genese
ich zu durchschauen glaubte, ein großes Interesse entgegen; meine
Behandlung wurde aber von den Eltern abgelehnt und mir zu verstehen
gegeben, daß man sich an eine ausländische Autorität, die mittelst
Hypnotismus heile, zu wenden gedenke. Ich phantasierte nun. daß
die Eltern nach dem völligen Mißglücken dieses Versuches mich bäten,
mit meiner Behandlung einzusetzen, sie hätten jetzt volles Vertrauen
zu mir usw. Ich aber antwortete: Ja, jetzt, nachdem ich auch Professor
geworden bin, haben Sie Vertrauen. Der Titel hat an meinen Fähig-
keiten weiter nichts geändert; wenn Sie mich als Dozenten nii ht
brauchen konnten, können Sie mich auch als Professor entbehren. —
An dieser Stelle wurde meine Phantasie durch den lauten Gruß: „Habe
die Ehre, Herr Professor" unterbrochen, und als ich aufschaute, ging
das nämliche Elternpaar an mir vorüber, an dem ich soeben durch
die Abweisung ihres Anerbietens Rache genommen hatte. Die nächste
Überlegung zerstörte den Anschein des Wunderbaren. Ich ging auf
einer geraden und breiten, fast menschenleeren Straße jenem Paar
entgegen, hatte bei einem flüchtigen Aufschauen, vielleicht zwanzig
Schritte von ihnen entfernt, ihre stattlichen Persönlichkeiten erblickt
und erkannt, diese Wahrnehmung aber — nach dem Muster einer
negativen Halluzination — aus jenen Gefühlsmotiven beseitigt, die
sich dann in der anscheinend spontan auftauchenden Phantasie zur
Geltung brachten.
In die Kategorie des Wunderbaren und Unheimlichen gehört noch
jene eigentümliche Empfindung, die man in manchen Momenten und
Situationen verspürt, als ob man genau das Nämliche schon einmal
erlebt hätte, sich in derselben Lage schon einmal befunden h.
ohne daß es je dem Bemühen gelingt, das frühere, das sich so an/
deutlich zu erinnern. Ich weiß, daß ich bloß dem lockeren Spi
gebrauch folge, wenn ich das, was sich in solchen Momenten in einen
regt, eine Empfindung heiße; es handelt sich wohl um ein Urteil und
zwar ein Erkennungsurteil, aber diese Fälle haben doch einen ganz
eigentümlichen Charakter, und daß man sich niemals an das Gesuchte
erinnert, darf nicht bei Seite gelassen werden. Ich weiß nicht, ob dies
Phänomen des „De ja vu" im Ernst zum Erweis einer früh
psychischen Existenz des Einzelwesens herangezogen worden ist :
aber haben die Psychologen ihm ihr Interesse zugewendet und die
Lösung des Rätsels auf den mannigfaltigsten spekulativen Wegen an-
gestrebt. Keiner der beigebrachten Erklärungsversuche scheint mir
122 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
richtig n *] in keinem etwas anderes als die Begleiterscheinungen
und begünstigenden Bedingungen des Phänomens in Betracht gezogen
wird. Jene psp bis. hin Vorgänge, welche nach meinen Beobachtungen
allein für die Erklärung des „Dejä vu" verantwortlich sind, die un-
bewußten Phantasien nämlich, werden ja heute noch von den Psycho-
logen allgemein vernachlässigt.
Ich meine, man tut Unrecht, die Empfindung des schon einmal
Erlebthabens als eine Illusion zu bezeichnen. Es wird vielmehr in
solchen Momenten wirklich an etwas gerührt, was man bereits einmal
erlebt hat, nur kann dies letztere nicht bewußt erinnert werden, weil
es niemals bewußt war. Die Empfindung des „Dejä vu" entspricht,
kurz gesagt, der Erinnerung an eine unbewußte Phantasie. Es gibt
unbewußte Phantasien (oder Tagträume), wie es bewußte solche
Schöpfungen gibt, die ein jeder aus seiner eigenen Erfahrung kennt.
Ich weiß, daß der Gegenstand der eingehendsten Behandlung
würdig wäre, will aber hier nur die Analyse eines einzigen Falles von
„Dejä vu" anführen, in dem sich die Empfindung durch besondere
Intensität und Ausdauer auszeichnete. Eine jetzt 37 jährige Dame
behauptet, daß sie sich aufs schärfste erinnere, im Alter von 12 '4 Jahren
habe sie einen ersten Besuch bei Schulfreundinnen auf dem Lande
gemacht, und als sie in den Garten eintrat, sofort die Empfindung
gehabt, hier sei sie schon einmal gewesen; diese Empfindung habe
sich, als sie die Wohnräume betrat, wiederholt, so daß sie vorher zu
wissen glaubte, welcher Raum der nächste sein würde, welche Aus-
sicht man von ihm aus haben werde usw. Es ist aber ganz aus-
geschlossen und durch ihre Erkundigung bei den Eltern widerlegt,
daß dieses Bekannt heitsgefühl in einem früheren Besuch des Hauses
und Gartens, etwa in ihrer ersten Kindheit, seine Quelle haben könne.
Die Dame, die das berichtete, suchte nach keiner psychologischen
Erklärung, sondern sah in dem Auftreten dieser Empfindung einen
prophetischen Hinweis auf die Bedeutung, welche eben diese Freun-
dinnen später für ihr Gefühlsleben gewannen. Die Erwägung der
Umstände, unter denen das Phänomen bei ihr auftrat, zeigt uns aber
den Weg zu einer anderen Auffassung. Als sie den Besuch unternahm,
wußte sie, daß diese Mädchen einen einzigen schwerkranken Bruder
hatten. Sie bekam ihn bei dem Besuch auch zu Gesichte, fand ihn
sehr schlecht aussehend und dachte sich, daß er bald sterben werde.
Nun war ihr eigener einziger Bruder einige Monate vorher an Diphtherie
gefährlich erkrankt gewesen; während seiner Krankheit hatte sie vom
Elternhause entfernt wochenlang bei einer Verwandten gewohnt. Sie
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 123
glaubt, daß der Bruder diesen Landbesuch mitmachte, meint sogar,
i sein erster größerer Ausflug nach der Krankheit gewesen; doch
ist ihre Erinnerung in diesen Punkten merkwürdig unbestimmt, während
alle anderen Details, und besonders das Kleid, das sie an jenem Tage
trug, ihr überdeutlich vor Augen stehen. Dem Kundigen wird es nicht
schwer fallen, aus diesen Anzeichen zu schließen, daß die Erwartung.
ihr Bruder werde sterben, bei dem Mädchen damals eine große Rolle
gespielt hatte und entweder nie bewußt geworden oder nach dem
glücklichen Ausgang der Krankheit energischer Verdrängung verfallen
war. Im anderen Falle hätte sie ein anderes Kleid, nämlich Trauer-
kleidung, tragen müssen. Bei den Freundinnen fand sie nun die analoge
Situation vor, den einzigen Bruder in Gefahr, bald zu sterben, wie es
auch kurz darauf wirklich eintraf. Sie hätte bewußt erinnern sollen,
daß sie diese Situation vor wenigen Monaten selbst durchlebt hatte:
anstatt dies zu erinnern, was durch die Verdrängung verhindert war.
übertrug sie das Erinnerungsgefühl auf die Lokalitäten, Garten und
Haus und verfiel der „fausse reconnaissance", daß sie das alles genau
ebenso schon einmal gesehen habe. Aus der Tatsache der Verdrängung
dürfen wir schließen, daß die seinerzeitige Erwartung, ihr Bruder
werde sterben, nicht weit entfernt vom Charakter einer Wunsch-
phantasie gewesen war. Sie wäre dann das einzige Kind geblieben.
In ihrer späteren Neurose litt sie in intensivster Weise unter der Angst,
ihre Eltern zu verlieren, hinter welcher die Analyse wie gewöhnlich
den unbewußten Wunsch des gleichen Inhalts aufdecken konnte.
Meine eigenen flüchtigen Erlebnisse von „dejä vu" habe ich mir
in ähnlicher Weise aus der Gefühlskonstellation des Moments ableiten
können. „Das wäre wieder ein Anlaß, jene [unbewußte und unbekannte]
Phantasie zu wecken, die sich damals und damals als Wunsch zur Ver-
besserung der Situation in mir gebildet hat".
V. Als leb unlängst Gelegenheit hatte, einem philosophisch gebildeten
Kollegen einige Beispiele von Namen vergessen mit Analyse vorzutragen,
beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr schön, aber bei mir geht das
Namenvergessen anders zu. So leicht darf man es sich offenbar nicht
machen; ich glaube nicht, daß mein Kollege je vorher an eine Analyse
bei Namenvergessen gedacht hatte; er konnte auch nicht sagen, wie
es bei ihm anders zugehe. Aber seine Bemerkung berührt doch ein Pro-
blem, welches viele in den Vordergrund zu stellen geneigt sein werden.
Trifft die hier gegebene Auflösung der Fehl- und Zufallshandlungen
allgemein zu oder nur vereinzelt, und wenn letzteres., welches sind die
Bedingungen, unter denen sie zur Erklärung der auch anderswie er-
124 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
möglichten Phänomene herangezogen werden darf? Bei der Beant-
wortung dieser Frage lassen mich meine Erfahrungen im Stiche. Ich
kann nur davon abmahnen, den aufgezeigten Zusammenhang für
selten zu halten, denn so oft ich bei mir selbst und bei meinen Patienten
die Probe angestellt, hat er sich wie in den mitgeteilten Beispielen sicher
nachweisen lassen, oder haben sich wenigstens gute Gründe, ihn zu
vermuten, ergeben. Es ist nicht zu verwundern, wenn es nicht alle
Male gelingt, den verborgenen Sinn der Symptomhandlung zu finden,
da die Größe der inneren Widerstände, die sich der Lösung widersetzen,
als entscheidender Faktor in Betracht kommt. Man ist auch nicht
imstande, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen Traum
zu deuten; es genügt, um die Allgemeingiltigkeit der Theorie zu be-
stätigen, wenn man nur ein Stück weit in den verdeckten Zusammen-
hang einzudringen vermag. Der Traum, der sich beim Versuche,
ihn am Tage nachher zu lösen, refraktär zeigt, läßt sich oft eine Woche
oder einen Monat später sein Geheimnis entreißen, wenn eine unt< r.l. ,
erfolgte reale Veränderung die mit einander streitenden psychischen
Wertigkeiten herabgesetzt hat. Das nämliche gilt für die Lösung der
Fehl- und Symptomhandlungen; das Beispiel von Verlesen „Im Faß
durch Europa" auf Seite 50 hat mir die Gelegenheit gegeben zu zeigen,
wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyse zugänglich wird,
wenn das reale Interesse an den verdrängten Gedanken nach-
gelassen hat. So lange die Möglichkeit bestand, daß mein Bruder den
beneideten Titel vor mir erhalte, widerstand das genannte Verlesen
allen wiederholten Bemühungen der Analyse; nachdem es sich In
gestellt hatte, daß diese Bevorzugung unwahrscheinlich sei, klärte
sich mir plötzlich der Weg, der zur Auflösung desselben führte. Es
wäre also unrichtig, von all den Fällen, welche der Analyse widerstehen,
zu behaupten, sie seien durch einen anderen als den hier aufgedeckten
psychischen Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme
noch andere als negative Beweise. Auch die bei Gesunden wahrschein-
lich allgemein vorhandene Bereitwilligkeit, an eine andere Erklärung
der Fehl- und Symptomhandlungen zu glauben, ist jeder Beweiskraft
bar; sie ist, wie selbstverständlich, eine Äußerung derselben seelischen
Kräfte, die das Geheimnis hergestellt haben, und die sich darum auch
für dessen Bewahrung einsetzen, gegen dessen Aufhellung aber sträuben.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, daß die ver-
drängten Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in Symptom*
und Fehlhandlungen ja nicht selbständig schaffen. Die technische
Möglichkeit für solches Ausgleiten der Innervationen muß uaab*
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 125
hängig von ihnen gegeben sein; diese wird dann von der Absicht des
Verdrängten, zur bewußten Geltung zu kommen, gerne ausgenützt.
Welche Struktur- und Funktionsrelationen es sind, die sich solcher
Absicht zur Verfügung stellen, das haben für den Fall der sprachlichen
Fehlleistung (vgl. Seite 31) eingehende Untersuchungen der Philosophen
und Philologen festzustellen sich bemüht. Unterscheiden wir so an
den Bedingungen der Fehl- und Symptomhandlung das unbewußte
Motiv von den ihm entgegenkommenden physiologischen und psycho-
physischen Relationen, so bleibt die Frage offen, ob es innerhalb der
Breite der Gesundheit noch andere Momente gibt, welche, wie das
unbewußte Motiv und an Stelle desselben, auf dem Wege dieser Re-
lationen die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen vermögen.
Es ist nicht meine Aufgabe, diese Frage zu beantworten.
VI. Seit den Erörterungen über das Versprechen haben wir
uns begnügt, zu beweisen, daß die Fehlleistungen eine verborgene
Motivierung haben, und uns mit dem Hilfsmittel der Psychoanalyse
den Weg zur Kenntnis dieser Motivierung gebahnt. Die allgemeine
Natur und die Besonderheiten der in den Fehlleistungen zum Ausdruck
gebrachten psychischen Faktoren haben wir bisher fast ohne Be-
rücksichtigung gelassen, jedenfalls noch nicht versucht, dieselben
näher zu bestimmen und auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen. Wir
werden auch jetzt keine gründliche Erledigung des Gegenstandes
versuchen, denn die ersten Schritte werden uns bald belehrt haben,
daß man in dies Gebiet besser von anderer Seite einzudringen vermag.
Man kann sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens an-
führen und in ihrem Umfang umschreiben will. 1. Welches Inhalts
und welcher Herkunft sind die Gedanken und Regungen, die sich
durch die Fehl- und Zufallshandlungen andeuten? 2. Welches sind
die Bedingungen dafür, daß ein Gedanke oder eine Regung genötigt
und in den Stand gesetzt werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucks-
mittel zu bedienen? 3. Lassen sich konstante und eindeutige Be-
ziehungen zwischen der Art der Fehlhandlung und den Qualitäten des
durch sie zum Ausdruck Gebrachten nachweisen?
Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der letzten
Frage zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Beispiele von
Versprechen haben wir es für nötig gefunden, über den Inhalt der
intendierten Rede hinauszugehen, und haben die Ursache der Rede-
störung außerhalb der Intention suchen müssen. Dieselbe lag dann in
einer Reihe von Fällen nahe und war dem Bewußtsein des Sprechenden
bekannt. In den scheinbar einfachsten und durchsichtigsten Bei-
\2b Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
spielen war es eine gleichberechtigt klingende, andere Fassung dessellwn
Gedankens, die dessen Ausdruck störte, ohne dali man hätte angeben
können, warum die eine unterlegen, die andere durchgedrungen war
(Kontaminationen von M e r i n g e r und Mayer). In einer zweiten
Gruppe von Fällen war das Unterliegen der einen Fassung motiviert
durch eine Rücksicht, die sich aber nicht stark genug zur völligen
Zurückhaltung erwies („zum Vorschwein gekommen"). Auch die
zurückgehaltene Fassung war klar bewußt. Von der dritten Gruppe t-i - 1
kann man ohne Einschränkung behaupten, daß hier der störende Ge-
danke von dem intendierten verschieden war, und kann hier eine, wie
es scheint, wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der störende Ge-
danke ist entweder mit dem gestörten durch Gedankenassoziation
verbunden (Störung durch inneren Widerspruch), oder er ist ihm we-
fremd, und durch eine befremdende äußerliche Assoziation ist
gerade das gestörte Wort mit dem störenden Gedanken, der o f t un-
bewußt ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus meinen Psycho-
analysen gebracht habe, steht die ganze Rede unter dem Einfluß gleich-
zeitig akfiv gewordener, aber völlig unbewußter Gedanken, die
entweder durch die Störung selbst verraten (Klapperschlange —
Kleopatra) oder einen indirekten Einfluß äußern, indem sie er-
möglichen, daß die einzelnen Teile der bewußt intendierten Rede
einander stören (A s e natmen: wo H as e n au e r straße, Remi-
niszenzen an eine Französin dahinter stehen). Die zurückgehall
oder unbewußten Gedanken, von denen die Sprechstörung ausgeht, sind
von der mannigfaltigsten Herkunft. Eine Allgemeinheit enthüllt
diese Überschau also nach keiner Richtung.
Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und
schreiben führt zu den nämlichen Ergebnissen. Einzelne Fälle scheinen
wie beim Versprechen einer weiter nicht motivierten Verdichtungs-
arbeit ihr Entstehen zu danken (z. B. : der A p f e). Man möchte abor
gern erfahren, ob nicht doch besondere Bedingungen erfüllt sein müssen.
damit eine solche Verdichtung, die in der Traumarbeit regelrech
unserem wachen Denken fehlerhaft ist, Platz greife, und bekommt luei
über aus den Beispielen selbst keinen Aufschluß. Ich würde es aber
ablehnen, hieraus den Schluß zu ziehen, es gebe keine solchen Bedin-
gungen als etwa den Nachlaß der bewußten Aufmerksamkeit, da ich von
anderswoher weiß, dafi och gerade automatische Verrichtungen durch
Korrektheit und Verläßlichkeit auszeichnen. Ich möchte eher betonen,
daß hier, wie so häufig in der Biologie, die normalen oder dem Normales
angenäherten Verhältnisse ungünstigere Objekte der Forschung sind
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 127
die pathologischen. Was bei der Erklärung dieser leichtesten
Störungen dunkel bleibt, wird nach meiner Erwartung durch die Auf-
klärung schwererer Störungen Licht empfangen.
Auch beim Verlesen und Verschreiben fehlt es nicht an Beispielen,
welche eine entferntere und kompliziertere Motivierung erkennen
lassen. „Im Faß durch Europa" ist eine Lesestörung, die sich durch
den Einfluß eines entlegenen, wesensfremden Gedankens aufklärt,
welcher einer verdrängten Regung von Eifersucht und Ehrgeiz ent-
springt, und den „Wechsel" des Wortes „Beförderung" zur
Verknüpfung mit dem gleichgültigen und harmlosen Thema, das ge-
lesen wurde, benützt. Im Falle: Burckhard ist der Name selbst
ein solcher „Wechsel".
Es ist unverkennbar, daß die Störungen der Sprechfunktionen
leichter zustande kommen und weniger Anforderungen an die störenden
Kräfte stellen als die anderer psychischer Leistungen.
Auf anderem Boden steht man bei der Prüfung des Vergessens
im eigentlichen Sinne, d. h. des Vergessens von vergangenen Erleb-
nissen (das Vergessen von Eigennamen und Fremdworten, wie in den
Abschnitten I und II könnte man als „Entfallen", das von Vorsätzen
als „Unterlassen" von diesem Vergessen sensu strictiori absondern)
Die Grundbedingungen des normalen Vorgangs beim Vergessen sind
I unbekannt. ') Man wird auch daran gemahnt, daß nicht alles ver-
') Ober den Mechanismus des eigentlichen Vergessens kann ich etwa folgende
Andeutungen geben. Das Erinnerungsmaterial unterliegt im allgemeinen zwei
Einflüssen, der Verdichtung und der Entstellung. Die Entstellung ist das Werk
der im Seelenleben herrschenden Tendenzen und wendet sich vor allem gegen
die affektwirksam gebliebenen Erinnerungsspuren, die sich gegen die Verdich-
tung resistenter verhalten. Die indifferent gewordenen Spuren verfallen dem
Verdichtungsvorgang ohne Gegenwehr, doch kann man beobachten, daB über-
dies Entstellungstendenzen sich an dem indifferenten Material sättigen, welche
dort, wo sie sich äußern wollten, unbefriedigt geblieben sind. Da diese Prozesse der
Verdichtung und Entstellung sich über lange Zeiten hinziehen wi firffnfl welcher
alle frischen Erlebnisse auf die Umgestaltung des Gedächtnisinhaltes einwirken,
meinen wir, es sei die Zeit, welche du- Erinnerungen unsicher und undeutlich macht.
Sehr wahrscheinlich ist beim Vergessen von einer direkten Funktion der Zeit
überhaupt nicht die Rede. — An den verdrängten Erinnerungsspuren kann man
konstatieren, daß sie durch die längste Zeitdauer keine Veränderung erfahr. 11
haben. Das Unbewußte ist überhaupt zeitlos. Der wichtigste und auch betn-m-
dendste Charakter der psychischen Fixierung ist der. daß alle Eiadrfieke einerseits
der nämlichen Art erhalten sind, wie sie aufgenommen wurden, und über-
128 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
gessen ist, was man dafür hält. Unsere Erklärung hat es hier nur mit
jenen Fällen zu tun, in denen das Vergessen bei uns ein Befremden er-
weckt, insofern es die Regel verletzt, daß Unwichtiges vergessen,
Wichtiges aber vom Gedächtnis bewahrt wird. Die Analyse der Beispiele
von Vergessen, die uns nach einer besonderen Aufklärung zu verlangen
scheinen, ergibt als Motiv des Vergessens jedesmal eine Unlust, etwas
zu erinnern, was peinliche Empfindungen erwecken kann. Wir gelangen
zur Vermutung, daß dieses Motiv im psychischen Leben sich ganz all-
gemein zu äußern strebt, aber durch andere gegenwirkende Kräfte ver-
hindert wird, sich irgendwie regelmäßig durchzusetzen. Umfang und
Bedeutung dieser Erinnerungsunlust gegen peinliche Eindrücke scheinen
der sorgfältigsten psychologischen Prüfung wert zu sein; auch die Frage,
welche besonderen Bedingungen das allgemein angestrebte Vergessen
in einzelnen Fällen ermöglichen, ist aus diesem weiteren Zusammen-
hange nicht zu lösen.
Beim Vergessen von Vorsätzen tritt ein anderes Moment in den
Vordergrund; der beim Verdrängen des peinlich zu Erinnernden nur ver-
mutete Konflikt wird hier greifbar, und man erkennt bei der Analyse
'ler Beispiele regelmäßig einen Gegenwillen, der sich dem Vorsatze
widersetzt, ohne ihn aufzuheben. Wie bei früher besprochenen Fehl-
leistungen erkennt man auch hier zwei Typen des psychischen Vorgangs :
der Gegenwille kehrt sich entweder direkt gegen den Vorsatz (bei Ab-
sichten von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst wesens-
fremd und stellt seine Verbindung mit ihm durch eine äußerliche
Assoziation her (bei fast indifferenten Vorsätzen).
Derselbe Konflikt beherrscht die Phänomene des Vergreifens.
Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung äußert, ist häufig
ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder, der nur die
Gelegenheit benützt, sich bei der Ausführung der Handlung durch eine
Störung derselben zum Ausdruck zu bringen. Die Fälle, in denen die
Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind die bedeut-
sameren und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungen,
dies noch in all den Formen, die sie bei den weiteren Entwicklungen angenommen
haben, ein Verhältnis, welches sich durch keinen Vergleich aus einer anderen
Sphäre erläutern läßt. Der Theorie zufolge ließe sich also jeder frühere Zustand
des Gedächtnisinhaltes wider für die Erinnerung herstellen, auch wenn dessen
Elemente alle ursprünglichen Beziehungen längst gegen neuere eingetauscht
haben.
!
Detcrminismn8. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 129
Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufalls- oder Symptom-
handlungen immer mehr zurück. Diese vom Bewußtsein gering ge-
schätzten oder ganz übersehenen motorischen Äußerungen dienen so
I mannigfachen unbewußten oder zurückgehaltenen Regungen zum Aus-
druck; sie stellen meist Phantasien oder Wünsche symbolisch dar. —
Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und Regungen
seien, die sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, läßt sich
sagen, daß in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Ge-
danken von unterdrückten Regungen des Seelenlebens leicht nach-
» zuweisen ist. Egoistische, eifersüchtige, feindselige Gefühle und Im-
pulse, auf denen der Druck der moralischen Erziehung lastet, bedienen
sich bei Gesunden nicht selten des Weges der Fehlleistungen, um ihre
unleugbar vorhandene, aber von höheren seelischen Instanzen nicht
anerkannte Macht irgendwie zu äußern. Das Gewährenlassen dieser
Fehl- und Zu falls h and lungen entspricht zum guten Teil einer bequemen
Duldung des Unmoralischen. Unter diesen unterdrückten Regungen
spielen die mannigfachen sexuellen Strömungen keine geringfügige
Rolle. Es ist ein Zufall des Materials, wenn gerade sie so selten unter
den durch die Analyse aufgedeckten Gedanken in meinen Beispielen
erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele aus meinem eigenen Seelen-
leben der Analyse unterzogen habe, so war die Auswahl von vornherein
parteiisch und auf den Ausschluß des Sexuellen gerichtet. Andere
IMale scheinen es höchst harmlose Einwendungen und Rücksichten
zu sein, aus denen die störenden Gedanken entspringen.
Wir stehen nun vor der Beantwortung der zweiten Frage, welche
psychologischen Bedingungen dafür gelten, daß ein Gedanke seinen
Ausdruck nicht in voller Form, sondern in gleichsam parasitärer, als
Modifikation und Störung eines anderen suchen müsse. Es liegt nach
den auffälligsten Beispielen von Fehlhandlung nahe, diese Bedingung
in einer Beziehung zur Bewußtseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr
oder minder entschieden ausgeprägten Charakter des „Verdrängten".
Aber die Verfolgung durch die Reihe der Beispiele löst diesen Charakter
in immer mehr verschwommene Andeutungen auf. Die Neigung,
über etwas als zeitraubend hinwegzukommen, — die Erwägung, daß
der betreffende Gedanke nicht eigentlich zur intendierten Sache gehört,
— scheinen als Motive für die Zurückdrängung eines Gedankens, der
dann auf den Ausdruck durch Störung eines anderen angewiesen ist,
dieselbe Rolle zu spielen wie die moralische Verurteilung einer unbot-
mäßigen Gefühlsregung oder die Abkunft von völlig unbewußten Ge-
dankenzügen. Eine Einsicht in die allgemeine Natur der Bedingt
Ficud, Piychop»thologit in Alltäglichen«. 9
130 Determiaismu». — Zufall»- und Aberglauben. — Gecichtspaakte.
hol von Fehl- und Zufallsleistungen läßt sich auf diese Weise nicht
gewinnen. Einer einzigen bedeutsamen Tatsache wird man bei diesen
Untersuchungen habhaft; je harmloser die Motivierung der Fehl-
leistung ist, je weniger anstößig und darum weniger bewußtseins-
unfähig der Gedanke ist, der sich in ihr zum Ausdruck bringt, desto
leichter wird auch die Auflösung des Phänomens, wenn man ihm seine
Aufmerksamkeit zugewendet hat ; die leichtesten Fälle des Versprechens
werden sofort bemerkt und spontan korrigiert. Wo es sich um Moti-
vierung durch wirklich verdrängte Regungen handelt, da bedarf
es zur Lösung einer sorgfältigen Analyse, die selbst zeitweise auf
Schwierigkeiten stoßen oder mißlingen kann.
Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten Unter-
suchung als einen Hinweis darauf zu nehmen, daß die befriedigende
Aufklärung für die psychologischen Bedingungen der Fehl- und Zu-
fallshandlungen auf einem anderen Wege und von anderer Seite her
zu gewinnen ist. Der nachsichtige Leser möge daher in diesen Aus-
einandersetzungen den Nachweis der Bruchflächen sehen, an denen
dieses Thema ziemlich künstlich aus einem größeren Zusammenhange
herausgelöst wurde.
VII. Einige Worte sollen zum mindesten die Richtung nach diesem
weiteren Zusammenhange andeuten. Der Mechanismus der Fehl- und
Zufallshandlungen, wie wir ihn durch die Anwendung der Analyse
kennen gelernt haben, zeigt in den wesentlichsten Punkten eine l
einstimmung mit dem Mechanismus der Traumbildung, den ich in
dem Abschnitt „Traumarbeit" meines Buches über die Traum-
deutung auseinandergesetzt habe. Die Verdichtungen und Kom-
promißbildungen (Kontaminationen) findet man hier wie dort; die
Situation ist die nämliche, daß unbewußte Gedanken sich auf un-
gewöhnlichen Wegen, über äußerliche Assoziationen, als Modifikation von
anderen Gedanken zum Ausdruck bringen. Die Ungereimtheiten.
Absurditäten und Irrtümer des Trauminhaltes, denen zufolge der
Traum kaum als Produkt psychischer Leistung anerkannt wird, ent-
stehen auf dieselbe Weise, freilich mit freierer Benützung der vor-
handenen Mittel, wie die gemeinen Fehler unseres Alltagslebens;
hier wie dort löst sich der Anschein inkorrekter
Funktion durch die eigentümliche Interferenz
zweier oder mehrerer korrekter Leistungen. Aus
diesem Zusammentreffen ist ein wichtiger Schluß zu ziehen: Die eigen-
tümliche Arbeitsweise, deren auffälligste Leistung wir im Trauminhalt
erkennen, darf nicht auf den Schlafzustand des Seelenlebens zurück-
Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte. 131
geführt werden, wenn wir in den Fehlhandlungen so reichliche Zeug-
nisse (ür ihre Wirksamkeit während des wachen Lebens besitzen. Der-
selbe Zusammenhang verbietet uns auch, tiefgreifenden Zerfall der
Seelentätigkeit, krankhafte Zustände der Funktion als die Bedingung
dieser uns abnorm und fremdartig erscheinenden psychischen Vor-
gänge anzusehen. 1 )
Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Arbeit,
welche die Fehlhandlungen wie die Traumbilder entstehen läßt, wird
uns erst ermöglicht, wenn wir erfahren haben, daß die psychoneu-
rotischen Symptome, speziell die psychischen Bildungen der Hysterie
und der Zwangsneurose, in ihrem Mechanismus alle wesentlichen
Züge dieser Arbeitsweise wiederholen. An dieser Stelle schlösse sich
also die Fortsetzung unserer Untersuchungen an. Für uns hat es
aber noch ein besonderes Interesse, die Fehl-, Zufalls- und Symptom-
handlungen in dem Lichte dieser letzten Analogie zu betrachten. Wenn
wir sie den Leistungen der Psychoneurosen, den neurotischen Symp-
tomen, gleichstellen, gewinnen zwei oft wiederkehrende Behaup-
tungen, daß die Grenze zwischen nervöser Norm und Abnormität
eine fließende, und daß wir alle ein wenig nervös seien, Sinn und Unter-
lage. Man kann sich vor aller ärztlicher Erfahrung verschiedene Typen
von solcher blos angedeuteten Nervosität — von formes frustes der
Neurosen — konstruieren: Fälle, in denen nur wenige Symptome,
oder diese selten oder nicht heftig auftreten, die Abschwächung also
in die Zahl, in die Intensität, in die zeitliche Ausbreitung der krank-
haften Erscheinungen verlegen; vielleicht würde man aber gerade
den Typus nicht erraten, welcher als der häufigste den Übergang zwischen
Gesundheit und Krankheit zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende
Typus, dessen Krankheitsäußerungen die Fehl- und Symptomhand-
lungen sind, zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß die Symptome
in die mindest wichtigen psychischen Leistungen verlegt sind, während
alles, was höheren psychischen Wert beanspruchen kann, frei von
Störung vor sich geht. Die gegenteilige Unterbringung der Symptome,
ihr Hervortreten an den wichtigsten individuellen und sozialen Lei-
stungen, so daß sie Nahrungsaufnahme und Sexualverkehr, Berufs-
arbeit und Geselligkeit zu stören vermögen, kommt den schweren
Fällen von Neurose zu und charakterisiert diese besser als etwa die
Mannigfaltigkeit oder die Lebhaftigkeit der Krankheitsäußerungen.
i) Vgl. hierzu „Traumdeutung" S. j<Sj.
132 Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. — Gesichtspunkte.
Der gemeinsame Charakter aber der leichtesten wie der schwersten
Fälle, an dem auch die Fehl- und Zufallshandlungen Anteil haben,
hegt in der Rückführbarkeit der Phänomene auf
unvollkommen unterdrücktes psychisches Ma-
terial, das, vom Bewußtsein abgedrängt, doch
nicht jeder Fähigkeit, sich zu äußern, beraubt
worden ist.
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BF 173 F8 1907 C.1
Zur Psychopathologie de« Allla
Stanford Unlverslty Libraries
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STANFORD, CALIFORNIA 94305-6004
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