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Full text of "Zwei religionsgeschichtliche Fragen, nach ungedruckten griechischen Texten der Strassburger Bibliothek"

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(71,  af^ikl^^^ 


Zwei 

religionsgeschichtliche  Fragen 

nach  ungedruckten  griechischen  Texten 

der 

Strassburger  Bibliothek 


R.  Reitzenstein. 


Mit  zwei  Tafeln  in  Lichtdruck. 


Strassburg 

Verlag  von  Karl  J.  Trübner 

1901. 


1148H.39 


M.  DuMont-Schauberg,  Strassburg. 


Meinem  lieben  Schwager 
ERICH  KEIL. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  witii  funding  from 

University  of  Toronto 


littp://www.arcliive.org/details/zweireligionsgesOOreit 


Vorwort. 

Der  Plan,  in  Strassburg  eine  Papyrus-Sammlung  zu 
gründen  und  zu  versuchen,  wie  weit  sich  wenigstens  auf 
einem  engen  Gebiet  ein  Ersatz  für  die  Schätze  finden  Hesse, 
die  im  Jahre  1870  in  Folge  eines  unglücklichen  Zufalls  durch 
deutsche  Kugeln  zerstört  wurden,  ging  aus  von  Prof.  Spiegel- 
berg. Ich  habe  mich  ihm,  in  der  Hoffnimg  der  deutschen 
Wissenschaft  einen  Dienst  zu  thun,  freudig  angeschlossen; 
bei  den  Leitern  der  Bibliothek,  bei  Collegen  und  Privat- 
männern fanden  wir  dafür  so  viel  Verständniss  und  Er- 
muthigung,  dass  wii^  es  endlich  wagten,  den  Plan  dem 
Kaiserlichen  Statthalter  von  Elsass-Lothringen,  Sr.  Durch- 
laucht dem  Fürsten  zu  Hohenlohe-Langenburg  vorzutragen, 
der  in  hochherziger  Güte  eine  namhafte  Summe  zum  An- 
kauf griechischer  und  aegyptischer  Schriftdenkmäler  für 
die  Strassburger  Bibliothek  bewilligte.  Hierdurch  gesichert 
sind  Prof.  Spiegelberg  imd  ich  nach  Aegypten  gegangen 
und  haben  uns  dort  der  hingehendsten  Unterstützung  des 
Herrn  Viceconsuls  Dr.  C.  Reinhardt  erfreuen  dürfen.  Nach 
unserm  Weggang  und  seiner  Abberufung  haben  die  Herren 
Dr.  L.  Borchardt,  Dr.  H.  Thiersch  und  Dr.  M.  Me3'erhof  in 
opferwilligster  und  liebenswürdigster  Weise  Zeit,  Wissen 
und  Erfahrimg  in  den  Dienst  des  gleichen  Zweckes  gestellt 
und  so  mit  uns  eine  Sammlung  von  bisher  etwa  2000  Papyrus- 


VIII  Vorwort. 

Worte  „R.  hätte  besser  geschwiegen"  und  dergleichen  selber 
gesagt.  Dilettanten- Arbeit  freut  ja  nur  dann,  wenn  man 
nichts  Besseres  zu  thun  hat.  Aber  einmal  geschieht  es 
wohl  jedem  von  uns,  dass  er  schreibt,  nicht  was  er  will, 
sondern  was  er  muss.  Der  mir  aufgezwomgene  Stoff  hatte 
—  so  qualvoll  unbefriedigend  die  Arbeit  auf  fremdem  Gebiet 
oft  war  —  allmählig  über  mich  Gewalt  bekommen. 

Strassburg,  den  23.  Juni  1901. 

R.  Reitzenstein. 


I. 

Dass  die  Frage  nach  Ursprung  vind  Bedeutung  der 
Beschneidung  in  Israel  und  damit  eine  Fülle  der  wichtigsten 
religionsgeschichtlichen  Fragen  von  der  Beantwortung  der- 
selben Frage  für  das  aegyptische  Volk  abhängig  ist,  war 
die  Ueberzeugung  der  alten  Historiographen  und  ist  die 
Ueberzeugung  wenigstens  einer  grossen  Anzahl  unserer 
Theologen.  So  darf  jede  Urkunde,  welche  uns  über  die 
aegyptische  Sitte  näheren  Aufschluss  bringt,  besondere  Be- 
achtung fordern;  nur  damit  wage  ich  es  zu  entschuldigen, 
dass  ich  eine  von  mir  im  Fayüm  erworbene  Urkunde  ver- 
öffentliche, ohne  auf  ihren  juristischen  und  antiquarischen 
Theil  eingehen  zu  können  oder  zu  wollen. 

Fr.  Krebs  hat  in  einem  inhaltsreichen  Aufsatz  ,,Aus 
dem  Tagebuche  des  römischen  Oberpriesters  von  Aegypten"  ' 
drei  Urkunden  der  Berliner  Papyrus-Sammlung  mitgetheilt 
imd  erläutert,  welche  aegyptischen  Vätern  die  Erlaubniss, 
ihre  Kinder  zu  beschneiden,  bestätigen,*    Dass  die   dabei 


*  Philologus  LIII  577. 

■■^  Die  erste  lautet  '6E  i)TTO]nvritiaTia,u[a)v]  OuXttiou  [Ze]pri[v]iavou  toO 
KpariOTOu  äpxiepeu)?.  L  i[a]'  AuprjXiou  'AvTUJveivou  Kaiöapoc;  tou  Kupiou 
Töß[i]  Kr)'  ^v  Meiaqpei.  'HöirciaaTO  töv  Xa.uirpÖTaxov  r|[Ye,uö]va  Kai  luexä 
T[aOT]a  upöc;  tCu  'Aireiuj  TTavecppe|U|ueuui;  [Z]toto/-)tio?  [veLu]T[ep]ou  Zara- 
ßoOxoq  Tr[pea]ßuT6po[u  . . .](;  7rp[o]aaYaTÖvT[oq]  uiöv  [^auxjoö  TTaveqppe|a]u[i]v 
Ka[i  dEi]ii)aavTO(;  luiTpaTTrivai  irepiTeueiv  autöv  ä[v]abövr[o]q  [rje  xrjv 
irepi  aüx[o]ö  TpaqpeTcfav  ^Tn[CTx]o\riv  ü[ttö  Ila]paTTi[ujvo]q  öxpaxiiYoO  'Apa[i]- 
voeixou  "  HpaK[\ei]bo[u  |aepi]bo^  b[i]a  'AXeSdvbpou  Yy|LivaGiapxri[(Javxo]; 
[K]6x[p]ovi[ö]]uevriv  (?)  [e]i<;  xö  bieXriXueöc;  i'  L  ^aiijqpi  c, ,  Zeprivia[vöc]  dirüGcxo 
xOüv  Trapöv[x]ujv  Kopu9a[i]a)v  Kai  0[TTOKOpu]cpaiuuv  Kai  i6poYpa,u.uax6iuv, 
ei  [a]ri|n[eTo]v  ^xoi  ö  [iraijc.  Eittövxujv  h.or\\xov  aüxöv  eivai  [OuXttioc]  Zepr]- 
v[i]a[vö]i;  dpxiepeOc;  Kai  ^iri  xOüv  iepeujv  [cTri|LieiwJö«J|nevo(;  xqv  dn-iax[o]\riv 
^K^Xeuöev  xöv  •iTai[ba  Tr€pix]|uri0f-|vai  [Kaxä]  xö  ?9oi;.  'Av^Y^tuv. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  1 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


hervortretende  Mitwirkung  des  staatlichen  Beamten  bei  der 
Ertheilung  dieser  Erlaubniss  durch  das  Verbot  der  Be- 
schneidung: unter  Kaiser  Hadrian  zu  erklären  ist,  hat 
Th.  Mommsen  [Strafvecht  638)  erkannt.  Nähere  Angaben 
gerade  über  diese  Mitvvh-kung  des  cTTparriTÖ?  bringt  der 
Strassburger  Papyrus  igr.  60)  aus  dem  Ende  der  Regierung 
des  Antoninus.  Die  Urkunde  ist  kalHgraphisch  sehr  schön, 
inhaltlich  sehr  flüchtig  in  drei  langen  Columnen  geschrieben, 
von  denen  sich  nur  die  unteren  Hälften  und  auch  sie  nur 
in  trauriger  Verstümmelung  erhalten  haben. 

Col.  I. 

1)  (TouTou  ....  (etwa  50  Buchstaben  verloren) 

2)  ttTTÖ  (Judia  ...  TT  ...  TO  (etsva  30  Buchstaben) . . .  [evöq] 

3)  |Liev  uTtep  uioö  evö(;    öe   unep  [GuTarpiöv   ö]id  t[ö  t^vouc;] 

auT[i£iv  diTTobei]- 

4)  Ixc,  '  Trapaieöe'iö'eai  tuj  crTpaT[riT]ai  [K]a[i] 

KeXeucr9eTa[i  Kai  dva]- 

5)  YvuJcr9ei(Ti-|^  emcrToXfiq  'HpaKXdöou  cTTpairiToö  'ApaivoTrou 

'HpaKXeiöou 

6)  iLiepiöog  ^  KttTd  XeHiv  auTÜuv  'HpaKXeiöri(;  crTpaTriTÖ[q]  'Apffi- 

voItou  'Hpa- 

7)  KXeiöou  luepiöot,  <t)Xaou[i]a)  [M]feX[a]v[i  tlu  K]paTi[(JTiu]  upxiepei 

[xjaipeiv. 

8)  Ol  UTTOfeTpamLievoi  iepeT(;  \\\c,  nevTaqpuXfia^  e]eoö  |aeTiö"TOu 

Z[OKVO]TTai- 

9)  QU  Kai  TiJüv  cruvvduuv  0eaiv  iepou  Xotimou  Kuj[|u]ri<;  Zokvo- 

TTttiou  v[ri]- 

10)  crou  tTTeöuuKdv   uoi  ßißXeiöiov  ßouXöjuevoi  iepaTiKui(g   Trepi- 

reiaeiv 

11)  [louq  eKJTÖvoug  ^  eau[T]ä)v,  oi  öe  ffuvTtvei^  kf.  |Lir]Ttpujv  tüjv 

uTTOT€Tpa|a- 


•  Lies  biä  TÖ  (tck;  toö)  Yevouc;  aÜTiiJv  diTob€ite»^;  vgl.  Krebs  Urk.  III 
(U.  B.  M.  82,  6)  bid  TÖ  irapaTceeiöBai  T(i<;  toö  y^vouc;  dirobeitK;  tlu  toö 
vöuou  ßaöiXiKÜj  bmbexoia^vuj  Tnv  öTpaTriTicv. 

*  Es  ist  der  U.  B.  M.  358  (aus  dem  Jahr  150/151)  als  biabexö.uevo?  Ti'iv 
<JTpaTr|T>av  erwähnte  Beamte. 

'  Der  Raum  ist  für  die  Ergänzung  etwas  klein,  vielleicht  [tu  ^kJY^vouc;? 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


12)  [uejvuuv   Ka[TeTe9ei]vT0  '   dvTi[T]p[a]q)[a  Kaji*   o[i]Kiav  d-rro- 

Yp[a](p[üj]v  Toö  \q'  L 

13)  Geoö  'Aöpiavoü  eTiecTKemueva  e[Tri  ijn?  eTTiTÖTruuv  ßißXioGrjKr)^, 

14)  b\'  r\<;'^  briXoÖTai  dTTOTeTpdqpOai  tovc;  YOveT<;  auTÜJV  öjq  övTa(; 

iepariKoö 

15)  Y^vouq,  Kai  ö|aoiuj^  dviiYpctcpa  Kar'  oiKiav  dTTOYpacpaiv  toö 

9'  L  'AvTuuvivou 

16)  Kaicrapo?  toö  Kupiou,  6i'  iLv  örj^O'^Tai  dTroYeYP«(p9ai  Touq 

Yovei(;  TÜüv^ 


Col.  IL 

1) V  eK  [|uriT]epLuv  tüuv  kE^q  [öri\o]u|uevuuv  .... 

2)  K ov  iep[eujq]  toö  [aij]TOÖ  iepei[ou]  toö  utoö  iep[eiJU(;  Ka]i 

3)  d[TroYJeYpd[qp]9ai  TOu[q  Yoveig]  aÖTÜJV  T[rj  t]ou  \<;'  L  9eoö 

'Aöpiavoö 

4)  K[aT']  o[iK]iav  dTT[oYp]a(pvi t  .  .  (etwa  20)  ....  apo<; 

5)  Tou  .  .  .  .  ou    (Juv   To[i]<;  TTa[i(Ji]   Kai  t o^  ö  .  . 

Kai  TTToXe- 

6)  )uaioq  'Ovvdiqppeujq  (TTo\ia[T]ii(;  Kai  [b]idöoxo(;  TtpoqpriTeia«; 

7)  Tüuv  ev  Tri  m'iTpoTTÖ[\e]9eu)v  [Kai]  TTaKucrei  Kai  rT[a]ve[(pp]e)a- 


1  Die  Ergänzung  schulde  ich  Prof.  VVilcken,  der  auf  Grenfell-Hunt  Greeck 
Pap.  II  68.  12  liiq  ev  bimoaiLU  KaTaKeijuevri  (vgl.  76,  21)  verweist.  Die  dvTi- 
Ypatpa  werden  deponirt,  bis  der  Brief  des  Strategen  mit  der  Gegenzeichnung 
des  Oberpriesters  und  dem  Aktenstück  über  die  Verhandlung  zurückkommt. 

2  Schreibe  bl'  iliv.  Mit  der  Art  dieses  Beweises  vgl.  die  von  Kenyon 
Catal.  Lond.  II  324  (S.  63)  veröffentlichte  Urkunde,  die  nach  dem  ävTiYpaq)OV 
kot'  oiKiav  äTTOYpacpfi(;  den  Brief  enthält :  "AviKoq  XÖevoüqpioq  \r\  ö|UO|uri- 
xpiiu  luou  dbeXqpf)  Ta,uO09a  xoipeiv.  dvabebuuKd  aoi  xd  irpoKiineva  dvTi- 
Ypa9a  tüjv  dtroYpaqpuJv,  uiv  ^-mbeiSu)  rd  lOa  ev  KaTaxujpi(J|aCu,  6TT[ö]Tav 
Xpeia  rjv,  eiq  duöbeiEiv  toO  eivai  jxe  [6]iuo|Li[riT]piöv  öou  dbeX.qp[ö]v.  L  Kb'  'Av- 
TUJvivou  ToO  Kupiou,  <t)a,uevuj9  kx\.  Es  ist  auffällig,  dass  die  Personalpapiere 
der  Petenten  ebenfalls  von  den  Zeugen  vorgelegt  werden;  diese  müssen 
also  schon  vorher  eine  Verhandlung  geführt  oder  eine  Instanz 
gebildet  haben. 

'  Ergänze  iraibujv.  Die  Eltern  der  Zeugen  waren  oflfenbar  nicht  mehr 
am  Leben,  als  die  letzte  Volkszählung  unter  Antoninus  146  stattgefunden  hatte; 
die  Petenten  hatten  diese  Zählung  erlebt;  ihre  Kinder  dagegen  noch  nicht.  Da 
Antoninus  im  Anfang  des  Jahres  161  gestorben  ist,  können  diese  Kinder  also 
schwerlich  über  14  Jahre  alt  sein. 

1* 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung;. 


8)  }Jieujq  '  TOÜ'Qpou  Kai  TTevfeüq  XTOTonTio<;  toO  Ztotoiit[io(;]  Kai 

9)  ZTOT01l[Tl]o[(g  2  X]TOTO[ri]TlOq  TOU  ZT0T0l'-lTl0[q  KJai  ZiOTofiTig 

Ito- 

10)  TOnno^  TOU  TTavecppemnio?  Kai  XTOTOiriT[i]<g  'OvvuüqppiO(; 

11)  Toö  ZataßoÜToq,   oi  e'  TTpeaßutepoi  iepeuuv   toö   TrpoKei|Lie- 

12)  vou  iepoO  ZoKvoTraiou,  Kai  Te(Jevo[ü]qpiq  (TToXidTiiq  ebriXuuaav 

13)  eivai  TOU«;  uTTOYeTP«,u)aevoug  uiouq^  tluv  kEr\c,  bn-^ 


Col.  III. 

1)  ßa5  .  .  . 

2)  [eJOaeß  .  .  . 

3)  TieTecp eK  )a)iTp[ög]  .  . 

4)  1tot[oiiti]v  ek  fiiiTpög  ....  [iepeiai;  tüuv  aÜTÜJv] 

5)  OeuDv  XTOTOiiTig  Teaev[ou(peatg] 

6)  Tov  .  .  0  . . .  ov  TTaKu[cr] uug  TT[a]vecp[pe)Li)i]  .  .  . 

7)  iepeiag  tuuv  au[T]ä)[v]  6e[üijv  Te(Te]vou(pi[?]  "Qpou  .  .  . 

8)  TttTTuuiuioq  Tii^  [T]ecrev[oü]qpeuu(;  to  .  .  .  er  Ttap 

9)  döe\9oO<;  IaT[aß]ou[Ta]  K[ai  Xjtotoiitiv  b[i]d  tö  T[eXeiou5 

Kai  dm^iaoug  eupr)]- 

10)  Kevai.  0\[dou]iog  MeXa^  dpxiepeuq  Ka[i  oi 

TTapovTeg  iepeig] 

11)  TTepiT[eneiv  eKeXeu](Tav. 

Das  Aktenstück  giebt  eine  Verhandlung  vor  dem 
römischen  Oberpriester  von  Aegypten,  dem  sacralen  Stell- 
vertreter des  Kaisers, *  Flavius  MeVa.  wieder,  und  zwar  giebt 
es  die  gleiche  Verhandlimg  im  vollen  Umfang  und  officiellen 


'  Lies  TTaKÜcfK;  TTaveqppeu,ueuj(;. 

■■*  Lies  ZTOTof|Tii;. 

3  ÜTTOTe-fpau.uevouc  uiou?  corrigirt  aus  UTTOYe-fpaqjGai  koi. 

«  bri[Xou|Li^vuJv].  Die  Zeugen  scheinen  die  oben   erwähnt  auYTeveic  ck 

,     *  Die  Länge  der  Zeilen  und  damit  die  Ergänzungen  von  Zeile  9  und   10 
sind  unsicher;  der  Name  in  Zeile  10  ist  mit  breiteren  Spatien  geschrieben. 

8  Vgl.  Wilcken  Hermes  23,  601  ff.-,  Griech.  Ostraka  I  398.  Die  Consequenz 
ist,  dass  zunächst  die  Ptolemaeer,  welche  ja  die  sakrale  Gewalt  persönlich  aus- 
üben, und  weiter  ihre  Rechtsvorgänger  die  Pharaonen  ähnlichen  Verhandlungen 
pra;sidirt  haben  müssten.  Ich  darf  gleich  hinzusetzen,  dass  in  einer  noch  früheren 
Zeit  die  Priestercollegien  selbst  die  Entscheidung  gegeben  haben  müssen. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


Wortlaut,  über  welche  die  drei  Berliner  Urkunden  nur  in 
kurzen,  für  den  persönlichen  Gebrauch  oder  die  Akten- 
register gemachten  Auszügen  berichten.  Der  Wortlaut  des 
Briefes  unterbricht  die  Construction  des  sehr  langen  Satzes, 
der  nach  der  Datirung  etwa  begann  OXdouio^  MeXai;  dpxiepeu^ 

Kai   erri  tüuv  iepeuuv   evetuxev öeiiSeTcTiv   evbc,   |uev    uTiep 

uioO  ktX.  In  der  zweiten  Columne  geht  der  Brief  des  Stra- 
tegen weiter,  in  der  dritten  war  entweder  zu  Anfang  die 
körperliche  Untersuchung,  von  der  die  Berliner  Urkunden 
hauptsächlich  berichten,  erwähnt,  oder  wir  haben  es  hier 
mit  jener  Gegenzeichnung  des  Oberpriesters  zu  thun,  von 
der  die  oben  ausgeschriebene  Urkunde  berichtet,  und  die- 
selbe bestand  darin,  dass  eine  Abschrift  des  Briefes  mit  dem 
entsprechenden  Vermerk  an  das  Ortsarchiv  zurückging. 
Diese  hätten  wir  dann.  Die  Beschneidung  selbst  scheint 
danach  in  der  Heimat  der  Kinder,  also  vor  dem  CoUegium 
der  cruYTfeveiq,  vor  sich  zu  gehen. 

Das  erste  und  wichtigste,  was  wir  aus  der  Urkunde 
lernen.  Hegt  in  den  Worten  ßouXo^evoi  lepariKOKs  TrepireiueTv. 
Die  Beschneidung,  oder  vielmehr  eine  bestimmte  Art  der- 
selben *  ist  also  Vorrecht  und  Kennzeichen  des  Priester- 
standes. Also  wird  schon  von  Anfang  an  unter  Hadrian 
eine  Ausnahme  von  dem  allgemeinen  Verbot  der  Beschnei- 
dung für  die  aegyptischen  Priester  gemacht  sein.  Das  Ge- 
such um  Gestattung  geht  daher  zunächst  an  den  Staats- 
beamten ;  aber  dieser  darf  die  Vornahme  der  Beschneidung 
nicht  selbst  erlauben,  sondern  erst  der  Oberpriester.  Beide 
theilen  sich  in  die  Prüfung  der  beiden  Vorbedingungen, 
Abstammung  aus  priesterlichem  Geschlecht  und  körperliche 
Reinheit  und  Makellosigkeit.  Der  Priester  heisst  ja  in 
Aegypten  Web,  der  Reine. 


1  Vgl.  Horapollon  I  14  :  Die  Priester  betrachten  den  Kynoskephalos-Affen 
selbst  als  Priester  (als  Reinen),  weil  er  dieselben  Speisen,  wie  sie,  vermeidet 
Yevvärai  xe  •ii€piT€T|Lii'i|Lievo?  rjv  Kai  oi  icpei«;  dTtiTJibeuouai  irepiToiuriv.  Die 
Beschneidung  lässt  sich  in  verschiedenen  Weisen  vollziehen ;  eine  Beschneidung 
aus  rein  medicinischem  Zweck  erwähnt  im  Gegensatz  zu  der  Priesterbeschneidung 
Josephos  gegen  Apion  II  13. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


Schon  hierin  liegt  meines  Erachtens  ausgesprochen, 
dass  eine  ähnliche  Prüfung  auch  früher  bestand  und  dass 
der  staatliche  Beamte  nur  der  Controlle  halber  entweder 
einen  Theil  der  Functionen  des  Oberpriesters  oder  eines 
Rechtes  der  einzelnen  Priestercollegien  übernommen 
hat.  Auch  die  Art  seiner  Prüfung  lässt  darauf  schliessen; 
für  den  römischen  Staat  hätten  zum  Nachweis  der  Ab- 
stammung aus  einem  Priestergeschlecht  die  Akten  genügt. 
Dass  die  Verwandten  von  Mutterseite  erscheinen,  zu- 
nächst ihre  eigene  Abkunft  aus  Priestergeschlecht  urkund- 
lich erhärten  und  dann  die  Echtbürtigkeit  der  Kinder  be- 
zeugen, ist  nur  als  Ueberbleibsel  des  ältesten  aegyptischen 
Familiem-echtes  zu  verstehen. '  Die  Parallelen  bietet  z.  B. 
die  Aufnahme  des  Kindes  in  die  Phratrie  in  Athen,  die 
Verleihung  der  toga  virilis  an  den  jungen  Römer,  bei  der 
ja  auch  die  Verwandten  zugegen  sind,  und  anderes  mehr. 

Klarer  wird  dies  bei  der  zweiten  ^■or  dem  Oberpriester 
vollzogenen  Prüfung,  die  in  den  Berliner  Urkunden  allein 
hen^ortritt.  Ich  muss  weiter  ausholen.  Dass  es  nicht  Kinder 
im  zartesten  Alter  sind,  mit  denen  die  Väter  aus  den  ent- 
ferntesten Dörfern  des  weiten  Reiches  nach  Memphis  zu 
dem  Oberpriester  reisen,  hat  schon  Krebs  betont.  StaatHch 
eingetragen  als  echtbürtige  Söhne  einer  Priesterin  sind  sie 
schon  früher,*  sie  werden  in  den  Listen  der  priesterlichen 
(puXai  als  dqprjXiKeq  geführt ;  '  was  bringt  die  Beschneidung 
neues  imd  wesshalb  kann  nur  der  Oberpriester  sie  erlauben? 


'  Die  Reste  desselben  zeigen  sich  bekanntlich  in  der  aegyptischen  Namen- 
gebung  (der  Name  der  Mutter  rauss  zugefügt  sein).  Wir  finden  es  noch  bei  den 
Erbfürsten  der  Gaue  des  mittleren  Reiches  (Erman  Aegypten  224  ff.)  und  bei 
dem  religiösen  Empfinden  dem  König  gegenüber  scheint  es  noch  lange  weiter- 
gewirkt zu  haben  (vgl.  die  eigenthümliche  Stelle  bei  Diodor  I  27;  eine  gewisse 
Parallele  bietet,  wie  Prof.  Spiegelberg  mir  zeigt,  die  sakrale  Formel,  bezw.  der 
Name  „Horus,  Sohn  der  Isis").  Später  tritt,  gerade  bei  den  Priestern  am  aller- 
stärksten,  das  Erbrecht  vom  Vater  dem  gegenüber  und,  wenn  auch  die  Priesterin 
trotz  der  Heirath  in  der  eigenen  q)uXri  bleibt,  die  Kinder  folgen  dem  Vater 
(Krebs  Zeitschr.  f.  aeg.  Sprache  1893  S.  35). 

^  Vgl.  Krebs  ebenda  S.  35. 

^  Vgl.  Krebs  ebenda  S.  34. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


Seine  Functionen  hat  Wilcken  erkannt;  sie  bestehen  einer- 
seits in  der  Verwaltung  des  ungeheuren  priesterhchen  Ver- 
mögens, andrerseits  in  der  Bestellung  der  Priester. 
Diese  hatte  zu  den  Rechten  der  Pharaonen  gehört ;  die  Ptole- 
maeer  hatten  sie  übernommen ;  *  dass  der  römische  Kaiser 
sie  durch  einen  Stellvertreter  ausüben  liess,  wird  noch  be- 
greiflicher, wenn  wir  jetzt  annehmen  dürfen,  dass  zu  der 
ersten  Weihe  persönliche  Vorstellung  nothwendig  war.  ^ 
Die  Bestätigung  bietet  die  Prüfimg  selbst :  die  iepoTpajUfiaTeTq  ^, 
Kopucpaioi  und  uTTOKopuqpaToi  prüfen,  ei  xi  armeiov  exei  6  naic,; 
berichten  sie  dem  Oberpriester,  dcTimov  aiiiöv  eivai,  so  ge- 
stattet oder  befiehlt  er  die  Beschneidung. 

Die  Bedeutung  dieser  Untersuchung  wird  vielleicht 
am  ehesten  klar,  wenn  wir  die  Untersuchung  der  Thiere 
vor  dem  Opfer  vergleichen,  die  bei  den  meisten  Völkern 
des  Alterthums  vorgenommen,  in  Aegj^pten  aber  mit  ganz 
besonderer  Strenge  geübt  wird.  Herodot  erzählt  bekannt- 
lich (n  38)  TOU(;  öe  ßoO?  rovq  IpGevaq  tou  'Eirdcpou  eivai  voiuiZlouai 
Kai  TOUTOu  eiveKtt  ÖOKi)iidZ:ou(Ji  auTOU(;  ujöe*  ipixa  fjv  Kai  iniav  löiirai 
eireoücTav  laeXaivav,  ou  KaGapöv  eivai  vo|ni2ei.  öiZ;riTai  be  laOia 
eni  TOUTUJ  TeTaT|uevo(;   tujv  Tiq   ipeuuv*   Kai  öpGoö  ecTTeuuioq  tou 


1  Dekret  von  Kanopos  Zeile  69  ff.  (demotische  Fassung)  vgl.  die  unten 
S.  15  mitgetheilte  Urkunde. 

^  Zu  der  Beförderung  des  einmal  Geweihten  zu  einem  bestimmten  Posten 
ist  sie  natürlich  nicht  nöthig. 

'  Wohl  die  zu  einem  bestimmten  Fest  vereinigten.  Dass  die  Handlung 
nur  an  bestimmten  Festtagen  zulässig  gewesen  sein  mag,  vermuthet  mit  Recht 
schon  Krebs. 

*  Es  ist  der  .uoaxoaqppaTiCJTr)^  oder  iepoLioaxoacppaTi(JT»'-|C,  der  in  den 
Urkunden  der  Kaiserzeit  nicht  selten  erscheint.  Von  einer  Bescheinigung  über 
eine  solche  Prüfung  haben  m.  W.  nur  Grenfell-Hunt  Greek  Pap.  II  64  ein  Bruch- 
stück veröffentlicht.  Ein  volleres  Exemplar  besitzt  die  Strassburger  Sammlung 
{Pap.gr.  1105,  erworben  von  Herrn  Dr.  Thiersch) :  [erjoui;  bujbeKdTOU  aÜTO- 
KpciTopo(;  Kaioapoc;  Tirou  AiXiou  'AbpmvoO  'AvTUJveivou  Xeßaffxoö  Eüaeßoö^ 
0a,uev(ju0  6'  TT[a]TÖaipi(;  MappeioO<;  iepo|aoaxoaq)paYi[cr]Tri;  ^7TeGeu)p»-iaa  |liö- 
0XOV  dvaGuöuevov  ^v  Iokvo  vriö^  üttö  TTauaip€UJ(;  TTav[o(p]p^,uq)iO(;  airö  Tf|<; 
a  Kiij)n(riq)  [KJai  boKi,udaa(;  daqppdYicra,  djqgOTivKaBapöi;.    Es  folgt  eine 

demotische  Unterschrift   „geschrieben  von  Patosiris  (so),   dem Priester  der 

Sehmet  in "  „Priester  der  Sehmet"  ist  zugleich  eine  Bezeichnung  der  Aerzte. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


KTi'iveo?  Kai  utttIou,  Kai  inv  yXijjacav  eHeipucraq,  ei  KaBapii  tujv 
7TpOKei)Lievujv  (Trmiiiuuv,  tä  efdi  ev  dXXuj  Xotuj  epeuu'  Kaiopa  öe  Kai 
Tag  Tpixaq  Tr\c,  ovpf\q,  ei  Kaxd  cpudiv  exei  necpuKuiag"  iiv  öe  toütuuv 
TrdvTUJV  fj  KttÖapoi;,  (Jrmaiverai  ßußXai  irepi  rd  Kepea  eiXicrcTujv, 
Kai  eTTeira  fr\v  crrmavipiöa  eTTmXdcra^  emßdXXei  töv  öaKtuXiov, 
KaiouTuu  dTtd^ouai.  dm'mavTOV  5e  öucravTi  Gdvaiog  r]  Ziriiuiri  eTTiKeerai. 
Genau  dieselbe  Prüfung  bestand  in  ältester  Zeit  für 
die  Menschenopfer,  die  weit  verbreitet  waren  und  an  vielen 
Stellen  erst  später  durch  das  Thieropfer  verdrängt  sind. 
Das  zeigt  sich  meines  Erachtens  am  besten  darin,  dass  das 
Hieroglyphenzeichen,  mit  welchem  das  geprüfte  Opferthier 
versiegelt  wird,  den  zum  Opfer  gefesselten  und  knieenden 
Mann  und  vor  ihm  das  Messer  darstellt. '  Hierdurch  be- 
stätigt sich  die  Angabe  Manethos  bei  Porphyrios  de  abstin, 
11.55  KareXucre  öe  Kai  ev  'HXiou  TiöXei  Tn<;  Aitutttou  töv  xfiq  avSpiuTro- 
KTOviaq  voiuov'Auuuaiq,  djq  ,uapTupeT  MaveBuuq  ev  xuj  irepi  dpxa'i(T|aoö 
Kai  eucreßeiaij.  eöucvro  be  tx\  "Hpa  Kai  eboKiiadZiovio  Ka0dTTep 
Ol  ZjiTOu,uevoi  Ka6apoi  \x6oxo\  Kai  cru(7cppaTi2;6)nevoi.  e9u- 
ovTO  öe  Tii^  n.uepaq  ipi-\c„  dv9'  iLv  Kripivoug  eKeXeucrev  o'Auuucnq 
TOu<;  \ooMC,  emTiGeaOai.  Hieraus  ist  die  auch  von  Krebs  be- 
sprochene Frage  des  Oberpriesters,  ei  aimeia  exei,  zu  ver- 
stehen. 2 


Die  Urkunde  entspricht   ganz   der  dritten   der  Berliner   Urkunden,   die  offenbar 
den  Eltern  die  Bestätigung  der  Erlaubniss  ihr  Kind  zu  beschneiden  giebt. 

*  Kastor  bei  Plutarch  (/t?  Is.  et  Osir.  31,  vgl.  Wiedemann  Ilerodots  zweites 
Buch  182.  Ein  eigenthümlicher  Stempel  aus  Drah-Abul-Negga,  welcher  mehrere 
Reiben  derartig  gefesselter  Gefangener  aufweist,  ist  durch  Prof.  Spiegelberg 
in  die  Strassburger  aegjptologische  Sammlung  gekommen.  Weitere  Beweise  lür 
den  Ersatz  des  Menschenopfers  durch  Thieropfer  hat  Eugene  Lefebure  Sphinx  III 
130  zusammengestellt :  in  einem  alten  Text,  dem  Ap-ro  (Unas  130),  wird  der 
Stier  und  andere  Opferthiere  .als  Feinde  gefasst.  Dasselbe  drückt  später  die 
Darstellung  in  einem  thebanischen  Grabe  aus,  wo  die  abgeschnittenen  Häupter 
der  Opferstiere  hieroglyphisch  durch  Menschenhäupter  wiedergegeben  sind,  u.  s.w. 

*  Dass  Herodot  irrte,  wenn  er  wirklich  annahm,  die  Priester  suchten 
an  der  Zunge  des  Opferthiers  die  Zeichen  des  Apis  (vgl.  III  27),  bemerke  ich 
wegen  Wiedemanns  Darstellung  beiläufig.  Ich  selbst  glaube,  dass  der  Anfang 
des  Kapitels  lückenhaft  ist  und  dass  Herodot  vor  hatte,  an  der  späteren  Stelle 
auch  über  diejenigen  körperlichen  Male  zu  sprechen,  die  unrein  machen. 
Herodots  Angabe   über  die  Bestrafung  dessen,   der   ein   unreines  Thier  opfert, 


T.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


Hier  wie  dort  kann  die  Untersuchung  nur  den  Zweck 
haben,  festzustellen,  ob  körperliche  Male  die  Uebergabe  an 
den  Gott  hindern,  mit  andern  Worten,  ob  das  Opfer  rein 
ist.  Menschenopfer  und  Beschneidung  entsprechen  sich  in 
diesem  wichtigsten  Zuge,  sie  müssen  also  ähnlich  erklärt 
werden.  Nur  soll  man  die  letztere  nicht  als  eine  Abmilde- 
rung  der  ersteren  fassen.  Beide  beruhen  auf  der  uralten 
und  bei  den  meisten  Völkern  nachweisbaren  Doppel-Ent- 
wickelung  des  Opferbegriffes:  das  Opfer  wird  entweder 
vernichtet  oder  in  den  Dienst  des  Gottes  gestellt.  *  Die  Be- 
schneidung ist  die  Uebergabe  an  einen  Gott ;  durch  sie  wird 
man  Wöb,  wird  man  rein.  Es  ist  die  Weihe  zum  Priester. 
Wir  müssen  es,  wie  ich  nun  ohne  Weiteres  folgere,  auch 
bei  dieser  zweiten  Prüfung  mit  einem  altaegyptischen  Brauch 
zu  thun  haben. 

Dies  ist  denn  auch  die  herrschende  Auffassung  der 
Beschneidung  in  hellenistischer  Zeit;  sie  spricht  Origenes 
(in  Ep.  ad.  Roman.  11  495j  aus:  etenim  circumcisio  apud 
vos,  0  gentiles,  ita  magni  habeUtr,  iit  non  passim  vulgo 
ignobili,  sed  solis  sacerdotibns  et  Jiis,  qui  inter  ipsos  elec- 
tioribns  studiis  mancipati  fiierint,  credattir.  nam  apiid 
Aegyptios,  qui  in  super stitionibns  vestris  et  vetustissimi  ha- 
bentur  et  eruditissinii,  a  quibus  prope  omnes  reliqui  ritum 
sacrorum  et  cacrimonias  miitiiati  sunt,  apud  hos,  inquam, 
nullus  aut  geometriae  studebat  aut  astrononiiae,  quae  apud 
illos  praecipuae  ducuntur,  nullus  certe  astrologiae  et  genc- 
seös,  qua  nihil  divinius  putant,  secreta  rimabatur  nisi  cir- 
cumcisione  suscepta.  sacerdos  apud  eos,  haruspex  aut  quo- 
rumlibet  sacrorum  minister  vel,  ut  Uli  appellant,  propheta 


wird  durch  U.  B.  M.  250  bestätigt.  Die  Parallelen  im  Judenthum  sind  bekannt; 
einzelnes  auffälligere  hat  Wiedemann  a.  a.  O.  180  erwähnt.  —  Weitere  Zeugnisse 
für  Menschenopfer  bietet  Wiedemann  214. 

1  Bei  den  Israeliten  sind  die  Zusammenhänge  besonders  klar  noch  in 
dem  späten  Bericht  von  der  Weihung  (Webung)  der  Leviten  (IV  Mos.  8)  und  in 
Jahves  Recht  auf  den  erstgeborenen  Sohn  nachzuweisen.  Die  Frage,  ob  er  zum 
Opfer  oder  zum  Dienst  Jahves  bestimmt  war  (vgl.  R.  Smend  alttestavi.  Religions- 
gesch.  I  282),  dürfte  von  hier  zu  entscheiden   sein. 


10  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

onini's  cinuDicisus  est.  liUeras  quoqiic  saccrdotales  veterum 
Aegyptiontiu,  quas  hicroglyphicas  appcllant,  nano  discebat 
nisi  circuincisus.  oniuis  liicrophantcs,  ouinis  vatcs,  oiiinis 
(^antislcsy '  caeli,  ut  piitant,  infcrniqnc  inystcs  et  conscitis  * 
aptid  cos  esse  non  creditiir,  nisi  fuerit  circiimcisiis.  Hoc 
igitnr  apnd  nos  ttirpe  et  ohsccmun  iudicatis,  quod  apiid 
vos  ita  honestiun  habetur  et  magniun,  tit  caelcstiiiin  infer- 
nortimque  secrcta  nonnisi  per  huitiscemodi  insignia  flies 
initiü)  enuntiave  vohis  posse  crcdatis.  ^  Von  derselben  Auf- 
fassung der  Beschneidung  als  reXeriT  geht  die  Quelle  des 
Clemens  Alexandi-inus  aus,  nach  welcher  Pythagoras  u.  a., 
um  in  die  Weisheit  der  aegyptischen  Priester  eingeweiht  zu 
werden,  sich  der  Beschneidung  unterziehen  musste.  *  Mit 
derselben  Auffassung  hängt  endlich  die  Angabe  Diodors 
(I  88)  zusammen,  welcher  den  Cult  des  Bockes  zu  Mendes 
mit  der  Verehrung  des  Phallos  überhaupt  zusammenbringt 
und  hinzufügt  Ka9d\ou  öe  tö  aiöoiov  ouk  AifUTTTiou(;  judvov, 
dXXd  Kai  xiliv  dWuuv  ouk  öXiYOuq  KaGiepuuKevai  Kaid  lixc,  leXeidq 
uj(;  aiTiov  rfiq  TÜJV  ^üjuuv  Ytveaeuug,  roug  le  iepeig  loug  TrapaXa- 
ßövxa^  Td<;  TrarpiKdq  lepujcruvaq  kut'  Ai'tutttov  toutuj  tlD  öeoi 
TTpuuTov  |Liuei(T0ai.  '"    Diodor    beruft    sich    ausdrücklich    auf 


*  ßamen  ergänzt  B.  Keil. 

2  Das  geht,  wie  bei  Origenes  zu  erwarten  stand,  auf  gute  und  alte  Kenrtniss 
zurück.  So  führt  der  Oberpriester  von  Heliopolis  im  alten  Reich  den  Titel  „der 
im  Schauen  Grosse"  und  die  Nebentitel  „der  das  Geheimniss  des  Himmels 
schaut"  und  „Oberster  der  Geheimnisse  des  Himmels"  (Erman  393).  Auf  die  Mys- 
terien, die  Geheimnisse  des  Thot  brauche  ich  nur  zu  verweisen  (vgl.  Erman  464). 

3  Danach  ist  die  sinnlose  Stelle  des  Barnabas-Briefes  9,  6  zu  verbessern 
dXXä  Kai  tzüc,  Xupoq  Kai  "Apai^  Kai  irdvTe?  oi  iepeic  tüjv  €ibüj\iuv  Kai 
(iciXiaxa  oi  Aiyütttioi  (oder  nur  oi  Alf-);  vgl.  die  lat.  Uebersetzung.  Uebrigens 
betont  Origenes  auch  in  der  V.  Homilie  zu  lerem,  (p.  195)  die  religiöse  Bedeutung 
der  Beschneidung  in  Aegypten. 

*  Strom.  I  15,  66.  Da  die  Angabe  bei  lamblich  {vit.  Pyth.  II  p.  18 
Kiessl.)  wiederkehrt,  so  werden  wir  die  Quelle  vielleicht  in  den  Kreisen  jener 
ersten  Neupythagoraeer  suchen  dürfen,  die  sich  in  Alexandria  wahrscheinlich 
zunächst  aus  den  Priestern  recrutirten. 

*  Als  TeXeaxiKÖv  wird  ja  die  Antrittsteuer  der  Priester  bezeichnet  (Wilcken 
Ostraka  I  397).  Die  Vorstellung  von  den  Mysterien  des  Priesterthums  ist  uralt. 
Da  auch  für  die  Prüfung  des  Opferthieres  eine  Steuer  bezahlt  wird,  so  könnten 


I.  Beschneidung  xind  Priesterordnung.  1 1 

litterarische  Quellen ;  Avenn  irgend  einen  Abschnitt,  so  düi^f en 
wir  diesen  die  Rechtfertigung  des  Thierdienstes  enthaltenden 
auf  Hekataios  von  Abdera  zurückführen '  und  haben  somit 
unsere  Auffassung  bis  in  die  älteste  Ptolemaeerzeit,  d.  h. 
bis  an  die  Grenze  der  nationalen  Entwicklung  Aegyptens 
zurückverfolgt.  Ihre  Consequenz  ist,  dass  die  Beschneidung 
schon  seit  geraumer  Zeit  auf  die  Priester  beschränkt  war. 

Den  Vorzug  der  Neuheit  hat  diese  Behauptung  nicht ; 
für  die  spätere  Kaiserzeit  hat  sie  schon  Krebs  ausgesprochen, 
und  in  der  medicinischen  Litteratur  aus  dem  Anfang  des 
vorigen  Jahrhunderts  und  demgemäss  auch  in  flüchtigen 
Sammlungen  neuerer  Ethnologen  begegnet  man  bei  den 
einen  auf  Grund  einer  später  zu  besprechenden  Stelle  des 
Buches  Josua,  bei  den  andern  ohne  jeden  Beleg  der  Be- 
hauptung, in  Aegypten  seien  zu  aller  Zeit  nur  die  Priester 
und  Krieger  beschnitten  worden.  Dagegen  haben  die  Aegyp- 
tologen  theils  a  priori  irgendwelche  religiöse  Bedeutung 
der  Beschneidung  bei  den  Aegyptern  bestritten,  theils  auf 
Grund  „ausdrücklicher  Zeugnisse"  griechischer  Schriftsteller 
die  allgemeine  und  unbeschränkte  Verbreitung  dieser  Sitte 
bis  in  die  römische  Zeit  hinein  behauptet.  Ich  wende  mich 
zimächst  zu  diesen  angeblichen  Zeugnissen. 

Krebs  beruft  sich  für  die  allgemeine  Verbreitung  der 
Sitte  auf  Strabo  XVII  824  Kai  toüto  öe  tuuv  inaXidia  Z^nXou- 
laevuuv  Trap'  auToTc;  tö  Travta  Tpeq)eiv  xd  T£vvuu|neva  iraibia  Kai 
TÖ  7repiTe)nveiv  Kai  id  GriXea  eKTejLiveiv,  ötrep  Kai  xoig  'loubaioK; 
vdm'iuov  Kai  outoi  b'eiaiv  AiTinmoi  tö  dvtKaOev,  KaGdirep  eipn- 
Kaiaev  ev  tu)  irepi  eKeivuuv  Xötuj.  Danach  müsste  die  Be- 
schränkung auf  die  Priester  zwischen  der  Zeit  Strabos  und 
Josephos'  eingetreten  sein,  der  bekanntlich  (gegen  Apion  II 13) 
ausdrücklich  erklärt,  dass  nur  die  Priester  beschnitten  werden. 
Aber  diese  Annahme  führt  zu  den  schwersten  Widersprüchen. 
Josephos   hat   sich   um    die   Geschichte    des   Brauches   be- 

wir  das  xeXecVTiKÖv  sehr  wohl  auf  die  Beschneidung  beziehen  (vgl.  die  Stelle 
des  Origenes),  während  das  eiaKpixiKÖv  (Wilcken  Ostraka  I  S.  185)  den  Eintritt 
in  eine  bestimmte  Charge  besteuert. 

'  Vgl.  Ed.  Schwartz  Rhein.  Mus.  40,  228;    (vgl.  auch  Horapollon  I  48). 


12  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

kümmert,  er  verwendet  dasselbe  Argument  wie  Origenes 
in  der  oben  ausgeschriebenen  Stelle.  War  ihm  bekannt, 
dass  noch  vor  kurzem  die  Aegypter  wie  die  Juden  alle  der 
Beschneidung"  unterworfen  waren,  so  musste  er  das  vor- 
biingen.  Er  berichtet  nun  ausdrücklich,  dass  sein  Gegner 
Apion  bis  ins  höhere  Alter  unbeschnitten  war;  Apions  Ge- 
burt fällt  vor  die  Abfassung  des  Werkes  Strabos;  konnte 
Apion,  der  sich  vmi  die  Geschichte  des  Cultes  ebenfalls  be- 
kümmert hat,  die  Juden  wegen  der  allgemeinen  Beschnei- 
dung verhöhnen,  wenn  sie  noch  bei  seinen  Lebzeiten  in 
AegN^pten  ebenso  bestanden  hatte?  Und  ist  es  überhaupt 
denkbar,  dass  Kaiser  Tiberius  —  denn  um  ihn  könnte  es 
sich  ja  allein  noch  handeln  —  eine  derartig  gefährliche 
und  überflüssige  Aenderung  in  der  wichtigen  imd  durchaus 
nicht  imgefährdeten  Provinz  eingeführt  hat?  —  Strabo  hat 
X\T[  760  nach  Poseidonios  die  Abstammung  der  Juden  von 
den  Aegyptern  behauptet;  er  erinnert  sich  jetzt,  wo  er  zu- 
gleich Herodot  gegen  Angriffe  vertheidigen  will,  der  früheren 
Ausführungen.  Darauf,  dass  der  Brauch  der  Beschneidung 
in  beiden  \^ölkern  besteht  und  religiöse  Bedeutung  hat, 
kommt  ihm  alles  an;  über  seine  Ausbreitung  spricht  er 
nicht  und  will  er  nicht  sprechen.  Genau  so  steht  es  mit 
den  Zeugnissen  Philos  und  Diodors,  auf  die  Wiedemann 
und  einzelne  ihm  folgende  Theologen  sich  berufen;  man 
vgl.  Philo  de  circumcis.  1  TtpdTiia  crTToubaZ:6|aevov  ou  laerpiiu? 
Kai  TTupd  erepoK^  eöveai  Kai  \xä\\o-xa  tüj  ArfUTTTiaKip  *  und  Diodor 
III  32  TÜ  ö'aiöoia  TTüvreq  oi  TpaiYXoöuiai  TfapaTrXri(7iuu(;  ToTq 
AiTUTTrioig  TrepiTeiavovTai  ttXhv  tujv  dirö  toü  cru)UTTTÜü)aaT05  övo- 
|biaZ;o|aevuuv  KoXoßu'jv.  outoi  yöP-  •  •  ex  viittiou  Supoiq  dTroTeiuvov- 
Ttti  TTctv  TÖ  Toiq  dXXoiq  ,uepo^  TrepiTO)niiq  Tu-fx«vov.  Diodor  scheidet 
verschiedene  Stämme  der  Troglodyten,  so  die  Megabaren 
u.  a. ;   daher  ist  uüvjtc,  zu  verstehen.    Dafür  dass  die  Be- 


'  Von  der  Bedeutung  der  Sitte  sagt  seine  Quelle  später  (<Jri,ua(v€i) 
beÜTepov  Tf]v  bi'  öXou  toO  aöiuaTOi;  KaeapÖTiira  irpö^  tö  Äp.uÖTTCiv 
TciEei  iepuJiJ^vr),  irap'  ö  Kai  Eupöivrai  rci  ötüiaaTa  oi  dv  Aiyutttlu  lep^uuv 
^■naibec^y.  Der  Vergleich  des  ganzen  jüdischen  Volkes  mit  den  Priestern  der 
Aegyptcr  kehrt  immer  wieder. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  lo 

schneidung  in  der  Ptolemaeerzeit  ausschliesslich  bei  den 
Priestem  geübt  wurde,  dass  man  dies  für  eine  ursprüngliche 
Culteim-ichtung  hielt  und  von  keinem  Wechsel  wusste,  giebt 
der  von  Alexander  Polyhistor  benutzte  jüdisch-hellenistische 
Geschichts-  oder  Romanschreiber  Artapanos  ein  bisher  über- 
sehenes Zeugniss.  Er  führt  den  gesammten  aegyptischen 
Cult  auf  Moses  zurück  und  sagt  u.  a. :  *  oütuj  öii  lOu^AOiOTrag, 
Kairrep  övraq  7T-oXe|niou(;,  crtepSai  tov  Mubucrov,  üjcrre  Kai  iriv 
TTepiTO)ixriv  TÜJV  aiboiuuv  irap'  exeivou  juaGeTv.  ou  )li6vov  he  Tomov<;, 
äWä  Kai  tolk;  iepei(g  äTraviaq.  Artapanos  und  Hekataios 
stimmen  in  den  Voraussetzungen  vollkommen  überein ;  ein 
entgegenstehendes  Zeugniss  aus  jüngerer  Zeit  giebt  es  nicht. 
So  bleibt  nur  das  bekannte  Zeugniss  Herodots  (II  37) 
Geocreßee^  be  TrepiacTuui^  eövreg  fiaXicria  TrdvTuuv  dvGpiuTTUJV  vö- 
)Lioi(Ti  TOioTcTibe  xpe^viai.  ek  x^^Keiuv  TiOTripiujv  TrivoucTi,  öia- 
(T)au)vTe?  dvd  irdcrav  ii)Liepr|v,  ouk  ö  \xiv  ö  ö'ou,  dWd  irdvieg. 
ei'lLictTa  he  Xivea  cpopeoucn  aiei  veÖTiXura,  emTnbeuovTe?  toöto 
|LidXi(JTa,  rd  re  aiboTa  TrepirdiuvovTai  KaOapeiÖTiixoqe'i'veKev,  rrpo- 
TimÄVTe?  KaGapoi  eivai  i^  euTTpeiredTepoi.  oi  he  ipeeg  Hupiüviai  irdv 
TÖ  (TuO|ua  öid  xpirrig  rilLiepn?,  i'va  inrite  qpGeip  lanxe  dXXo  )uu(Japöv 
|ur|öev  exTivriTai  crcpi  BepaTTeuoucri  touq  Beoug-  e(J9i]Ta  he  cpo- 
peoucn oi  xpeec,  Xiveriv  jucuviiv  Kai  uTTOÖri|iiaTa  ßußXiva.  dXXr|V 
he  (Jcpi  edOnra  ouk  eHecrti  Xaßeiv  ouöe  urroöiiiaaTa  dXXa* 
XcOviai  he  hiq  T\]q  rmepri?  eKdö'Tiig  H^uxpu)  Kai  hlc,  eKdö^xriq  vu- 
Kxög,  dXXag  xe  Opriö'Kniaq  eTnxeXeouOi  |uupiaq  uuq  eiireiv  Xötuj. 
Es  scheint  mir  nicht  unmöghch,  dass  Herodot  hier  Eigenes 
und  Fremdes,  eine  allgemeine  Betrachtung  über  die  Ord- 
nungen rehgiöser  Reinheit  und  eine  Aufzeichnimg  über  die 
Pflichten  der  Priester  verbindet.  Doch  will  ich  von  dieser 
Erklärung  keinen  Gebrauch  machen,  sondern  einmal  zu- 
geben, dass  er  glaubte,  die  Beschneidung  sei  nicht  auf  die 
Priester  beschränkt.*  Dass  er  über  ihre  Verbreitung  im 
Volk  weder  Untersuchungen  angestellt  hat  noch  Aussagen 


•  Eusebios  praep.  ev.  IX  27,10  =  p.  433  a. 

2  Die  Möglichkeit,  dass  die  Tempelsklaven  damals  auch  schon  beschnitten 
waren,  werden  wir  später  prüfen  müssen.  Ich  lege  hier  auf  sie  ebenfalls  kein 
Gewicht. 


14  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

machen  will,  dass  auch  ihn  nur  die  Existenz  und  Auffassung 
der  befremdhchen  Sitte  interessirte,  endhch  dass  seine  Ge- 
währsmänner gerade  hier  überwiegend  Priester  sind,  brauche 
ich  nicht  zu  betonen.  Bei  der  Stabilität  der  religiösen  Bräuche 
in  Aeg}'pten  halte  ich  es  von  vornherein  für  richtiger,  einen 
Irrthum  Herodots  als  eine  so  tiefgehende  Aenderung  in  der 
letzten  Zeit  der  persischen  Herrschaft  anzunehmen  — 
oder  vielmehr  eine  doppelte  Aenderung.  Denn  dass  in 
der  Zeit  des  Jeremias  die  Juden  von  einer  allgemeinen  Be- 
schneidung in  Aeg3'pten  nichts  wussten,  beweist  Jeremias 
9,  26,  der  die  Aeg}'pter  ausdrücklich  zu  den  Unbeschnittenen 
rechnet,  und  eine  Erzählung,  die  vor  die  letzte  Redaction 
des  Josua-Buches  fällt,  bestätigt  bekanntlich  diese  Angabe. 
So  wende  ich  mich  zunächst  zu  den  Einzelheiten  der  jüngeren 
Tradition. 

Dass  die  Kinder  nicht  in  allzujugendlichem  Alter  die 
weite  Reise  nach  Memphis  machen  mussten,  sah,  wie  er- 
wähnt, schon  Krebs.  Eine  feste  Angabe  bietet  bekanntlich 
Ambrosius  {de  Abrah.  11  p.  3-18)  denique  Aegyptii  quarto 
dccimo  anno '  circnmcidunt  mares,  et  feminae  apud  eos  eo- 
dem  anno  circiimcidi  fcnintur,  quod  ab  eo  videlicet  anno 
incipiat  ßagrare  passio  virilis  et  fcminariim  menstrua 
suniant  cxordia.  Nehmen  wir  hinzu,  dass  die  Vorstellung 
vor  dem  Oberpriester  an  einem  bestimmten  Festtage  ge- 
schieht und  die  Beschneidung  ihr  bald  nachfolgt,  so  fällt 
als  Parallele  hierzu  das  Verleihen  der  toga  virilis  in  Rom 
wohl  ohne  weiteres  in  die  Augen.  Die  Wahl  des  Termins 
ist  leicht  begreiflich,  wenn  wir  uns  erinnern,  dass  bei  V^oll- 
endung  dieses  „Jahres  der  Weisheit,*'  wie  es  in  aegyptischen 
Quellen  heisst,  das  Kind  in  späterer  Zeit  für  den  Staat 
\'ollbürger  und  in  die  Steuer-  bezw.  Dienstlisten  eingetragen 
wird ;  *  dass  die  Priesterweihe,  die  ja  früher  alle,  später 
einen  Theil  dieser  Kinder  steuerfrei  machte,  vorher  vor- 
genommen wird,  ist  wohl  begreiflich.    Es  ist  also  eine  Be- 

'  D.  h.  bekanntlich  „mit  13  Jahren". 

*  Vgl.  Paul  Meyer.  Das  Heerwesen  der  Ptolemaeer  uud  Kontier  in  Aegypten, 
•S.  llSflF.     C.  VVessely.  Sitzungsber.  d.   Wiener  AkaJ.   1S90  Epikrisis. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  15 

stätigung  meiner  Ansicht,  wenn  es  in  der  Biographie  des 
Hohenpriesters  von  Memphis  Ps6re-n-Ptah  '  heisst,  ,,im 
Jahre  25  am  21.  Phaophi  unter  der  Regierung  des  Königs  und 
Landesherren  Ptolemaios,  des  Gottes  Soter,  des  Triumpha- 
tors,  war  der  Tag,  an  welchem  ich  geboren  ward.  Ich  ver- 
lebte 13  Jahre  im  Angesichte  meines  Vaters.  Es  erging 
ein  Befehl  des  Königs  und  Landesherren,  des  Gottes  Philo- 
pator Philadelphos  Neos-Dionysos,  des  Sohnes  der  Sonne 
und  Herren  der  Diademe  Ptolemaios,  dass  mir  das  hohe 
Amt  eines  Hohenpriesters  von  Memphis  übertragen  werden 
sollte,  der  ich  14  Jahre  alt  war."  Mit  dreizehn  bis  vierzehn 
Jahren  trat  der  Priester  damals  sein  Amt  an.  *  Eine  weitere 
Bestätigung  bietet  der  zweifellos  aus  Aegj^pten  übernommene, 
durchaus  hierzu  stimmende  Brauch  der  arabischen  Stämme, 
den  Origenes  .z;ur  Genesis  I  p.  16  (vgl.  'Euseh.praep.  er.  VI 293b) 
erwähnt  tujv  5e  ev  'IcriuariXiTaig  Toic,  Kaid  ifiv  'Apaßiav  xoiovöe, 
ujg  TTdvTag  TrepiTejuvecröai  xpicTKaiöeKaeTeicj.  toöto  Yctp  icTTopn- 
xai  ixepi  auTuJv.  Die  Angabe  ist  mit  Erinnerung  an  Genesis 
c.  17  geschrieben,  stammt  aber  nicht  daher,  sondern 
empfängt  vielmehr  von  dieser  relativ  sehr  jungen  Erzählung 
ihre  weitere  Beglaubigung.  Denn  natürlich  ist  dort  die  an 
sich  so  wenig  passende  Datirung  der  Einsetzung  der  Be- 
schneidung nur  daher  zu  erklären,  dass  der  Erzähler  die 
Sitte  der  arabischen  Stämme  kennt  und  das  a'mov  für  sie 
geben  will:  „Ismael  aber,  sein  Sohn,  war  dreizehn  Jahr  alt, 
da  seines  Fleisches  Vorhaut  beschnitten  ward.''  Die  Sitte 
hat"  sich  bekanntlich  im  Islam  erhalten ;  der  Termin  ist  ver- 
schoben. Jetzt  werden  in  Aeg3^pten  die  Knaben  zwischen 
dem  5.  und  10. Jahre  beschnitten.^  Sie  werden  durch  diese 
Ceremonie  zur  Ausübung  der  Religion  befähigt;  erst  jetzt 
dürfen  sie  beten,  erst  jetzt  die  Moschee  betreten. 

Hierzu  passt  es,  dass  eine  von  Czermak  untersuchte 
Mumie  eines  Knaben  von  etwa  15  Jahren  sich  als  beschnitten 

*  Brugsch  Thesaurus  Inscriptionuin  Aegyptiacarutn  V.  p.  VIII. 
2  Vgl.  hierüber  auch  Revillout,  Revue  Egypt.  II  102  A.  4. 
'  Klunzinger,   Oberaegypten   190;  Lane    (Sitteti   d.   Aegypter    I   48)    giebt 
noch  6 — 14  Jahre  als  Durchschnittsalter  an. 


16  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

erwies. '  Hierzu  stimmen  ferner  die  Angtiben  des  Papyrus 
XXIV  des  Bririschen  Museums  aus  dem  Jahre  163  v.  Chr.'« 
Eine  Frau,  Nephoris,  hat  von  einem  Klausner  im  Serapeion 
1300  Drachmen  entlehnt,  imter  dem  Vorgeben,  ihr  Töch- 
terchen, Tathemis,  das  mit  ihr  im  Heiligthum  lebt,'' 
beschneiden  und  verheirathen  zu  wollen.*  Nephoris  gehört 
also  in  irgend  welcher  Art  zu  den  Priesterinnen ;  sie  scheint 
selbst  Klausnerin;  ihr  Töchterchen  kann,  gerade  wenn  die 
Beschneidung  erst  die  Aufnahme  in  den  Stand  bedeutet, 
für  jetzt  nicht  anders  bezeichnet  werden.  Die  Geschlechts- 
reife tritt  nach  Dr.  Klimzingers  Beobachtungen  bei  den 
Mädchen  jetzt  in  dieser  Gegend  zwischen  dem  12.  und  14. 
Jahr  ein,  mitunter  noch  früher.  Dass  mit  ihrem  Eintritt 
auch  die  Heirath  vollzogen  wird,  ist  bekannthch  bei  allen 
Völkern  des  Orients  überwiegende  Sitte,  und  zwar  für  beide 
Geschlechter. 

Bei  den  Knaben  tritt  auch  in  Aegypten  die  Geschlechts- 
reife erheblich  später,  nämlich  durchschnittlich  erst  zwischen 
dem  15.  und  18.  Jahr  ein.  *  Dennoch  muss  Ambrosius  den 
Sinn  der  Maassregel  richtig  angegeben  haben ;  für  den  Staat 
wie  den  Cult  bietet  die  Geschlechtsreife  die  natürliche 
Grenze  des  Ti\e\oc,  dvi'ip.  Sie  wird  zunächst  in  jedem  einzelnen 
Fall  festgestellt ;  erst  später  tritt  eine  gesetzliche  Normirung 
der  Durchschnittsgrenze  ein,  und  diese  Normimng  wird 
allmählich  immer  weiter  nach  unten  gerückt.  Ich  brauche 
wieder  an  die  ganz  analogen  Verhältnisse  in  Rom  nur  zu 
erinnern.  So  halte  ich  es  nicht  für  eine"  Widerlegung, 
sondern  für  eine  Bestätigung  meiner  Ansicht,  dass  uns  aus 


»   Wiener  Sitzungsber.  Math.  Cl.  1852  S.  432  ff- 

^  Kenyon  Caial.  I  S.  32.    Die  Kenntniss  der  Urkunde   danke   ich  Krebs. 

3  Toö  eufOTpiou  .  .  öuvbiaTpißovToq  ^v  TU)  icpLÜ.  Die  Trape^voi  tüuv 
Up^UDV  empfangen  nach  der  Ordnung  des  Dekrets  von  Kanopos  (Z.  69  ff.)  dort 
vom  Tage  ihrer  Geburt  an  den  Unterhalt. 

«  TrpoeveTKa>Atvri<;  T»iv  Ta6niaiv  üjpav  (Ix^iv,  ibq  ^Goi;  ^ötiv  toi^ 
AiTw^iTTioK;  irepiT^^iveaeai  (es  sind  zu  aller  Zeit  auch  Griechen  unter 
den  Klausnern).  Das  Mädchen  empfängt  zu  dem  Fest  ein  neues,  bestimmtes 
Gewand  (wie  noch  jetzt  in  Aegypten);  die  Hauptsumme  ist  als  Mitgift  bestimmt. 

'  Klunzinger  a.  a.  O.  190  ff. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  17 

älterer  Zeit  ein  Fall  bekannt  ist,  dass  ein  Knabe  erst  mit 
16  Jahren  WSb  wird.  Es  ist  der  spätere  Hohepriester  des 
Amon  Bekenchöns  (unter  Ramses  11.),  der  nach  seiner  Bio- 
graphie die  ersten  4  Jahre  bei  seinen  Eltern  bleibt,  dann 
12  Jahre  eine  halb-militärische  Erziehung  in  den  Ställen 
des  Pharao  geniesst  und  hierauf  mit  16  Jahren  als  Web, 
als  Reiner,  in  den  Dienst  des  Gottes  tritt.  * 

So  bleibt  als  letztes  noch  die  einzige  aegyptische  Dar- 
stellung der  Beschneidung  in  dem  Bild  aus  dem  Tempel  des 
Chunsu  zu  Kamak,  welche  Chabas  {Revue  archeol.  N.  S.  III 
1861  S.  298 ff.)  herausgegeben  hat."  Chabas  meint,  dass  es 
sich  um  zwei  Knaben  von  etsva  8 — 9  Jahren  handelt.  Das 
wäre,  selbst  wenn  es  sich  um  deutsche  Knaben  handelte, 
zu  niedrig  gegriffen.  Wer  die  schlanken,  unentwickelten 
Glieder  der  heutigen  Fellachenknaben  gesehen  hat,  wird 
ein  Alter  von  etwa  13  Jahren  wohl  für  möglich  erklären, 
selbst  wenn  der  Künstler  nicht,  um  die  Jugendlichkeit  zu 
betonen,  die  Schlankheit  der  GUeder  übertrieben  hat.  ^Mchtig 
ist  an  der  ganzen  Darstellung  nur,  dass  mehi'ere  Kinder 
zugleich  beschnitten  werden,  und  dass  die  Mütter  bei  diesem 
Act  gegenwärtig  sind,  ja  Hilfe  leisten. 

Ich  Avende  mich  zunächst  zu  der  zweiten  Forderung, 
die  sich  aus  dem  Strassbui^ger  Pap3'rus  als  nothwendig  für 
die  Aufnahme  in  den  Priesterstand  ergiebt,  der  Ahnenprobe. 
Auch  hier  darf  ich  zunächst  die  vorzüglichen  Vorarbeiten 
von  Krebs  zu  Grunde  legen,  ^  hoffe  aber  über  sie  hinaus- 
kommen zu  können.  Von  jenem  auf  das  älteste  aeg3^ptische 
Recht  weisenden  Einzelzug,  den  ich  schon  fiiiher  besprach, 
abgesehen,  zeigt  imser  Papyinis  nur  die  auch  sonst  in  dieser 
Epoche  bezeugte  ErbHchkeit  des  Priesteithums.  Nur  wess 
Vater  und  Ahn  schon  Priester  waren,  kann  in  diesen  Stand 


'  Vgl.  Erman  Aegypten  398,  Brugsch  Aegyptologie  275  ff. 

*  Der  Verbleib  des  Monuments  ist  mir  unbekannt,  mein  Unheil  also 
nur  auf  die  Reproduction  begründet,  die  manches  unklar  lässt.  Sicher  scheint 
dass  zwei  Mütter  bei  der  Handlung  betheiligt  sind;  ob  zwei  Knaben  oder  ein 
Knabe  und  ein  Mädchen  muss  unentschieden  bleiben. 

^  Krebs  Zeitschr.  f.  aeg.  Spr.  1893,  34  ff. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  2 


18  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

aufgenommen  werden.  Dass  auch  für  die  Mutter  die  Priester- 
qualität erforderlich  war,  legt  für  die  älteste  Zeit  die  Be- 
ui-theilung  der  Verwandtschaft  nach  der  Mutter  nahe  anzu- 
nehmen. Für  unsere  Zeit  möchte  man  es  nach  Geburts- 
anzeigen wie  U.  B.  M.  28  vermuthen;'  auch  die  für  mich 
leider  nicht  ergänzbare  dritte  Columne  unserer  Urkunde 
scheint  darauf  zu  weisen. 

Mindestens  seit  dieser  Zeit  bildet  der  Priesterstand 
den  Adel  Aegj^ptens;  auch  wer  nicht  selbst  Priester  ist, 
darf  mit  Stolz  erwähnen,  dass  er  aus  priesterlichem  Ge- 
schlechte stammt.*  Allein  schon  Krebs  hat  erkannt,  dass 
weder  die  griechische  noch  die  römische  Herrschaft  hierin 
etwas  neues  geschaffen  haben  oder  schaffen  konnten.  Die 
Verhältnisse  am  Eingang  der  Ptolemaeerzeit  sind  genau 
gleich  denen  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.;  das  lehrt 
das  berühmte  Dekret  von  Kanopos.  Krebs  hätte  hinzu- 
fügen dürfen,  dass  auch  die  persische  Herrschaft  die  straffe 
Organisation   des   Priesterstandes,  ^   die   er   selbst   uns   am 

*  Der  Vater  nennt   sich  Trapd  TTaKÜöK;  ZaxaßoÖTO^  xoO  TTaveqppe^K;, 

HriTp6?lTOTof|Ti(;  iepetx;  e'  qpu\r|(; die  Mutter  xfi?  toütou  YuvaiKÖc  Taßoö- 

TOC  r?\q  lTOTor)Teuj<;  iepiae;  a'  cpu\f|(;.  Dasselbe  Princip  tritt  in  den  Genea- 
logien aus  der  letzten  Ptolemaeerzeit,  die  Revillout  /üevue  Egypt.  II  95  fF.  mit- 
theilt, hervor.  Freilich  wird  es  nicht  ausnahmslos  durchgeführt.  Der  Priester 
hat  als  solcher  nur  eine  rechtmässige  Gattin  (Diodor  I  80),  aber  er  kann  sich 
daneben  Concubinen,  ja  selbst  einen  ganzen  Harem  halten  (Erman  220),  und  der 
König  kann,  besonders  beim  Fehlen  anderer  Kinder,  ausnahmsweise  auch  den 
Sohn  der  Concubine  dem  Vater  folgen  lassen  (Revillout  Revue  Egypt.  II  100,  12). 
Für  gewöhnlich  werden  aber  neben  dem  echten  Priestersprössling,  dem 
KoGapö?  ^K  Kaöapüuv,  andere  stehen,  die  nicht  in  die  Phyle  gehören.  In  wie- 
weit sie  von  anderen  Berufen  ausgeschlossen  sind,  kann  zur  Zeit  noch  Niemand 
sagen.  Aber  das  Vorkommen  von  nichtpriesterlichen  Priestersöhnen  hätte  nie 
als  Beweis  gegen  die  Existenz  einer  Priesterkaste  angeführt  werden  dürfen. 
Lehrhafte  Parallelen  geben  die  priesterlichen  Traditionen  semitischer  Stämme 
(z.  B.  über  Isaak  und  Ismael). 

'•*  Noch  Marinos  weiss  in  dem  Leben  des  Proklos,  wenn  er  von  jedem 
Lehrer  seines  Meisters  etwas  Rühmendes  berichten  will,  den  Grammatiker 
Orion  nicht  besser  zu  loben  als  Kap.  8  öq  fiv  ^k  toO  irctp'  AiYUTTTiOK;  iepari- 
Koö  Y^vou?  KaraTÖfievo;. 

'  Den  Priesterstand  zu  stärken,  wäre  ja  auch  die  grösste  politische  Thor- 
heit  für  jeden  Eroberer  gewesen,  und  für  die  Herodot  vorauslicgende  Zeit  lässt 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  19 

besten  erläutert  hat,  nicht  geschaffen  haben  kann.  Die  An- 
gaben Herodots  über  das  -^ivoc,  iepeuuv  sind  zunächst  aus 
dem  Dekret  von  Kanopos  zu  verstehen. 

Die  Bestellung  der  Priester,  der  Web,  vollzieht  der 
griechische  König  als  Nachfolger  der  Pharaonen.  Er  kann 
der  Gesammtheit  der  Priester  an  dem  einzelnen  Heiligthum, 
dem  TTXri9o(;,  zugesellen,  wen  er  will.  Aber  die  Priester- 
schaft ist  an  allen  Heiligthümern  in  vier  Geschlechtsverbände 
oder  Phylen  (aeg.  sa])  getheilt.  Die  Priesterin  bleibt  beim 
Eingehen  der  Ehe  mit  einem  Priester^  in  ihrer  Phyle;  die 
Kinder  gehen  in  die  Phyle  des  Vaters  über;  der  Sohn 
(bezw.  ein  Sohn)  hat  innerhalb  dieser  Phyle  erbliches 
Recht  auf  das  Priesterthum ; **  es  ist  zugleich  das  Recht 
auf  eine  lebenslängliche  Versorgung ;  so  wh-d  bei  dem  An- 
tritt eine  Steuer  an  den  König  entrichtet.  ^  Verlassen  können 
die  Priester  die  Ph5'le  nicht,  wohl  aber  wahrscheinlich,  da 
dieselben  vier  Phylen  überall  sind,  innerhalb  der  Phjie 
avanciren.    Sind  doch  die  Heiligthümer  nach  ihrer  Bedeu- 

sich  ein  schroffer  Gegensatz  zwischen  der  persischen  Regierung  und  dem 
Priesterstand  durch  die  Inschrift  von  Butos  erweisen  (vgl.  Wachsinuth  Rhein. 
Mus.  26.,  463). 

*  Vgl.  oben  S.  18  A.  i.  Die  Geschlechtsverbände  haben  also  unter- 
einander das  conubiuDi;  es  wird  freilich  in  der  Regel  nur  innerhalb  der  Phylen 
desselben  Heiligthums  geübt  sein.  Auf  einen  noch  älteren  Brauch  weist  die 
Geschwister-  und  Verwandten-Ehe,  ursprünglich  wohl  die  äusserste  Consequenz 
einer  auf  reine  Erhaltung  des  y^'V'^  gerichteten  Strebens. 

"■*  Projiciren  wir  diese  Ordnung  in  die  ältere  Zeit,  so  erklärt  sich  ohne 
weiteres  die  Pflicht  des  Pharao  „einen  jeden  auf  den  Thron  seines  Vaters  zu 
setzen"  (Erman  Aegypten  226),  oder  das  Gebet  des  Priesters  zu  Abydos  „ich 
bin  ein  Prophet  und  Sohn  eines  Propheten  dieses  Tempels"  (Erman  371;  vgl. 
für  die  Zeit  des  mittleren  Reiches  Erman  395,  Zeitschr.  f.  aeg.  Spr.  1882  S.  171), 
so  auch  die  häufige  Vererbung  einer  bestimmten  Stelle  in  einer  Familie 
(Wiedemann  Museo7i  V.  99;  Revillout  a.  a.  O.  102,  4).  In  anderen  Fällen  sehen 
wir,  dass  das  Erbrecht  in  strengem  Sinn  sich  nur  auf  die  Ernennung  zum  Web 
bezieht  (Erman  212);  eine  Anzahl  bestimmter  Stellen  haben  die  Ptolemaeer  wie 
die  Vertreter  der  römischen  Kaiser  an  den  Meistbietenden  versteigert,  natürlich 
nur  unter  den  Web;  das  kann,  wie  B.  Keil  mir  zeigt,  auf  griechischen  Brauch 
zurückgehen.  Wir  müssen  die  Tempel,  die  Zeit  der  Gründung,  vielleicht  sogar 
die  Art  der  Stellen  sondern  und  nicht  zu  schnell  allgemeine  Behauptungen  wagen. 

^  Wilcken  Ostraka  I  S.  185  u.  397. 

2* 


20  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

tung  in  drei  Classen  geschieden ;  eine  Ortsveränderung  wird 
nicht  häufig,  wohl  aber  durch  den  Willen  des  Königs  möglich 
gewesen  sein. '  Durch  das  Dekret  von  Kanopos  wird  eine 
fünfte  Phyle  eingerichtet  *  für  alle,  welche  der  König  bisher  zu 
Priestern  ernannt  hat  oder  bis  zu  einem  bestimmten  Termin 
noch  ernennen  wird ;  aber  die  Priester  bedingen  sich  dabei  aus 
(Zeile  27)  rouq  be  TrpoüTrdpxovTat;  iepeiq  eujc,  toO  TrpuÜTOu  etou? 
eivai  ibaauTUJ(;  ev  laic,  amai(;  qpuXaiq,  ev  alq  TTpöiepov  rjcrav,  ouoiiuq 
be  Kai  Touq  eK'fövovq  auTÜJv  cittö  toü  vOv  KaTaxujpiIecr6ai  eic,  idq 
auTot^  qpuXdg,  ev  alq  oi  TraTepeq  iicrav.  Der  neuen  Ph3ie  gehören 
also  auch  die  Priestersöhne  an,  welche  der  König  in  den 
verflossenen  8  Jahren  zu  Web  hat  weihen  müssen.  Die- 
jenigen Personen,  welche  er  jetzt  vom  7.  T3'bi  bis  zum 
Schluss  des  Mesore  in  diese  Phyle  noch  ernennen  wird, 
sind  also  sicher  nicht  Priester  söhne.  Das  Königsrecht 
kann  gar  nicht  schärfer  ausgesprochen  werden.  Es  folgt 
meines  Erachtens  nothwendig,  dass  auch  die  bisher  er- 
nannten nicht  alle  Priestersöhne  gewesen  sind. ^     Da   die 

'  So  erklärt  sich  m.  E.  am  leichtesten,  dass  in  unserer  Urkunde  zu  den 
, .Verwandten  von  Mutterseite"  auch  der  G~oX.icyTr)C  in  der  ,uriTpÖTTO\l^  des 
Fayüm  (Krokodilopolis)  gehört,  während  die  Petenten  in  dem  Dorf  Sokno- 
paiunesos  wohnen.  Er  ist  offenbar  ein  höherer  Priester.  Ob  das  Avancement 
sich  auf  bestimmte  Cultkreise  beschränkte,  wissen  wir  nicht. 

^  Dieselben  vier  Phylen  begegnen  uns  in  den  neugefundenen  Papyri  von 
Kahun  aus  dem  mittleren  Reich  (vgl.  Borchardt  Zeitschr.  f.  aeg.  Spr.  XXXVII 
S.  94  ff.);  wichtig  ist,  dass  sie  hier  auf  die  Laienpriester  ausgedehnt  sind; 
das  weist  ebenfalls  auf  alte  Geschlechtsverbände. 

'  Ob  sie  schon  in  die  vier  alten  Phylen  aufgenommen  waren,  ist  leider 
nicht  zu  sagen.  Für  die  Priestersöhne  wäre  es  selbstverständlich  gewesen,  falls 
nicht  etwa  eine  Periode  des  Streites  und  ein  passiver  Widerstand  der  Priester- 
schaft vorausgegangen  ist.  Für  die  homiues  tiovi  ist  eine  sofortige  Aufnahme 
nicht  ebenso  selbstverständlic|i,  und  vielleicht  lagen  für  die  Behandlung  solcher 
Fälle  schon  alte  Traditionen  vor.  Denn  das  Emennungsrecht  des  Pharao  konnte 
mit  dem  Erbrecht  des  Adels  schon  früher  coUidirt  haben;  Versuche,  die 
Geschlechterherrschaft  in  dem  social  und  politisch  wichtigsten  Stande  zu 
beschränken,  können  schon  früher  gemacht  sein.  Die  einfachste  Lösung  wäre 
dann  gewesen,  den  /lomo  novus  zunächst  ausserhalb  der  Phylen  zu  belassen  und 
erst  seinen  mit  einer  Priesterin  erzeugten  Sohn  in  die  Phyle  der  Mutter  aufzu- 
nehmen, eine  auch  bei  den  semitischen  Stämmen  bezeugte  Form  der  Aufnahme 
in  eine  Geschlechterhierarchie. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  21 

neue  Phyle  die  gleiche  Vertretung  wie  die  alten  empfängt, 
wird  sie  von  Anfang  an  gleich  stark  oder  stärker  als  jene 
constituirt  sein.  Sie  soll  von  nun  an  erblich  sein,  wie  die 
übrigen,  und  soll  nach  ausdrücklicher  Bestimmung  dieselben 
Weihen  und  Functionen  (und  also  auch  Befördenmgen)  *  auf 
sich  nehmen  wie  die  übrigen. 

Der  Vorgang  hat  sich  niemals  wiederholt;  um  so 
seltsamer,  dass  seine  politische  Bedeutung  meines  Wissens 
noch  kaum  hervorgehoben  ist.  Nur  Mahaffy  bezeichnet  das 
Dekret  kurz  als  einen  Friedensschluss  zwischen  der  National- 
partei und  dem  ausländischen  Herrscher  und  fasst  seine  An- 
ordnungen als  vorher  zwischen  den  Priestern  und  dem  König 
vereinbart.^  Ich  denke,  das  zeigt  sich  nirgends  deutlicher  als  in 
dieser  Bestimmung.  Die  Auflösung  alter  Geschlechtsverbände 
oder  die  Gründung  neuer  neben  ihnen  ist  ja  ein  herkömmliches 
Mittel  griechischer  Politik  zur  Verschmelzung  verschiedener 
Elemente  innerhalb  desselben  Gemeinwesens.  Griechisch, 
nicht  aegyptisch,  ist  der  ganze  Gedanke,  den  der  König  aus 
der  Geschichte  des  benachbarten  Kyrene  ebensogut  wie 
aus  den  Theorien  griechischer  Lehrer  der  Staatskunst  ent- 
nehmen konnte.  ^  Es  braucht  sich  dabei  durchaus  nicht  blos 
vmi  die  Wahl  ihm  persönlich  ergebener  Männer  in  diese 
neue  Adelsclasse  gehandelt  zu  haben;  auch  die  Heran- 
ziehung griechischer  Geschlechter  zu  dem  national-aeg3^p- 
tischen  Cult  hatte  ihre  politische  Bedeutung.    In  der  That 

1  Den  griechischen  Ausdruck  (aYveiai)  erklären  Chairemon  bei  Porphyrios 
de  übst.  IV.  6  ff.  und  Plutarch  de  Is.  et  Os.  6.  MahafFy  {Empire  of  the  Ptolemies  233) 
irrt.  Die  Bestimmung  schliesst  vieles  in  sich,  was  Griechen  am  Eintritt  hindern 
konnte  (z.  B.  die  Beschneidung)  und  zeigt  insofern  ein  doppeltes  Gesicht. 

^  So  ist  ja  auch  im  Gegensatz  zu  dem  Dekret  von  Rosette  der  griechische 
Text  hier  der  ursprüngliche,  der  aegyptische  die  Uebersetzung. 

'  Man  erinnere  sich  an  Aristoteles'  Politik  VI  4  =  1319b  19  Bekker : 
?Ti  be  Kai  T(i  ToiaÖTtt  KaxaCKeudaiLiaTa  xp^öiina  irpöq  xrjv  brmoKpaxiav  Tr)v 
TOiaÜTtiv,  oiq  KXeiaÖevriq  xe  'AOriviiaiv  i\^x\(5(j.-zo  ßouXöuevoi;  aüEfiaai  t\\v 
bii.uoKpaTiav  Kai  irepi  Kuprivrjv  oi  xöv  bfi|uov  KaöiarcivTe?.  qpuXai  re  y«P 
trepai  TTOiriTeai  TrXeiou^  Kai  cpparpiai  kt\.  Ich  erinnere  an  die  Politik 
der  letzten  Könige  Roms.  Die  Einführung  neuer  Götter,  mit  der  Ptolemaios 
Soter  begonnen  hatte,  entspricht  der  Einführung  griechischer  Gottheiten  für  den 
neuen  Doppelstaat  der  Patrizier  und  Plebejer  in  Rom. 


<i-  I.   Beschneidung  und  Priesterordnung. 

scheinen  griechische  Priester  schon  früh  zu  begegnen. 
Jener  Apollonios  6  dpxiepeug  XeYO|Li€vo(g  scheint  dies  Amt  zu 
Letopohs  bekleidet  zu  haben;  »  characteristisch  ist,  dass 
gerade  er  über  Orpheus  und  seine  Weihen  schrieb.  Gerade 
in  Aeg>'pten  wird  ja  —  fühlbar  im  Interesse  eines  religiösen 
Synkretismus  —  die  orphische  Litteratur  wieder  belebt  imd 
vermehrt.  Auch  Leon  aus  Pella*  kann  sehr  wohl  Priester 
gewesen  sein;  auch  er  arbeitet  im  Sinne  einer  \^erschmel- 
zung.  Inschriftlich  bezeugt  scheint  ferner  für  das  zweite 
Jahrhundert  Eraton,  der  avrf^vr]q  des  Königs,  dpxiepeüg  und 
7Tpo(pr|Tr|?  einer  uns  unbekannten  Gottheit. '  Im  Allgemeinen 
wird  freilich  diese  griechische  Minorität  eine  schwere  Stel- 
limg  gehabt  haben,  wenigstens  sobald  die  Regierung  in 
der  sorgfältigen  Ueberwachung  der  Collegien  nachliess. 
Die  Klagen  des  Ptolemaios  des  Sohnes  des  Glaukias,  der, 
„weil  er  Grieche  ist,"  unter  den  Klausnern  des  Serapeion 
mancherlei  Bedrückungen  ausgesetzt  ist,  gestatten  darauf 
einen  Rückschluss.  * 

Denn  freilich  schon  der  mächtigste  und  kühnste  der 
Ptolemaeer  hat  einen  vollen  Sieg  nicht  davongetragen ;  das 
Dekret  enthält  wirkhch  einen  Friedenschluss  zweier  gleich 
starker  Mächte.  Die  alten  Phylen  Hessen  lieber  ein  Grund- 
recht ihrer  Geschlechterordnung  einmal  verletzen  und  ver- 
zichteten auf  acht  Jahrgänge  ihres  Nachwuchses,  als  dass 
sie  die  Besetzimg  der  neuen  Phyle  ganz  in  die  Willkür  des 
Königs  gestellt  hätten.  Die  spätere  Ptolemaeerpolitik  beugte 
sich  bekanntlich  vor  der  nationalen  Partei-  und  nahm  die 
aegyptischen  Traditionen  wieder  auf.  Die  Könige  haben 
innerhalb  dieser  Traditionen  durch  Ausübung  des  Rechtes, 
die  einflussreichsten  Stellen  nach  ihrer  Wahl  aus  der  Reihe 


'  SusemihI  Gesch.  J.  griech.  Litt,  in  d.  Alexandriner  zeit  I  648. 

^  SusemihI  a.  a.  O.  315.    Er  gehört  vsahrscheinlich  früherer  Zeit  an. 

'  Lenormant  Recueil  II  p.  25.  Auch  dass  innerhalb  des  Serapeion  Griechen 
Vorsteher  aegyptischer  Heiligthümer  sind,  wie  Apollonios  der  ^TnaTciTr|(;  des 
Avoußieiov  (Faul  Meyer  S.  72^,  darf  man  wohl  hierher  ziehen. 

♦  Von  Paul  Meyer  sind  sie  fälschlich  als  Beweis  eines  allgemeinen  Vor- 
gehens der  Aegypter  gegen  die  verhassten  privilegirten  „Griechen"  gcfasst  (S.  61). 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


der  Web  zu  besetzen  oder  einzelne  Männer  dem  ttXiiGo^ 
der  Priester  zu  aggregiren,  den  gleichen  Zweck  besser  und 
vollständiger  erreicht,  als  Euergetes  dmxh  seine  gewaltsame 
Maassregel.  Ich  werde  hierauf  in  dem  zweiten  Kapitel 
zui'ückkommen. 

Für  jetzt  wird  es  sich  empfehlen,  den  Gang  der  Unter- 
suchung ein  wenig  zu  unterbrechen  und  einen  Blick  auf 
den  grossen  Nachahmer  ptolemaeischer  Religionspolitik,  auf 
Caesar,  zu  werfen.  Wenn  er  jedem  der  grossen  Priester- 
thümer  je  ein  sechzehntes  Mitghed,  zu  den  Epulonen  drei 
neue  Mitglieder  zufügte,  so  war  der  Zweck  dieser  Maass- 
regel zunächst,  seine  Macht  zu  zeigen.  Aber  es  ist  die 
Macht  des  aeg^^ptischen  Königs,  die  Caesar  als  ungekrönter 
Herrscher  in  Rom  ausübte.  Wir  werden  danach  auch  die 
religiösen  Ehren,  die  ihm  nicht  ohne  seine  Einwilligung,  ja 
meines  Erachtens  nicht  ohne  sein  Zuthun  bewilligt  werden 
konnten,  zu  beurtheilen  haben.  Die  Aufstellung  seines 
Bildes  in  allen  Tempeln  machte  ihn  zum  ovvvaoc,  Qeoq,  wie 
es  der  Ptolemaeer  durch  das  Dekret  in  allen  Tempeln  seines 
Reiches  ward,  das  öffentliche  Fest  (Opfer)  an  seinem  Ge- 
burtstage kehrt  ebenfalls  im  Dekret  von  Kanopos  (als  schon 
früher  eingerichtet)  wieder.  Die  Errichtung  einer  dritten 
Phyle  der  Litperci,  der  Lupcrci  lulii,  erinnert  ebenfalls  an 
die  neue  Priesterphyle  der  EuepTtrai  0eoi.  Die  Aufstellung  der 
Ehrendekrete  an  der  Basis  des  Jupiterstandbilds  (Dekret  von 
Kanopos  Z.  75  ev  tuj  eTTiqpavecTTdTUj  tottuj  tOuv  re  a'  iepüuv  Kai  tuüv 
ß'  Kai  Tüjv  t),  die  Kalenderordnung  und  manches  andere 
liesse  sich  hier  zum  Vergleich  heranziehen.  Für  Caesar 
nicht  direct  bezeugt,  aber  nicht  unwahrscheinlich  '  ist  ferner 
die  für  Augustus  später  beschlossene  Ehrung,  dass  in  die 
uralten  imd  bisher  ungeänderten  Lieder  der  Salier  Ab- 
schnitte zu  ihren  Ehren  aufgenommen  werden  und  in  das 
Ritual  der  virgines  Vestalcs  Gebete  für  sie  eingefügt  werden ; 
dem  entspricht  die  Anordnung  des  Dekrets  (Z.  68j  abeiv  ö"  ei<; 
auTriv  Ka6'  niaepav  Kai  ev  laiq  eopraiq  Kai  iraviiTupecriv  tuüv  Xoittujv 

'  Vgl.  Dio  44,  6,  I  Kai  irpoa^Ti  Kai  euxeaöai  üir^p  auTOu  hri.uoaia  Kar' 
^Toq  eKoarov. 


24  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

öeüüv  Toü«;  xe  ujöouq  avbpaq  Kai  räq  -{waiKac,,  ovq  äv  u)avou<g  oi  iepo- 
Ypa)Li,uüTei(g  -fpuypavTec,  öüjcJiv  tlü  ujbobiöaaKdXuj,  iLv  Kai  rdvii- 
Tpaqpa  KaiaxuipicrGricreTai  eiq  idq  iepd?  ßußXouq.  Es  ist, 
wenn  man  auf  diese  Parallelen  einmal  geachtet  hat,  durch- 
aus nicht  imwahrscheinhch,  sondern  spricht  vielmehr  für  die 
Vorzüglichkeit  der  Tradition,  wenn  Dio  Cassius  44,7,3  be- 
richtet d)Li€\ei  Kttl  TuvaiHv  ÖGa\q  dv  e9e\ri(Tri  cTuveivai  oi  eroXiaiicrdv 
Tive(g  eTTiTpevpai,  öti  TroXXaiq  Kai  tote  eri,  Kaiirep  TrevTriK0VT0UTri<g  üjv, 
eXPnTO.  Auch  das  gehörte  zu  den  rehgiösen  Vorrechten 
der  Pharaonen  und  wird  rechtHch  auf  die  Ptolemaeer  über- 
gegangen sein,  und  wer  die  Quelle  jener  anderen  Ehrungen 
und  Einfühningen  kannte,  mochte  es  aus  Spott  oder  über- 
triebener Devotion  hinzufügen  wollen. »  Ich  kann  die  Ge- 
sammtheit  dieser  Notizen  kaum  anders  deuten,  als  dass 
Caesar  selbst  daran  dachte,  die  reUgiöse  Stellung  des  aeg3'p- 
tischen  Königs  in  seinem  Weltreich  füi*  sich  zu  erstreben. 
Wie  er  sich  die  Vermittlung  mit  der  altheimischen  Religion 
denken  mochte,  wird  sich  uns  später  ergeben. 

Die  ludxiMOi  erscheinen  bei  Herodot  bekanntlich  als 
Lehnsträger,  Inhaber  eines  kleinen  Gutes  von  12  Aruren,  das 
ihnen  auf  Lebenszeit  überwiesen  ist  imd  auf  den  Sohn  über- 
geht. *  Es  ist  dies  eine  im  Orient  im  Grossen  wie  im  Kleinen 
nachweisbare  Wirthschaftsform.  ^  Eine  Bestätigung  der  An- 
gaben Herodots  bietet  die  künsthche  Wiederbelebung  des 
Standes  der  ladxiuoi  diu^ch  Ptolemaios  Epiphanes,  für  welche 
ims  Paul  Meyer  in  seinem  verdienstvollen  Buch  über  das 
Heerwesen   der  Ptolemaeer    und  Römer  in  Aegj'pten  das 


•  Der  aegyptische  Gott  hat  ja  unter  seinen  irdischen  Dienerinnen,  ver- 
heiratheten  und  unverheiratheten,  eine  rechtmässige  Gemahlin,  ein  „oberstes 
Kebsweib"  und  einen  Harem,  Sängerinnen  u.  s.  w.  (Erman  400)  und  „nach  einem 
uralten  heiligen  Buche,  das  das  selige  Leben  des  verstorbenen  Königs  schildert, 
wird  dem  Pharao  unter  Hinzufügüng  einiger  nicht  gerade  anständiger  Worte 
zugesichert,  er  werde  auch  im  Himmel  die  Frauen  ihren  Gatten  nach 
Belieben  fortnehmen"  (Erman  223,  vgl.  113). 

'  Erst  Diodor  I  73  bringt  in  einer  fühlbar  philosophisch  überarbeiteten 
Stelle  die  Behauptung,  dass  alle  Söhne  wieder  Krieger  werden;  dem  wider- 
spricht, dass  bei  Herodot  Zahl  und  Grösse  der  KXfipoi  bestimmt  ist. 

'  Geizer  Rhein.  Mus.  35,  516. 


I.  Beschneiduns;  und  Priesterordnung. 


Yerständniss  erschlossen  hat.  So  wenig  günstig-  die  Lage 
dieser  )ndxi|iioi  bald  wurde,  sie  galten  damals  als  der  zweite 
Adelsstand;  sie  und  die  Priester  bilden  zusammen  „d^s 
aegyptische  Volk".  Das  zeigt  besonders  die  eigenartige 
Beschreibung  der  Königswahl,  der  dvaKXiiTripia,  bei  S3mesios 
uepi  TTpovoiaq  I  5  und  6,  die  viel  zu  viel  richtige  und  gute  De- 
tails enthält,  um  nicht  auf  eine,  wenn  auch  manchmal  missver- 
standene und  phantastisch  ausgemalte  Schilderung  der  ptole- 
maeischen  dvaKXnTi'ipia  zurückzugehen.  Man  vergleiche  :eTT€iöii 
ouv.  . .  TTapfiv  11  Kupia,  auveiXexaio  )Liev  eiq  auTi^v,  TrdXai  TrpojiYopeu- 
juevov,  eS  u-ndoriq  iröXeuuq  AiTUTTiiag  iepeuuv  xe  öcrai  qppfjipai 
Kai  TÖ  (TTpaTiujTiKÖv  TÖ  auTÖxöov.  ouTOi  )Liev  utt'  dvdYKii(;  xoO  vö|uou' 
Td  hk  dXXa  luep»!  tüjv  &ii)najv  eSfiv  |uev  dneivai,  TtapeTvai  he.  ovbexc, 
eipY€TO,  9ea(j6|Lievoi  t^v  x^ipofoviav,  ouk  auioi  x^ipoTOvricrovTeq. 
auqpopßoi  öe  eipYOvio  Tr]c;  Qeac,,  Kai  ögtxc,  auxög  f]  Yevoq  dXX6q)u- 
Xo?  ujv  OTrXocpopeT  )uicr0(juTÖ<;  ArfUTTTioig,  Kai  toutoi?  dTreipiixo  |Lifi 
Ttapeivai. 

Auch  hier  erhält  die  Schaar,  die  sa]  jetzt  die  Be- 
deutung eines  fingirten  Geschlechts  verbau  des.  Das  zeigt 
einerseits  der  berühmte  Pap3^rus  LXIII  des  Louvre  Z.  30 
TÖ  ö'  ö.uolov  au)Lißaiveiv  Kai  toi^  dXXoi«;  xoit;  ev  tlu  Y^vei  qpepo- 
|a evoi^  und  noch  deutlicher  die  Bezeichnung  der  einzelnen 
Abtheilimgen  des  eTriiaYiua:  oi  ev  tlu  'HpaKXeorroXiTri  ctuyyc- 
vexc,  KdToiKoi.  '  Auch  die  schon  in  dem  nationalaegyp- 
tischen  Reich  nachweisbare,  bei  den  Ptolemaeern  durch- 
geführte Gliederung  der  Hilfstruppen  nach  Völkerschaften 
mag  hiermit  zusammenhängen ;  sie  bilden  Cultgemeinschaften, 
wie  wir  dies  für  die  ältere  Zeit  überwiegend  auch  an- 
nehmen müssen.*    Auch  hier  hat  der  König  das  Recht 


'  Paul  Meyer  S.  69  A.  238  findet  hierfür  im  Grunde  keine  Erklärung; 
sie  bietet  sich  erst,  wenn  wir  wissen,  dass  die  Abtheilungen  der  Priester  aus 
(TUYTCV€l^  bestehen.  Auch  die  häufige  Verwendung  der  Bezeichnung  (ibeX9Ö<; 
für  den  Standesgenossen  kann  wenigstens  mit  dieser  Geschlechterordnung  zu- 
sammenhängen (Paul  Meyer  S.  72  A.  253). 

*  Dem  entspricht  es,  dass  auf  der  Inschrift  von  Rosette  gesagt  wird 
(Z.  15)  dTT^\uae  b^  Touq  iK  xdjv  iepiijv  ^6vujv  toü  kut'  ^viauröv  ei<; 'A\e- 
Edvbpeiav  KaxdTrXou.  Gemeint  sind  die  Vertreter  der  „Stämme"  der  Priester- 
schaften. 


26  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

der  Ergänzung:.  Neben  die  TTepcrai  Tri^  eTriTovfics,  tur  welche 
unsere  Bibliothek  eine  Reihe  wichtiger  Urkunden  bietet  und 
bei  denen  der  Zusammenhalt  durch  einen  bestimmten  Cult 
besonders  bezeugt  ist,  treten  später  die  TTepcrai  oi  Trpoa-fpacpoi 
(Meyer  S.  S4).  Auch  hier  herrscht  ja  an  und  für  sich  die 
Erblichkeit;  aber  es  erbt  nur  ein  Sohn,  der  älteste  aus 
legitimer  Ehe.  Das  ist  erklärlich,  weil  es  sich  hier  um  eine 
bestimmte  Leistung  des  Staates  an  die  einzelne  Familie 
handelt.  Es  wäre  an  sich  denkbar,  dass  hier  auch  nicht- 
aegyptische  Einflüsse  einwirken;  doch  wird  ein  Rückblick 
auf  die  „Priesterkaste"  schon  jetzt  lehrreich  sein. 

Wenn  ein  einzelner  Vornehmer  sich  einen  Todtencult 
sichern  und  dazu  eine  Stiftung  machen  will  „von  Aeckern, 
von  Leuten,  von  Heerden,  von  Teichen  imd  von  allerhand 
Dingen",  so  bedingt  er  von  dem  zum  Priester  bestimmten 
ausdrücklich  „diese  Dinge  werden  nur  dem  einen  deiner 
Söhne  gehören,  von  dem  du  willst,  dass  er  mein  Todten- 
priester  werde  vor  deinen  (anderen;  Kindern  .  .  .  ohne  dass 
er  es  wieder  unter  seine  Kinder  theilen  darf". '  Aber  auch 
die  Priesterschaft  an  dem  staatUchen  Tempel  ist  mit  be- 
stimmten Einkünften  und  Leistungen  des  Staates  verbunden 
und  kann  andrerseits  als  Pflicht  und  Leistung  der  Familie 
an  den  Staat  gefasst  werden.  Es  ist  mindestens  für  die 
ältere  Zeit  mit  ihren  an  Zahl  sehr  beschränkten  Priester- 
collegien  nur  wahrscheinlich,  dass  nicht  die  Söhne,  sondern 

'  Erman  213.  Dass  der  Priester  sich  nicht  beliebig  dem  Prieslerdienst 
entziehen  kann,  liegt  im  Wesen  alles  Geschlechtercultes.  Auch  für  den  |näxi!UO<;, 
der  ein  bestimmtes  Stück  Land  als  Staatslehen  erhält,  wird  eine  ähnliche  Be- 
stimmung nicht  gefehlt  haben;  für  die  zahlreichen  unfreien  Landarbeiter  liegt 
sie  in  der  Natur  der  Sache.  Für  die  „Hirten"  (Unfreie  oder  Nomaden  am  Rande 
des  Fruchtlandes)  ebenfalls.  So  erklärt  sich  die  von  Isokrates  (Busiris  16)  her- 
vorgehobene Behauptung,  dass  kein  Aegypter  seinen  Stand  ändern  kann.  Seine 
Quelle  ist,  wie  er  selbst  (17)  andeutet,  eine  sophistische  Schrift  irepi  iroXiTeioiv, 
bezw.  irepi  AuKebaiiaovüuv  TroXiTciac;.  Derselben  scheint,  nur  mit  Umgestaltungen 
nach  einem  philosophischen  System,  Plato  im  Timaios  zu  folgen.  Das  weist  auf 
Kritias;  beachtenswerth  ist  die  Berührung  mit  Herodot  VI  60.  Die  Angaben 
Strabos  sind  zu  kurz;  Diodor  I  73-74  (Ilekataios)  betont  vor  allem,  mit  Recht, 
«lie  Dreitheilung  des  bebauten  Landes;  als  Hauptzeuge  für  die  vielbesprochenen 
„Kasten"  der  Aegypter  bleibt  Herodot. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  27 

nur  ein  Sohn  erbberechtigt  war.  Nur  hiervon  redet  übrigens, 
trotz  der  angeblichen  Angaben  über  die  „Kaste",  Herodot 
37:  eiredv  öerig  diroGdvr),  toutou  6  Tiaig  avTiKaiicTTaTar,  einTheilder 
Polemik  gegen  seine  Angaben  fällt  hiermit  von  selbst  fort. 
Aber  freilich,  je  mehr  der  Priesterstand  zum  einzigen  Adel 
des  Landes  wird,  um  so  mehr  muss  er  suchen,  seinem  Nach- 
wuchs möglichst  ganz  den  Titel,  wenn  auch  nicht  die  äusseren 
Vortheile  zu  sichern. '  Für  die  römische  Zeit  ist  uns  bezeugt, 
dass  nm-  ein  Theil  der  Priester  an  jedem  Heiligthum  dieXeig 
waren ;  den  anderen  Theil  bildeten  gewissermaassen  Super- 
numerare, die  an  den  Rechten  des  Priesterstandes  keinen  oder 
nur  geringen  Antheil  nahmen.  ^  Sollte  hiermit  auch  die  Schei- 
dung von  lepeiq  und  iepuu|uevoi,  oder  iepuj)uevoi,  Geweihte,  W6b, 
zu  verbinden  sein,  die  wir  in  einer  Wiener  Urkunde  finden?^ 
Hierfüi"  spricht  auch  die  verhältnissmässig  grosse  Zahl 
der  Priester  in  einem  so  kleinen  Ort  wie  Soknopaiunesos. 
Es  müssen  nach  dem  Berliner  Priesterverzeichniss,  das  Krebs 
a.  a.  O.  S.  34  erwähnt,  mindestens  20 — 30  ordentliche  Priester 
gewesen  sein.  Innerhalb  dieses  Collegiums  sind,  wie  unser 
Papyrus  zeigt,  alle  5  Presbyter  und  mindestens  noch  der 
cTToXicTTriq  den  beiden  Petenten  nahe  verwandt  —  ein  hübscher 
Beweis  für  den  engen  Zusammenhalt  der  iepd  eGvri  noch  in 
dieser  Zeit  und  ein  glänzender  Beleg  dafür,  was  Herodot 
mit  dem  Y^vog  iepeuuv  meinte  und  einzig  meinen  konnte. 


'  Wir  wissen  noch  nicht,  wann  diese  Bewegung  anfängt.  Eine  Spur  von 
ihr  glaube  ich  schon  in  dem  Dekret  von  Kanopos  zu  erkennen,  nach  dem  die 
Töchter  der  Priester  vom  Tage  ihrer  Geburt  an,  also  ohne  Wahl  durch  den  Pharao, 
eine  halbsakrale  Stellung  einnehmen.  Sehr  früh  musste  die  Verallgemeinerung 
bei  Uebertragungen  in  ein  anderes  Volk  eintreten,  bei  dem  es  eine  staatlich 
festgesetzte  Zahl  von  Priesterstellen  nicht  gab.  Hier  musste  das  Princip  der  Erb- 
lichkeit zur  Bildung  von  Priesterstämmen  in  weiterem  Sinne  führen. 

^  Vgl.  P.  Meyer  S.  113.  Wilcken  Oslraka  I  241. 

'  W.  V.  Harte]  Ueber  die  Griechischen  Papyri  Erzherzog  Rainer  Wien 
1886.  S.  70  (vom  Jahre  231  n.  Chr.)  larib^va  hi  TUJv  iep^uj[v  f|]  iepiuiueviuv  iv- 
KaTa\e\oiTT^vai  Tdi;  [9p]ri(JKeia(;.  Man  könnte  freilich  auch  an  die  Klausner  und 
an  die  mannigfaltigen  Zwischenstellungen  zwischen  den  eigentlichen  Priestern 
und  den  Laien  denken.  Zum  Wortgebrauch  vgl.  Clemens  Strom.  V  19  :=/>.  237  S. 
Toi<;  iepuJiu^voK;  tout^öti  toii;  dvaKeiii^voii;  tuj  OeCu. 


-ö  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

Man  hat  das  Zeugniss  Herodots  und  der  im  Wesent- 
lichen mit  ihm  übereinstimmenden  späteren  Autoren  dadurch 
zu  beseitigen  versucht,  dass  man  von  dem  Wort  „Kaste" 
und  dem  Begriff  der  indischen  „Kasten"  ausgehend  durch 
eine  Anzahl  Beobachtungen  nachwies,  dass  solche  Kasten 
in  Aeg3'pten  nie  bestanden  haben,  und  hat  hieraus  ohne 
weiteres  den  Schluss  gezogen,  dass  auch  in  Aegypten  der 
Jüngling  so  frei  war,  sich  seinen  Stand  zu  wählen,  wie  im 
modernenStaat,*  oder  man  hat  die  Erblichkeit  des  Priester- 
thiuns  zwar  für  die  älteste  Zeit  zugeben,  für  das  neue  Reich 
aber  bestreiten  wollen;*  auch  dann  wäre  Herodots  Angabe 
vollständig  falsch.  Einzelne  Argumente  habe  ich  schon 
früher  zu  entkräften  versucht.  Der  anscheinend  stärkste 
Beweis,  dass  wir  nämlich  öfters  Kinder  oder  Enkel  eines 
Priesters  in  nichtpriesterHchen  Stellen  und  deren  Nach- 
kommen wieder  in  Priesterstellen  finden,  ist  durch  die  Strass- 
burger  Urkunde  völlig  entkräftet.  Wenn  z.  B.  der  Gouverneur 
Paser  (XIX.  Dynastie)  Sohn  eines  Priesters  ist  und  sein  Sohn 
uns  wieder  als  Priester  begegnet,  ^  so  könnten  wir  einerseits 
annehmen,  dass  ihn  selbst  irgend  ein  körperlicher  i\lakel,  ein 
(Jiiueiov,  an  der  Uebemahme  des  Priesterthums  hinderte;  seine 
Qualität  e5  iepariKoü  -(ivovc,  brauchte  er  darum  nicht  zu  ver- 
lieren, und  sein  Sohn  konnte,  wenn  er  köi-periich  makelfrei 
war,  das  Recht,  bezw.  die  Pflicht,  der  Familie  doch  in  An- 
spruch nehmen.  Es  ist  ferner  möghch,  dass,  Avenn  ein  Mit- 
glied der  bevorrechteten  Familie  kinderlos  gestorben  war, 
nicht  darum  die  ganze  Familie  ihr  Recht  einbüsste,  sondern 
dass  sie  einen  jüngeren  Stellvertreter  praesentiren  konnte  oder 
praesentiren  musste.  Wir  haben  endlich  immer  mit  dem  Er- 
nennungsrecht des  Pharao  zu  rechnen. 

Ich  verzichte  dai*auf,  weitere  Erklärimgen  für  die  ver- 
einzelten Ausnahmen  aufzuführen.  Die  wahre  Kritik  an  den 
Angaben  der  griechischen  Historiker  und  zugleich  an  den 
Einwendungen,  die  man  in  jüngster  Zeit  gegen  sie  gemacht 

•  Wiedemann  Z<?  Muscon  V  (1886)  S.  79. 
■•'  Erman  S.  395  und  398. 

*  Erman  398  A.  6,  Wiedemann  S.  99  ff. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  29 

hat,  scheint  mir  darin  zu  Hegen,  dass  jene  Angaben,  die  so 
sicher  bezeugte  Existenz  eines  ausgebildeten  Beamtenthums 
vollkommen  ignoriren  und  dass  die  Kritik  gerade  diese  Be- 
amtenklasse zur  Widerlegung  benutzt,  ganz  als  ob  Herodot 
und  seine  Nachfolger  die  Beamten  als  eigene  „Kaste"  der 
Priesterkaste  entgegengestellt  hätten.  Ist  es  vielleicht  diese 
Lücke  in  dem  Gesammtsystem,  Avelche  das  ganze  Miss- 
A^erständniss  —  denn  ein  solches  liegt  ja  handgreiflich  vor  — 
erklärt?  Die  höheren  Beamtenstellen,  denen  sich  bei  allen 
antiken  Völkern  die  höheren  militärischen  Chargen  durchaus 
angliedern,  finden  sich  in  dem  national-aegyptischen  Staat 
eng  mit  den  Priesterstellen  verbunden,  oft  in  einer  Person, 
oft  in  einem  Geschlecht  vereinigt.'  Ganz  erloschen  ist  dies 
trotz  des  Aufkommens  imd  der  Vermehnmg  des  Priester- 
standes auch  im  neuen  Reiche  nicht;  es  ist  sehr  glaublich, 
dass  der  Grieche,  der  ja  auch  in  den  einzelnen  Familien 
erbliche  Priesterthümer  kannte,  damals  sich  in  Aegypten 
weit  Aveniger  befremdet  gefühlt  hätte.  Er  hätte,  so  darf 
man  wohl  sagen,  den  Priesterstand  ja  nur  als  einen  Theil 
einer  herrschenden  Adelsclasse  empfunden.  Sie  hatte,  Avie 
bei  so  A'ielen  antiken  V^ölkem,  und  besonders  bei  denen, 
die  eingCAvandert  ein  fremdes  Volksthum  sich  unterAvorfen 
hatten,*  einen  Theil  des  Landes,  sie  allein  hatte  die  sacra; 
durch  die  Centralisii"ung  bildete  sich  aus  den  festgeschlossenen 
GeschlechterA^erbänden    ein   BeamtenadeP    A^erbunden    mit 


1  Beispiele  bietet  Erman  und  Wiedemann  in  grosser  Zahl;  ich  hebe  als 
characteristisch  nur  die  Anrede  des  Nomarchen  an  die  Priester  hervor  „Ich 
bin  ein  Priestersohn,  wie  ein  jeder  von  euch"  (Erman  396,  vgl.  Zeitschr.f.  aeg. 
Sprache  1882  S.  171). 

'  Dies  dürfen  wir  ja  für  Aegypten  jetzt  fast  mit  Sicherheit  annehmen. 
Es  ist  sehr  characteristisch,  dass  die  Griechen  den  spartanischen  Staat  mit 
seinen  drei  Bevölkerungsclassen  am  liebsten  zum  Vergleich  heranzogen. 

'  Auch  für  das  Beamtenthum  gilt  ja  die  Pflicht  des  Pharao,  nach  Mög- 
lichkeit jeden  auf  den  Thron  seines  Vaters  zu  setzen.  —  Die  schärfste  Formu- 
lirung  für  diesen  Zusammenhang  des  Priesterthums  mit  dem  Adel  finde  ich 
nachträglich  bei  Brugsch  {Aegyptologie  275) :  „Vom  König  und  seiner  Gemahlin 
an  bis  zum  letzten  aegyptischen  Edelmann  hin  war  das  Priesteramt  in  -der 
Kaste   des   Adels  erblich.     Dafür  treten  bereits  die  ältesten  Te.xte  ein.   Dies 


30  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

dem  Priesteradel.  Als  die  Fremdherrschaft  kam,  fiel  er  fort; 
in  dem  Priesteradel  blieb  die  strenge  Geschlechterordnung: 
und  wui-de  mit  echt  -  aeg3'ptischer  Zähigkeit  festgehalten. 
So  entstand  das  -(ivoc,  iepeuiv,  von  dem  Herodot  redet,  die 
Priesterkaste  im  Gegensatz  zu  dem  gesammten  Laienthum ; 
aus  ihr  entwickelt  sich  dann  der  neue  rein-priesterliche  Adel. 
Dass  das  ganze  Beamtenthum  in  dem  Bericht  Herodots  und 
in  den  Theorien  der  späteren  Autoren  so  völlig  fehlt,  scheint 
mh-  ein  Beweis  für  die  Weisheit  und  Nachdrücklichkeit  der 
ersten  persischen  Regierung;  es  erklärt  mir  die  Leiden- 
schaftUchkeit  der  immer  sich  erneuenden  Aufstände,  von 
deren  einem  ein  wichtiger  aramaeischer  Papyrus  unserer 
Bibliothek  demnächst  Kunde  geben  wird ;  es  erklärt  mir 
den  Hass,  der  gegen  die  ersten  persischen  Könige  noch  am 
Ende  des  vierten  Jahrhunderts  in  den  Nachkommen  der 
Adelsgeschlechter  fortlebte.'  Die  Angaben  Herodots  sind 
im  wesentlichen  richtig,  aber  sie  wollen  aus  der  per- 
sischen Zeit  verstanden  sein. 

Allein  es  gibt  noch  ein  anderes  Mittel,  zu  kontrolliren, 
ob  wir  mit  Recht  die  beiden  Forderungen,  welche  in 
römischer  Zeit  nachweisbar  an  die  Priester  gestellt  werden, 
auch  für  die  alte  Zeit  vorausgesetzt  haben.  Religiöse  An- 
schauungen eines  entschwundenen  Volkes  lernt  man  am 
besten  durch  Vergleichungen  kennen,  und  diese  Verglei- 
chimgen  gewinnen  beweisende  Kraft,  wenn  sie  sich  auf  Völker 
innerhalb  derselben  Kultursphaere  beschränken.  Ich  werde 
mich  nicht  auf  die  Auffassung  der  Beschneidung  bei  Malayen 
und  Südseeinsulaner  berufen.  Ihre  Auffassung  bei  den 
Juden  muss  ich  zum  Vergleich  heranziehen  und  bekenne 
gern,  dass  dieser  Vergleich  mir  Zweck  und  Ziel  der  ganzen 
Arbeit  war.  Dass  zwei  räumlich  und  culturell  so  eng  xer- 
bundene  Völker  denselben  Brauch  nicht  völlig  unabhängig 
von  einander  üben,  schien  der  alten  Historiographie  selbst- 


hinderte nicht,  dass  die  betreffenden  Personen  daneben  am  Hofe  oder  im  Civil- 
und  Militärdienst  besondere  Aemter  bekleideten."    Man   muss  nur  die  Conse- 
quenzen  im  Sinne  des  antiken  Staatslebens  und  Empfindens  ziehen. 
'  Vgl.  VVachsmuth  Rhein.  Mus.  26,  463  ff. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  31 

verständlich;'  auch  unsere  wissenschaftliche  Theologie  er- 
kennt es  seit  langer  Zeit  an.*  So  muss  ich  die  vielbe- 
sprochenen beiden  ältesten  Sagen,  in  denen  die  Beschneidung 
erwähnt  wird,  noch  einmal  prüfen.  Darüber,  dass  die  Zu- 
rückführung  des  Brauches  auf  Abraham  jung  ist,  werde 
ich  kein  Wort  verlieren. 

Die  eine  findet  sich  bekanntlich  II.  Mos.  4,  24  ff.  Zu 
seinem  Propheten  und  Diener  hatjahve  Moses  erwählt;  er 
fügt  sich  nach  langem  Sträuben  und  zieht  nach  Aegypten, 
den  Stab  Gottes  in  der  Hand.  Da  trifft  Jahve  ihn  unterwegs 
und  will  ihn  tödten,  aber  Zippora,  die  Tochter  des  Priesters 
Jethro,  nimmt  ihren  jungen  Sohn,  schneidet  ihm  mit  einem 
Steinmesser  die  Vorhaut  ab  und  berührt  (damit)  seine  Scham ; 
dann  spricht  sie  „ein  Blut-Bräutigam  (Blut- Verwandter)  bist 
du  mir".  Nun  lässt  Jahve  von  ihm  ab.  „Sie  sprach  aber 
Blut-Bräutigam  um  der  Beschneidung  willen."  Die  heilige 
Handlung,  auf  welche  sich  die  Formel  bezieht,  ist  offenbar 
die  Berührung  mit  dem  Blut  (der  blutigen  Vorhaut). 

Es  befremdet  etwas,  wenn  man  so  oft  noch  liest,  es 
sei  unklar,  an  wem  diese  Handlung  vorgenommen  werde. 
Des  Kindes  Scham  blutet  ja  eben,  und  nur  um  den  Vater 


'  Ob  Herodot  an  der  berühmten  Stelle  II  104  Ooivuce?  be  Kai  lüpoi 
Ol  dv  Tf)  TTaXaiaxivri  Kai  aüroi  öuo\oYeouai  irap'  Aitutttiijuv  |Li6|ua9riKevai 
von  den  Juden  spricht,  hat  Th.  Reinach  L' Anthropologie  1893  S.  28  zweifelhaft 
gemacht.  Zwingend  ist  der  von  ihm  versuchte  Gegenbeweis  nicht.  Der  Streit 
der  späteren  Zeit,  in  welcher  alle  hellenistischen  Autoren  die  Abhängigkeit  der 
Juden  von  den  Aegyptern,  die  Juden  (und  ihnen  folgend  ein  Theil  der  Kirchen- 
väter) die  Abhängigkeit  der  Aegypter  von  den  Juden  behaupten,  hat  sicher 
schon  in  älterer  Zeit  bestanden  und  konnte  Herodot  auch  in  Aegypten  bekannt 
werden.     Eine  Anwesenheit  in  Jerusalem  setzen  seine  Worte  nicht  voraus. 

^  Nowack,  Lehrbuch  d.  hebr.  Archaeol.  I  167  „Immerhin  spricht  die 
höchste  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  innerhalb  der  alten  Culturwelt  die  Be- 
schneidung bei  den  Aegyptern  ihre  eigentliche  Heimath  hatte  und  dass  sie  von 
da  aus  zu  den  Phoeniciern  und  Israeliten  sich  verbreitet  hat. . .  Denn  unter 
den  semitischen  Völkern  haben  die  Beschneidung  nur  die  Völker,  die  irgendwie 
mit  Aegypten  in  Berührung  gekommen  sind."  Auch  im  Folgenden  berührt  sich, 
wie  ich  nachträglich  sehe,  meine  Darstellung  mit  der  Prof.  Nowacks.  Ich  habe 
sie  in  ihrer  ursprünglichen  Breite  gelassen,  weil  ich  nicht  für  Theologen  schreibe 
und  weil  wir  verschiedene  Consequenzen  ziehen. 


32  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

handelt  es  sich;  er  soll  durch  eine  fingirte  Beschneidung 
gerettet  werden.  Und  wie  bei  allen  Ersatzopfern  die  ur- 
sprüngliche Formel  bleibt,  der  Opfernde  die  Kuchen  Stiere, 
die  Ziege  Mädchen  nennt,  so  spricht  auch  Zippora  die 
Formel,  die  bei  der  eigentlichen  Beschneidung  üb- 
lich ist.  Das  sagt  die  beistehende  Glosse  fast  direct,  das 
folgt  vor  allem  aus  den  Worten  selbst,  die  zu  der  Situation 
gar  nicht  passen ;  diese  Formel  passt,  sobald  wir  bedenken, 
dass  durch  die  Beschneidung  die  Aufnahme  in  den  Bund 
der  aufftväq  geschieht  und  dass  die  crufreveia  sich  auf  die 
Heirath  gründet.'  So  wird  Moses  gerettet,  indem  er  in 
das  priesterliche  Geschlecht  seines  Schwiegervaters  aufge- 
nommen wird. 

Selbstv'erständlich  will  ich  damit  nur  den  Ideenkreis 
bezeichnen,  in  dem  der  Erzähler  befangen  ist ;  dunkel  bleibt 
vieles  auch  dann.  Was  hindert  Zippora  den  Moses  selbst 
zu  beschneiden?  *  Wer  an  leichten  Phantasien  Gefallen  findet, 
wird  vielleicht  bedenken,  dass,  wenn  die  Priesterschaft  die 
cru-f-ftveiq  sind,  die  Aufnahme  eines  Nicht-cruf-revTii;  unmöglich 
war.  Und  doch  konnte  sie  frühzeitig  schon  in  manchen 
Fällen  wünschenswerth   erscheinen.  ^    Der  natüi'liche  Weg 

'  Auf  Beziehungen  zwischen  dem  hebr.  Wort  hätän  „Schwiegersohn" 
(Könige  II  8,  27)  und  dem  arabischen  halana  „beschneiden"  hat  Wellhausen  {Reste 
des  arah.  Heidenthums  154  und  Prolegom.  zur  Gesch.  Isr.  1886  S.  354;  hin- 
gewiesen. Da  im  Hebraeischen  holen  „Schwiegervater"  bedeutet  und  diese 
Form  als  Participium  zu  einem  nicht  mehr  erhaltenen  Verbum  hätan  „be- 
schneiden" aufgefasst  werden  kann,  so  vermuthete  Prof.  Schwally,  dass  die 
Handlung  vielleicht  einst  von  dem  Schwiegervater  vorgenommen  sei  —  auch 
diese  Vermuthung  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit,  wenn  es  sich  um  Priester 
und  Aufnahme  in  das  Priesterthum  handelt.  Dass  Zippora  hier  eintritt,  erklärt 
sich  aus  der  Situation.  Die  Bedeutung  der  Aufnahme  in  die  Blutsverwandt- 
schaft hat  die  Beschneidung  auch  in  der  Sage  Genesis  34. 

^  Ich  glaubte  ursprünglich,  dass  der  Erzähler  nur  die  Kinder-Beschneidung 
kenne  und  nun  aus  den  Vorstellungen  von  der  Stellvertretung  bei  dem  Opfer 
(Bestreichen  mit  dem  Blut  z.  B.  im  Griechischen)  eine  ältere  Form  der  Ge- 
schichte umgestaltet  habe.  Mit  Recht  wendete  Prof.  Schwally  ein,  dass  die 
ganze  Geschichte  zu  alterthümlich  in  ihrem  Gepräge  ist.  —  Dass  Moses  nicht 
beschnitten  ist,  weil  er  Prophet  nicht  werden  wollte,  ist  die  Voraussetzung. 

'  Die  Aufnahme   eines   Fremden  unter  die   Priesterschaft  wird  in  junger 
Zeit  ausdrücklich  mit  dem  Tode  bedroht  (IV.  Mos.  3,  10). 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  33 

hierzu  war,  dass  der  Eintretende  ein  Weib  aus  dem  Priester- 
stamm nahm.  *  Selbst  konnte  er  dadurch  freiHch  nicht  zum 
cru-fTevri(g  nach  Mutterrecht  werden,  wohl  aber  sein  Kind. 
Es  würde  dui'chaus  nicht  ohne  ethnologische  Parallelen,  ja 
selbst  nicht  ohne  Rechtfertigung  in  dem  modernen  FamiHen- 
und  Adelsempfinden  sein,  wenn  erst  mit  der  Geburt  oder 
mit  der  Aufnahme  dieses  Kindes  in  das  Geschlecht  der  Vater 
ganz  zum  Verwandten  wurde,  das  Kind  also  den  Vater  adelte. 
Möglich,  dass  dies  auch  äusserlich  zum  Ausdruck  kam  und 
mit  der  Beschneidung  des  Kindes  eine  Scheinbeschneidung 
des  Vaters  verbunden  wui^de.  Die  Sage  setzt  eine  Sitte 
voraus,  die  sich  auf  die  Aufnahme  eines  neuen  Priesters 
bezieht;  nur  dann  steht  auch  die  Erzählung  mit  ihrer  Um- 
gebung im  Zusammenhang.  Ich  verweile  bei  ihr  noch  einen 
Augenblick.  Dass  Moses,  der  die  Tochter  des  Priesters  ge- 
heirathet  hat,  seine  Söhne  nicht  beschneidet,  ist  zunächst 
für  die  Sage  offenbar  keine  Sünde,  so  lange  er  nicht  selbst 
in  den  Dienst  Gottes  treten  will.  Erst  mit  dem  Eintritt 
in  den  persönlichen  Dienst  Jahves  w^ird  es  seine 
Pflicht;  das  Verhältniss  zu  Jahve  ist  nicht  durch  die  Stammes- 
zugehörigkeit, sondern  durch  eine  rein  persönliche  Uebergabe 
bedingt.  Das  ist  das  Empfinden,  unter  dem  die  Sage 
sich  ausgestaltet  hat. 

Klarer  ist  die  zweite  Stelle  (Josua  Kap,  5).  Die  IsraeHten 
haben  den  Jordan  überschritten  und  sind  in  das  von  Jahve 
verheissene  Land  eingetreten,  das  sie  mit  den  Waffen  erobern 
sollen.  Da  erneuert  Jahve  seinen  Bund  mit  ihnen,  bezw.  mit 
Josua,  dem  er  befiehlt,  alles  Volk  zu  beschneiden;  hierauf 
feiern  sie  das  Passah,  mit  dem  die  religiöse  Weihe  des  ganzen 
Volkes  schliesst.  Der  junge  Erzähler  sucht  sehr  sinnreich  zu 
erklären,  warum  alle  Israeliten  damals  unbeschnitten  waren 


'  Auch  dies  wird  später  ausdrücklich  verboten;  die  Tochter  des  Priesters 
die  einen  Fremden  heiratet,  verliert  das  religiöse  Recht,  das  ihr  die  Geburt 
gab.  Wird  sie  aber  Wittwe  oder  Verstössen  und  hat  keine  Nachkommen- 
schaft, so  darf  sie  in  das  Haus  ihres  Vaters  wieder  eintreten  und  gewinnt 
die  Rechte  ihrer  Mädchenzeit  wieder  (III  Mos.  22,  12).  Die  Folgerungen  für 
eine  frühere  Zeit  liegen  auf  der  Hand. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  3 


o4  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

(während  die  Beschneidimg:  doch  schon  durch  Abraham  ein- 
g:eführt  war),  und  vergisst  im  Eifer  ganz,  dass  durch  seine 
Erklänmg  das  Wort  Jahves  ,, heute  habe  ich  die  Schande 
{licrpa)  Aeg3'ptens  von  euch  gewälzt"  sinnlos  wird.  Dies 
Wort  setzt,  wie  schon  die  älteren  Theologen  ganz  unbefangen 
zugaben,  voraus,  dass  nach  einem  ursprünglicherenBericht 
die  Israehten  damals  zum  ersten  Mal  beschnitten  ^^*urden  und 
in  Aegj'pten  noch  unbeschnitten  waren;  nur  dadurch  erklärt 
sich  die  Stellung  imd  Betonung  des  ganzen  Berichtes.  Sein 
Anhalt  ist  klar :  an  dem  Ort  haftete,  wie  das  Folgende  zeigt, 
eine  Sage,  dass  hier  ein  Heer,  oder  das  erste  Heer,  der 
IsraeUten  beschnitten  wurde ;  sie  knüpfte  an  die  Et3'mologie 
des  Namens.  Sie  benutzte  der  ursprünghche  Erzähler,  für  den 
die  Knechtschaft  Israels  in  Aeg\'pten  selbstverständhche  Vor- 
aussetzxmg  war.  Hätte  er  ge^^-usst  oder  geglaubt,  dass  alle 
AegN-pter  beschnitten  waren,  so  wäre  sein  Bericht  sinnlos 
gewesen.  Er  hat  entsveder,  wie  Jeremias,  die  Aeg3'pter  im 
allgemeinen  für  unbeschnitten  gehalten  oder  gewusst,  dass 
bei  ihnen  nur  die  Adligen,  die  Priester,  beschnitten  waren, 
tmd  angenommen,  dass  der  Israelit,  der  Paria,  in  Aeg^'pten 
nie  zur  Beschneidung  zugelassen  werden  konnte. 

Das  Wort  Jahves  verdient  noch  eine  genauere  Be- 
trachtung. Dass  die  ältere  Deutung  „heute  habe  ich  von 
euch  genommen,  was  in  Aeg\'pten  (bei  den  Aegj'ptern)  als 
Schande  gilt"  sachlich  und  sprachlich  unmöglich  ist,  bedarf 
keiner  Ausführimg.  Auch  ein  anderer  Erklärungsversuch, 
nach  dem  Jahve  sagt  „heute  habe  ich  die  Knechtschaft  von  euch 
genommen,  in  der  keiner  von  euch  zu  dieser  persönlichen 
Uebergabe  an  Gott  kommen  konnte,"  ist  mir  zu  rationaUstisch 
imd  setzt  zu  viel  voraus.  Wir  müssen  den  Anschauungskreis 
des  älteren  Erzählers  uns  vergegenwärtigen.  Ein  solcher 
besonderer  Bund  mit  Gott  ist  in  Israel  ja  öfters,  besonders 
bei  drohender  Kriegsnoth,  geschlossen  worden.  Eins 
der  lehrreichsten  Beispiele  ist  wohl  Chron.  II  30 ;  ich  hebe 
nur  die  Stelle  heraus  „und  sie  schlachteten  das  Passah  .  . 
und  die  Priester  und  Leviten  thaten  das  Unreine  ab  (wört- 
hch:  schämten  sich,  nikhlavi)  und  heiligten  sich".    Es 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  3o 

handelt  sich  hier  wohl  nicht  mehr  um  Beschneidung,  aber 
um  eine  nach  der  langen  Vernachlässigung  besonders  strenge 
Lustration.  So  werden  wir  auch  in  unserer  Stelle  nicht 
mehr  suchen  dürfen,  als  die  ursprünglichste  und  strengste 
Lustration;  die  Schande  Aegyptens  ist  „die  Unreinheit,  die 
euch  in  Aegj'pten  anklebte".  Das  Volk,  bezw.  das  Heer, 
ist  endlich  lustrirt,  ist  rein,  *  wie  in  Aeg}' pten  die  Jünglinge 
durch  die  Beschneidung  zu  „Reinen",  zu  Dienern  eines  Gottes 
werden.  Das  Volk,  bezAV.  das  Heer,  das  in  den  Krieg  um 
das  heilige  Land  eintritt,  weiht  sich  ganz  Jahve.  An  die 
Parallelen  in  der  Tradition  anderer  Völker,  z.  B.  an  das  ver 
sacrtim,  brauche  ich  kaum  zu  erinnern,  um  das  Natürliche 
und  Naheliegende  der  Vorstellung  hervortreten  zu  lassen. 
So  weit  war  ich  und  erzählte  dies  meinem  gelehrten 
Collegen,  Herrn  Professor  Schwally,  als  er  mir  zu  meiner 
grössten  Ueberraschung  eröffnete,  dass  er  in  einem  soeben 
erscheinenden  Buch  {Der  heilige  Krieg!  1901)  für  eine  auch 
früher  gemachte  Beobachtung  den  ausführlicheren  Nachweis 
bringe,  dass  sich  nach  altsemitischer  Vorstellung  urspiiinglich 
jedes  ins  Feld  rückende  Heer  Gott  weiht,  jeder  Krieger  einen 
Theil  der  religiösen  Leistungen  des  Priesters  auf  sich  nimmt 
und  der  Kriegsmann  nasir  heisst,  wie  später  der  iepuj|uevo? 
oder  iepuu|Lievo?  im  bürgerlichen  Leben.  ^  Ich  denke,  die  un- 
abhängig von  einander  gemachten  Beobachtungen  bestätigen 
sich  und  ergänzen  sich  gegenseitig.  Den  Krieg  eröffnen 
heisst  ihn  heiligen  und  die  Krieger  nennt  Jahve  seine  Ge- 
heiligten (Jes.  13,  3).''  Zu  dieser  Heiligung  der  Person  gehört 
die  Beschneidung;  ja  sie  ist  zunächst  die  eigentliche  Heihgung. 
So  erklärt  sich  die  Ortssage  von  Gilgal  ohne  weiteres.  Wir 
können  gerade  von  hier  die  individuelle  EntAvicklung  des 
Brauches  in  Israel  verstehen,  wenn  wir  uns  nur  gegemvärtig 


*  Aehnlich  Ebers  Acgypten  und  die  Bücher  Moses  S.  284,  vgl.  S.  233. 
Die  Unreinheit  auch  in  der  Verletzung  der  Speisegebote  wird  nach  der  dort 
citirten  Pianchistele  graphisch  durch  das  Abbild  des  Phallus  mit  determinirt. 
Die  Unreinheit  ist  Schande  (vgl.  Horapollon  II  19). 

^  Vgl.  auch  Nowack  Lehrbuch  d.  hebr.  Ar  eh.  II  134. 

3  Vgl.  R.  Smend  Altiestamentl.  Religionsgesch?  S.  146. 

3* 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 


halten,  dass  die  Uebemahme  sich  in  Zeiten  vollzog,  in  welchen 
ein  zahlreicher  und  ausgebildeter  Priesterstand  wohl  in  dem 
unkriegerischen  Aeg3'pten,  nicht  aber  in  Israel  bestand,  hier 
also  der  Einzelne  ganz  anders  Ursache  hatte,  sich  dem  Gotte 
unmittelbar  zu  übergeben.  Ob  Jahve  ursprünglich  Kriegsgott 
ist,  wie  Prof.  Schwally  annimmt,  brauche  ich  nicht  zu  ent- 
scheiden. Gewiss  ^\-ürde  sich  imter  dieser  Voraussetzung 
die  Ausbreitung  der  Beschneidung  über  das  ganze  \''olk  be- 
sonders leicht  und  glücklich  erklären;  aber  auch  hierA'on 
abgesehen,  bieten  schon  die  viele  Generationen  währenden 
Kriege,  in  denen  das  Volk  sich  zusammenschhesst,  einen 
genügenden  Anhalt.  Es  hat  sich  hier  wahrscheinlich  ziemlich 
früh  vollzogen,  was  bei  den  nomadischen  Araberstämmen 
sich  erst  später  durchsetzte.  Denn  dass  von  Raub  und  Krieg 
lebende  Stämme  allen  Grund  hatten,  sich  möghchst  ganz 
durch  bestimmte  Weihung  einem  Gott  zu  Eigenthum  zu 
geben,  ist  ebenfalls  leicht  begreiflich.  Für  Israel  musste 
später  die  Vorstellung,  das  ausenvählte  Volk  Gottes,  das 
\'olk  des  Eigenthums  zu  sein,  zur  Ausgestaltung  des  Brauches 
führen.  Die  Beschneidung  ward  zum  Ausdruck  der  Zugehörig- 
keit zu  diesem  Volk ;  so  konnte  sich  der  Zeitpunkt  f üi"  ihre 
Vornahme  verschieben.  Wir  sehen  in  der  Geschichte  der 
Taufe  ja  ein  lehrhaftes  Beispiel.  *  So  darf  ich  zunächst  suchen, 
ob  ich  Spuren  desselben  Brauches  imierhalb  derselben 
Kultursphaere  nachweisen  kann. 

Die  Angaben  Sanchuniathons  wird  man  gewiss  mit 
höchstem  Misstrauen  betrachten  und  nur,  wenn  sie  scharfer 
Prüfung  Stand  halten,  verwenden.  Aus  ihm  führt  bekannthch 
Eusebios  pracp.  cv.  I  38rf  folgende  Sage  oder  Dichtung  an 
Xoi^oö  be  Ttvojaevou  Kai  cpöopdq  töv  eauroö  jaovofcvn  uiöv  Kpövo? 


'  Dass  die  Beschneidung  der  Mädchen  in  Israel  nicht  geübt  wurde  oder 
frühzeitig  abkam  (die  Angabe  des  Poseidonios  bei  Strabo  XVI  761  Kai  ai  irepi- 
Touai  Kai  al  ^KTO|aai,  vgl.  XVII  824  Kai  tö  TTEpiT^uveiv  Kai  xä  öriXea  tKxeiuveiv 
wird  eher  auf  falschem  Analogieschkiss  von  den  arabischen  Stämmen  als  auf 
alter  Tradition  beruhen),  lässt  sich  aus  derselben  religiösen  Bedeutung  der 
Beschneidung  erklären.  Die  cultliche  Stellung  des  Weibes  ist  in  Israel  eine 
ganz  andere,  und  nur  ganz  geringe  Spuren  von  den  sakralen  Rechten  der  Frau 
haben  sich  hier  erhalten. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  o7 

Oupavoi  TuJ  TTttTpi  oXoKapTToi,  Kai  id  aiöoia  TtepiTeiiiveTai  raiiTÖv 
TTOirjaai  Kttl  Tou<;  ä|u'  auio)  cru|U)Lidxou(;  KaTavaYKdaaq.  Man  muss 
hiermit  sofort  die  weitere  Angabe  des  Porphyrios  de  abstin.  11 56 
verbinden  OoiviKeq  hi  ev  xaig  jueYdXai^  au|U9opaT<g  r\  TToXejuuuv 
r\  XoijLiüüv  ri  auxiuujv  eGuov  tujv  cpiXidiiJuv  Tivd  emqpruuiZiovTe«; 
Kpovtjj,  Kai  rrXriprii;  be  r\  Ooivikikit  icriopia  tüjv  Buddviujv,  r|v 
ZaYX0uvid6uuv  \iiv  ir\  Ooivikoiv  y^ijutti]  auvefPctH^tv,  OiXuuv  öe  6 
BußXiO(;  iic,  Tr\\i  'EXXdba  Y^i^acrav  öi'  öktuü  ßißXiuuv  fipiueveucrev. 
Historische  Vorgänge,  die  sich  oft  wiederholt  haben,  wie 
das  für  das  Opfer  des  Königssohnes  ja  bei  den  meisten 
Völkern  thatsächlich  enveisbar  ist,  sind  hier  in  den  Mj'thos 
projicirt.  Auf  alte  Anschauung  und  alte  Ueberlieferung 
weist  besonders  die  Verbindung  der  beiden  Culthandlungen, 
d.  h.  die  Parallele  des  Menschenopfers  und  der  Beschneidung.* 
Zu  erwähnen  habe  ich  noch,  dass  auch  die  Krieger  der 
„Libyer",  Avelche  vonMernptahs  Truppen  geschlagen  werden, 
beschnitten  sind.*  Auch  bei  diesen  Nomadenstämmen  kann 
sich  imabhängig  eine  ähnliche  Fortbildung  eines  ursprünghch 
aeg3'ptischen  Brauches  vollzogen  haben.^ 

Der  Brauch  scheint  in  Israel  individuell  fortgebildet; 
seine  Bedeutung  bleibt  durch  alle  Zeit  der  ursprünglichen 
nahe,  nur  dass  bald  die  Uebergabe  an  Gott,  bald  die  Reinigung 


'  Die  in  dem  aegyptischen  Totenbuch  von  vielen  gefundene  Selbstbe- 
schneidung des  Re  (17,29  „es  ist  das  Blut,  welches  herablief  von  demPhallos  desRe, 
nachdem  er  gegangen  war,  sich  selbst  zu  schneiden")  darf  man,  wie  Prof.  Spiegel- 
berg mir  zeigt,  nicht  zum  Vergleich  heranziehen.  Gerade  der  ierminus  tecli- 
nicus  wird  hier  nicht  verwendet,  imd  ein  Vergleich  mit  Papyrus  d'Orb.  7/9 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  es  sich  hier  um  eine  Selbstverstümmelung  und 
völlige  Abtrennung  des  Phallos  handelt. 

^  Vgl.  Max  Müller  Asien  und  Europa  nach  altaegyptischen  Denkmälern 
358.  Ich  erwähne  die  Stelle  besonders,  weil  der  barbarische  Kriegsbrauch,  dem 
toten  Feind  den  Phallos  abzuschneiden,  in  dem  sehr  alterthümlichen  Ge- 
schichtchen, wie  David  des  Königs  Tochter  zum  Weibe  gewinnt  (Samuel  I  18, 
25  ff.),  wiederkehrt.  Es  ist  ursprünglich  wohl  eine  Art  dKpuJTi-ipldleiv,  eine 
Entsühnung  des  Mörders. 

'  Falls  nicht  etwa  die  Beschneidung  ursprünglich  inner -afrikanischen 
Culturkreisen  angehört  (vgl.  die  Angaben  über  Aethiopier  und  Troglodyten) 
und  sich  erst  in  Aegyten  zunächst  auf  bestimmte  Geschlechter  be- 
schränkt hat. 


^  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

Stärker  hervortritt;  beide  Begriffe  sind  ja  unlöslich  mit 
einander  verbunden.  Ich  darf  nur  an  die  eine  Stelle  bei 
Jeremias  9,26  und  die  bei  den  Propheten  öfter  wiederkehrende 
Beschneidung  des  Herzens  und  der  Ohren  erinnern. 

Die  Probe  auf  die  Richtigkeit  einer  solchen  Annahme 
ist  stets,  ob  sie  ungezwungen  alles  erklärt;  hier  scheint  es 
mir  der  Fall.  Die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Be- 
deutung der  Beschneidung,  eines  Brauches,  der  in  den  ver- 
schiedensten Völkergruppen  imd  Culturkreisen  unabhängig 
auftritt,'  darf  ich  dabei  bei  Seite  lassen;  sie  sollte  man  aus 
israelitischen  oder  arabischen  Sitten  überhaupt  nicht  zu  er- 
schhessen  suchen.  Wohl  aber  ergibt  sich  aus  dieser  Er- 
klärung eine  neue  Frage.  Es  wäre  an  sich  nicht  nothwendig, 
dass  die  IsraeUten  auch  die  mit  der  Beschneidimg  in  Aegypten 
unlöslich  zusammenhängende  Geschlechterordnung  der 
Priester  übernahmen;  unsere  Deutimg  der  Sage  von  der 
Beschneidung  des  Moses  lässt  dies  aber  annehmen.  Sie 
w^ird  bestätigt  werden,  wenn  sich  Spuren  dieser  Ordnung 
auch  sonst  in  der  ältesten  Tradition  nachweisen  lassen.* 
Dies  ist  der  Fall.  Das  Priesterthum  an  der  Lade  ist  nach 
durchaus  glaubwürdiger  Tradition  bis  in  die  Königszeit  in 
einer  Familie  erblich,  angebhch  seit  dem  Auszug  aus  Aegypten. 
Es  ist  eigenthümhch  und  sehr  der  Beachtung  werth,  dass 
sich  dieses  Priesterhaus  auf  Offenbarungen  in  Aegypten 
beruft '  und  dass  in  ihm  ein  aegyptischer  Name  erblich  ist: 


»  Vgl.  Peschel  Völker k.  23 ;  PIoss  Deutsches  Archiv  für  Geschichte  der 
Mediän  VIII  312  fF.  Es  ist  durchaus  nicht  nöthig,  dass  der  Brauch  überall  die- 
selbe Bedeutung  hat.  Als  Muthprobe  erscheint  er  zugleich  bei  den  Arabern. 

^  Die  Darstellungen  der  Entwicklung  bei  Wellhausen,  Nowack  und  Smend 
darf  ich  als  bekannt  voraussetzen;  für  ein  Paar  eigene  Zusätzchen  erbitte  ich 
Nachsicht. 

•*  I  Sam.  2,  27  „Ich  habe  mich  geoffenbaret  deines  Vaters  Hause,  da  sie 
noch  in  Aegypten  waren  in  Pharaos  Hause,  und  habe  ihn  daselbst  mir  erwählet 
vor  allen  Stämmen  Israels  zum  Priesterthum,  dass  er  opfern  sollte  auf  meinem  Altar 
und  Rauchwerk  anzünden  und  den  Priesterrock  vor  mir  tragen,  und  habe  deines 
Vaters  Hause  gegeben  alle  Feuer  der  Kinder  Israel."  Das  stimmt  mit  der 
späteren  Erzählung  von  Moses  nicht  gut  zusammen,  steht  aber  doch  mit  der 
Zurückführung  dieses  gesammten  älteren  Priesterthums  auf  Moses  in  Verbindung. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  o9 

der  Sohn  des  Eli  heisst  nach  dem  ersten  priesteriichen 
Besitzer  des  alten  Grundbesitzes  der  Priesterschaft  der  Lade 
im  Gebii^ge  Ephraim,  dem  angeblichen  Nachkommen  des 
Moses,  Pinehas.'  In  diesem  Zusammenhang  gewinnt  die 
Thatsache,  auf  deren  Eigenthümlichkeit  m.W.  zuerst  Lagarde 
verwiesen  hat,  ihre  Bedeutimg,  dass  noch  die  jungen  Berichte 
von  dem  Auszug  aus  Aegypten  von  einer  Anzahl  Aegypter 
wissen,  die  sich  angeschlossen  haben  (H  Mos.  12,38;  IV  Mos. 
11,4)."  Mit  Recht  betont  Lagarde,  wie  seltsam  diese  Erfindung 
gerade  bei  den  Juden  wäre,  wenn  sie  nicht  zur  Erklärung 
thatsächlicher  Verhältnisse  nothgedrungen  gemacht  wäre; 
er  schloss  bekanntlich  daraus,  dass  die  ersten  Priester- 
geschlechter Aegypter  gewesen  seien.  Ohne  jede  Rücksicht 
hierauf  hat  Wellhausen  aus  dem  Bericht  über  das  Geschlecht 
des  Eli  geschlossen:  „mit  historischer  Wahrscheinlichkeit 
lässt  sich  die  Familie  auf  Pinehas  zurückführen,  der  in  der 
frühen  Richterzeit  Priester  der  Lade  war;"  und  ohne  jede 
Kenntniss  beider  Ansichten  hat  Prof.  Spiegelberg  Pinehas, 
ja  vielleicht  auch  Hophni  als  Aeg3^pter  erwiesen.  Das  Zu- 
sammentreffen wird  noch  seltsamer  durch  eine  Stelle  des 
Deuteronomion  (23,  3—8),  auf  die  mich  E.  Schwartz  zuerst 
aufmerksam  machte.  Moabitern  und  Ammonitern  wird  der 
Eintritt  in  die  Gemeinde,  d.  h.  die  Kirche,  auf  ewig  verwehrt; 
den  Edomitern  nicht,  auch  nicht  den  Aeg3^ptern;  schon  im 
dritten  Ghede  soll  ihre  Nachkommenschaft  (von  einer  Jüdin) 
als  echtbürtig  gelten.''  Es  ist  dieselbe  Art  des  Uebertritts 
in  einen  Geschlechterverband,  den  wir  früher  bei  der  Be- 
schneidung des  Moses  besprochen  haben.  Auch  hier  scheinen 
Reste  alter  Zusammenhänge  sich  erhalten  zu  haben.  Ich 
selbst  bin  von  der  Richtigkeit  der  Hypothese  Lagardes 
überzeugt  imd  werde  danach  meine  Darstellung  gestalten; 


'  Vgl.  Lauth  und  W.  Spiegelberg  Zeltschr.  d.  Deutsch.  Morg.  Ges.  25,  139 
und  53,  633.  Die  Tradition  des  mehrfach  überlieferten  Namens  zu  verdächtigen 
liegt  kein  Anhalt  vor. 

'^  Abhandl.  d.  Gott.  Ges.  d.  Wissensch.  XXVI  Erklärung  hebr.  iVamen  S.  20. 

3  Das  durch  spätere  übertriebene  Strenge  offenbar  eingeschränkte  conu- 
hium  wird  wunderlich  genug  durch    die  „Knechtschaft"  in  Aegypten   begründet. 


40  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

die  notwendige  Voraussetzuno;  ist  sie  für  mich  nicht;  die 
Entlelinung  aus  dem  Aegyptischen,  auf  die  es  allein  an- 
kommt, könnte  sich  auch  auf  anderem  Wege  vollzogen  haben. 

Die  Nachrichten  über  den  Untergang  des  Hauses  Eli 
gehen  auseinander,  vielleicht  weil  es  nicht  mehr  ausschliess- 
lich auf  den  einen  Cult  und  Punkt  zu  Silo  und  später  Nob 
beschränkt  war.  Der  hier  ansässige  Hauptstamm,  der  Sage 
nach  85  Männer,  eine  durch  Blutsverwandtschaft  unter  sich 
verbundene  Ph3'le,  '■  wird  bis  auf  das  bekannte  unmündige 
Kind,  den  Nothanker  späterer  Genealogien,  von  Saul  ver- 
nichtet (1.  Sam.  22). 

AehnHch  führt  die  Priesterschaft  zu  Dan  an  den  Jordan- 
quellen sich  auf  das  Geschlecht  des  Jonathan  ben  Gerson 
ben  Mose  zurück;  es  bleibt  hier  bis  zur  Fortführung  der 
Daniten  in  die  assj'rische  Gefangenschaft.  Die  einzelnen 
Persönlichkeiten  aus  diesen  Geschlechtern  sind  viel  um- 
worben und  viel  umstritten ;  wo  sie  fehlen,  sucht  man  ander- 
weitigen Ersatz;  so  setzt  Micha,  bis  er  eine  geeignete 
Persönlichkeit  aus  einem  Priestergeschlechte 
findet,  zunächst  seinen  Sohn  als  Priester  ein  (Richter  17. 18); 
das  Recht  des  Priestergeschlechtes  und  die  Erblichkeit  wird 
damit  nicht  aufgehoben.  Die  Opferhandlungen  sind,  besonders 
bei  Stämmen,  imter  denen  kein  Priestergeschlecht  weilt,  nicht 
an  die  Existenz  eines  solchen  gebunden.  Die  Diener  femer, 
Sklaven  oder  Kinder,  die  von  den  Eltern  zum  Dienst  am 
Heiligthum  geschenkt  sind,  wirken  bei  dem  Cult  mit,  und 
das  heimische  Element  konnte  auf  diese  Weise  sich  allmählich 
vordrängen.  Es  wäre  an  sich  leicht  begreiflich,  dass  es  mit 
der  Einsetzung  der  Könige  zu  stärkerer  Gewalt  kam,   und 


•  Dies  zu  bezweifeln  und  an  fingirte  Verwandtschaft  zu  denken,  liegt  hier 
nicht  der  geringste  Grund  vor.  Gerade  dass  wir  später  fictive  Blutsverwandt- 
schaft in  dem  Cult  finden  und  die  Söhne  der  Propheten  nicht  leibliche  Söhne 
zu  sein  brauchen,  verlangt,  dass  in  früherer  Zeit  wirklicher  Geschlechtszusammen- 
hang  bestand;  er  wird  hier  stark  betont.  Die  Zahl  der  Priester  ist  offenbar  nicht 
beschränkt  (vgl.  oben  27  A.  i);  zu  ihnen  gehört,  wer  vom  Vater  die  geheime 
Weisheit  ererbt  hat;  dem  Geschlechte  gehört  die  Stadt.  Sein  furchtbarer 
Untergang  mussle  sich  der  Volkserinnerung  tief  einprägen. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  41 

dass  die  alten  Geschlechter  untergingen  oder  zurückgedrängt 
wurden.  Eine  Erinnerung  daran  scheint  sich  in  der  Ge- 
schichte des  Samuel,  des  Sehers  und  Priesters,  bewahrt  zu 
haben ;  nur  soll  man  die  Einzelzüge  der  reizenden  Erzählung 
von  Samuels  Jugend  und  Berufung  nicht  zu  stark  betonen; 
schon  die  Fiction,  dass  an  dem  Heiligthum  nur  der  greise 
Eli,  seine  beiden  nichtsnutzigen  Söhne  und  der  fromme  junge 
Diener  leben,  trägt  die  Spuren  der  Märchendichtung  in  sich. ' 
Die  Ausgestaltung  des  Königthums  beeinflusst  dann  das 
Priesterthum  entscheidend;  der  König  macht  an  seinen 
Heiligthümern  zum  Priester,  wen  er  will,  und  mit  den  Höf- 
lingen und  Beamten  des  Königs  müssen  auch  seine  Priester 
sterben.  Dass  die  alte  Geschlechterordnung  ganz  vergessen 
wurde,  dürfen  Avir  darum  doch  nicht  annehmen.  Allmählich 
dringt  sie  auch  in  den  neuen  Priesterstand  ein  und  wird 
Anlass  zu  der  Fiction  eines  priesterlichen  Stammes,  in 
welchem  alle  miteinander  verwandt  sind.  Die  letzte  Stufe 
scheint  dann  unter  der  Einwirkung  politischer  Verhältnisse  das 
Herabdrücken  des  Haupttheiles  dieses  Stammes  zu  blossen 
Dienern  neben  den  zu  den  wichtigsten  Culthandlungen  allein 
berechtigten  Familien  der  jerusalemitanischen  Priester.  Min- 
destens hierin,  in  der  Ausbildung  der  Hierarchie  und  in  einem 
Theil  des  Rituals  wird  man  erneute  aegyptische  Einflüsse 
suchen  dürfen.  ^  Sie  konnten  unter  Mitwirkung  der  politischen 

'  Eben  darum  vermag  ich  kein  Gewicht  darauf  zu  legen,  dass  bei  Hanna 
das  Opfer  des  Sohnes  nicht  als  etwas  durch  Sitte  oder  Gesetz  Gefordertes  er- 
scheint. Die  allgemeine  Forderung,  den  Erstgeborenen  Jahve  zu  weihen,  steht 
auch,  w'enn  es  sich  zunächst  nicht  um  Priester  im  eigentlichen  Sinne  handelt, 
zu  dem  ausgebildeten  Priesterthum  in  so  schneidendem  Gegensatz  und  lässt 
sich  so  wenig  von  der  Anschauung  trennen,  dass  an  der  Erstgeburt  das  be- 
sondere Verhältniss  zu  Jahve  haftet,  dass  man  der  Vermuthung  schwer  wider- 
stehen kann,  dass  sich  hier  Reste  einer  anderen  stärker  nationalisirten  Auffassung 
erhalten  haben.  Noch  der  fictive  Levitenstamm  wird  später  als  das  allgemeine  ein- 
malige Erstlingsopfer  des  Volkes  gefasst.  Ausgegangen  kann  ich  mir  das  nur 
denken  von  den  sacra  des  Hauses,  der  Familie;  aber  die  Erweiterung  ist  alt. 

*  Ich  erinnere  an  die  strengere,  erbliche  Ordnung  der  heiligen  Aemter, 
das  Herabdrücken  der  blossen  Web,  der  Leviten,  gegenüber  den  eigentlich 
amtirenden  Priestern;  an  Einzelheiten  wie  die  linnene  Kleidung,  das  Bescheeren 
der   Leviten   am   ganzen  Leibe.     Ferner  an  die  Beschränkung  des  Rechtes,  das 


42  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

Verhältnisse  sich  in  der  letzten  Zeit  vor  dem  Exil  um  so 
leichter  geltend  machen,  als  es  sich  nun  ja  nur  um  den 
Brauch  an  einem,  noch  dazu  dem  König  unterstellten 
Heiligthum  handelt,  und  sie  konnten  sich  natürUch  auch 
indirekt  durch  Vermittlung  der  stark  von  Aegv'pten  beein- 
flussten  Nachbarn  Israels  geltend  machen.  Sie  konnten  es 
femer  um  so  leichter,  da  in  Vielem  die  alte  auf  Aegypten 
weisende  Tradition  den  erneuten  aeg>'ptischen  Einflüssen 
geradezu  den  Weg  bereiten  musste.  So  entsteht  jene  wunder- 
hche  Verschmelzung  von  Eigenem  und  Fremdem,  die  uns  in 
der  letzten  Priesterordnung  Israels  entgegentritt. 

So  lange  man  glauben  durfte,  die  Beschneidung  sei  bei 
den  Aegyptern  ein  gleichgiltiger,  bedeutungsloser  Brauch 
gewesen,  konnte  man  sie  von  den  Israehten  übernehmen 
lassen,  ohne  hieraus  weitere  Schlüsse  zu  ziehen.  Ist  die 
religiöse  Bedeutung  und  die  Grundauffassung  der  cultlichen 
Reinheit  mit  aus  Aegypten  übernommen,  so  muss  die  Frage 


AUerheiligste  zu  betreten  (vgl.  Dekret  zu  Kanopos  Zeile  3,  Dekret  von  Rosette 
Zeile  7  Koi  oi  de,  tö  äbuTOV  eiOTropeuöinevGi  irpö?  töv  üToXiaiiöv  xüjv  BeOJv); 
an  die  Geschlechter  der  Sänger,  an  die  Stellung  der  Thürhüter  (Borchardt 
Zeitschr.  f.  aeg.  Spr.  XXXVII  94),  an  die  „Aeltesten"  der  Priestergeschlechter  als 
verantwortliche  Vorsteher  (Jer.  19,1;  II  Könige  19,2).  Es  erinnert  ungemein  an 
aegyptische  Verhältnisse,  wenn  sich  die  Geschlechterordnung  der  Priester  selbst 
im  Exil  erhält  und  aus  diesem  zuerst  vier  Priesterstämme  in  Stärke  von  4289 
Köpfen  wiederkehren,  denen  sich  allerdings  bald  zwei  weitere  zugesellen.  Schon 
die  Zahlen  lassen  errathen,  dass  es  sich  hier  mehr  um  Phylen  als  um  Geschlechter 
handelt  (einzelne  Familien  scheiden  später  als  moabitischen  Ursprungs  aus,  und 
eine  Neuordnung  findet  statt).  Von  Einzelheiten  erwähne  ich  besonders  das 
Heiligen  des  Priesters,  bevor  er  das  Heiligthum  betritt  (vgl.  Erman  371).  Vieles 
andere  ähnelt  auf  den  ersten  Blick,  doch  bedarf  es  hier  eingehenderer  Kenntniss 
beider  Litteraturen,  als  sie  mir  zu  Gebote  steht.  Aber  schon  jetzt  begreifen 
wir,  dass  gerade  die  Cultverhältnisse  für  Männer  wie  Poseidonios  (bei  Strnbo 
XVI  760)  den  Beweis  liefern  konnten,  dass  die  Juden  von  den  Aegyptern  ab- 
stammen. Auf  die  eigenthümliche  Aehnlichkeit  der  Hypothese  Lagardes  mit 
den  Traditionen  und  Fabeln  aegyptisch-griechischer  und  jüdisch-griechischer 
Schriftsteller  darf  der  Philologe  wohl  beiläufig  verweisen,  ohne  in  den  Verdacht 
zu  kommen,  dass  er  späten  Romandichlungen  ohne  weiteres  Glauben  schenkt. 
Es  sind  ja  im  Grunde  nur  die  letzten,  ins  Gelehrte  und  Gezierte  übertragenen 
Ausläufer  einer  Volksdichtung,  die  schon  mit  der  jüdischen  Erzählung  von  der 
Aussetzung  und  Erziehung  Moses'  beginnt  und  die  offenbar  auf  aegyptischem 
Boden  frühzeitig  ihr  Spiegelbild  fand. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  43 

nach  Aegyptens  Antheil  an  der  Ausgestaltung  der  jüdischen 
Rehgion  neu  aufgeworfen  werden.  Möge  sie  bald  durch 
einen  Fachmann  Behandlung  finden.  — 

Bisher  ist  dies  alles,  ja  noch  viel  mehr  die  ganze 
Deutung  der  Beschneidung  und  die  Behauptung, 
sie  sei  in  Aegypten  auf  den  Priesterstand  be- 
schränkt gewesen,  unsichere  Hypothese.  Die  Ent- 
scheidung muss  eine  neue  methodische  Untersuchimg  der 
Monumente  und  vor  allem  der  Mumien  geben.  Für  die 
Monumente  dürfen,  wie  ich  mich  leider  überzeugt  habe,  die 
durchschnittlichen  Abbildungen  überhaupt  nicht  verwendet 
werden;  ferner  selbstverständlich  keine  Darstellung  göttlicher 
Wesen,  wie  überhaupt  keine  stark  stilisirte  oder  in  ihrer  Be- 
deutung unklare  Darstellung.  So  viel  ich  nach  Mittheilungen 
Herrn  Dr.  Fouquets  imd  einiger  Freunde  ersehen  kann,  wird 
die  Untersuchung  hier  wenig  Klarheit  bringen.  Sicher  ist,  dass 
schon  Priester  des  alten  Reiches  die  Beschneidimg  zeigen ; ' 
so  gut  wie  sicher,  dass  dies  auch  einzelne  Darstellungen 
von  Arbeitern  und  Angehörigen  niederer  Stände  thun.  Hier 
wird  die  Untersuchung  einzusetzen  haben.  Es  ist  eine  jedem 
Ethnologen  bekannte  Thatsache,  dass  die  Sklaven  eines 
Tempels  frühzeitig  den  priesterUchen  Dienern  des  Gottes 
angeglichen  werden,  ja  oft  für  sie  eintreten.  Wenn  wir  in 
Aegypten  bei  der  Einrichtung  eines  Tempels  lesen  „damit  sein 
Tempel  von  Kak  bestehe  mit  seinen  Sklaven  und  Sklavinnen 
bis  in  Ewigkeit,  Sohn  auf  Sohn,  Erbe  auf  Erbe", '  so  werden 
wir  an  der  Möglichkeit  gewisser  Uebertragungen  hier  so 
wenis:  wie  in  Israel  zweifeln.  -^  Wichtisrer  ist  die  Untersuchung 


*  So  die  Statue  eines  Priesters  (Gizeh-Museum  Nr.  20).  Ich  erwähne  das 
nur,  weil  Ebers  eine  Zeit  lang  zu  glauben  schien,  dass  wir  das  Vorkommen  der  Be- 
schneidung erst  relativ  spät  nachweisen  könnten.  Umgekehrt  wies  mir  Prof. 
Spiegelberg  auch  die  Darstellung  eines  unbeschnittenen  Aegypters  (Stele  zu  Leiden 
Nr.  3  Photogr.  Capart;  mittleres  Reich)  nach;  er  ist  sicher  kein  Priester. 

^  Erman  S.  214. 

^  Vgl.  Wellhausen  145  fF.  Wir  werden  für  Aegypten  femer  berücksich- 
tigen müssen,  dass  beschnittene  Kriegsgefangene  aus  Aethiopien,  Libyen  oder 
den  semitischen  Völkerschaften,  bei  denen  die  Krieger  beschnitten  waren,  nicht 
gegen,  sondern  für  die  Hypothese  Zeugniss  ablegen. 


44  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

der  ]\Iumien.  Hier  wird  man  zunächst  nur  diejenigen  in 
Betracht  ziehen  dürfen,  deren  Identität  absolut  sicher  steht; 
man  wird  also,  wie  Prof.  Spiegelberg  mir  an  den  Resultaten 
seiner  Ausgrabungen  zeigte,  mindestens  in  der  Thebais  aus 
den  Inschriften  eines  Grabes  auf  die  priesterUche  Qualität 
einer  etwa  darin  gefundenen  Mumie  keine  Schlüsse  ziehen 
dürfen,  da  die  Mehrzahl  der  Gräber  hier  in  jüngerer  Zeit 
wieder  benutzt  ist. '  Auf  vereinzelte  Fälle  des  Vorkommens 
der  Beschneidung  bei  Laien  ist  überhaupt  nichts  zu  geben, 
da  eine  Beschneidung  aus  rein  medizinischen  Gründen  in 
später  Zeit  erweisbar  und  selbst  in  frühester  nicht  unmöglich 
ist.*  Bei  den  sicher  bezeugten  Priestermumien  werden  wir 
zimächst  sondern  müssen,  um  welche  Götter,  welche  Heilig- 
thümer  und  um  welche  Zeit  es  sich  handelt.  Dass  die  Priester 
des  Jupiter  Capitolinus  oder  des  Ptolemaios  Soter,  ja  selbst 
die  des  Serapis  nicht  beschnitten  zu  sein  brauchten,  ist  ja 
selbstredend.  Aber  auch  für  frühere  Zeiten  ist  nicht  ohne 
weiteres  anzunehmen,  dass  alle  Culte  gleichgestellt,  die 
Nationalität  der  Priester  ohne  jeden  Einfluss  ist.  Zu  be- 
achten wird,  da  wir  ja  mit  dem  Ernennungsrecht  des  Pharao 
rechnen  müssen,  ferner  sein,  ob  der  Betreffende  Priestersolm 
ist,  oder  ob  mit  ihm  ein  neues  Geschlecht  beginnt.  Der 
einzelne  Fall  darf  überhaupt  nicht  zum  Beweis  allgemeiner 
Behauptungen  benutzt  werden.  Gerade  die  Geschichte  des 
Priesterthums  in  Israel  zeigt  uns  ja,  wie  politische  Factoren, 
eine  Fülle  von  Einflüssen,  die  wir  in  Aegj^pten  noch  gar 
nicht  berechnen  können,  die  allgemeinen  Regeln  störend 
durchbrechen.  •''   Es  ist  eine  lange,  mühselige  Untersuchung, 


'  Wenn  z.  B.  Ebers  auf  die  Trümmer  einer  im  Grabe  des  Officiers 
Amen-em-heb  gefundenen  Mumie,  welche  Spuren  der  Beschneidung  zeigt,  weit- 
gehende Schlüsse  baut,  so  beweist  sein  eigener  Fundbericht,  dass  daraus  schlechter- 
dings nichts  zu  folgern  ist  {vgl.Zeilschr.d.  Deutsch,  morgenl.  Gesellsch.  XXX  409). 

2  Vgl.  oben  S.  12. 

'  Stand  ferner  für  die  Beschneidung  ein  bestimmtes  Alter  fest,  so  ist  es 
denkbar,  dass,  wer  erst  später  zum  Priester  ernannt  wurde,  selbst  nicht  mehr 
zur  Beschneidung  (und  zum  Eintritt  in  eine  Phyle)  zugelassen  wurde.  Fraglich  ist 
endlich,  wenn  nur  der  Pharao  kraft  seiner  sakralen  Stellung  die  Beschneidung 
gestatten  darf,  ob  der  Usurpator  dies  Recht  ohne  weiteres  üben  konnte. 


I.  Beschneidung  und  Priesterordnung.  45 

bei  welcher  der  Aegyptologe,  wie  sich  bei  der  Untersuchung 
des  Phallos  des  angeblichen  Amen-em-heb  ergeben  hat,  nicht 
den  Arzt,  der  Arzt  nicht  den  Aegyptologen  entbehren  kann. 
Niemanden  kann  man  darum  bitten,  dem  man  nicht  die  un- 
geheuere Bedeutung  der  Frage  dargelegt  hat.  Ich  habe  es 
darum  für  meine  Pflicht  gehalten,  vorzutragen,  was  sich 
aus  derUeber  liefe  rung  ergibt,  falls  eine  Untersuchung 
aller  identificirbaren  Mumien  sie  im  Wesentlichen  bestätigt. 
Dass  ich  das  nicht  ganz  aufs  Blaue  hin  thun  musste,  danke 
ich  der  hochherzigen  Güte  Dr.  Fouquets  in  Kairo,  des  Mannes, 
der  zur  Zeit  wohl  die  meisten  Mumien  untersucht  hat.  Sein 
Schreiben,  das  mir  als  Weihnachtsgeschenk  in  den  Schooss 
fiel,  gibt  der  Frage,  die  hiermit  aufgeworfen  sei,  wie  ich 
hoffe,  genügendes  Recht.  Herr  Dr.  Fouquet  bestätigt  mir, 
dass  er  bisher  keine  beschnittene  Mumie  eines  Nichtpriesters 
gesehen  habe,  sowie  ferner,  dass  die  von  ihm  untersuchten 
priesterUchen  Mumien,  besonders  die  der  Priester  des  Amon, 
alle  die  Beschneidung  zeigen  bis  auf  zwei  Mumien  der 
XXL  Dynastie,  die  Mumie  des  Königs  Pinotjem  III  und  die 
Mumie  des  Priesters  und  Generals  Masaherta,  beide  im 
Museum  zu  Gizeh.  *  Masaherta  —  sicher  seiner  Abstammung 
nach  kein  Aegypter  —  ist,  wie  Prof.  Spiegelberg  mich  belehrt, 
allerdings  Sohn  eines  Priesters;  auf  irgendwelche  Störung 
der  Ordnung  könnte  weisen,  dass  er  zugleich  General  ist, 
was  sonst  bei  Amonspriestern  nicht  vorkommt.  Aber  die 
ganze  Zeit  ist  die  der  PriesterrebeUion  und  des  Doppel- 
königthums.  Man  wird,  auch  wenn  man  den  Grund  der 
Ausnahme  nicht  nachweisen  kann,  aus  ihr  keine  Schlüsse 
ziehen  dürfen.  — 

Ich  habe  der  Güte  des  Freundes,  der  mich  in  Aegypten 
einführte,  und  den  Erinnerungen  einer  genussvollen  Reise 
meinen  Zoll  bezahlt  und  vielleicht  nur  den  Beweis  geliefert, 


'  Ausserdem  fehlten  bei  einzelnen  sonst  trefflich  erhaltenen  Mumien  die 
Genitalien  ganz;  ob  ihre  Beseitigung  vor  oder  nach  dem  Tode  geschehen  sei, 
müsse  unentschieden  bleiben.  An  die  KoXoßoi  bei  den  Troglodyten  und  die 
Selbstverstümmlung  des  Gottes  erinnert  man  sich  unwillkürlich ;  aber  jeder 
Schluss  scheint  unmöglich. 


46  I.  Beschneidung  und  Priesterordnung. 

dass  man  auch  als  Philologe  nicht  ungestraft  unter  Palmen 
wandelt.  Auf  manchen  Gebieten  kann  die  Wissenschaft  selbst 
unsichere  Combinationen  und  H5'pothesen  zunächst  nicht 
entbehren;  der  Sache  werden  sie  nie  schaden,  wenn  ihr 
Urheber  nur  ehrlich  angibt,  wie  viel  oder  wie  wenig  wirklich 
beweisbar  war.  „Im  schlimmsten  Fall  —  was  liegt  daran, 
wenn  Seifenblasen  platzen?"  Die  schlechte  Polemik  kann 
man  verachten  und  der  guten  sich  freuen,  beides,  auch  wenn 
man  irrte. 


n. 

Es  ist  ein,  wie  ich  gern  zugebe,  recht  äusserliches 
Band,  welches  mit  jener  Urkunde  über  die  Ernennung  der 
Priester  ein  anderes  Strassburger  Anekdoton,  ein  Stück  halb- 
priesterlicher  Literatur  aus  später  Zeit  verbindet.  Aber  dem 
Philologen  wird  es  hoff  entlich  Niemand  verdenken,  wenn  er  die 
Gelegenheit  benutzt,  sich  wenigstens  bei  einem  kurzen  Stück 
zwar  nicht  auf  eigenem  Gebiet,  doch  aber  auf  sichererem 
Boden  zu  bcAvegen,  als  dies  in  dem  vorigen  Kapitel  möglich 
war.  Es  handelt  sich  um  die  Trümmer  zweier  von  mir  in 
Kairo  durch  die  gütige  Vermittelung  des  Herrn  Viceconsuls 
Dr.  C.  Reinhardt  von  dem  Händler  Ah  in  Gizeh  erAvorbenen 
Blätter  aus  einer  Papyrus-Handschrift  des  4.  Jahrhunderts.  * 
Sie  enthalten  die  Reste  zweier  verschiedener  griechischer 
Gedichte  desselben  Verfassers.  Die  sehr  zahlreichen  Bruch- 
stücke habe  ich,  so  weit  es  ging,  zusammengesetzt;  die  Schrift 
ist  z.  Th.  verloschen,  z.  Th.  abgerieben;  an  manchen  Stellen 
werden  Andere  zweifellos  einige  Buchstaben  mehr  erkennen. 
Erklärung  und  Ergänzung  wollte  ich  auf  das  Nächsthegende 
oder  Nothwendigste  beschränken;  gelungen  ist  es  Avohl  nicht 
überall;  bei  der  letzten  Ueberarbeitung  haben  mir  einige 
Notizen  Prof.  Kaibels  vorgelegen,  die  ich  hoffenthch  in  seinem 
Sinne  benutzt  habe.  — 

Das  erste  Blatt,  Nr.  480  der  Strassburger  Sammlung, 
enthält  kärghche  Reste  einer  historischen  Dichtung,  die  uns 
die  Zeit  des  Dichters  bestimmen  lassen.  Nach  dem  ersten 
Fragment,  dem  oberen  Theil  der  Seite,  fehlen  jedes  Mal 
etwa  30  Verse.    Von  der  Vorderseite  ist  erhalten: 


'  Die  Breite  der  Blätter  betrug  etwa  16,5  cm.,  die  Höhe  des  besser  er- 
haltenen jetzt  21,5.  Da  nur  der  (sehr  schmale)  untere  Rand  und  einige  Zeilen  fehlen, 
wird  die  Höhe  ursprünglich  kaum  mehr  als  25  cm.  betragen  haben. 


48  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Fr.  Ir 

[ß]ou[\o],uai."  [o'i]  pa  luavevieq  inxb  7TXn"fi)criv  'Evuo[ug] 

[i]oöÖKOu[5]  laev  ctTTavTe(g  dv[e]Z;uucravTO  qpa[p]eT[p]a(; 

TÖEa  Ö£  xepcriv  eKacioq  CKapTuvavTo  Kai  ttix^aij 

TTdad  T6  [NJiiaain  Trebuiiadxog  'itttto«;  dTepGii, 
5    [ijTTTToq  öa[n]<;  oub'  i'xvog  uTiep  ttövtoio  Geoucriiq 

TTpöcOev  [i]m  ttXujtüjv  bp[u]öxu;v  JivefKaro  Niipeug. 

ou  Tdp  ö(To(g)  crTeivuüTTÖ(v)  v)7t[ö  -rrJTuxa  GepiaoTtuXdiuv 

Mfiöog'Apiiq  i'ix'lö'ev  Ü7t[ö  crJrpaTiviai  AaKLuvuuv, 

TÖoaoc,  euoig  ßacri\eOcr[iv  ejm^iev  dvTißoXi'icrujv, 
10    dXXd  TToXu  TiXeiLuv  le  Ka[i  d]crx[aXö]a)V  utt'  [ö|Li]oKXri(S. 

MMEV  uirep  .  r|(J 

(Juv  6  .  . .  KLU  OoiviKi 

Xoipoq  d-rraq  KdcTiai  le  [irüXai] 

'Apaßirig  uttö  x^pcTov 

15    Oube  Kai  'EXXdg  ä-avOT[oq 

[il]ev  d-feipo)aevoio  k 

. . .  ve[T]ai,  öv  [le]  ladXicJTa 

}jir\  TÖv  ev  EußoiT]  t 

vaujaaxov  auxHö'a 

20    [nl^'t  öiKriv  TTepcri;][cri 

V.  I.  Die  aufreizende  und  drohende  Rede  eines  Fürsten  schliesst; 
Enyo  bemächtigt  sich  der  Seelen  der  Hörer;  sie  greifen  zu  den  Waffen;  die 
Zahl  ihrer  Mannen  wird  beschrieben.  Die  Kunde  dringt  zunächst  durch  Vorder- 
asien, dann  nach  Griechenland;  die  römischen  Rüstungen  schildert  die  nächste 
Seite.  —  Mit  dem  Versschluss  vgl.  O^/.  13,82  öpinriGevTe^  üttö  TiXtiftlOiv  ijaotoeXri^, 
für  das  Bild  Colluth.  44  ßapuIriXoiöiv  'Epic;  trXriYriai  baiaeiga.  2.  Vgl.  Od.  21,12 
r\bi  cpape'Tpn  iobÖKOq  (Meleag.  V  179,2;  Christod.  30S).  3.  Pindar  O/.  13,95 
߀\ea  KupTÜveiv  xepoiv  (^KaprüvavTO  an  derselben  Versstelle  Apoll.  Rhod. 
I  510,  II  1087).  4.  Tiebirmäxo^  Neubildung;  ä-{lpQr\  im  Versschluss  Homer. 
5.  Gemeint  ist  die  Ueberbrückung  des  Hellesponls  durch  Xerxes;  vgl.  mit  dem 
bei  den  Rednern  beliebten  Gemeinplatz  Lukrez  III  1029  i//e  quoque  ipse,  viam 
(jui  quondam  per  mare  maguuin  stravit  iterque  dedii  legionibiis  ire  per  alt  um 
ac  pedibus  salsas  docuit  super  ire  lacunas  et  conteinsit  equis  insultans 
murmura  ponti.  Mit  der  Aufzählung  in  Vers  12 — 14  vergleicht  B.  Keil  Aristides 
/'rt«a//<./.  2i8Dind.  6.  Apoll.l723bp«öxou?  vriöq.  7.  oaovOTeivuJTTOq Papyrus. 
ÜTTÖ  TTTUxi  TTapvriöoio  Hom.  h.  Apoll.  269,  //.  Merc.  555,  vgl.  Tryphiodor  194 
ÜTTÖ  TTTÜxa  (//.  20,22).  10.  daxaXöujv  B.  Keil.  Ott'  ö,U0K\f|(;  Hom.  //.  Cer.  88. 
13.  Ergänzt  von  B.  Keil.  15.  Vgl.  Od.  6,127;  4,675.  20.  Vgl.  Aeschyl.  Chocph.  866 
Toicxvbe   TTciXriv   laövoq   luv   eq)€bpo(;   biacroic |aA\ei  ixw^ixv. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  49 

Hierzu  gehören  femer  die  Versschlüsse 

Fr.  11^ 

lag  dvTio[(;  n\9e]v 

TTog  dveain 

3  e)Li  aiöe(j(a)acr6ai 

und  die  Versanfänge 

Fr.  Ulr  Fr.  IV^  Fr.  V^ 

[ojub'  dp    .    .     .  .    .    .   T]    .     .    .  Ttt 

oarpoii  ....  [v]aOg  xe  .  .  .  r]\\ii  .... 

vei)nav  ....  aiev  ep  .  .  .  irve  .... 

)Lir|TTOTe      ...  Tf\^  Kai  ep  .  .  .  beX 

5    dvTi  |Lii  .  .   .  .  aKp  .... 
V€p9e  .... 
kukXo  .... 

Auf  der  Rückseite  (480  v)  lese  ich 

Fr.  Iv 

T[r|]Xe6dovTa  KaTriubpitae  Kopu|ußuu[v] 

[tuj  &e  KJev  'iTaXiiiöev  eTteppuuovTO  Kai  dXXoi 

Koipavoi,  ei  |Liri  töv  )nev  ['IjßripiKÖq  ei'puev  "Apiiq, 

TuJ  be  )Li66og  vrjcroio  B[p]eTavviöo<;  d|uqpi&eö»]ei. 
5    [oTa]  b'  6  laev  KpiiriiBev,  6  b'eivaXiri?  anb  AitXou 

eicTi  Zevq  uirep  "OGpuv,  6  [b']  eq  TTdYTaiov  'AttöXXuuv, 

ToTv  be  Kopucr(TO|uevoiv  ö)aaboq  irecppiKe  riTdvTiJu[v], 

ToTo<;  dvaH  TTpecrßi(jTO(g  [dJYuuv  arparöv  Aucroviriuuv 

dvToXiiiv  dqpiKttve  G\j[v  ojirXoTepiu  ßacTiXfii. 
lo   Kai.Ydp  e(j[av  inaKdpecrcriv  ö])lioiioi,  ög  |nev  eoiKwg 

Fr.  II  3.  aibeaaoöai  Papyrus.  Iv  i.  Zu  verstehen  ist  wohl  der  Sieger- 
kranz, den  der  Kaiser  sich  soeben  nach  seinem  Siege  über  Aegypten  (vgl.  unten) 
ins  Haar  gedrückt  hat.  2.  dTreppÜJOVTO  in  der  Bedeutung  „zuströmen"  wie 
bei  Colluth.  loo  cpoiTriTtipe<;"Epu)Te(;  ^TreppduovTO  riGrivr)  (vgl.  die  Versschlüsse 
Apoll.  II  677;  Od.  20,  107;  //.  I,  529;  Apoll.  II  661;  IV  1633).  4.  Vgl. 
//.  6,  328  düTri  Te  irTÖXejLiö^  xe  äaxu  xöb'  dt.uqpib^biie  und  12,35;  Hesiod 
Sc-ui.  62;  Apoll.  IV  397.  |aö9o(;  in  dieser  Bedeutung  oft  bei  Nonnos.  5.  Kpr)- 
xnöev  //.  3,  233  (Arat  31).  7.  Vgl.  Nonnos  II  252  xou  be  Kopuaao|Li^voio. 
10.  Der  schon  abgeschlossene  Vergleich  wird  wie  oben  I''  7  noch  einmal  auf- 
genommen; er  erweitert  sich  hier  zu  einer  Schilderung  des  Gigantenkampfes, 
mit  dem  griechische  und  römische  Dichter  offenbar  frühzeitig  die  Kämpfe  des 
eigenen  Herrschers  verglichen  haben. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  * 


50 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 


aieepiuj  [Ali  Kdprog,  6  ö'j  'AttoWujvi  KO)Lir|Tri. 

npioq  dicraoucTa 

.  .  oq  djucpi  Kapi'-ivuj[v] 

['EJ-fKeXdöoio  )aavevTo[q] 

'5 CTTeKoaiaee  xctiTai[(;] 

evncTev  'AGiivii 

eöecTKe  TOKq[og] 

ev  dTpuTUJv[r|] 

6ei  uia  TuqpuueiK; 

^° Keicre  öe  Aiiuü 

hoc,  ouveKa  tt 

Hierzu  treten  die  Fragmente 

Fr.  Ib  Fr.  niv 

.  .  .  .  ö'  ev  BaX  .  .  KdGrivain 

Toü  |U£v  e  .  .  .   .  eduuv 

ri  TTore  Tup(T[Tijvo  ...  ilXoig 

[djvttKTeg 

5 MHV 

nv 

a»v 

Ol 

Das  römische  Weltreich  steht  also  unter  vier  Herrschern, 
von  denen  zwei  in  anderweitigen  Kriegen  beschäftigt  sind, 
zwei,  der  älteste  und  ein  jüngerer,  gemeinsam  ins  Feld  rücken. 
Die  Gegner  sind  die  Perser;  das  zeigt  die  Erwähnung  des 
Ostens,  die  Art  der  Bewaffnung,  der  beständige  \^erweis 
auf  den  Zug  des  Xerxes,  die  Erwähnung  der  „nesäischen" 
Reiterei.  Also  kann  nur  der  Krieg,  den  Diokletian  und 
Galerius  im  Jahre  297  gegen  die  Perser  führen,  gemeint  sein. 
Schon  im  Jahre  296  hatten  die  persischen  Rüstungen  be- 
gonnen; damals  war  Constantius  Chlorus  noch  mit  der 
Niederwerfung  Britanniens  beschäftigt.  Dass  Maximian  zu 
derselben  Zeit  in  Spanien  kämpfte,  ist  meines  Wissens  sonst 
nicht  bezeugt;  wir  lernen  es  hier. 


V.  II  OTroXXauJVi  I'apyrus,  verb.  v.  Kaibel. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  51 

Der  Umfang'  des  Gedichtes  mag"  trotz  der  längeren 
Digression  über  den  Gigantenkampf  kein  besonders  grosser 
gewesen  sein ;  das  eigentlich  Militärische  Avird  offenbar  wie 
bei  Claudian  sehi^  kurz  abgemacht ; '  die  Bruchstücke  können 
ebenso  gut  einem  besonderen  Epyllion  auf  diesen  Krieg, 
wie  einem  allgemeineren  Panegyrikos  auf  einen  der  beiden 
Herrscher  angehört  haben.  Jedenfalls  war  es  ein  Eintags- 
gedicht ;  das  zeigt  das  Alter  der  Handschrift  und  der  schon 
unter  Constantin  nicht  mehr  mögliche  Stoff.  Die  Sprache 
ist  —  wenn  man  die  überlieferte  Missbildung  'ATToWduuvi 
beseitigt,  was  mir  nothwendig  scheint,  damit  zu  eoiKOTeg  eine 
nähere  Bestimmung  treten  kann  —  gewandt  und  folgt  im 
allgemeinen  der  aleximdrinischen  Tradition. 

Auch  für  die  Composition  wird  es  an  Mustern  nicht  ge- 
fehlt haben,  wenn  uns  auch  von  den  hellenistischen  Liedern 
zum  Preise  der  Kriegsthaten  der  Herrscher  nichts  erhalten 
ist.*  Dürftige  Nachrichten  bei  Suidas  treten  dafür  ein.'* 
Eine  Vorstellung  geben  die  römischen  Nachahmer,  Ennius 
in  den  letzten  Büchern  der  Annalen  und  im  Scipio,  ja  bis 
zum  gewissen  Grade  selbst  Naevius  in  dem  Bellum  Puniatni. 
Es  ist  durchaus  die  moderne  griechische  Poesie,  die  sie  in 
der  Barbarensprache  bieten.* 

In  aller  Gelegenheitspoesie  bilden  sich  typische  Formen, 
die  mit  grosser  Zähigkeit  festgehalten  werden,  und  wenn  sich 
in    den   Hochzeitsgedichten  Claudians   die   Nachwirkungen 


'  Da  die  beiden  Blätter  in  den  Rissen  und  Verlusten  eng  übereinstimmen, 
haben  sie  offenbar  in  der  Handschrift  ganz  nahe  bei  einander  gestanden ;  nur 
ist  nicht  zu  bestimmen,  welches  Blatt  das  frühere  war. 

2  Ueber  die  dTÜJveq  ^YKiu.uiuuv  ^ttikuiv  giebt  Joh.  Frey  de  ccrtaminibus 
Thymelkis  p.  34  die  nöthigen  Nachrichten.  Für  den  itXoKaiao^  B6peviKri(;  giebt 
das  bei  Lukian  Oit^p  eiKovuuv  5  erzählte  Geschichtchen  ein  hübsches  Gegenstück. 

'  Von  dem  Epiker  Simonides  Y^TP"<pe  fäc;  'Avtioxou  tou  Zu)Tf|po^ 
TrpdEei^  kui  rriv  irpöi;  raXcixac;  IlIÖxIv,  öxe  jucTd  xuiv  dXecpdvxuuv  Tr)v  ittttov 
aÜTuuv  ^qpGeipev,  von  Leschides  ^ttuiv  TTOiriTriq,  8(;  öuveaTpäreuaev  Eüju^vei 
TUJ  ßamXei,  von  Musaios  ^Tpa^^  TTeparitboc;  ßißXia  i'  Kai  ei?  Eü|Li^vri  Kai 
ATTaXov.     Die  Fortsetzer  sind  Archias,  Theodoros,  Boethos  u.  s.  vv. 

*  Eine  Ausnahme  macht  nur  Livius  Andronicus,  bei  dessen  Epos  ich 
daher  nicht  aufhören  kann,  an  einen  bestimmten  praktischen  Zweck  zu  denken. 

4* 


52  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 


hellenistischer  Formen  nachweisen  lassen,  •  so  werden  wir 
sie  in  seinen  enkomiastischen  Gedichten  auch  voraussetzen 
dürfen.    In  diese  Reihe  ist  unser  Fragment  zu  rücken.  — 

Erheblich  mehr  ist  aus  dem  zweiten  Blatt  (481  j  und  dem 
zweiten  Liede  zu  gewinnen.  Eine  Kosmogonie  will  der 
Dichter  geben;  wenig  ist  zu  Anfang  verloren,  die  Beschreibung 
des  ersten  Gottes,  Zeus,  ferner  eine  Erwähnung  der  Materie 
(der  A'ier  Elemente),  endlich  die  Angabe,  dass  Zeus  den  Be- 
schluss  fasst,  sie  zu  einem  KÖaiuiog  umzugestalten,  und  zu  dem 
Zweck  aus  sich  einen  zweiten  Gott  schafft: 


'  Vgl.  Hermes  XXXV  90  fF.  Es  sei  gestattet,  zu  dem  dort  versuchten 
Nachweis,  dass  Catull  c.  64  Uebersetzung  eines  einheitlichen  alexandrinischen 
Liedes  —  des  schönsten,  das  ich  kenne  —  ist,  und  dass  dies  Lied  eine  Fürsten- 
hochzeit mit  berücksichtigte,  einen  kurzen  Nachtrag  zu  geben,  allerdings  nur 
eine  nicht  mathematisch  beweisbare  Vermuthung.  die  mir  den  Genuss  des  Liedes 
erhöht  hat.  Der  Dichter  kehrt  im  Schluss  in  Anlehnung  an  Hesiod  zu  der 
Seligpreisung  des  Heroenzeitalters  zurück:  damals  verkehrten  die  Götter  noch 
unmittelbar  mit  den  Menschen  Huvai  TÖP  TÖre  baire?  laav  Euvai  be  Tpoiirclai 
ä0avctTOi0i  Geoiai  KaTaövriTOiq  t'  dvöpdnrGi^.  Aber  die  Beispiele,  die  er 
bringt,  passen  wenig:  der  schimmernde  Tempel  des  Zeus,  in  dem  dieser  am 
Jahresfeste  gegenwärtig  ganze  Hekatomben  hinsinken  sieht,  das  Theoxenien- 
fest  zu  Delphi,  die  Orgien  des  Dionysos  gehören  der  alexandrinischen  Gegen- 
wart, nicht  der  Heroenzeit.  Damals  empfindet  beim  Feste  Kallimachos  das 
Nahen  Apollos  und  hofft  ihn  zu  sehen,  hört  er  das  Schnauben  der  Rosse  der 
Pallas.  Nicht  in  der  Heroenzeit  hat  die  Nemesis  von  Rhamnus  ein  Heer  zum 
Siege  geführt,  sondern  bei  Marathon  (vgl.  Pausanias  I  33,  2).  Für  das  Empfinden 
der  Zeit  darf  ich  an  die  Erzählung  des  Isyllos  und  die  Sage  von  dem  Eingreifen 
Pans  in  der  Keltenschlacht  erinnern.  Gerade  bei  den  Hochzeitsfesten  ist  es 
nun  die  stehende  Versicherung  der  Dichter,  dass  sie  die  Götter  sehen:  ?v€(Jt' 
'AttöWoiv  TLJj  xopii*'  fii«;  A.üpri<;  dKOÜuj'  Kai  xi&v  'EpiÜTuuv  i^aööuriv  ?öti 
Kdcppobirr)  (Kallim.  Fr.  116).  So  glaube  ich,  der  alexandrinische  Dichter  schloss 
sein  Lied  „aber  auch  zu  uns  steigen  die  Götter  in  den  Gefahren,  steigen  sie 
vor  allem  in  den  frohen  Festen  nieder,  und  der  Fromme  schaut  sie".  Das  war 
der  richtige  Schluss  für  dies  Ilochzeitslied.  Für  das  römische  Empfinden  passte 
er  nicht;  so  rückte  Catull  auch  dies  in  die  Vorzeit  und  stellte  den  10  Versen 
der  Schilderung  in  10  weiteren  eine  rein  rhetorische  Schilderung  der 
eigenen  Zeit  entgegen,  in  der  selbst  die  Ruchlosigkeit  eines  Catilina  ihre 
Stelle  finden  konnte.  Er  hat  damit  zugleich  das  für  eine  bestimmte  Gelegen- 
heit gedichtete  Lied  allgemeingiltig  gemacht. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  53 

481r 

[e]Hepucra<;  iivd  juoTpav  k.f]<;  TToXueiöeoi;  d\K[fig]. 

Keivoq  bx]  veo?  eafiv  e}jibq  iraTpiLioq  'Ep|ufi(;. 

TÜJ  |udXa  TTÖW  eTTeieXXe  Ka)ueiv  TrepiKaXXea  K[öcr|uov], 

ÖÜJKe  öe  Ol  pdßöov  xpuö'env  öiaKO(y)iAr|Teipav, 

T:äcr]<;  euepYOio  vornuova  |ur|Tepa  xexvriq. 

aüv  Tri  eßn  Aiög  v'ibq  e[oO]  Teveiiipoig  e(peT|ur]V 

Ttdcav  iva  Kpnveiev,  6  ö'  niuevo?  ev  TrepiuuTTfj 

Tepirero  KuöaXi,uou  9rieu,uevoq  uieo<;  epT«. 

aurdp  6  GecTTrecTiriv  qpopeujv  leipdZ^UYa  laopqpiiv 


V.  I.  Wiewohl  die  Erwähnung  der  Kräfte  an  Philo,  die  Betonung  der 
Emanation  an  die  Gnosis  erinnern  könnte,  wird  es  besser  sein,  an  aegj'ptische 
priesterliche  Formeln  und  Vorstellungen  zu  denken.  Von  dem  Gott  Tum  heisst  es 
„dein  Auswurf  ward  (wörtlich:  du  hast  dich  ausgeworfen,  ausgegossen)  zum  Gotte 
Schu  und  dein  Ausguss  (Erguss)  zur  Göttin  Tafnut";  von  Tauth  (Thot?)  wird  gesagt 
„Tauth,  du  hast  Schu  aus  deinem  Munde  ausgeworfen",  und  der  göttliche  König 
ist  ein  Auswurf  des  Schu  (vgl.  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  427,  429).  Vgl.  hiermit 
den  alten  Schöpfungsmythos  bei  Wiedemann  Der  Urquell  VIII  65.  Das  Aus- 
fliessen  und  Austräufeln,  also  die  Emanation,  einer  Gottheit  aus  der  andern 
ist  altaegyptische  Vorstellung.  Mit  dem  Verschluss  vgl.  Nonnos  II  252.  3.  Vgl. 
z.  B.  //.  4,  229  TÜJ  ,uä\a  iTÖW'  eirdreWe  irapiax^.uev.  5.  Vgl.  Nonnos 
III  127;  vgl.  ferner  Hom.  hymn.  Merc.  529  ^dßbov  xpuöeiriv .  .  .  iTcivTa? 
^TTiKpaivouöa  Geoüc;  ^tt^ujv  re  Kai  ^pYUJV.  Die  Erfindung  kann  also  alt 
sein;  doch  wirken  auf  den  Dichter  sicher  jüngere  Zaubervorstellungen  mit 
ein.  Man  erinnere  sich  daran,  dass  bei  Artapanos  Moses,  der  mit  Hermes, 
d.  h.  Thot,  identificirt  wird,  durch  den  Zauberstab  alle  Wunder,  so  die  alljährlich 
wiederkehrende  Nilschwellung,  bewirkt  (vgl.  den  Hymnos  auf  den  Sonnengott 
bei  Erman  362).  Zur  Erinnerung  an  ihn  werde  ein  Stab  in  allen  aegj'ptischen 
Tenipeln,  besonders  den  Tempeln  der  Erdgöttin  Isis,  aufbewahrt,  weil  die  Erde 
auf  die  Berührung  mit  dem  Stabe  alle  Wunder  hervorgehen  lasse  (Eusebios 
praep.  ev.  IX  435  d).  Vgl.  auch  Macrobius  Sat.  I  19,  16  ff.  6.  7.  Vgl.  z.  B. 
//.  2,  37  aOv  TiL  €ßri  (vom  OKrynTpov)  —  IL  5,  508  toO  b'cKpaiaivev  ^q)6T,udi; 
—  //.  23,  451  noTO  YÖP  ^KTÖ(;  ÖYiövoc;  üiTepTaToq  ev  irepiujTTfi  —  //.  5,  771 
f^Mevo?  iv  öKOTCiri.  8.  Vgl.  z.  B.  Apollon.  II  808  örieuiaevoi  iXdEovTai  an 
derselben  Versstelle.  9.  Texpö^UYa  bezieht  B.  Keil  auf  die  vier  Elemente, 
und  hierfür  würden  Nonnos  12,  169  repirujXriv  öirdffeiaq  8\ai  rerpäluYi  kÖ(T|Huj 
und  Philo  irepi  qpUYdbuJV  562,  23  sprechen  ^vbOexai  be  ö  |n^v  irpeaßÜTaToq 
Toö  ovToc,  XÖYoq  djq  ^09fiTa  töv  köö.ugv.  ^r\v  Yäp  Kai  ubujp  Kai  rä  ^k  toO- 
TUJV  ^TtaiairiöxeTai,  f\  b'^tri  |Li^pou<;  vf\}\r\  tö  au)|na.  Doch  wirkt  zugleich  wohl 
auch  eine  aegyptische  Vorstellung  mit.  Ueber  die  Bilder  des  Thot  als  Sonnen- 
gott vgl.  Macrobius  Sat.  I  19,  10. 


54  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

!o    öq)0aX|iOu[q  Kd|ii]|aucre 0)aevn(;  urrep  ai'xXiK 

q  eine  le  f.iOeov. 

„[KeKXure ai]9epoq umöc, 

[Xrijfeiaevai  TTpotepiiq  fepiboq  (JT0ix6[ia  KeXeueiJ. 

[bai]|novn;i  T:eiOecr0e  öiaKpivecrGe  (t')  [eqperiavi]. 
15    [X]uj"iT€pri  be  rxq  u)i|ui  (juviiXucn[5  ecraei"  eTreiia]. 

TtüSu)  Totp  cpiXoTHTa  Kai  ijaepov  [d^(plq  eoücriv] 

i)()a)Lii)  laet'  dXXi'iXoicTiv  dpeioiepi]  e[TTi  luoipi;]]." 

'^Qq  eirrdjv  xpucrei]  pdßbuj  Orfev 

euKr|Xiu  öe  Taxicrra  KaTeix€[TO  Tidvia  YaXrivr]] 
20    TTauad|aeva  (TTOixeia  7ToXua[xiöeujv  KarauiTiioiv], 

ioir]  b'  eu6uq  eKacTiov  ö(p6iX[o)aevuj  evi  xt-upuu], 

^apiaapuTnv 

örivairig  [be  bixocJTaairiq  XdOer"  dpöiaiiGevia]. 

Autdp  6  TTaT"ftveTa[o  GeoO] 

25    TTpüuTa  )aev  arfXiiev[Ta] ....  [aiöepa] 

dppriTUJ  crTpo{pdXiTT[i]  7T[a]Xiv[ö]i[vi'iTov  dva^Kriv] 

V.  IG.  Die  Buchstabenreste  weisen  auf  [KaT]d|auöe  aK[ebaZ!]ö,uevric,  also 
wohl  auf  KÖmuiuae  (so  Kaibel)  und  KebaZo|a^vriq.  Vgl.  Philon  von  Byblos 
bei  Eusebios  fraep.  ev.  I  41  c  über  Thot  Kai  qp^öiv  ö  '  Errrieic  äXXriYopuiv  (ö 
övoinaGÖeic  irap'  auroic  |Lie-fi<Jfoc  iepoqpdvxriq  Kai  lepoTpauuaTeüc,  öv  uexe- 
(ppa0ev  'Apeioc  '  HpaKXeoTToXiTric)  Kaxä  XeEiv  oütuji;*  tö  TrpiÜTOv  öv  öeiö- 
xarov  öqpK;  ^oxlv  i^paKO^  exujv  uopcpriv  ä^av  ^TTixapic  •  öc  ei  dvaßXevyeie, 
q)iuxö(;  xö  ttüv  ^irXripou  iv  xf)  TrpujxoYÖvuj  xi^P"  aOxoö,  ei  be  Ka.u|nüöeie, 
OKÖxoq  b^xveio.  Es  ist  das  bekannte  Bild  der  geflügelten  Sonnenscheibe.  Vgl. 
auch  den  Hymnos  auf  den  ungenannten  Sonnengott  Erman  362  „ich  bin  der,  der, 
wenn  er  die  Augen  öffnet,  so  wird  es  hell,  und  wenn  er  die  Augen  schliesst,  so 
wird  es  dunkel".  13.  Vgl.  //.  i,  210;  319;  21,  359  Xfiy'  gpiboc.  14.  bai)iOviri 
B.Keil;  da  der  Raum  etwas  knapp  ist,  wäre  auch  aiuivir)  denkbar  (zur  Messung 
vgl.  Theokrit  17,  loi).  —  Für  x' scheint  b' geschrieben.  15.   Vgl.   Od.   i,  376 

eib'ünTvboK^eixöbe  Xujixepov,  16.  Vgl.  ö(/.  24,  475  fj  irpoxepuj  TröXeuöv  xe 
KaKov  Kai  (puXomv  aivr|v  xeüEeic  r\  qpiXöxrjTa  ,u€x'  ä^qpoxepoiai  xiÖriGOa. 
17.  ufiexaXXrjXoiaiv  und  apeioxeprii  Pap.  (vgl.  48or  fr.  IV  4. /<'/</ w//////y/ ist  seist 
nicht  geschrieben).  19.  Vgl.  Apollon  IV  1249  eOKr|Xiy  hi  Kaxeixexo  Ttdvxa  foXrivr). 
22.  Vgl.  zu  V.  10  ai^Xri;.  24.  Vgl.  Claudian  Ep.  6,  1 1  Koch  1X061  uaTTev^xao 
6€o0  irpeaßriiGV  ömaa.  26.  Vgl.  Nonnos  II  265  afG^poc  öxXiIovxa  uaXiv- 
bivriTOV  ävÜTKnv;  Claudian  Ep.  6,2  ^fißeßaujc  KOö.uoio  iraXivbivnxov  dvä^Kriv; 
Anthol.  IX  505,  14  doxpiüriv  ^bibaEa  TraXivbivrixov  dvä-fKriv.  Voraus  ging  also 
in  V.  25  ein  Participium.  Vgl.  femer  Arat.  43  neioxepr]  füp  iräöa  TTCplGxp^qpe- 
xai  axpoqpdXlYYl  (Nonnos  II  467).  Erst  durch  diese  .schnelle  Bewegung  des 
Aethers  bildet  sich  die  Form  des  Himmels. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  55 


oupavöv  eaqpaipuucre  KaiecTTpacp 

eTTTtt  öe  mv  Jluüvaig  bieKÖ(j[)aeev,  enTd  b'  emicTav] 

aarpouv  riT^MOvrieq,  aXi]  iLv  [itipea  öivei], 
30    dXXou  vep[T]epoq  dWog,  eiTriTp[i)dOi  r|Xd(JKOVTe(;]. 

TrdvToSi  b'  aiGov  ö,uou  Tiepi  x 

jaecranv  -fctictv  eTT[)i]S[6v]  dKi[vi'-iToi(g  evi  öeffiaoig], 

i<;  5'  aiöuuva  vöt[ov]  Kpu)auj[bed  t'  dpKTOv  eieive] 

XoSöv  dKivrjTOio  [KJai  f)[cruxou  dSovoq  oi.uov]. 
35    Kai  TTOVTOU  KeXdbovTO^ 

)aaivo)Lievriv,  dxdXivov,  dv 

dXXd  |ae(Jai(g  eva  koXttov  doX[X 

l^aKpaiq  iiiovecTcri  xdpaHe  b 

f]  be  TTOXUTTXd'fKTLUV  TT 

40    vrixcTtti  )iTTeipoio  KaaiYViiniq  e 

dHova  öe  crqpiffouai  öuuu  ttöXoi  [d)LiqpOTepuu0ev]. 

KUiTTep 

11  TTapuKeKXiTai 

XÖ«MC^[n]v  e[TT] 

45 ov  0ivdjöe 

60V  öXnv  


V.  29.  ä\r]  und  dXüJ  sind  bei  den  Grammatikern  regelmässig  durch  Tr\ctvr| 
und  irXaviü  erklärt.  Vgl.  Lukrez  V  1210  zuirio  motu  qiiae  Candida  sidera  verset. 
Sachlich  vgl.  den  Hymnos  auf  den  unbekannten  Sonnengott  Erman  362  „ich  bin 
der,  der  den  Himmel  schuf  imd  das  Geheimniss  seines  Horizonts,  und  ich  habe 
die  Seelen  der  Götter  darein  gesetzt".  30.  eTTr)Tp[iuoi]  :  p  ist  unsicher,  doch 
e  (^iTriTeeq)  ausgeschlossen.  Vgl.  an  derselben  Versstelle  Apollon.  I  30  ^Eeir^q 
OTlXÖUiölv  ditfixpiiaoi  sowie  IV  1455;  //.  18,  211  und  552.  Vgl.  in  dem  von 
Theon  erhaltenen  Fragment  des  Alexander  von  Ephesos  über  die  Sphaeren 
(Meineke  Anal.  Alex.  372)  V.  i  \}y^o\)  b'  äX\o9ev  äWoc,  ÜTrepTOTOv  eXXaye 
kükXov.  31.  Die  übrigen   Sterne   beginnen    ebenfalls    zu    leuchten.    Hiermit 

wird  die  Schilderung  des  Himmels  kurz  abgeschlossen.  33.  Vgl.  481V  15. 
35 — 40.  Da  das  Meer  mit  der  Erde  den  Mittelpunkt  bildet,  wird  seine  Bildung 
zuerst  beschrieben  (Okeanos  und  Mittelmeer),  ehe  die  Befestigung  der  Erde 
durch  den  äEiuv  (V.  32)   noch   einmal  erwähnt  wird.  40.    ffi   wird  hier  zur 

Schwester  der  GdXaooa.  41.  Vgl.  Arat  24  KUi  \i\v  ireipaivcuöi  büiu  ttöXoi 
d^q)0T^puJ6ev  43 — 46.  Vielleicht  Beschreibung  der  Ufer  eines  Stromes  (?), 
vgl.  Apollon.  IV  1239  r\^p\r\  b'  d.uuoi;  TrapaKtKXixai  (vgl.  II  734).  Der  erste 
Theil  der  Schöpfungsgeschichte  ist  damit  abgeschlossen.  Nach  dem  Format  ist 
wahrscheinlich,  dass  nur  wenige  Zeilen  verloren  sind. 


56  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

481v 

[ouTTiu]  KUKXoq  eriv  TTiepiovo*;  ouöe  Kai  auiri 
[£(\i]tt(6)öuuv  (eiivacrae)  ßouüv  euXripa  ZeXrivr), 
[vujg  be  öiriveKeuug  drep  rmaioq  eppee  |iOuvr| 
dcTTpuuv  XeirraXeiicriv  uttö  (TTiXßoucra  ßoXrjcri. 
5    Tot  qppoveujv  noXioTo  b\'  i'iepoq  eöTixev  'Epiafig 
oÜK  oio<g,  cruv  TLu  (T)e  AÖYog  Kiev  dYXaö^  uiö<; 
Xaiijjripaig  TTTepOxecrcri  KeKO.(y\xivoq,  aiiv  dXr|Oriq, 
dtvriv  dipeKeecTCTiv  e'xujv  em  xtiXeai  tteiBiL, 
TTttTpiijou  KttOapoio  voriiLiaTog  dffeXoq  ujKÜq. 

Jo    (Tuv  Tip  eßr|  Yaidvbe  )ae[T 'Ep|iifi(;] 

TraTrT[aivuuv] 


V.  I.  Gesagt  muss  vorher  sein,  dass  Hermes  erwägt,  dass  zu  dem  KÖ(T|HO<; 
auch  belebte  Wesen  gehören,  und  dass  er  sie  zu  schaffen  beschliesst,  bevor  er 
sich  in  die  Sonne  verwandelt.  Denn  nur,  wenn  der  Dichter  dies  später 
erzählen  will,  kann  ich  es  verstehen,  dass  hier  das  Fehlen  der  Sonne  ausdrücklich 
hervorgehoben  wird,  während  doch  im  Folgenden  auf  ihre  künftigen  Wirkungen 
schon  ausdrücklich  Bezug  genommen  wird.  Zu  vergleichen  ist  wieder  Macrobius 
Sai.  I.  19,  7 — 9  und  17,5.  Im  Ausdruck  ähnlich  ist  Ovid.  A/e/.  1,10  nullus  adhuc 
mundo  praebebat   Itniiina   Titan,  nee  nova  crescendo  reparabat  cornua  Phoebe. 

2 TiebiDV  eupripa  (X  von  derselben  Hand)  ßoujv  euXi-jpa  ae\r|vri  Pap.  Vgl. 

//.  23,  481  IxuJv  euXripa,  Quintus  Smyrnaeus  IV  508  €uXripa  Xütßov,  IX  156  Tivcta- 
aujv  eöXripa  (vgl.  Apollon.  I  753  Tivoiaaujv  r^via)  4.  Vgl.  ApoUon.  I  607  ä|u' 
fieXioio  ßoXai?,  II  943  und  öfter.  5.  Vgl.  Apollon.  III  275  TÖqppa  b'  "Ppwi; 
TToXioTo  bi'  n^po?  iSev  äqpavTOc;.  Es  ist  echt  alexandrinisch,  dass  die  entlehnten 
Worte  hier  in  anderem  Sinne  (wie  bei  Ovid  Met.  i,  17  lucis  egens  aer)  ver- 
wendet werden.  6.  öuv  Tuibe  Pap.  Vgl.  Od.  15,  loo  oÖK  oXoc,  ä|ua  tlü  y'  '  EXevrj 
Ki€  (vgl.  //.  3,  143;  Od.  I,  331;  18,  207;  19,  601;  //.  2,745;  822;  24,  573;  Od.  2,  11). 
Es  ist  wahrscheinlich,  dass  AÖTO(;  sich  später  in  den  Mond  verwandelt,  der  ja 
im  Aegyptischen  männHch  ist.  Genau  so  gelten  Isis  und  Osiris  in  der  Zeit  des 
Hekataios  als  Sonne  und  Mond  und  zugleich  als  die  schöpferischen  Gottheiten 
(Diodor  I  u).  Die  V^oraussetzung  ist  freilich,  dass  Logos  schon  früher  als 
selbständiges  göttliches  Wesen  empfunden  ist.  7.  Vgl.  an  derselben  Versstelle 
^^-  4.  339  '^oi  ax)  kokoioi  böXoiai  KeKaö|i^ve;  Od.  4,  725;  815;  24,  509;  Apollon. 
II  816  u.  s.  w.  —  Logos,  der  hier  für  den  aegyptischen  Thot  eintritt,  ist  wie  dieser 
geflügelt;  auch  aiiv  dXriBriq  ist  nicht  müssig;  „Thot,  welcher  ruht  auf  der  Wahr- 
heit" sagt  eine  Inschrift  von  Dendera  (Brugsch  Religion  d.  Aeg.  51),  und  Plato 
erklärt  die  Doppelgestalt  des  Pan,  den  er  gleich  Xö^o?  setzt,  daraus,  dass  der 
XÖYO^  sowohl  <iXr|6r|q  als  vjieubric;  sein  kann;  so  ist  er  schön  und  hässlich,  beides 
zugleich  {Kratylos  408  c).         9.  Vgl.  Od.  16,  468  äYY£^o<;  djKÜc;  im  Versschluss. 


II.  Schöpfungsraythen  und  Logoslehre.  5/ 

XuJpov  [euKpnJTOV  öiZiniuevoq,  evGa  TioXiaaii 

dcTTU ecTTOv,  6  Kev  TreTTo\i(J)aevov  eiri 

aHio[v] rjv  eucpeTT^ci  bexOai. 

15    'AXX'  [oüj eni  Kpu)Liijuöea(;  dpKTOu? 

Tra |Lioipai(q)  xöovöq  oüveKa  Kcivai^ 

€  ßaBuq  TTepiTTeTTTaiai  drjp 

[ßa]puv6|Lievo(;  viqpdöedcxi, 

[ou\]r]  ö'  eiTeviivoGe  Ttdxvri 

20 [9v]riTÖv  öe|uaq'  ouöe  Kev  au6i 

Totin? 


.  6e  .  .  .  aXuTi 
Xicr  .  .  .  Xaujv 


25 qpu  .  .  .  .  a 

eTTTtti  dcTKioq  dnp 

öuai  Katd  KÖ(J|Liov  eacri 

[KJai  dKpriToio  06peij"i(; 

ai9o|ueva)  Trupi  Y[ei]TUüV 

30 oa  TToXucrTTe[peujv  T^vog]  dvöpüuv 

kXhTI    .    .    .   YCVOVTO 

[KJai  dcrrea  [x]ujpri0eicrai 

[uj]K[e]avoTo 

vo)uui(Jiv  [e]öo(JKev 


V.  12.  Vgl.  Apollon.  IV  1472  ciffTU  iroXiaaaq  im  Versschluss.  Es  handelt 
sich  nicht  um  einen  Vergleich.  Dass  Hermes,  bezw.  Thot,  vor  Erschaffung  der 
Menschen  gleich  eine  Stadt  für  sie  gründet,  ist  ein  eigenthümlicher,  auch  im 
Aegyptischen  kaum  nachweisbarer  Gedanke;  ein  Grieche  scheint  die  Tradition, 
nach  welcher  der  Weltbildner,  Thot  oder  Osiris,  auch  eine  Stadt  gegründet  hat, 
nach  seinen  Begriffen  von  der  ttöXk;  ausgestaltet  und  mit  der  Schöpfungssage 
verbunden  zu  haben,  um  das  Alter  der  aegyptischen  Cultur  hervorzuheben. 
15.  Sinn:  aber  nicht  nach  Norden  wendete  er  sich.  16.  |noipai  Pap.  17.  Vgl. 
Ol/.  6,  45  d.Kkd  [uöiX.'  a\f\r\  ir^TTTaxai  ävicpeXoq,  II.  17,  371  TreiTTaTO  b'  auYH 
fieXioio.  19.  Vgl.  //.  10,  134  oö\n  b'  eTTevrjvoGe  Xdxvrj.  Die  Benutzung  des 
bekannten  Verses  soll  in  dem  Hörer  den  Gedanken  erwecken,  dass  Schnee  und 
Reif  wie  ein  dichtes  Gewand  die  Erde  bedecken.  20.  Wohl  Uebergang  zu 
der  zweiten  unbewohnbaren  Zone  ;  aber  auch  im  Süden  hätte  er  nicht  den 
geeigneten  Platz  gefunden.  26.  Ueber  eiTTai  scheinen  einige  Buchstaben  als 
Correctur  zugefügt;  vielleicht  TreiTTaTai  öaKio;  ärip,  vgl.  V.  17  und  Anm. 
30.  Vgl.  //.  2,  804  iToXuffTTepeaiv  dvepuüiraiv  und  OJ.  11,  365. 


ob  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

35 Ol  Tüjv  Ö6  -fe  [|u]e(Jcrog 

[Xex]ujiä(g  'QTUfiil  x[oO]v 

,    .   OUai  Ol  TTOT 

TÖ  öe  KXeoq  oubeTT .  .  G.  v 

dvTiTTepi"|Oev  öpoucraq 

40 [v]uKTi  b'eviiev  .  tt  .  Goi 

Geov  .  .  .  ai  

(TaVOT 

0U(7lV 

n?  öiZ^'m 

Da  unser  Lied  seiner  Ueberlieferung  nach  von  dem- 
selben Dichter  oder  doch  aus  derselben  Zeit  wie  das  erste  her- 
rührt, so  bietet  sich  die  spätgriechische  mystische  Literatur 
natürlich  zunächst  zum  Vergleich.  A.  Dieterich  hat  in  seinem 
verdienstvollen  Buche  Abraxas  einen  späten  Mythos  von  der 
Weltschöpfung  mitgetheilt,  •  in  welchem  Hermes  zwar  nicht 
als  der  erste  oder  der  zweite  Gott,  wohl  aber  als  derjenige 
betrachtet  wird,  „der  das  All  umfasst,  der  das  Licht  und 
den  Strahl  der  Sonne  erscheinen  lässt  und  der  anderen 
Sterne  hehre  Gestalten  aufgestellt  hat,  der  mit  dem  gött- 
lichen Lichte  die  Welt  und  in  ihr  alles  geschaffen  hat".  *  Er, 

der  Hermes,  h\  ou  xd  Travta  epiuiiveijeTai bi'  ou  oiKovoiuiiGn 

TÖ  Trdv,  wird  ausdrückhch  als  der  Noüg  bezeichnet. '  Mit  Recht 
hebt  Dieterich  die  enge  Verbindung  dieser  Anschauungen 
mit  der  Vorstellung  und  der  Literatur  vom  'Ep)aii(;  i^\ü\xt^\oioc, 
hervor.  Auch  unser  Dichter  könnte  von  ihr  beeinflusst  scheinen. 
Er  erzählt,  dass  seine  Ahnen  den  Hermes  besonders  verehrt 


V.sg.dvTiTT^prieev  vgI.Apollon.il  1030,1977;  an  derselbenVersstellell  I174. 

'  Ich  verdanke  die  erste  Erinnerung  an  diesen  Mythos  der  Güte  des 
Herrn  Vicar  Ad.  Jacoby  in  Strassburg. 

■•'  S.  66;  vgl.  S.  4;  vgl.  ferner  den  S.  64  mitgetheilten  Hymnus  auf  den 
Epiufiq  KOöiaoKpdxiup. 

*  Vgl.  Macrobius  Sat.  I  17,  5  'EpjLific;  ätrö  ToO  ^p|ar|veÜ6iv,  19,  9  nam 
ijuia  meutis  potentem  Merciirium  credimus  appellaiumque  ita  intellegimus  dirö 
TOÖ  4p^r|veüeiv,  et  so/  mundi  mens  eit  e.  q.  s.  Es  ist  mir  nicht  unwichtig,  dass 
Brugsch  Aegyptologie  S.  328  erwiesen  hat,  dass  Macrobius  in  diesem  Abschnitt 
eine  vorzügliche  aegyptische  Quelle,  jedenfalls  die  Schrift  eines  sehr  wohl  unter- 
richteten Priesters,  benutzt  liat. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  59 

haben,  1  d.  h.  doch  wohl  Priester  des  Hermes  oder,  da  dieser 
allen  Priestern  gemeinsam  ist,  Priester  waren,  und  gibt  sich 
damit  selbst  als  npocpriTri«;  des  Gottes  ebensowohl  in  dem 
Sinn,  den  alexandrinische  Dichter,  als  in  dem,  Avelchen  die 
Cultsprache  damit  zu  verbinden  pflegte.  So  berührt  sich  in 
dem  Mythos,  den  er  bietet,  denn  auch  manches  mit  den 
Hermetischen  Schriften.  Man  erinnere  sich,  dass  Hermes 
der  Nou?  ist,  und  vergleiche  nun  mit  den  Angaben  unseres 
Dichters  über  Zeus,  Hermes  und  den  Logos  Stellen  des 
Pohnandres,  wie  p.  3,  12  (Parthey)  tö  cpoiq  eKeivo,  ecpii,  e'fuj 
d\x\,  Noö(;,  6  Gbc,  6e6(;,  6  Tipö  qpucreujq  utp«?  Tfji;  ek  ctkötou? 
qpaveicTiiig-  6  hl  ek  Noöq  cpiuxeivö^  AÖTO«;  uiöq  0eoö,  oder  4,  17 
6  be  Noü^  ö  Q^bc,  dppevdöiiXug  luv,  Ziuui]  Kai  qpujq  uTrdpxujv  dTreKuiicre 
[(XÖTUJ)]  etepov  Nouv  örmioupTÖv,  öq  Q^bc,  toö  nupö?  Kai  irveujLiaToq 
ujv  ebi-|)LiioiipTilö't  öioiKiiid^  Tiva«;  enTd  ev  kukXuj  -rrepiexovTaq  töv 
aiaOriTÖv  koctihov.  Kai  \\  h\o\K\\(5\c,  auiüijv  d|uap|uevn  KaXeirai. 
ETTriöiicTev  euGuq  ek  tuuv  Kaxuuqpepuüv  aioixeiujv  6  xou  6eou 
AÖYoq  €15  TÖ   Kttöapöv  Tfjg   (puaeuj(j   ÖJHUioupYim«   Kai  iqvujöri   tu> 

öriliuoupYLu  Nüj-   6)aooL)(Tioq  Tdp  nv 6  öe  örmioupTÖ^  NoO? 

auv  TÜJ  AÖTUJ,  6  Tiepiexujv  lobc,  KÖcr)aouq  Kai  öivujv  poiZiuj,  ecTipenje 
td  eauTOÖ  öriiiuoupTrmaTa  Kai  eiaae  (TtpecpeaBai  d-rr'  dpxn?  dopicTiou 
ei?  diTepavTOV  reXoq.  Das  zeigt  deuthch,  in  welchem  Gedanken- 
kreise unser  Dichter  lebte. 

Gewisse  Anklänge  zeigen  auch  andere,  ausführlichere 
Schilderungen  der  Schöpfung,  wie  z.  B.  Poimandrcs  31,  6 
11V  Tctp  cTKÖTog  d-rreipov  ev  dßuacruj  Kai  ubujp  Kai  TTveüjna  XeiiTÖv 
voepöv,  öuvd|uei  Geia  övia  ev  xdei.  dveiBii  örj  qpujq  dfiov,  Kai  eTidYn 
vjtt'  d|a)auj  eH  uYpd(S  ouaiaq  (JTOixtia,  Kai  Geoi  irdvieq  KaiabiaipoöcJi 
q)iicreuj<;  evcJTTÖpou.  döiopicTTuuv  be  övtuuv  dirdviijuv  Kai  dKaia- 
(TKeudaTuuv  dTT0Öiujpi(J6r|  rd  eXaqppd  ei(g  uq;og  Kai  xd  ßapea  e9e- 
|LieXiuj9ri  uqp'  uTpd  d'|Li|iiuJ,  TTupl  tujv  öXuuv  öiopi(T0evTuuv  Kai  dva- 
Kpeinaö'BtvTUJV  TTveu)aaTi  öxeicröai.  Kai  oiqpöii  6  oüpavö^  ev  kukXok; 
eirrd,  Kai  Gtoi  xai?  evdcTTpoKg  ibeaiq  OTTtavöiLievoi  (Jüv  xoTg  auTuuv 
CTiiiLieioK;  äTtadi  •  Kai  biripiO^nen  id  dcripa  (Juv  ToTq  ev  auToiq  öeoiq  • 


»  48ir  2  Keivo?  \ir\  vioc,   ^otiv   ^|uÖ(;  TTaTpibioq  'Epiif)^;  vgl.  über  die 
Bedeutung  Lobeck   Aglaophamus   S.  1333   und   Schoemann   Opusc  Acad.  I.  323. 


60  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Kai  TTepieiXixOn  tö  irepiKUKXiov  depi  KUKX.iuj  bpo|uri)LiaTi,  irveüfLiaTi 
9€iiu  öxoufievov.^ 

Allein  dieser  Vergleich,  der  sich  noch  weiter  aus- 
spinnen Hesse,  passt  im  Grunde  nicht ;  unser  Dichter  weicht, 
wie  schon  die  kurzen  Proben  zeigen,  weit  ab  von  dem  Orakel- 
ton dieser  religionsmischenden  M3'^stik;  er  will  ein  Werk 
bieten,  das  der  grossen  Literatur  angehören  soll.  Dass  er 
den  mächtigen  Stoff  nicht  selbst  in  sie  eingeführt  hat,  ist  von 
vornherein  anzunehmen,  wird  duixh  Ovids  Metamorphosen 
erwiesen  und  wird  sich  uns  bei  einer  Prüfung  der  conta- 
minirten  Stellen  des  neuen  Gedichtes  bestätigen.  Doch  bevor 
ich  hierauf  eingehe,  sei  es  gestattet,  den  Schluss  unseres 
Mythos  eingehender  als  dies  in  Anmerkungen  möghch  ge- 
wesen wäre,  zu  erklären. 

Da  Hermes  für  die  Erschaffung  des  Menschen  einen 
Xiijpog  euKpi-iTO(;  sucht,  so  werden  wir  annehmen  dürfen,  dass 
der  Dichter,  der  die  aegyptische  Tradition  so  gern  zu 
Grunde  legt,  diesen  Theil  der  Schöpfung  nach  Aegypten 
verlegt  und  die  Aegypter  als  die  ersten  Menschen  bezeichnet 
hat.  Diese  Auffassung  giebt  Tnach  Hekataios)  bekanntlich 
Diodor  I  10  wieder  qpacri  toivuv  Aitutttioi  Kaid  ti^v  eE  dpxn?  tüuv 
öXuuv  TevecTiv  TTpujTOuq  dvöpuuTrouq  xevecrGai  Kaid  uiv  Aiyutttov 
öid  Te  Ti]V  euKpacriav  nig  xuJpcti;  Kai  öid  niv  qpudiv  toö  NeiXou. 
TOÖTOV  ydp  TToXuYOVOV  övTtt  Kai  idg  Tpoq)d<s  auToqpueiq  Trapexö)Lievov 
pabiuui;  eKipeqpeiv  id  ZiujoTovriOevTa.  Eine  Fülle  von  weiteren 
Vertretern  dieser  Ansicht  nennt  das  Scholion  zu  Apollonios  IV 
262;  ich  hebe  besonders  heraus  "Ittttu(;  öe  louq  AitutttIou^ 
TTptJuTOu?  crToxd(Tacr9ai  Ty\q  toü  depoq  Kpdcreuuq  Kai  YovimJüTaTOV 


1  Nach  Inhalt  und  Ton  ist  es  lehrreich,  hiermit  die  Uebertragung  stoischer 
Gedanken  in  eine  römische  Theologie  bei  M.  Messalla  (Consul  53  v.Chr.) 
zu  vergleichen  (Macrob.  Sat.  I  9,  14):  de  lano  ita  incipit:  qui  cuncta  fingit 
cadcmqtie  regit,  aquae  terraeque  vim  ac  naturam  gravem  aique  pronam  in  pro- 
fundum  dilabentem,  igiiis  atque  animae  levein  in  iinmensum  sublime  fugientem 
copulavit  circuindato  caclo ;  quae  vis  caeli  maxima  duas  vis  dispares  copulavit. 
Es  wäre  eine  dankenswerthe  Arbeit,  die  verschiedenen  F"ragmente  dieser  zu 
Caesars  Zeit  blühenden  Literatur  zusammenzustellen  und  auf  ihre  Tendenz  zu 
untersuchen. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  61 

eivai  TÖ  Toö  NeiXou  uöuup.^  Nun  sagt  Stephanos  von  Byzanz  (s.  v. 
Ai'tuttto«;)  dXXd  Kai  'QTUTia  eKaXeiTO.  Dadurch  erklärt  sich  481  v  36; 
zu  den  Woltern  tüjv  öe  ye  laecrcroi;  bietet  Dionysios  Periegetes 
die  Erklärung,  Avenn  er  nach  der  Schilderung  der  beiden 
Grenzgebirge  Aegyptens  V.  246  sagt  tüjv  ^eaa  KaXXipooio 
KarepxcTai  vbaxa  NeiXou.  Die  ganze  Stelle  ist  danach  etwa 
zu  ergänzen  tüjv  bi  -fe  [|a]tcrao<;  [NeiXog,  ZiujoTÖvov  be  Xex]uJi«<S 
'QtuTin  x[oO]v  [öeKTo].  Der  Nil  ist  der  Vater,  Aegyptens  Erde 
die  Mutter  des  Menschengeschlechtes.'^  Ein  wichtiger  Zug 
dieser  Kosmogonie  ist  damit  wiedergewonnen,  ihr  Alter 
näher  bestimmbar. 

Jeder  Leser  hat  zunächst  wohl  daran  Anstoss  ge- 
nommen, dass  in  unserem  Gedicht  Sonne  und  Mond  erst 
nach  der  Erschaffung  des  Menschengeschlechtes  zu  leuchten 
beginnen,  weil  die  Götter,  die  in  ihnen  später  wohnen,  bei  dieser 
Schöpfung  noch  selbst  eingreifen.  In  den  altaegyptischen 
Mythen  kann  wenigstens  ich  diesen  Zug  nicht  nachweisen, 
wohl  aber  erwähnt  ihn  schon  Apollonios  von  Rhodos,  dessen 
einer  Abschnitt  erst  jetzt  endlich  seine  Erklärung  empfängt 
(IV  259— 271  j : 

e(JTiv  Yotp  ttXoo^  äXXoq,  öv  dOavdTuuv  lepqeg 
260   TTecppabov,  di  Giißiiij  TpiTuuvibo?  eKTCTdamv. 
oÖTTiu  xeipea  rrdvia,  id  t'  oupavuj  eiXi(J(T0VTai, 
ou  bl  Ti  TTuu  Aavaüuv  iepöv  fivoc,  r\ev  dKOÖCTai 
7Teu9o)nevoi(;  •  oioi  b'  ecrav  ÄpKdbe<;  'Ambttviiei^, 
'ApKdbe!^,  di  Kai  TTp6cr6e  aeXrivaiii«;  ubeoviai 
265    Zujeiv,  qpriYÖv  ebovreq  ev  oupeaiv  •  ou  be  TTeXacrYi(; 
XOujv  TÖie  KubaXi|noiaiv  dvdcrcreTO  AeuKaXibr;iaiv, 
^^oq  öt'  'Hepiii  TToXuXniog  eKXiiicTTo, 


'  Vgl.  Wilamowitz  Hermes  XIX  447 ;  auch  die  vorhergehenden  Sätze  Kai 
NiKcivoip  öe  (dpxaiOTdTOu^  Aitutttiou^  elvai  qprjöiv)  \i-i\av  iv  Aitütttuj  uptü- 
Tov  KTiaGr|vai  iröXiv  Grißaq,  Kai  auTÖq  auinqpuüvcT  tiIj  'ApxeMcixtu  dv  Tai(; 
MeTovo|Liaöiai<;.  boKei  be  irpiJuTov  Orißriv  kot'  Ai'yutttov  KTiaGfivai,  üj<; 
qpriöi  EevaTÖpa(;  ^v  a    xpövuuv  haben  für  das  Folgende  Wichtigkeit. 

2  Vgl.  Horapollon  I  25  aTrXaöTov  hi  ävGpujiTOv  -fpäfpovrec;  ßctxpaxov 
Z!iuoYpaq)oöaiv,  ^Treibr]  n  toütou  -f^veöK;  ^k  xfiq  toO  TTOTa,uoO  i\0o<;  üTTOTe- 
Xeixai.     Eine  Fülle  weiterer  Parallelen  bietet  Plutarch. 


O-  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

luiriTriP  Ai'TUTrToq  TTpoiepriTeveouv  ai2!jiüiv, 
Kai  TTOTttiaöq  Tpitoiv  eupuppooq,  dj  utto  irctaa 
270    dpöerai  'Hepiri  •  AiöSev  be  |aiv  outtotc  öeuei 

ö)aßpoq  •  äXiq  Tipoxoriai  b'  dvaöTaxuoucTiv  dpoupai. 

Der  Vergleich  mit  den  'ApKotöeg  TTpodeXtivoi  zeigt,  dass 
auch  Apollonios  meint,  die  Aegj'pter  seien  vor  Sonne  und 
Mond  entstanden, '  Wenn  er  hier  die  Barbarei  der  Arkader 
und  die  uralte  Cultur  der  Aeg^'pter  betont,  so  müssen  wir 
uns  erinnern,  dass  ja  der  Sonnengott  Thot  zugleich  die 
Gesetze  giebt,  also  die  nöXiq  gründet,  und  das  Fruchtland 
vermisst.  Er  wird  auch  in  unserem  Gedicht,  in  welchem 
der  überredende  Logos  ihn  bei  der  Schöpfung  der  Menschen 
begleitet,  sofort  Recht  und  Frömmigkeit  imter  den  ersten 
Menschen  begründet  haben.  Beide,  Apollonios  und  unser 
Autor,  gehen  auf  dieselben  Vorstellimgen  zurück.* 

Dieser  aegyptisch-griechische  Mythos  verbindet  sich  hier 
mit  der  rein-griechischen  Lehre  von  den  Zonen,  und  so  breit 
scheinen  die  Ausführungen  über  die  beiden  unbewohnbaren 
Theile  der  Erde,  dass  wenigstens  ich  in  ihnen  schon  eine 
gewisse  Polemik  zu  empfinden  meinte,  ehe  ich  noch  die 
Parallelstellen  kannte.  Die  klarste  findet  sich  bei  Justin 
n  1,  5:  Scythannn  gens  antiqiiissiina  scmpcv  habitci,  qnmu- 


'  Vgl.  den  Xaasscnur-llymnos  bei  llippolyt  V  i  eixe  TTpoöeXrivaiov  'Ap- 

Kobia  TTeXacTföv AiTutTTiaiv   be   NeTXo^    i\i)v    ^TriXmaivuuv    jn^xpi 

öriiaepov  Zujoyovujv,  qprjoiv,  ÜYpä  aapKoü.ueva  GepinöOriTi  Ziuä  öubinaTa  dvabi- 
buJöiv.  Auf  ein  Lied  scheint  auch  Clemens  Protr.  I  86  zu  deuten  eir'  oöv  dp- 
Xaiouc;  toü^  OpuTa;  bibäcTKOuaiv  aiYe?  lauBiKai"  eite  aij  tou;  'ApKdba(;  oi 
irpoaeXrivouq  dva^patpovrei;  iroiriTai,  eire  pr)v  au  tolk;  AiYUTTTiouq  oi  koi 
TTpdiTTiv  TOÜTiiv  dvoqpövai  Tr]v  YHV  öeouq  re  Kai  dvGpiOirou?  öveipiüöaovTcq. 
Dieselbe  Verbindung  bot  Pseudo-Hippys,  vgl.  Stephanos  von  Byzanz  'ApKobia. 
Wilamowitz  Hermes  XIX  447." 

*  Da  ich  hier  und  im  Folgenden  auf  die  Wechselwirkungen  aegyp- 
tischer  und  griechischer  Vorstellungen  hinzuweisen  habe,  sei  beiläufig  bemerkt, 
dass  der  beiden  gleich  gerecht  werdenden  Preis  der  Könige  in  dem  ersten 
Hymnos  des  Kallimachos  V.  87,  88  4öit^pio<;  Keivö(;  ye  TeXei  xd  kcv  rjpi  vor|<jri, 
föTTtpioi;  TÖ  iLi^TiöTO,  xd  |ui€iova  b'  euxe  voriar)  auffällig  höfischen  Formeln 
des  neuen  Reiches  entspricht:  ,,du  gleichst  dem  Re  (Zeus)  in  allem,  was  du 
thust;  alles  was  dein  Herz  will,  geschieht.  Wenn  du  nachts  dir  etwas  gewünscht 
hast,  so  ist  es  bei  Tagesanbruch  schnell  geschehen"  (Flrman  S.  109). 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  63 

quam  intcr  Scythas  et  Aegyptios  diu  contentio  de  generis 
vetustate  fiierit  Aegyptiis  praedicantihus  initio  rerum,  cum 
aliae  terrae  nimio  fervore  solis  arderent,  aliae  rigerent 
frigoris  imiiianitaie,  ita  ttt  non  modo  primae  generare  ho- 
mines,  sed  iie  advenas  quidem  recipere  ac  ttieri  possent,^ 
priusquaui  adversiis  calorem  vel  frigus  velamenta  corporis 
iuvcnirentur  vel  locorum  vitia  qiiaesitis  arte  remediis  molli- 
rentur,  Aegyptiim  ita  temperatam  semper  fuisse,  ut  neque 
hiberna  frigora  nee  aestivi  solis  ardores  incolas  eins  pre- 
merent,  solum  ita  feciindum,  ut  alimentoriun  in  usiim  ho- 
minum  nnlla  terra  feracior  fuerit.  iure  igitur  ihi  primum 
homines  natos  videri  debere,  uhi  educari  facillime possent.^ 
Die  zweite  Parallele  bietet  Diodorlll  2  AiGioTia?  xoivuv  icTTopoücri 
TTpujTOU^  dvGpujTTuuv  aTTCtviiJuv  YtTOvevai,  Kai  xct^  dirobeiHeK;  toütuuv 
eiLicpaveig  eivai  qpacriv.  oti  |Liev  y«P  ouk  e7Tri\ube<;  eXGövie^,  dW 
eTTtvei^  övxeq  t\\c,  x^jpac;  öiKaiuj(S  auröxOoveq  övo|udZ;ovTai,  (Tx£Ööv 
Trapd  TTddi  cruiuqpujveicreai  •  oxi  be  louq  uttö  Tr|v  laecrniLißpiav  oiKOÜvia«; 
TTiGavov  ecTTi  TrpuuTOu«;  uttö  xiiq  Y'K  e^uJOTOviicrGai,  TTpoqpave^ 
uirdpxeiv  dTradi  •  iir\<^  ydp  Trepi  töv  fjXiov  6ep|ua(7ia(;  dvaSripaivovjcrTi<; 
Tiiv  Yiiv  uYpdv  oudav  eri  Kaid  rriv  tujv  öXuuv  Ytvecriv  Kai  Ziujo- 
YovoucTJi?,  eiKÖ(;  eivai  töv  erTuidiiJU  töttov  övia  tou  i'iXiou  TTpuJTOV 
eveYKeiv  cpücJeK;  euv|;uxoug/ 


1  Vgl.  481V  20  Sv^TÖv  be|ua(;. 

^  Die  folgenden  Ausführungen  der  Scythen  wie  die  der  Aethiopen  bei 
Diodor  zeigen  in  reizender  Klarheit,  wie  derartige  Behauptungen  wie  „die  Ae- 
gypter  sagen"  bei  den  griechischen  Historikern  noch  oft  (z.  B.  auch  bei  Diodor 
I  10,  4)  zu  beurtheilen  sind,  aber  sie  zeigen  auch  weiter,  wie  lebhaft  sich  die 
stoische  Philosophie  schon  zu  dieser  Zeit  mit  der  aegyptischen  Lehre  beschäf- 
tigte. Natürlich  hat  der  Lobredner  der  Scythen  den  Autor  Diodors  vor  Augen, 
das  zeigt  Justin  11  i,  14  ff.  verglichen  mit  Diodor  I  10,  4;  rhetorische  Spielerei 
ist  Diodor  III  2  aber  nach  denselben  Quellen  und  sicher  nicht  von  Diodor  selbst. 

3  Das  Folgende  zeigt  noch  deutlicher,  wie  dies  alles  auf  willkürlicher 
Umkehrung  aegyptisch-hellenistischer  Theorien  beruht;  Voraussetzung  ist  natür- 
lich die  Lehre  des  Poseidonios  bei  Cleomedes  (16=/.  56,  27  ed.  Ziegler)  0X0- 
XaiÖTepov  hi,  KttOdTTep  ^q)a|uev,  toö  riXiou  TrpoaiövToc;  toT(;  tpottikoT^  Kai 
diTOXiwpoOvTO(;  Kai  biä  toOto  ijCx  irX^ov  irepi  aÖT0U(;  ^YXPOViZiovToq,  Kai 
oÜK  övTiuv  doiKriTUJv  TUJV  u-rr'  aöroT<;  oube  tOuv  Iti  ^vboTepuu  (ri  Yäp  Xur)vr| 
viTTO  tCü  GepivLÜ  KeiTfii  kükXiu,  x\  b'  AiBiOTTia  2ti  raüxrii;  ^vbcTepoi) 
dtTTÖ  TOUTuuv  TToöeibuüvio^  TÖ  ^vböai.uov   Xaßuuv   kui   ttöv  tö   üttö   tö  laii- 


64  II.    Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Es  ist  für  unseren  Autor  eine  arge  Ungeschicklichkeit, 
dass  er  vor  der  Erschaffung  der  Sonne  schon  von  dem 
Lande  der  schattenlosen  Sonnengluth  (4SI'  26),  das  aiOoiitviu 
TTupi  -feiTuuv  ist  (481^29),  spricht;  ich  sehe  hierin  die  Er- 
weiterung einer  ursprünglichen  Fassung.  Hiermit  verbindet 
sich  ein  ZAveites  Missverständniss.  Fol.  487'"  28  berichtet  der 
Dichter  von  den  sieben  lüJvai,  d.h.  hier  Sphaeren  des  Himmels, 
deren  jede  von  einem  Steni  und  einem  Stemgott  regii^t 
wird;  als  achte  tritt  der  Fixsternhimmel  hinzu,  auf  den  in 
y.  31  angespielt  wird.  Zu  den  Planeten  der  sieben  Sphaeren 
gehören  nach  aeg>^ptischer  Auffassung  Sonne  und  Mond. 
Auch  dies  ist  also  eine  Einlage,  die  der  Dichter  nicht  recht 
verstanden  hat;  gerade  dass  er  auf  die  Gestirne  in  481'  4 
Rücksicht  nimmt  und,  indem  er  versichert,  dass  Sonne  imd 
Mond  noch  nicht  bestanden,  hinzufügt,  die  ewige  Nacht  sei 
acTTpuuv  XeTrTaXe,icriv  uttö  cTTiXßouaa  ßoXriai  gewesen,  zeigt  die 
Contamination  doppelt  klar.  Ja  noch  mehi*,  während  er  in 
der  Beschreibung  des  d'Hujv  die  Kugelgestalt  der  Erde  voraus- 
setzt, scheint  er  auf  ihr  überhaupt  nur  drei  Zonen  zu  kennen, 
welche  den  drei  Jahreszeiten  der  Aegypter  Gepog,  x^im^jv 
und  eap  (Zeit  der  Ueberschwemmung)  entsprechen. ' 


laepivöv  KX{|Lia  euKparov  eivai  üireXaße.  xai  Trevre  ZÜJvaq  eivai  Tr|c  •fn(;  tuiv 
euboKiiaiuv  cpuGiKÜJv  diroqprivaiLi^vuuv,  avTÖq  Tf\v  Ott'  ^Keivujv  biaKeKaüaeai, 
XeYO,utvriv  oiKou]Li^vriv  Kai  euKparov  elvai  direqprivaTO.  Die  strenge  Stoa 
hatte  zu  aller  Zeit  an  der  Unbewohnbarkeit  dieser  Zonen  festgehalten. 

/k^Brugsch  Aegypiologie  357.  Eine  wichtige  Parallele  bietet  der  bei 
Diodor  I  16  erhaltene  Hermes-Mythos.  In  seinen  Hauptzügen  ist  er,  wie  später 
gezeigt  werden  soll,  aegyptisch;  aber  Hermes  als  Erfinder  der  iraXaiaxpa  ist 
rein  griechisch  (vgl.  Robert  Griech.  Myth.  415.  416).  Auch  dass  er  Erfinder  der 
Lyra  ist,  darf  als  übertragen  gelten;  nur  ist  diese  Lyra  bei  Diodor  dreisaitig, 
das  bekannte  Instrument  im, neuen  Reich  (Erman  344).  Einer  Verschmelzung 
beider  Anschauungen  entspringt  es,  wenn  sie  kosmisch  gedeutet  wird,  eben  auf 
die  drei  Jahreszeiten.  Dieselbe  kosmische  Deutung  übernimmt  Eratosthenes  in  dem 
Epyllion  Hermes,  er  knüpft  an  die  alte  Vorstellung  von  dem  Lobgesang  der  Urgötter 
beim  Aufsteigen  des  Sonnengottes  (Brugsch  Keligiou  J.  Aeg.  152.  153),  aber  er 
verbindet  sie  mit  der  griechischen  Sphaerenlehre  und  ändert  darum  das  Instrument 
des  Hermes.  Diesen  fasst  er  —  von  der  Uebertragung  griechischer  Mythen  abge- 
sehen —  dabei  ähnlich  als  jüngeren  Gott  wie  Diodors  Quelle,  die  wahrscheinlich 
auch  ihm  schon  vorlag.   Es  ist,  wie  wir  mit  Sicherheit  sagen  können,  Hekataios. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  65 

Der  Dichter  ist  weder  philosophisch  noch  naturwissen- 
schaftlich geschult  und  selbständig.  Aber  was  er  bietet,  ent- 
spricht den  hellenistischen  Lehren  relativ  früher  Zeit,  und 
am  nächsten  denen  der  Stoa.  *  Dasselbe  gilt  von  den  Grund- 
gedanken der  ersten  Hälfte  unseres  Mythos. 

Vorausgesetzt  wird,  wie  Prof.  Windelband  mich  zuerst 
erinnerte,  die  nach  Andeutungen  Piatos  von  Aristoteles  weiter 
ausgeführte  Lehre,  nach  der  jedem  Element  cpuaei  eine  be- 
stimmte Bewegung*  und  ein  bestimmter  Platz  ^  im  KÖcriao«; 
zukommt.  Aber  dem  Aether  wird  hier  die  kreisförmige  Be- 
wegung zugeschrieben,  die  Aristoteles  nur  der  qninta  natura 
zuerkannt;  das  heisst,  diese  Lehre  liegt  schon  in  der  Um- 
gestaltung, die  sie  bei  Zenon  und  in  der  älteren  Stoa  empfing, 
vor.^  Weder  mit  Aristoteles  noch  mit  der  Stoa  vereinbar, 
wohl  aber  aus  beider  Lehren  entwickelt  ist  ferner  die  Vor- 
stellung, dass  die  Elemente  ursprünglich  in  der  u\ti  vermischt 
und  erst  durch  ein  zeitlich  bestimmtes  Eingreifen  eines  ausser- 
halb der  ü\r|  stehenden  Gottes  gesondert  sind  (vgl.  Plut.  de  Is. 
et  Os.  45).  Dieselbe  Mischung  verschiedener  Vorstellungen 
liegt  der  Dichtung  Ovids  zu  Grunde,  ja  seine  Darstellung 
wird  erst  verständlich,  wenn  wir  den  von  unserem  Dichter 
schärfer  hervorgehobenen  Satz,  dass  jedes  Element  cpvaei 
seinen  bestimmten  Platz  habe,  betonen.  Wenn  er  in  den 
Worten  dissoeiata  locis  concordi  pacc  ligavit  die  Scheidung 
und  Neuvereinigimg  so  scharf  betont,  so  glaubte  ich  hier- 
nach die  Ergänzungen  von  481'"  12 — 23  gestalten  zu  dürfen, 

•  Vgl.  für  die  aegyptische  Lehre  von  der  Entstehung  aus  dem  Wasser, 
bezw.  dem  Urschlamm,  Zeno  Fr.  113,  112  Pearson;  über  die  Sonne  als  Gottheit 
Zeno  Fr.  71,  Kleanthes  Fr.  29, 28;  über  die  Entstehung  des  Menschen  Zeno  Fr.  80,  81. 
Für  die  jüngeren  Stoiker  vgl.  Se.xtus  Empiricus  adv.  Math.  IX  28,  Tertullian 
ad  nat.  II  5,  Cicero  de  leg.  I  24;  für  die  weitere  Schöpfungsgeschichte  Kleanthes 
Fr.  20  Pearson. 

2  Vgl.  z.  B.  /.  276  b  9  ed.  Bekker. 

3  Vgl.  z.  B.  /.  355  a  35  und  277  b  14. 

♦  Stobaios  Ekl.  I  142,  9  Wachsm.  oi  Ituuikoi  büo  uev  eK  töjv  Teööd- 
puuv  öToixeiujv  KoOqpa,  iröp  kuI  depo,  büo  be  ßapea,  übiup  Kai  yriv.  koö- 
qpov  -füp  UTTCtpxei  cpOaei,  8  veöei  duö  toö  ibiou  lueaou,  ßapü  bl  tö  ei? 
ueöov.  Koi  TÖ  |aev  TTepi'feiov  qpüx;  kot'  eü0eiav,  tö  b'  aiöepiov  irepiqpepiu? 
KiveiTOl.    Vgl.  Cicero  Acad.  post.  I  11,  39. 

ReitEenstein,    Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  O 


66  n.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 


in  denen  der  Dichter  sorglicher,  als  seinem  Werke  gut  war, 
die  zeitliche  Verschiedenheit  beider  Handlungen  und  zugleich 
dem  mystischen  Charakter  der  qpiXia,  welche  den  köctuo?  erst 
zum  KÖcriLioq  macht,  betont.  Er  ist  an  dieser  Erzählung  das 
^^ichtigste.  Nicht  um  die  blosse  Annahme  eines  ursprüng- 
hchen  Chaos  handelt  es  sich  hier,  sondern  um  eine  ganz 
eigenartige,  im  letzen  Ginrnde  auf  Empedokles  zurückgehende 
Vorstellung,  nach  welcher  die  Elemente  bei  ihrer  ersten  Ver- 
mischung im  Streit  sind;  indem  der  weltschaffende  Gott 
sie  sondert  und  zugleich  den  Anstoss  der  jedem  eigenthüm- 
lichen  Bewegung  giebt,  schafft  er  die  qpiXia  unter  ihnen  und 
damit  den  KÖa^ioq.  Dieser  ganz  eigenthümliche  und  indi- 
viduelle Gedanke,  der  in  einer  späteren  Zeit  des  Griechen- 
thums  nur  noch  volksthümUcher  oder  poetischer  Anschauung- 
angemessen  sein  kann,  *  hegt,  wenn  wir  näher  zusehen,  auch 
bei  Ovid  zu  Gininde.  Er  bestimmt  mich  hauptsächlich,  eine 
gemeinsame  letzte  Quelle  für  Ovid  und  für  unser  Lied  anzu- 
nehmen; es  kann  nur  eine  poetische  sein." 

Ein  altes  Lied  von  der  Erschaffung  der  Welt,  eine 
Nachahmung  Hesiods  und  zugleich  eine  Theogonie  vor  der 
Theogonie,  ist  in  Wahrheit  nicht  so  unwahrscheinlich. 
Schon  Apollonios  von  Rhodos  macht  sie  I  496  ff.  zum 
Gegenstande  eines  Liedes,  das  man,  weil  Orpheus  es  singt, 
in  der  Regel  ohne  weiteres  orphisch  nennt.  Auf  welche 
Vorstellungen  die  Erwähnung  des  Ophion  (statt  Zeus)  als 
Gemahl  der  Emynome  weist,  (vgl.  Nonnos  IT  573 1,'  wage  ich 
nicht  zu  entscheiden ;  gehören  sie  wirklich  einer  orphischen 
Theologie  an,  so  handelt  es  sich  bei  ihrer  Einfügung  um  eine 
leichte  orphische  Ueberkleidung  des  ursprünglichen  Mythos. 
Er  selbst  stimmt  wieder  ganz  zu  dem  bisher  analysirten: 

rieibev  b'uj<;  yaia  kcu  oupavöq  r\be  edXacraa 
TÖ  irpiv  in  äXXi'iXoicri  laii)  auvapnpoia  laopqpri 


•  Für  die  aeg)-ptische  Anschauung  späterer  Zeit  empfahl  er  sich  durch 
die  zahlreichen  Darstellungen  der  Elemente,  deren  acht  Götter  in  Frieden  und 
Ruhe  neben  dem  weltschaffenden  Gotte  Thot  erscheinen;  vgl.  unten  S.  77  ff. 

"  Auf  eine  ältere  Quelle  weist  auch  das  zu  481  r  26  Bemerkte. 

^  Vgl.  Lobeck  A^^^laophamus  397  ff. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  67 

veiKeo(;eH  öXooTo'  bieKpi9ev  diacpi^  eKacria' 
f\b'  ujc,  ejUTTeöov  aiev  ev  aiöepi  TeKjuap  exoviJiv 
dCTpa  (TeXrivain  le  Kai  rieXioio  Ke\eu9oi. 
ouped  b'  wq  dveieiXe  Kai  öj<;  TTOiaiLioi  KeXdbovTe«; 
auTvicTiv  vu)aq)ii(Ti  Kai  epTreid  Travi'  eYevovio.  * 

Auch  \^ergil  hat  in  der  sechsten  Ekloge  nicht,  wie  man 
früher  meinte,  stilwidrig  einem  alexandrinischen  Romanzen- 
kranz eine  von  ihm  selbst  aus  Lukrez  gebildete  Kosmogonie 
vorausgestellt,  sondern  den  Stoff  eines  alexandrinischen 
Liedes,  das  vielleicht  schon  in  römischer  Bearbeitung  vorlag, 
in  leichter  Umgestaltung  geboten.  ^  Denselben  Stoff  überträgt 
in  die  Beschreibung  eines  Kunstwerkes  Claudian  de  raptn 
Proserpinae  I  248 — 268;  vgl.  besonders 

hie  elementorum  sericin  sedesqiic  patenuis 
insignihat  acu,  veterem  qua  lege  tumiiUmn 
discrevit  Natura  parcns  et  semina  ütstis 
discessere  loa's.* 
Ich   nehme   daher   an,   dass   die   Kosmogonie   in   der 
hellenistischen  Poesie  oft  behandelt  ist,  seitdem  zuerst  im 
Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  der  Typus  für  diese  Dichtung 
geschaffen  ist.    Wir  können  ein  ähnliches  Fortdauern  eines 
einmal  geschaffenen  ähnlichen  Liederstoffes  nachweisen  und 
zugleich  an  einem  Beispiel  zeigen,  unter  welchen  Gesichts- 
punkten wenigstens  einzelne  der  grossen  alexandrinischen 
Dichter  schufen.  ^    Wie  sie  dabei  das  Empfinden  der  Nation 


*  Der  Scholiast  verweist,  mit  Recht,  auf  Empedokles;  aber  auch  die 
Wahl  des  Wortes  qplXÖTrje;  in  unserem  Liede  wird  trotz  der  homerischen  Remi- 
niscenz  auf  ihn  zurückgehen. 

2  Der  Unterschied,  dass  hier  Sonne  und  Mond  vor  den  Thieren  und 
Menschen  erscheinen,  wie  bei  Ovid,  dünkt  mir  nicht  gross,  da  Apollonios  hier 
wie  dieser  nothwendig  hellenisiren  muss.  —  Die  Inhaltsangabe  bekannter  Lieder  im 
Lied  lehrt  uns  ja  Theokrits  VII.  Idyll  als  alexandrinisches  Kunststück  empfinden. 

^  Die  Ekloge  und  die  in  ihr  wiedergegebene  Dichtung  tritt  bei  dieser 
Annahme  in  eine  eigenthümliche  Parallele  zu  den  Metamorphosen  (vgl.  jetzt 
Skutsch  Pau/y-M^issowa  IV  1347). 

*  Vgl.  besonders  ;iuch  die  Beschreibung  der  fünf  Zonen  V.  259  ff. 

*  In  der  Wahl  des  Stoffes  characteristisch  ist  auch  das  Lied  des  Kalli- 
machos  auf  Isis  (Ft.  561). 

5* 


68  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

beeinflussten,  wird  sich   uns  dann  im  Fortgang  der  Unter- 
suchung ergeben. 

Die  Lehre  von  dem  aeg^-ptischen  Thot,  dem  Theiler 
und  Vermesser  der  Welt, '  hatte,  wie  angedeutet,  schon 
Eratosthenes  in  dem  Epyllion  'Ep|ari<;  mit  den  griechischen 
Sagen  verbunden.  Der  zukünftige  Lehrer  alles  Wissens  und 
aller  Geheimnisse  der  Götter  scheint  bei  ihm  den  KÖcriaoq 
durchwandert  zu  haben,  wie  es  nach  der  poetischen  Schilde- 
rung seiner  Anhänger,  ja  vielleicht  schon  nach  eigenem 
Worte  Epikur  es  im  Geiste  gethan  haben  soll.  *  Das  führte  zu 
einer  Beschreibung  des  KÖa^og,  die  sich  in  manchem  mit 
unserem  Gedichte  berührt: 

Fr.  15   Hiller  ev  be  roxq  eireai  cpaiveiai  6  ctviip  ouiog  xriv  ^ev  Yfjv 
ectv   dKJvriTOv,    ev  öktuj  5e  qpGÖTTOi?  TTOiei   uttö  tiiv  tüuv 
dTTXavüüv  ö"9aTpav  rdg  tuuv  7TXavu))aevujv  CTTtd  Kai  irdcraq 
Kivuüv  TTcpi  Trjv  yriv. 
Fr.  17    ÖKTUJ  hi]  idöe  Tidvia  CTuv  dpinoviiiaiv  dpi'ipei, 
ÖKTUJ  ö'ev  ö'qpaipijcn  kuXivöcto  kOkXuj  iövTa 

evdTiiv  nepi  T«iav. 

Fr.  18    auTiiv^  ^ev  uiv  eTCTue  inecrnpea  Txavrbc;  'OXuuttou, 
KevTpou  £TTi  (jqpaipng'  bid  b'üzovoq  npiipeicTTO. 
Fr.  19    TTevTe  bi  oi  Z!üüvai  irepieiXdöeq  ecTTreipnvTO, 
ai  öuo  \xev  f^ctuKoTo  KeXaivoTepai  Kudvoio, 
ri  öe  ^ia  vpaqpapr)  Te  Kai  ck  TTupö(;  oiov  epuBpiy 
f]  )Liev  er|v  }jieaäTr\  •  eKCKauro  öe  rrdcra  Trepi  <TTpö> 
TUTTTouevii  qpXoTMOicriv,  eTiei  pd  e  inalpav  ütt'  auT^v 
K€KXvuev)iv  dKTive(;  deiöepee^  Ttupöujcriv. 
ai  be  bOuj  CKdrepGe  ttöXckj  TTepmenTiiuiai 
aiei  qjpiKaXeai,  aiei  ö'übari  ^OYCOudar 
Ol)  ^ev  ubujp,  dXX"  auTÖq  dir'  oupavöGev  KpuffraXXoq 
Keiiai  dvdireaxe.*   irepiiiiuKTog  öe  reruKTai. 
dXXd  rd  )aev  x^pcraid  r'dveiaßard  t'  dvGpuÜTTOiai. 
boiai  b'dXXai  eacriv  ^vaviiai  dXXnXaiai 

•  Pietschmann  Iltriius  Trismegistos  S.  13. 

»  Lukrez  I  72;  II  1044  flf.,  vgl.  R.  Heinze  T.  Lucntius  Cariis  Buch  III S.  52. 
'  Nämlich  t^m  y^v. 

*  So  Cod.,  KCl  -faiav  KpüirrtaKe  Hiller. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  69 

ILiecJöTiTug  6epe6<;  re  Kai  ueriou  KpuaidWou, 
dfiacpo)  euKpi-|Toi  re  Kai  ö,uttviov  aXbi^dKOucrai 
KapTTÖv  'E\eu(Jivii'i(;  AiHLiriTepog"  ev  öe  |uiv  dvöpeq 
dvTiTToöe^  vaioucTi. ' 

Die  Fortführungen  bei  Alexander  von  Ephesos  und 
Varro  dem  Ataciner  brauche  ich  nur  zu  erwähnen ;  Einzel- 


'  Die  älteren  Hymnen  auf  Hermes  enthielten  im  Wesentlichen  seine  Geburt 
und  den  Rinderraub,  mit  dem  sich  das  erste  Opfer,  und  den  Streit,  mit  dem  sich  das 
Aufsteigen  zum  Himmel  verbindet.  Das  hat  in  hohem  Tone  Alkaios,  in  übermüthiger 
Laune  der  ionische  Dichter  besungen.  Für  eine  spätere  Zeit  war  gerade  der 
Kernpunkt  der  Erzählung  peinlich  genug.  So  schiebt  Eratosthenes  vor  den 
Rinderraub  weitere  lustige  Schelmenstreiche  (Fr.  i),  um  den  Leser  in  Stimmung 
zu  bringen;  er  berichtet  von  den  Erfindungen,  die  der  Hermesknabe  noch  auf 
Erden,  alle  in  irgend  einer  Nothlage  (Fr.  lo,  li),  macht;  er  verweilt  bei  dem  Aufstieg 
zum  Olymp,  der  hier  schon  der  Himmel  ist,  und  lässt  Hermes  dort  die  letzte, 
höchste  Weisheit  gewinnen.  So  erscheint  er  als  Gott  aller  iraibici  und  iraibeia 
superis  deorum  gratus  et  iinis.  Aus  ähnlichem  Empfinden,  nur  bei  der  Kürze 
des  Liedes  mit  besonderer  Kunst,  ist  das  spielende,  graciöse  Gedicht  des 
Horaz  I  lo  gemacht.  Der  Hymnos  des  Alkaios  ist  dem  Dichter  natürlich  bekannt, 
aber  er  ist  trotz  der  ausdrücklichen  Angabe  der  Scholiasten  im 
wesentlichen  nicht  nachgebildet.  Der  Geist  des  Liedes  ist  alexandrinisch.  Die 
Oden  des  Horaz  werden  uns  nur  durch  einen  beständigen  Vergleich  mit  der  al ex an- 
drinischen  Poesie  recht  verständlich;  nur  dadurch  lernen  wir,  was  in  ihnen 
modern,  d.  h.  originell,  ist.  Die  Freude  an  dem  vielbesprochenen  Liede  Donec 
gratus  eram  tibi  ist  mir  wieder  erwacht,  als  ich  gewahrte,  dass  die  zweite 
Strophe  mit  einem  Gedanken  des  Asklepiades  spielt  Aubr|  Kai  Y^vo<;  ei.ui  Kai 
oövo|na,  Tiijv  b'  äiTÖ  Köbpou  öeuvoTep)-!  itaaujv  eif^i  bi'  'AvTiuaxov.  Wer  freihch 
das  Gedicht  als  ein  Ständchen  vor  dem  Fenster  der  Lydia  fasst,  raubt  ihm  die 
Seele.  Zufällig  treffen  sich  beide,  sie  unterhalten  sich  höflich  und  zierlich  über 
ihr  früheres  Glück,  ein  neckender  Trotz  entwickelt  sich,  keines  will  dabei  ver- 
loren haben,  und  mitten  im  Trotzen  bricht  die  alte  Liebe  durch.  Es  ist  eine 
Scene,  die  noch  heut,  ohne  jede  Ahnung  von  dem  Vorgänger,  ab  und  zu  ein 
Romanschreiber  zu  schildern  versucht.  Schon  darum  kann  ich  für  den  Ton 
nicht  die  Eleganz  des  alexandrinischen  Verkehrs,  für  die  Technik  nicht  die 
alexandrinische  Ausgestaltung  des  Wechselgesanges  und  jene,  freilich  viel 
geringeren  Genrebilder  in  Dialogform,  die  Philodem  bietet,  entbehren;  auf 
alexandrinische  Empfindung  weist  auch  die  psychologische  Feinheit  und  die  an- 
muthige  Pikanterie  des  Geplauders.  So  sehe  ich  hier  eine  originelle  Schöpfung 
des  Horaz.  Nach  dieser  Seite  bleibt  im  Horaz  noch  fast  alles  zu  thun.  Die 
traurige  Jagd  nach  schlechten  oder  gar  obscönen  Wort-  und  Gedankenspielen  oder 
das  qualvolle  Suchen  nach  einem  verborgenen  Humor  in  ernsten  oder  pathetischen 
Liedern  mag  mitmachen,  wer  sich  und  anderen  den  Dichter  verderben  will. 


/O  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

heiten  werden  beständig  geändert,  die  Fiction  bleibt.  Es 
ist  eigenthümlich,  dass  dabei  die  Erfindung  eines  lernenden 
oder  lehrenden  Hermes  und  die  Sphaerenlehre  noch  ein  Gedicht 
der  jung-hei-metischen  Literatur  beeinflussen,  vgl.  Stobaios 
Ekl.  I  77,  15  Wachsm.  'Epiaoö 

^TTTtt  TToXuTtXaveeq  Kai'  'ÜXuiamov  dcTTepeq  oüböv 
eiXeOvTai,  laerd  roiai  ö'dei  irepivicrcreTai  aiuuv. 

Den  letzten  Ausläufer  bildet  dann  das  unter  dem  Namen 
des  Empedokles  erhaltene  hexametrische  Bruchstück. 

Die  Veränderungen  sind  hier  stärker;  aber  das  Lied 
des  Eratosthenes  mit  seinen  Fortbildungen  giebt  dennoch  ein 
lehrreiches  Gegenstück  zu  jenem  von  mir  vorausgesetzten 
Liede  von  der  Weltschöpfung,  dessen  späte  Nachahmung 
unser  Pap3'rus  erhalten  hat,  und  lässt  meine  früheren  Schlüsse 
vielleicht  etwas  glaublicher  erscheinen.  Unter  dem  Zwange 
einer  einheitlichen,  festen  Tradition  steht  auch  unser  spätes 
Lied  und  gewinnt  eben  dadurch  eine  gewisse  religions- 
geschichtliche Bedeutung.  Erscheint  in  ihm  bei  der  Welt- 
schöpfimg ein  Gott  der  Rede  und  des  Wortes  betheiligt,  so 
düi-fen  und  müssen  wir  die  Frage  aufwerfen,  auf  welche 
Quellen  das  zurückgeht  und  wie  alt  diese  Erfindung  ist.» 
Dazu  wird  es  unvermeidlich  sein,  auf  die  aegyptischen  Ele- 
mente in  unserm  Mythos  noch  des  näheren  einzugehen  und 
nach  Möglichkeit  zu  bestimmen,  wann  und  in  welcher  Form  sie 
sich  hellenisirten.    Ich  scheue  einzelne  Umwege  dabei  nicht ; 

'  Eine  Contamination  verschiedener  Auffassungen  könnte  man  allerdings 
auch  hier  empfinden.  In  dem  ersten  Theil  des  Mythos  wird  der  kööuo?  durch 
das  Wort  des  höchsten  Gottes  geschaffen.  Hermes  ist  nur  sein  Bote,  verkündet 
dies  Wort  und  erfüllt  die  Einzelaufträge  seines  Meisters.  Dagegen  tritt  im 
zweiten  Theil  plötzlich,  ohne  .dass  wir  von  seiner  Entstehung  gehört  haben, 
Logos  als  Sohn  neben  Hermes  und  ist  uaTpiijou  Ka9apoTo  vormaTOC  äf-feXo? 
uükO<;,  d.  h.  er  tritt  hier  zu  Hermes  genau  in  dasselbe  Verhältniss,  wie  in  dem 
ersten  Theil  dieser  zu  Zeus.  Hermes  erscheint  also  hier  mehr  als  der  NoOc. 
Doch  lässt  sich,  wie  ich  schon  andeutete,  eine  Sicherheit  in  diesen  Fragen 
schwer  gewinnen.  Da  es  sich  im  Folgenden  um  die  Gründung  einer  iiöXi?, 
(Gesetzgebung  und  Offenbarung  des  Gottesdienstes  handelte,  mochte  die  Einführung 
des  Logos  dem  Griechen  besonders  nahe  liegen.  Dass  beide  Figuren  freilich 
ursprünglich  identisch  sind,  wird  sich  uns  später  ergeben. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  71 

das  aegyptische  Element  in  dem  hellenistischen  Geistesleben 
ist  bisher  so  wenig  hervorgehoben  worden,  dass  jeder  Ver- 
such hier  Resultate  bringen  muss.  In  der  That  lassen  sich 
alle  Hauptzüge  des  Mythos  auch  als  aegj^ptisch   erweisen. 

Die  älteste  aegyptische  Kosmogonie  hat  Maspero  dar- 
gelegt;' die  Schöpfung  geschieht  duixh  das  göttliche  Wort, 
welches  Thot,  der  ursprünglich  Sonnengott  zu  sein  scheint, 
spricht;  ihm  hilfreich  zur  Seite  als  seine  ersten  Geschöpfe 
stehen  vier  Götter,  aus  denen  später  durch  Uebertragung 
aus  einem  anderen  Göttermythos  vier  Paare  von  Gottheiten, 
je  eine  männliche  und  eine  weibliche,  Averden.  Dieselbe 
Uebertragung  stellte  bald  neben  Thot  einen  anderen  Sonnen- 
gott, Rß,  als  den  grösseren  oder  doch  ursprünglicheren.  So 
begegnet  Thot  nun  bald  allein  als  der  „ungeborene,  der  sein 
eigener  Ursprung  ist,  der  eine  Gott"  oder  als  der  „allein 
einzige,  der  Herr  des  Himmels,  der  Erde  und  der  Tiefe"  als  der 
„Schöpfer  und  Leiter  dessen,  was  da  ist  und  dessen  was  noch 
nicht  ist,  Schöpfer  des  Seienden,"'^  bald,  und  zwar  in  eigener 
Person  oder  an  andere  Götter  angeglichen,  in  Verbindung 
mit  einem  Sonnengott,  besonders  Re.  Er  wird  dann  zum 
Mondgott  ;^  er  wird  als  Schu-Thot  der  Sohn  des  Re,  des 
eigentlichen  Schöpf  ers  aller  Dinge,  „der  hervorgetreten  ist  aus 
Re,"^  oder,  nach  aegyptischer  Vorstellung  dem  entsprechend, 
ein  Glied,  das  Auge,  des  Re. 

Ich  fasse,  ehe  ich  hierauf  näher  eingehe,  die  Eigen- 
schaften,   die   ihm    in    vorgriechischer    Zeit    zugeschrieben 


'  Histoire  ancienne  des  peuples  de  F Orient  classlque  I  I47ff.;  Ettides  de 
Mythologie  et  d' archiologie  egyptiennes  II  259.  Oriental  quart.  Review  II  ser, 
tom.  III  365  Creation  by  the  voice  and  the  Ennead  of  Hermopolis  ist  mir  unbekannt. 

*  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  445.  Vgl.  auch  „Du  bist  der  grosse  eine 
Gott,  die  Seele  des  Werdens,  Lobpreisung  geschieht  in  deinem  Namen  unter 
den  Khmunu"   (Göttern  der   Urstoffe)   Pietschmann  Hermes  Trismegistos   S.  15. 

'  Vgl.  z.  B.  das  Gebet  auf  der  Berliner  Statuette  aus  der  Zeit  Amenophis  III 
„ich  bin  zu  dir  gekommen,  Stier  unter  den  Sternen,  Thot,  Mond,  der  am  Himmel 
ist"  {Zeitschr.  /.  aeg.  Spr.  1895  ^-  125).  Andere  Stellen  haben  Pietschmann  Hermes 
Trismegistos  S.  8  ff.  und  Wiedemann  Herodots  zioeites  Buch  S.  293  zusammen- 
getragen ;  zu  vgl.  ist  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  452  ff. 

*  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  445,  vgl.  oben  Anm.  zu  481''  l. 


/2  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

werden,  kurz  zusammen:  er  ist  der  Erfinder  und  Gott  des 
Maasses  und  der  Zahl,  der  Schriftzeichen  und  der  Sprache, 
„der  Anfang  der  Rede,  der  Träger  der  Erkenntniss,  der 
Eröffner  des  Verborgenen",  der  Oberste  aller  Geheimnisse, 
die  im  Himmel  und  auf  Erden  sind,  der  Spender  aller  Lehre 
von  den  Göttern,  der  Schreiber  ihrer  Thaten,  der  Geber 
des  Rechtes  und  der  unverbrüchlichen  Gesetze.  Aber  er 
ist  auch  in  späterer  Zeit  der  Herr  alles  Lebens  geblieben: 
„ich  ging  hervor  aus  den  Pflanzen ;  ich  schuf  alle  Reptilien, 
alles  Werdende  in  ihnen."  '  So  ist  er  es,  der  auch  die  Toten 
wiederbelebt  und  ihnen  hilft  in  der  Unterwelt.  Er  ist  endlich 
der  Gott  alles  Zaubers.*  So  ist  es  begreiflich,  dass  er  der 
Gott  des  Herzens  wird,  d.  h.  des  Verstandes  und  des  Willens, 
und  Horapollon,  der  Anschauungen  und  Schreibart  der 
Ptolemaeerzeit  in  der  Regel  gut  wiedergiebt,  kann  (l  36) 
sagen  Kapbiav  ßouXouevoi  jpäcpew  ißiv  ZiujYpaqpoOcri  •  xö  'fäp  lupov 
'Epm]  ujKeiujTai  Ttdariig  Kaphiuc,  Kai  Xonainoö  beaTTÖn].  Der 
griechische  Uebersetzer  konnte,  je  nach  seiner  philosophischen 
Bildung,  vouq  oder  Xotoi;  übersetzen;  beides  ist  geschehen.  In 
dem  von  Dieterich  herausgegebenen  Weltschöpfungsmythos 
ist  also  direkt  aegyptisch  S.  8,  9  eq)dvii  voüq  —  i'i  qppeve?  — 
Kttiexujv  Kapbiav  Kai  eK\ii9>i  'Epiunq,  bi  ou  rä  travia  )ue9ep- 
juriveuaiai,  eariv  öe  etri  tujv  qppevüJv  •  öi'  ou  oikovoiliitGi'i  tö  ttoIv. 
Einen  ähnlichen  Gedanken  drückt,  wahrscheinlich  nach 
Apion,  Aelian  Hist.  an.  X  29  aus  Kai  tuj  'Ep,ui)  öe  qpacri  tüj  naipi 
Tüuv  \ÖYU)V  qpiXeixai  (n  ißiq),  enei  eoiKe  xö  eiöo?  xri  qpuaei  xoö 
XÖTOu  •  xd  )aev  "fdp  |ueXava  lÜKUTTxepa  xlu  xe  criYuj|uevuj  Kai  evbov 
eiTiaxpeqpoiLievuj  Xöylu  TiapüßdXXoixo  dv,  xd  öe  XeuKd  xüj  Trpoqpepoinevuj 
xe  Kai  dKOUOjLievuj  rjör)  Kai  uTTripexi]  xoü  evbov  Kai  dYTt^MJ,  ^%  dv 
eiTTOK;.  So  ist  es  nur  erklärlich,  wenn  in  der  Ptolemaeerzeit 
uns   Thot    öfters    als    Herz    des    Re,    vereinzelt   auch    als 


»  Wiedemann  Der  Urquell  VIII  68. 

*  Vgl.  Zeitschr.  f.  aeg.  Sprache  18.95  S-  123,  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  439  ff-. 
P'rman  Aegyple»  464;  Pietschmann  Hermes  Trisinegislos  S.  13 ff.  und  S.  24.  So 
wurde  der  Begründer  der  Mysterien,  der  allen  Priestern  gemeinsame  Gott,  als  er 
zum  Halbgott  herabgedrückt  war,  mit  Orpheus  identificirt.  Es  ist  erklärbar,  dass 
er  von  jeher  für  die  griechische  Phantasie  besondere  Anziehungskraft  hatte. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  73 

Wort  des  Re  erscheint.'  Auf  der  Tempelwand  zu  Dendera 
endlich,  also  in  der  Zeit  des  Kaisers  Nero,  heisst  er  „Herz 
des  Re,  Zunge  des  Tum,  Kehle  des  Gottes,  dessen  Name 
verborgen  ist"  und  weiter  ,, Offenbarung  des  Licht- 
gottes Re,  seiend  von  Anfang  an,  Thot,  welcher  ruht  auf 
der  Wahrheit;  was  seinem  Herzen  entquillt,  das  wird  sofort, 
und  was  er  ausgesprochen  hat,  besteht  in  Ewigkeit."''  Mit 
vollem  Recht  betont  Brugsch,  dass  in  der  ersten  Stelle 
Herz,  Zunge  und  Kehle  genau  ebenso  einen  einheitlichen 
Begriff  bilden  sollen,  wie  die  drei  Figuren  des  Sonnengottes 
R&,  Tum  und  Amon-ranef^;  es  ist  der  \6joq,  wie  ihn  der 
Stoiker  fassen  muss,  der  sich  aus  dem  Gedanken  mit  Natur- 
nothwendigkeit  in  das  Wort  überträgt  f  Diog.  La.  VII  49).* 
Gewiss  vergleicht  Brugsch  mit  vollem  Recht  das  grosse 
Räthselwort  ev  dpxvi  r\v  6  XÖYog  Kai  6  XÖTog  r\v  npbq  töv  6eöv 
Kai  0eöq  r\v  6  \6joq .  ovjoq  \\v  ev  dpxri  Tipöq  töv  6eöv  .  -rrdvia  öi'  aÜTOö 
eTCveio  Kai  xwjpi«;  auxoö  er^veio  ouöe  ev,  ö  Tefovev,  aber  die  That- 
sache,  dass  in  Neros  Zeit  aegyptische  Priesterweisheit  das 
verkündet,  was  in  unserm  Evangelium  steht,  bliebe  eine 
blosse  Curiosität,  wenn  wir  nicht  beweisen  könnten,  dass 
die  aegyptische  Theologie  von  griechischem  Denken  be- 
einflusst  ist  und  dass  sie  es  schon  damals  entscheidend  be- 
einflusst  hat,  dass  die  Zersetzung  und  Hellenisirung  der 
aegyptischen  Religion  im  Wesentlichen  das  Werk  der  Stoa 
war  und  dass  sie  auch  hauptsächlich  die  Vermittlerin  war, 
welche  aegyptische  Gedanken  über  den  Orient  nach  Griechen- 
land und  nach  Rom  übertrug. 

Ueber  mancherlei  eigenthümliche  Verschmelzungen 
griechischer  und  aegyptischer  Speculation  haben  uns  die 
Papyri  Auf schluss  gebracht;  was  man  am  schärfsten  betonen 

*  Brugsch  Aegyptologie  170. 

2  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  S.  50  ff.  Der  letzte  Theil  der  Formel  ist  alt, 
vgl.  S.  428  (von  dem  thebanischen  Chonsu-Thot)  „es  geschieht  nach  seinem 
Willen,  was  aus  seinem  Munde  ausgeworfen  wird,  sein  Wort  wird  zur  That  und 
sein  Befehl  verwirklicht  sich." 

^  Vgl.  Plutarch  plac.  IV  21,4  tö  be  q)ujväev  (auch  qpaivri) . .  eöTi  TTveö|ua 
biaTeivov  ÜTTÖ  toO  riT6|noviKOu  (im  Herzen)  |uexpi  q)cipuYYO<;  «ai  y^^Jutth?. 

*  Vgl.  auch  Cornutus  Kap.  16. 


II.  Schöpfungsmythen  nnd  Logoslehre. 


muss,  ist  dass  diese  Verschmelzungen  unmittelbar  mit  dem 
Diadochenreich  einsetzen  mussten,  dass  sie  nothwendig 
waren  von  dem  Moment  an,  wo  Hellenen  es  begannen,  die 
nunmehr  ganz  anders  zugängliche  Weisheit  der  alten  Aeg>^pter 
ihren  Stammesgenossen  zu  erschliessen,  AegN'pter  den 
Siegern  durch  Darlegting  ihrer  alten  Tradition  und  Gedanken- 
welt Achtung  abnöthigen  wollten.'  Jeder  Versuch  der  Dar- 
stellung —  und  wäre  er  auch  nur  für  den  priesterlichen 
Herrscher  bestimmt  gewesen  —  musste  zur  strengeren  Syste- 
matisirung,  jede  Uebersetzung  zum  Eindringen  griechischer 
Gedanken  führen.  Der  griechische  Forscher  aber  konnte 
gar  nicht  anders,  als  ziun  Verständniss  dieser  Theorieen 
entweder  auf  die  platonische  Philosophie  oder  auf  die  kos- 
mologischen  Theorieen  der  Stoa  zurückgreifen,  wenn  er  das 
ihm  Erzählte  überhaupt  verstehen  w^oUte.  Er  handelte  da- 
mit nicht  anders,  als  es  jeder  von  uns  im  fremden  Lande 
auch  thut.  Er  musste  oft  genug  Verschiedenes  mischen, 
für  den  Haupttheil  aber  an  die  Stoa  Anschluss  suchen, 
deren  Theologie  der  aegyptischen  in  der  That  verwandt 
war.  Hatte  sich  doch  in  der  aeg\'ptischen  Rehgion  die  Be- 
ziehung der  Götter  auf  bestimmte  Naturkräfte  zum  Theil 
von  Anfang  erhalten,  zum  Theil  nachträglich  durch  priester- 
liche Speculation  ausgebildet.  Innerhalb  der  einzelnen  Sagen- 
und  Cultsphaeren  herrschte  seit  früher  Zeit  ein  eigenthüm- 
licher  Pantheismus,  der  verschiedene  Götter  jeden  als  den 
einzigen,  den  grossen,  den  der  alles  aus  sich  erschaffen 
hat,  dessen  Ausfluss,  Glieder  oder  Kinder  die  andern  Götter 
sind,  zu  empfinden  wusste.  Die  verschiedenen  Systeme 
waren  dann  wieder  in  verschiedener  Weise  vereinigt,  die 
Götter  auf  Grund  ihrer  „physischen"  Bedeutung  einander 
angeglichen.    Die  symbolische  Deutung  auf  Natur- 

*  An  Manetho  und  seine  Stellung  am  Hofe  des  ersten  Ptolemaeers,  die 
sich  besonders  in  seiner  Mitwirkung  bei  der  Einführung  des  Serapis-Cultes 
zeigt,  brauche  ich  hier  nur  zu  erinnern,  ebenso  an  die  iroWoi  tOüv  '  EXXrivujv 
Tuüv  uapaßuXövTUJv  \iiv  e.ic,  räq  0r|ßa^  ^tti  TTTo\€uaiou  toö  Adfou  avvra- 
tau^vuuv  be  töi;  AiTWTTiaKäc  iOTOpiac  (Diod.  I  46).  Schon  die  Einführung  des 
Serapis-Cultes  musste  zu  einer  Systematisirungund  Angleichung  beider  Gedanken- 
kreise führeru 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  75 

kräfte  herrschte  überall.  Sie  wies  den  griechischen  Aus- 
leger besonders  auf  die  Stoa  hin;  sie  musste  ihm  noth- 
wendig  alle  diese  Theosophieen  als  qpiXoaoqpia  erscheinen 
lassen.  Es  ist  vollkommen  berechtigt,  wenn  Chairemon  in 
seiner  Schilderung  der  aegyptischen  Priester  (bei  Porphyrios 
de  abstin.  IV  6  ff.)  von  einer  Philosophie  bei  ihnen  redet.  ^ 
Ich  führe  zur  Probe  aus  Erman  (S.  459  ff.)  ein  Stück  des 
Commentars  zu  dem  uralten  Liede  „vom  Hervorgehen  am 
Tage"  an.  Schon  der  Grundgedanke  des  alten  Textes,  dass 
die  Seele  nach  Verlassen  des  Leibes,  nachdem  alles  Un- 
reine von  ihr  genommen  und  nur  das  Göttliche  ihrer  Natur 
geblieben  ist,  nun  als  Gott  mit   den  andern  Göttern  in  das 


'  Kap.  6  TÖ  Toöv  kotö  touc  AifUTTTiout;  iepeac  Xaipri.uaiv  ö  otoiiköi;  dqpri- 
YOÜ|aevoc,  ou?  Kai  qpiXoaöqjouc;  üireiXriqpeai  9riai  irap'  Ai-fUTTTioii;,  itr\^i.\xa.\, 
üjq  TÖTTOv  fiev  ^EeX^tavTO  duqpiXoaoqpfiaai  Td  iepd  . . .  Kap.  8  Kai  TÖ  |aev  Kar' 
d\rie€iav  q)i\oaocpoOv  ev  t6  -xolc,  tTpoqpriTai?  fiv  Kai  iepoöToXiöTaTi;  kuI 
lepcfpamuaTeöaiv,  exi  be  lupoXÖYOK;.  Das  ist  durchaus  keine  Idealisirung,  wie 
die  der  Therapeuten  durch  Philo  (Wendland  Jahrbh.  f.Phil.  Suppl.  XXII  737;  754; 
vgl.  Ed.  Schwartz  Pauly-Wissowa  III  2026).  Der  Stoiker  konnte  so,  ja  er  musste 
so  sprechen.  Genau  ebenso  spricht  Strabo  (XVII  787  01  b'  iepei?  Kai  qpiXoaoqpiav 
rjOKOUv  Kai  darpovouiav,  vgl.  XVII  806);  genau  so  spricht  Hekataios  (?)  bei 
Diogenes  Laertios  Prooein.  10  (zu  vergleichen  für  Alter  und  Ursprung  ist 
Prooem.  i);  genau  so  Philo  (de  vita  Mos.  84  AI.  rriv  bld  aufaßöXiuv  qpiXoöocpiav, 
r\yi  iv  ToT<;  Xe-fou^voK;  iepoTi;  Ypd.ufiaaiv  ^TribeiKvuvxai).  In  der  That  musste 
schon  die  Hieroglyphenschrift  dem  Neupythagoreer  wie  dem  Stoiker  als  eine 
Art  Philosophie  erscheinen,  und  bei  Horapollon  wie  in  den  Anklängen  bei  Arte- 
midor  und  bei  Aelian  findet  sich  mancherlei  Stoisches.  Aber  die  ganze  Auffassung 
reicht  viel  weiter  zurück.  Sie  findet  sich  schon  in  der  sophistischen  Quelle  des 
isokrateischen  Busiris  (§  21  ff.),  den  mit  Chairemon  zu  vergleichen  sehr  lehrreich 
ist :  ToT^  'fdp  iepeOai  TTapeöKeüaöev  eÜTtopiav  \xk.v  Tai(;  ^k  tujv  iepüjv  TTpooö- 
boK,  auuqppoöüvriv  be  xaTc;  dYveiai<;  xaT?  üirö  xuiv  vö,uu)v  irpoaxexaYMe- 
vok;....  .ueö'  iLv  ^KeTvoi  ßioxeüovxec  xoTq  |aev  <juu|ua(Tiv  laxpiKriv  i\r\\i^ov... 
xat^  b^  M^uxaic;  qpiXoaoqpia?  daKrioiv  Kax^beiEav,  r|  Kai  vojaoGexfiaai  Kai  xriv 
(puaiv  xiüv  övxujv  Zrixfi0ai  büvaxai  (vgl.  §  30).  Auch  hier  ist  die  Philosophie 
nur  für  die  Aelteren,  für  die  Jüngeren  bilden  Astronomie,  Arithmetik  und  Geo- 
metrie die  Vorbereitung.  Es  ist  interessant  zu  verfolgen,  wie  sich  die  ionische 
Verherrlichung  der  Barbaren  in  den  sophistischen  Kreisen  fortsetzt  und  durch 
die  Rhetorik  z.  Th.  ins  allgemeine  Bewusstsein  übergeht.  So  kann  schon  Mega- 
sthenes  von  der  Philosophie  der  Barbaren  reden.  Hieran  knüpfen  die  Hellenisirten 
dann  selbst.  Als  Gradmesser  für  die  Entwicklung  kann  Plutarch  dienen;  den 
Abschluss  zeigen  lamblich  und  Proclus. 


76  II.    Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Himmelsthor  tritt,  von  den  \'erklärten  empfangen,  um  mit 
dem  Sonnengott  Atum  und  den  Sternen  in  ewigem  Glanz 
zu  weilen  —  schon  dieser  Gedanke  musste  dem  Griechen 
als  Philosophie  erscheinen,  und  man  darf  die  Frage  wohl 
aufwerfen,  wie  weit  sich  griechisches  Denken  von  ihm  hat 
beeinflussen  lassen.  Der  Text  beginnt  etwa  ,,ich  bin  der  Gott 
Atum,  der  ich  allein  war;  ich  bin  der  Gott  Re  bei  seinem 
ersten  Erglänzen;  ich  bin  der  grosse  Gott,  der  sich  selbst 
schuf  und  seinen  Namen  schuf. . .  ich  war  gestern  und  kenne 
das  Morgen. . .  ich  bin  der  Phoenix. . .  der  berechnet,  was 
ist  und  existirt." '  Der  Philosophie  gehören  die  jüngeren 
Erweitei-ungen  (aus  dem  neuen  Reich)  wie  „ich  bin  Atum,  der 
ich  allein  war  auf  dem  Himmelsocean*'  ebenso  wie  die 
Erklärung  der  Worte  „der  grosse  Gott,  der  sich  selbst  schuf", 
durch  den  Satz  ,,das  ist  das  Wasser,  der  Himmelsocean,  der 
Göttervater"  oder  zu  den  Worten  ,,was  ist  und  existirt"  die 
Erklärung  „die  Ewigkeit  und  die  unendliche  Dauer."-  All  die 
verschiedenen  theologischen  und  kosmologischen  Systeme 
traten  jetzt  in  Mittheilungen  von  Priestern  und  Laien  zu 
Tage;  das  bedingte  von  selbst  ihre  Beeinflussung  durch 
griechischen  Geist;  und  sie  fielen  in  eine  Zeit,  welche  auf 
die  ursprüngliche  Offenbarung  bei  den  „Barbaren"  zu  achten 
gelernt  hatte,  ja  bald  zu  einer  Schätzung  der  Tradition, 
der  Offenbarung  als  solcher,  fortschritt;  das  führte  noth- 
wendig  dazu,  ihnen  Einfluss  auf  das  griechische  Denken 
zu  geben.  Die  verschiedensten  Systeme  konnten  sich  hier- 
bei entwickeln,  das,  was  wir  Gnosis  nennen,  in  mancherlei 
Art  sich  schon  mindestens  seit  dem  ersten  Jahrhundert  v. 
Chr.  vorbereiten. 


'  Die  Worte,  in  welchen  die  Seele  sich  mit  dem  Sonnengott  identificirt, 
erklären  einen  Theil  der  früher  von  Thot  berichteten  Lobpreisungen. 

*  Selbst  die  Beschränkung  dieser  Weisheit  auf  bestimmte  Klassen  hat 
Chairemon  sich  nicht  erfunden.  Eine  Bestätigung  giebt  es,  wenn  Amenhötep, 
Sohn  des  ?Iapu  (Erman  464),  berichtet,  erst  nachdem  er  einen  bestimmten  Rang 
erlangt  hatte,  sei  er  eingegangen  zu  dem  Gottesbuche  und  habe  die  Vortrefflich- 
keiten des  Thot  geschaut.  Dass  wenigstens  in  jüngerer  Zeit  die  Kenntniss  der 
priesterlichen  Schrift  nur  dem  Priester  zugänglich  war,  ist  eine  überall  wieder- 
kehrende, glaubliche  Tradition. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  77 

Wir  können  die  Wechselwirkung  an  einer  Stelle  ver- 
folgen. Ich  erwähnte  früher,  dass  in  jenem  alten  Mythos 
Thot,  der  Weltschöpfer,  zunächst  aus  sich  vier  Götter 
schafft,  die  dann  durch  Uebertragung  zu  vier  Götterpaaren 
werden.  Ihre  Namen  sind  alt  und  begegnen  zum  Theil 
schon  in  den  Pyramidentexten;  die  Darstellungen  der  acht 
Götter  neben  Thot  werden  in  der  Ptolemaeerzeit  immer 
häufiger.  Man  hat  sie  früher  auf  die  bekannten  vier  Ele- 
mente gedeutet,^  und  zwei  Namenspaare  entsprechen  wirklich 
zwei  Elementen ;  die  andern  gehören  einem  andern  Begriffs- 
kreis. Wohl  aber  waren  schon  grössere  Gottheiten  auch 
mit  den  Elementen  in  Verbindung  gebracht.  Dass  aus 
diesen  der  KÖcriaoq  bestände,  war  für  den  Griechen  selbst- 
verständlich. So  entstehen  im  Anschluss  an  eine  jüngere 
Form  des  Schöpfungsmythus,  in  welchem  statt  R6  und  Thot 
Osiris  und  Isis  als  Sonne  und  Mond  erscheinen,  die  beiden 
Systeme,  die,  vielleicht  beide  nach  Hekataios,  Diodor  I  11 
und  Diogenes  Laertios  I  10  mittheilen;  beide  stellen  neben 
die  u\r|  oder  neben  das  TTveöiaa  die  griechischen  vier  Ele- 
mente. Dass  Hekataios  sie  den  Gliedern  des  menschlichen 
Leibes  vergleicht,  ist  ebensow^ohl  stoisch  wie  aegyptisch ; 
aus  den  Gliedern  des  R&  sind  ja  die  andern  Götter  ent- 
sprossen."    Die  Ogdoas  der  wenig  bekannten  Götter,   die 


*  Lepsius  Abhandl.  d.  Bcrl.  Ak.  1856;  vgl.  dagegen  Brugsch  Religion  d.  Aeg. 
S.  125  fF.  und  Maspero  Histoire  ancienne  1  148. 

*  In  der  grundlegenden  Abhandlung  von  Ed.  Schwartz  über  Hekataios 
{Rhein.  Mus.  40,  239  ff.)  tritt  das  aegyptische  Element  dabei  wohl  zu  wenig 
hervor.  Gewiss  überträgt  Hekataios  Anschauungen  der  Stoa  auf  die  Aegypter, 
ähnlich  wie  Onesikritos  die  Lehren  der  Kyniker  bei  den  Gymnosophisten, 
Megasthenes  die  der  Stoa  bei  den  Brachmanen  wiederfinden  will.  Wie  viel  sie 
dabei  Persönliches  hinzuthun  und  wie  weit  ihre  eigene  Ueberzeugung  dem  ent- 
spricht, bleibt  eine  Frage  für  sich.  Mit  den  Berichten  des  Megasthenes  und 
der  unbekannten  Quelle  der  Borysthenitica  des  Dio  ist  die  Characteristik  des 
ursprünglichen  Judenthums  zu  vergleichen,  die  Strabo  (XVI  760  ff.)  aus  Posei- 
donios  entnommen  hat.  Ich  füge  der  Wichtigkeit  der  Sache  halber  den  gewiss 
schon  von  andern  erkannten  Beweis  bei.  Auf  Benutzung  einer  Quelle  weisen 
ungeschickte  Zusätze,  auf  Poseidonios  die  Betonung  der  ursprünglich  reinen 
Gottesverehrung  und  der  Bedeutung,  die  Träume  und  Vorzeichen  schon  in  dem 
idealen  Gottesstaat  haben.    Als  der  stoische  Zeus  erscheint  der  Gott  der  Juden 


78  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

dem  Weltschöpfer  zur  Seite  steht,  bHeb  zunächst  unberück- 
sichtigt. Erst  als  auch  in  Aegypten  die  Vierzahl  der  Ele- 
mente allgemein  bekannt  war,  wurden  die  einzelnen  Paare, 
je  ein  Gott  und  eine  Göttin,  auf  die  Elemente  gedeutet. 
Dass  sie  das  wurden,  beweist  Seneca,  der  selbst  in 
Aeg3'pten  war  und  in  Chairemon  stets  einen  vorzüglich 
unterrichteten  Gewährsmann  hatte,  und  der  unt.  quaest. 
ni  12,  2  sagt:  Aegyptii  qiiatiior  clemcnta  fccenint,  deinde 
ex  singtilis  hinci,  maria  et  feminea.  aerein  marem  indicant, 
qua  venttis  est,  feviinaui,  qua  nnbilosus  et  iners.  aqnam 
virilem  vocant  tnare,  miiliebrem  ojuneni  aliam.  ignein  vo- 
cant  DiasciduDi,  qua  ardet  ßamnia,  et  fcminam,  qua  hicet 
innoxiiis  tactu.  tcrvam  fortioreni  marem  vocant,  saxa  et 
cautes;  feminae  nomen  adsignant  huic  tractahili  et  cnltae.  » 
Es  war  ja  ein  natürlicher  und  leicht  begreiflicher  Gedanke, 


schon  bei  Aristeas  (i6  Wendl.)  töv  Y^p  TtdvTUJv  ^ttöttttiv  küi  ktiötjiv  9€Öv 
oÜTOi  a^ßovToi,  ov  Kai  -rrcivTei;,  r\\y^\<:,  be,  ßaaiXeö,  -rrpoaovoudlovTei;  drepuuq 
Zf|va  Kai  Aia.  oötuu  b'  oük  ävoiKeiuj^  oi  -rrpüiToi  biean.uavav,  bi'  öv  Iujottoi- 
oövToi  TÖ  irdvTa  koi  Tivexai,  toütujv  äirdvTiuv  ^Y^icrOai  Kai  KupieOeiv.  Die 
Etymologie  geht  auf  Chrysipp  zurück  (Philodem  irepi  eO(J.  col.  II,  13  Comp.); 
aus  ihr  hat  ein  jüdischer  Schriftsteller  die  Einheit  erwiesen,  ein  Stoiker  diese 
Behauptung  übernommen;  von  diesem  hat  Varro  seinen  Preis  der  Juden  und 
seine  Angleichung  ihres  Gottes  mit  dem  Jupiter  Capitolinus  (vgl.  Reinh.  Agahd 
Jahrhb.  f.  Piniol.  XXIV  S.  19  und  163)  entlehnt;  er  giebt  sie  in  dem  ersten 
Buch  der  antiquitates  verum  div'marum,  und  dies  Buch  stammt  im  Wesentlichen 
aus  Poseidonios  (ebenda  S.  92).  Mit  den  Worten  des  Aristeas  stimmt  in  geradezu 
wunderbarer  Weise  das  stoische  Etymologikon  überein,  dessen  Eingang  Jakob 
von  Edessa  übersetzt  hat  (vgl.  mein  Buch  JM.  Tereutius  Varro  umi  Johannes 
von  Euchaita  S.  22).  Nun  folgert  Strabo  seine  Hauptthese,  dass  die  Juden  von 
den  Aegyptern  abstammen,  zunächst  aus  der  Mischung  der  Bevölkerung  in  diesem 
Theile  Syriens;  hierfür  aber  liegen  ihm  Schilderungen  des  Poseidonios  vor 
(vgl.  p.  764).  Das  spätere  Judenthum  scheint  freilich  bei  Poseidonios  schlecht 
genug  weggekommen  zu  sein,  und  auch  in  dem  ursprünglichen  geht  ja  nach 
ihm  die  reine  Cjotteserkenntniss  auf  einen  aegyptischen  Priester  zurück,  der  sich 
über  den  bestehenden  oder  eingerissenen  Thierdienst  derartig  empört,  dass  er 
lieber  mit  vielen  „gottesfürchtigen"  Männern  auswandert.  Berücksichtigt  man 
die  vorausgehende  Litteratur,  so  zeigt  sich  eine  eigenlhümliche  Verschmelzung 
einer  judenfeindlichen  Tendenz  mit  der  Anerkennung,  die  der  Stoiker  ihrer 
Religion  zollen  muss. 

1  Vgl.  die  Stellen  aus  der  jüngeren  Litteratur  bei  Lepsius  a.  a.  O. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  /9 

als  Gehilfen  des  Weltschöpfers  die  Götter  der  Elemente 
anzunehmen ;  *  dass  dabei  jedes  Element  doppelte  Vertre- 
tung empfing",  entsprach  nur  dem  Charakter  der  aegyptischen 
Mythologie.  Gerade  dieser  rein-aegyptische  Zug  wird  nun 
in  die  spätere  Stoa  übernommen;  einen  gewissen  Anhalt 
konnte  es  bieten,  dass  schon  sehr  früh  Zeus  als  ai6r|p  und 
hiernach  durch  rein  et3'mologische  Spielerei  "Hpa  als  drip 
gedeutet  war.  Nach  diesem  Schema  \\airden  die  übrigen 
Götterpaare  behandelt,  und  Varro  zeigt  uns  nun  Neptun 
als  obere,  Salacia  als  untere  Wasserschicht,  Pluto  oder 
Orcus  als  obere,  Proserpina  als  die  untere  Erde.*  Aber 
bei  dem  vierten  Element  ist  sogar  die  aegyptische  Scheidung 
gebheben  und  Volcanus  ist  igitis  veheinentissimiis  et  violcn- 
iissiimis  inundi,  Vesta  ignis  miindi  lenior  (levior  Codd.), 
qui  pertinet  ad  iisus  homintim  faciles. '  Das  ist  ein  offen- 
bar von  Aeg3'pten  beeinflusstes  jung-stoisches  System." 

Es  war  nicht  einmal  das  einzige.  Dass  Varro  in  den 
antiqtiitates  rerum  divinanun  die  verschiedensten  stoischen 
Theorieen  neben  einander  stellte  und  durch  einander  mengte 
mit  demselben  Unverstand  und  Ungeschick  wie  in  den 
Büchern  de  lingiia  latina  die  verschiedenen  grammatischen 
Theorieen,  brauche  ich  für  den,  der  die  Fragmente  in  Agahds 
Ausgabe  gelesen  hat,  ja  nicht  hervorzuheben.  Gerade 
darum  hilft  er  uns  aber,  das  Alter  einer  Reihe  dieser 
Sj^steme  zu  bestimmen,  und  hat  für  eine  Geschichte 
der  stoischen  Theologie  entscheidende  Bedeutung.  Nun 
envähnt  Augustin  de  civ.  dci  IV  10  qiiis  enini  fcvat,  qitod, 
cum  tantuni  honoris  et  quasi  castitatis  igni  trihiierint,  ali- 
qiiando  Vestam  non  ertibcscunt  etiam  Venereni  dicere.  Die 
Erklärung  giebt  Macrobius  Sat.  I  21,  1   nam  physici  fd.  h. 

*  Genau  so  scheint  man  in  den  7  Taas,  die  ihm  helfen,  später  die  Götter 
der  7  Sphaeren  gesehen  zu  haben. 

"^  Reinh.  Agahd  ya/irM>.  f.  Phil.  Suppl.  XXIV  S.  152  und  215. 

^  Agahd  S.  210;  219.  Mit  Recht  benutzt  er  zur  Wiederherstellung  auch 
Augustin  de  civ.  VII  30  qui  hominum  coetibus,  quem  focis  et  luininihus  adlii- 
berent,  ad  facillimos  usus  munus  terreni  ignis  indulsit. 

*  Schon  hieraus  darf  man  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  schliessen,  dass 
aegyptische  Priester  sich  der  stoischen  Philosophie  anschlössen. 


80  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

die  Stoiker)  terrae  siipcriiis  hcmisphaeriimi,  eiiiits  partem 
iueoliiniis,  Vener/s  appellatioiie  eolnerunt,  inferiiis  vero 
hemisphaerium  terrae  Proserpinam  voeaveniut  und  23,8 
wo  er  'Ecrria  auf  die  Erde  deutet. '  Zwei  neue  Systeme 
lernen  \vir  hier  kennen;  das  eine  verbindet  Venus  und 
Proserpina,  das  andere  Venus  und  Vesta  als  obere  und 
untere  Erde;  beide  sind  Fortbildungen  jenes  von  Aegypten 
beeinflussten  Systems,  dass  danach  erheblich  vor  Varro 
entstanden  sein  muss.  * 

Ich  nehme,  da  ich  einmal  bei  den  zu  Unrecht  so  wenig 
beachteten  Büchern  \^arros  bin,  gleich  die  Stelle  voraus, 
welche  mir  für  die  Ausbildung  der  christlichen  Logos-Lehre 
geradezu  entscheidende   Bedeutung  zu  haben  scheint.   Au- 


'  In  dem  äusserst  interessanten  und  wichtigen  Stück  des  Macrobius  I 
17,2 — 23,  22  sind  zwei  Elemente  zu  scheiden  :  ein  alter  im  wesentlichen  stoischer 
Kern,  der  erlesenste  Citate  aus  der  älteren  griechischen  Litteratur  mit  kaum 
minder  seltenen  römischen  Angaben  verbindet  (17,  27  aus  Cornelius  Epicadus,  vgl. 
Charisius  iio,  3  K. ;  20,  3  vielleicht  aus  Santra  vgl.  Scholia  Verotiensia  p.  95  Keil) 
und  der  wohl  auf  den  auch  von  Verrius  benutzten  Stoiker  Comificius,  den  jüngsten 
erwähnten  Autor,  zurückgeht,  und  eine,  übrigens  ebenfalls  treffliche, aegjptisirende 
Ausführung,  in  der  Plotin.  Numenios,  Porphyrios  und  Cornelius  Labeo  erwähnt 
werden;  wahrscheinlich  stammt  auch  sie  aus  einer  schon  lateinischen  Quelle. 
Das  ganze  Stück  bietet  eine  lehrhafte  Parallele  zu  den  gleich  wieder  zu 
besprechenden  Hermetischen  Schriften.  —  Uebrigens  hat  auch  das  stoische 
System,  nach  welchem  Porphyrios  bei  Eusebios  praep.  ev.  III  11  die  griechische 
Theologie  darstellt,  die  Erde  durch  zwei  bezw.  drei  Göttinnen  vertreten 
lassen,  Hestia  für  die  Erde  insgesammt,  Rhea  für  die  ireTpibbr]^  KOi  öpeioq  "fHi 
Demeter  für  die  irebivri  Kai  "föviiiio?  (/>.  109  A).  Die  aegyptische  Scheidung  ist 
also  in  anderer  Form  mitberücksichtigt.  Wieder  anders  gewendet  ist  die 
Scheidung  von  Tellus  und  Telluino  als  der  zeugenden  und  gebärenden  Kraft 
innerhalb  des  einzelnen  Elements  bei  Varro  (Agahd  S.  213). 

■''  Da  es  —  zum  schweren  Schaden  für  unsere  Religionsgeschichte  —  noch 
keinerlei  Ueberblick  über  die,  0€o\oYo6^ieva  der  jüngeren  Stoa  giebt,  erwähne 
ich  beiläufig  ein  von  Plutarch  de  Is.  et  Osir.  40  (/.  367  c)  angeführtes  System 
ixWd  TOÜTO  \iiv  öiLioia  Toi(;  Otto  tüjv  Xtiuikiüv  GeoXoTOUn^voi?  ^ari.  koI 
■füp  ^Keivoi  TÖ  u^v  YÖviuov  irveöua  Kai  Tpöqpiuov  Aiövuaov  civai  X^youoi, 
TÖ  TT\r)KTiKÖv  b^  Kai  biaipexiKÖv  'HpaKX^a,  tö  be  btKTiKÖv  "Auuujva, 
ArjuriTpa  b^  Koi  Köpr)v  t6  biü  Tf|(;  ■\?\c,  Kai  xiiv  Kapiriüv  bif|KOv,  TToaeibiüva 
b^  TÖ  biet  öaXdaöri^.  Die  Erklärung  bietet  Varro;  es  sind  die  partes  aniinae 
mundi.  Aber  nicht  unwichtig  ist  mir,  dass  in  ein  rein  griechisches  System  auch 
hier  schon  der  aegyptische  (nicht  der  kyrenaeische)  Gott  mit  aufgenommen  ist. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  81 

gustin  berichtet  de  civ.  dci  \'llj^ :  si  s c  v ni  o  ip sc  di c itur 
esse  Mercuriiis,  sicut  quae  de  illo  interpretantur  osten- 
dunt  —  neun  idco  Mercuriiis  quasi  lucdiiis  ciirrcns  dicititr 
(ippcllatus,  quod  serino  cur  rat  intcr  honiines  nicditis ; 
idco  'EpiLifiq  graece,  quod  serino  vel  interpretatio,  quae  ad 
sermonem  utique  pertinct,  ep)Lir|veia  dicitur ;  idco  et  mcr- 
cibus  praecsse,  qiiia  intcr  vendcntcs  et  cnicntcs  senno  fit 
nicdius;  (das  eins  in  capite  et  pedibiis  significare  i'oliicreni 
ferri  per  aera  serinoneui;  nuntium  dictum,  qiioniaui  per 
sc r  man c ni  oninia  cogitata  eniintiantiir.  * 

Die  Stelle  ist  schon  darum  interessant,  weil  wir  das 
letzte  Vorbild  dieser  stoischen  Erklärung  bei  Plato  im  Kratylos 
407  E  ff.  haben:  eoiKe  rrepi  Xö-fov  eivai  6  'Epiuiiq,  Kai  tö  epu^vea 
eivai  Kai  tö  aTT^^ov  Kai  tö  kXottiköv  te  Kai  tö  dTraTiiXöv  ev  XÖYOig 
Kai  TÖ  dYopadTiKÖv,  Tiepi  Xöyou  büvauiv  ecTTiv  TrdcTa  aÜTii  i]  TTpax- 
fittTeia*  ÖTtep  ouv  Kai  ev  loxc,  irpöcrGev  i\kr\Q\x^v,  tö  ei'peiv  Xöyou 
Xpeia  ecTTi,  tö  be,  oiov  Kai  "0|uiipo<;  TToXXaxoü  Xefei,  eiuiicraTÖ  cpi-jCTiv, 
TOUTO  be  |ur|xavr|(Ta(T0ai  eaTiv.  eS  diacpoTepuuv  ouv  toutuuv  töv  tö 
XeY^iv  Te  Kai  töv  Xöyov  |Lii-iad|aevov  ktX.  Hermogenes  antwortet, 
sein  eigener  Name  sei  falsch,  er  sei  nicht  eu)n)ix«voq  tou  Xöyou. 
Die  Stelle,  auf  welche  Plato  venveist  (398  D),  leitet  den 
Namen  der  Heroen  davon  ab  öti  croqpoi  ilaav  Kai  piiTopeg  beivoi 
Ktti  biaXeKTiKoi,  ei'peiv  iKavoi  övTeq  •  tö  Ydp  ei'peiv  Xefeiv  eariv. . . 
üjcTTe  piiTÖpuuv  Kai    croqpKJTÜJv  Y^voq  Y^TveTai  tö  iipujiKÖv  cpöXov. 

1  So  weit  reichen  mit  Sicherheit  Varros  Worte;  aber  schon  aus  den  von 
Agahd  angeführten  Parallelstellen  dürfen  wir  entnehmen,  dass  Varro  die  Wahl 
offen  Hess,  diesen  ser/ito  nur  auf  die  Menschen  oder  auch  auf  die  Götter  und 
besonders  Jupiter  zu  beziehen.  Hiergegen  wendet  sich  Augustin :  Mercurius, 
si  sermonis  etiam  deorum  potestatetn  gcrit,  ipsi  quoque  regi  deorutn  dotiiinaiur, 
si  secundum  eins  arbitrium  Jupiter  loquitur  aut  loquendi  ab  illo  accepit  facul- 
tatem;  quod  utique  absurdutn  est.  si  autein  Uli  huinani  tantuin  sermonis  potestas 
tributa  perhibetur  e.  q.  s.  Es  ist  doch  echt  antike  Vorstellung,  dass  Hermes  der 
OTfe^Oi;,  d.  h.  nach  stoischer  Etymologie  6  ciTuiv  töv  Xöyov,  und  damit  der 
XÖYO?  des  Zeus  wird.  An  die  bekannte  und  oft  missbrauchte  Stelle  der  Apostel- 
geschichte XIV  12,  nach  welcher  das  Volk  von  Lystra  den  Barnabas  Zeus,  den 
Paulus  aber  Hermes  nannte,  ^ireibri  aÜTÖq  rjv  ö  ri"fOÜ|a€vo^  toö  Xöyou,  brauche 
ich  nur  zu  erinnern.  So  preist  der  28.  Hymnos  des  Orpheus  den  Hermes  als 
Aiöq  ÖYY^^o?  und  als  Xöyou  GvriTOiai  iTpocpr|Tri<;,  daneben  aber  auch  selbst  als 
■fXtüaariq  beivöv  önXov,  tö  öeßdainiov  äYÖpiÜTTOiöi  (V.  10). 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  O 


82  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Die  Parodie  setzt  sich  dann  (408)  in  der  köstlichen  Erklärung 
des  Pan-Xofoq  als  Sohnes  oder  Bruders  des  Hermes  fort, 
der  doppelgestaltig  ist,  weil  jeder  Xöfoc,  entweder  wahr  oder 
falsch  ist.  Dass  Plato  bei  diesen  bittern  Scherzen  über  die 
Sophisten  nicht  auf  eine  Volksanschauung  Bezug  nimmt, 
dass  er  femer  nicht  von  einer  Erfindimg  der  Sprache, 
sondern  der  Redekunst  und  Beweiskunst  spricht,  *  ist  klar. 
Aber  die  Stoa  nahm  hier  wie  überall  Piatos  Worte  ernst- 
haft und  übertrug  sie  ins  Dialektische.  Das  XeTeiv  beruht 
für  Chrysipp  auf  dem  eVpeiv ;  nur  wenn  die  einzelnen  Rede- 
theile  in  richtiger  Ordnung  und  \'erbindung  erscheinen, 
sind  sie  der  volle  Ausdruck,  die  Offenbarung  des  Ge- 
dankens (Varro  de  lingtta  Int.  VI  56  i.^  Zum  Gott  dieses 
XoToq,  zum  sermo,  ein  Wort,  das  schon  Varro  (VI  64j  von 
severe  ableitet,  wird  hier  Hermes,  ja  es  scheint,  dass  er 
hier  schon  von  dem  Xö-fog  gleich  ratio  losgelöst  ist. 


1  Dies  wirkt  weiter,  insofern  die  Rede  überhaupt  auch  den  Beweis  ent- 
hält; so  kann  Plutarch  de  Is.  et  Osir.  54  p.  373  B  sagen  toO  'Ep|noö,  TOUreari 
ToO  XÖTOU,  |aapTupoOvTO(;  Kai  beiKVÜovToq.  Ganz  junge  und  aus  verschiedenen 
Bestandtheilen  gemischte  Vorstellungen  giebt  das  auf  den  Kratylos  bezügliche 
Scholion  zu  Aristides  (III  564  Ddf.):  ZriTeixai,  ttüjc  Xlfei  TÖv  TTäva  AÖTov  f\ 
AÖTOU  äbeXcpöv.  Kifopa^v,  ÖTi  rä  irävTa  biä  Xöfou  avviorr],  rä  bi  irävTa 
iOTW  ö  TTdv.  dbeXqpö?  dpa  6  TTöv  toö  Xöyou,  ladXXov  hi  6  TTdv  Aöyo;,  biö 
Kai'Epiaoö  uioq  ö  Xöto?  ö  ^vt€Xvo?  Kai  Trapd  9eou  bibö.uevo^  eiq  iraibeuaiv. 
Die  Quelle  hierfür  wird  sich  uns  in  Hermes  als  Erfinder  der  fpammoTlKr)  und 
der  verwandten  Künste  später  zeigen.  Strabo  II  104  sollte  man  endlich  aufhören 
für  den  Hermes  XÖYio?  anzuführen.  Es  handelt  sich  dort  ja  um  den  Hermes 
des  Eratosthenes,  der  das  Weltall  und  seine  unbewohnten  Zonen  von  oben 
geschaut  hat;  daraus  erklären  sich  die  geographischen  Fragmente. 

2  Dass  die  ganze  dort  gegebene  Scheidung  des  cogitare,  loqui,  agere  auf 
Chrysipp  zurückgeht,  zeigt  trefflich  auch  Seneca  de  benef.  I  3,  8:  Chrysippus ... 
qui  rei  agendae  causa  loqultur ;  Chrysipp  und  andere  Stoiker  hatten  die  Ver- 
bindung des  Hermes  mit  den  Charitinnen  erklärt:  quia  beneficia  ratio  commeudat 
vel  oratio  (die  Deutung  als  ratio  scheint  erst  von  einem  jüngeren  Stoiker  zu- 
gefügt, vgl.  Cornutus  cap.  16;  Seneca  benutzt  Chrysipp  nicht  direct).  Anders 
gewendet  ist  der  Gedanke  bei  Plutarch  irepi  ToO  dKoOciv  13:  dXXd  Koi  töv 
'Ep^ifiv  Toic;  Xdpiöiv  oi  iraXaioi  aufKaßibpuöav,  di<;  ladXiöTa  toO  Xöyou  xd 
Kexapia^i^vov  koI  irpoaqpiX^t;  dTraiTOÜvxoc;.  (Als  Gott  der  ratio,  des  ordo, 
numerus  und  scientia  erscheint  Hermes  bei  Seneca  de  benef.  IV  8;  die  Quelle  ist 
stoisch,  aber  von  Aegypten  beeinflusst;  zu  vergleichen  ist  Macrobius  Sat.  I  17  ff)- 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  83 

Das  ist  zunächst  eine  rein-dialektische  Construction, 
herv'orgegangen  aus  einem  etymologischen  Witz.  Um  so  be- 
fremdlicher, dass  ihr  Varro,  oder  vielmehr  seine  griechische 
Quelle,  eine  solche  Bedeutung  zuschreibt,  dass  er  jede  Be- 
ziehung des  Gottes  auf  den  Stern,  jede  kosmische  Bedeu- 
tung für  ihn  leugnet  und  den  Sentio  an  sich  zu  einem  der 
dii  selecti  macht. '  Die  Erklärung  kann  ich  nur  gewinnen, 
wenn  ich  annehme,  dass  im  Orient  die  Rede,  die  Offen- 
barung des  Gottes  eine  neue  Bedeutung  gewonnen  hatte, 
und  dass  eigenthümliche  Religionsvorstellungen  es  hier  be- 
sonders nahe  legten,  sie  als  etwas  Persönliches  zu  fassen. 
Ich  erinnere  jetzt  daran,  dass  schon  Maspero  bei  der  Be- 
sprechung der  Schöpfung  durch  das  Wort  darauf  aufmerk- 
sam gemacht  hat,  dass  dieses  Wort  dabei  als  etwas  durch- 
aus Materielles,  Persönliches  gefasst  wird.  Aus  dem  Munde 
des  Thot  gehen  seine  ersten  vier  göttlichen  Gefährten  her- 
vor ;  er  spricht  sie.  Aehnlich  sagt  in  einem  der  Ptolemaeer- 
zeit^angehörigen  Texte  von  Edfu  der  König  zu  dem  Gotte 
Tauth  (wohl  Thot)  „Tauth,  du  hast  Schu  aus  deinem  Munde 
ausgeworfen  —  er  ist  aus  deiner  Mundspitze  herausgekommen 
—  es  haben  ihn  ausgeworfen  deine  Lippen"*  und  ähnlich 
heisst  es  in  dem  von  Wiedemann  (Der  Urquell  VIII  64)  her- 
ausgegebenen Schöpf imgsmythos  ,,die  Werdungen,  die  her- 
vorgingen aus  meinem  Munde''.  Dass  sich  durch  jene 
stoische  Theorie  vom  Logos-Hermes  auch  jener  wunder- 
bare Text  von  Dendera  (oben  S.  76)  ohne  weiteres  erklärt, 
hat  der  Leser  wohl  selbst  empfunden.  Die  Frage  darf  auf- 
geworfen werden,  ob  wir  mit  ihr  auch  unsern  EvangeUen- 
text  in  eine  gewisse  Verbindung  rücken  und  danach  prüfen 
dürfen.  Ich  meine  damit  nicht,  ob  wir  für  die  Beeinflussung 

1  Auf  ein  zweites  System,  in  welchem  die  Götter  nur  die  Sterne  sind, 
verweist  Augustin  VII  15;  er  kennt  es  sicher  aus  Varro.  Bei  diesem  fand  er 
auch  eine  Ablehnung  der  Verehrung  der  Zeichen  des  Thierkreises  als  Götter, 
weil  diese  ja  nicht  aus  einzelnen  Sternen,  sondern  Sterngruppen  bestehen.  Die 
aegyptische  Quelle  zeigt  Macrobius  5(7/.  I  21,  16  ff.;  mit  dem  Haupttheil  vgl. 
Chairemon  (unten  S.  96). 

2  Vgl.  beispielsweise  in  der  Aliercaiio  Simonis  et  Theophili  cap.  3: 
Christus,  dei  fiUus,  primogenitus,  verbo  editus,  ore  pro  latus. 

6* 


84  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

durch  Philo,  die  man  meist  amiimmt,  eine  Beeinflussung" 
des  Evangelisten  durch  stoische  Quellen  setzen  sollten,  und 
gedenke  zu  den  vorhandenen  Büchern  über  die  Logos-Lehre 
in  ihrer  philosophischen  Entwicklung  kein  neues  zu  fügen.  * 
Dass  dabei  ganz  allgemein  nur  die  philosophischen,  bezw. 
metaph3'sischen  Systeme  Berücksichtigung  finden,  ist  es 
gerade,  was  mir  bedenklich  erscheint.  Nicht  aus  ihnen, 
sondern  aus  dem  religiösen  Empfinden  der  Zeit  wollen  reli- 
giöse Schriften  zunächst  beurtheilt  sein;  ihm  kommen  wir 
am  nächsten  in  den  theologischen  S^'stemen  der  Stoa, 
die  natürlich  von  dem  rein-philosophischen  Theil  der  Lehre 
nicht  unbeinflusst  sind,  sich  aber  mit  ihm  doch  nicht  rest- 
los decken  und  ihn  gerade  in  der  jüngeren  Form  bieten,  in 
der  er,  wenigstens  im  Orient,  Allgemeingut  geworden  und  in 
die  Volksempfindung  übergetreten  ist.  Nicht  die  Lehre  vom 
Logos,  die  Lehre  vom  Hermes  ist  es  zunächst,  die  ich  dabei 
ins  Auge  fassen  würde.  Dass  er  so  früh  schon  als  die 
Rede,  als  die  Offenbarung  Gottes  gefasst  wird,  scheint  mir 
von  besonderer  Wichtigkeit,  weil  dies  zweifellos  die  Be- 
deutung des  Wortes  in  dem  Evangelium  ist. 

Ich  beabsichtige  weder  einem  etwaigen  theologischen 
Leser  etwas  Neues  zu  sagen,  noch  mich  mit  der  unendlichen 
Litteratur,  die  mir  nicht  einmal  ganz  bekannt  ist,  weit- 
läufig auseinander  zusetzen,  wenn  ich  kurz  andeute,  wie 
ich  als  Philologe  rein  lexicalisch  das  Wort  des  Evangeliums 
deuten  zu  müssen  glaube.  Dass  der  oft  wiederholte  Ver- 
such, zunächst  einen  bestimmten  philosophischen  Begriff 
aus  Philo  oder  anderen  Quellen  zu  construiren  und  ihn  dann 
gewaltsam  dem  Evangelium  aufzudrängen,  sein  Missliches 
hat,  scheint  ja  immer  mehr  allgemeine  Ueberzeugung  zu 
werden.  Zugegeben  ist  auch,  dass  der  Logos  keines  S3'stemes 
voll  in  das  Evangelium  passt,  und  wenn  man  bei  Philo 
immer  noch  die  geringsten  Discrepanzen  finden  will,  so 
beruht  das  zum  grossen  Theil  doch  nur  darauf,  dass  eben 
Philo  gerade  in  diesem  Punkt  keinem  festen  System  folgt. 

A  Die  in  vielen  Punkten  beachtenswerlhe  Darstellung  von  Anathon  Aall 
Der  Logos  Leipz.  1896  und  1899  ^»be  ich  erst  nachträglich  kennen  gelernt. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  85 

Allgemein  zugegeben  wird  endlich  auch,  dass  der  Verfasser 
des  Evangeliums  mit  dem  Wort  einen  allen  Lesern  be- 
kannten Begriff  verbinden  muss,  und  dass  er  auf  den  Anfang 
des  Schöpfungsberichtes  Bezug  nimmt.  So  hat  Jannaris  * 
meines  Erachtens  Recht,  wenn  er  die  Deutimg  ratio,  die 
sich  hiermit  nui^  gezwungen  vereinigen  lässt,  von  vornherein 
als  unwahrscheinlich  betrachtet  und  nur  Xöyo(;  als  das 
Sprechen  oder  als  das  Gesprochene  in  Betracht  zieht,* 
Unrecht  freilich,  wenn  er  hierbei  noch  zwischen  Aussage 
und  Befehl  scheiden  will.  Beides  ist  bei  dem  Sprechen 
eines  Gottes  unlöslich  verbunden;  wenn  Gott  durch  Moses 
und  die  Propheten  redet  —  und  darauf  wird  ja  gleich  im 
Folgenden  verwiesen  —  so  ist  Befehl  und  Aussage  gar 
nicht  zu  trennen ;  beides  schhesst  in  aller  religiösen  Sprache 
dasselbe  Wort  imd  derselbe  Begriff  in  sich,  beides  gehört 
zur  Offenbarung.  ^  Dass  Christus  die  vollkommene  Off en- 


1  Zeitschrift  für  die  neutestatn.  Wissenschaft  II  S.  13  ff.  Die  eigene 
Deutung  von  lannaris,  der  XÖYOi;  des  Eingangs  sei  eben  das  Schöpfungswort  der 
Genesis,  scheint  mir  verfehlt  und  schon  an  den  Worten  Kai  6  \ÖYO<;  rjv  irpöc; 
TÖv  6eöv  zu  scheitern.  Sie  können  entweder,  wie  Luther  richtig  empfand, 
bedeuten  ,,bei  Gott"  oder  sich  aus  den  Wendungen  Xe^eiv  irpöq  Tiva,  XÖYoq 
TTpö(;  Tiva  erklären;  hiervon  abgesehen,  ist  elvai  irpöi;  Tiva  „in  Beziehung  zu 
jemand  stehen"  ohne  Zusatz  sprachwidrig.  Ebenso  sprachwidrig  oder  sinnstörend 
sind  die  anderen  vorgeschlagenen  Constructionen  6  XÖYOi;  ouTQc;  r|v  iTpöq  TÖv 
6eöv  u.  s.  w.  Aber  eine  Fülle  nützlichen  Materials  scheint  mir  lannaris  zusammen- 
getragen zu  haben,  das  ich  mit  Dank  benutze. 

2  Denselben  Gebrauch  hat  Hamack  Zeitschr.  f.  Theol.  und  Kirche  1892 
S.  207  auch  für  das  ganze  weitere  Evangelium  erwiesen.  Wenn  er  freilich  dabei 
gerade  zu  der  Stelle,  in  welcher  dieser  XÖYO<;  zugleich  als  eine  Art  Persönlich- 
keit erscheint  (12,  48  6  (iOeTOüv  ^|ue  Kai  \xi\  Xaußctvujv  xci  ^ri(uaTd  |uou  ex£i 
TÖV  Kpivovxa  aÜTÖv  ö  XÖYoq,  8v  ^XciX^aa,  dKeivoc;  Kpivei  aüxov  ^v  xf]  ^axäxr) 
fm^pa)  schliessen  will,  der  Verfasser  habe  hier  nicht  vor  Augen  gehabt,  dass 
Jesus  selbst  der  XÖYOi;  Gottes  sei,  sonst  entstünde  eine  seltsame  Quadrirung 
des  Begriffes,  so  scheint  er  von  dem  Verfasser  eine  dialektische  Klarheit  zu 
verlangen,  die  weder  die  griechisch-stoische  noch  die  jüdische  Mystik  (vgl. 
unten  S.  108  ff.)  überhaupt  gehabt  hat.  Sollte  nicht  hier  genau  die  gleiche  Ver- 
mischung von  Begriff  und  Person  sich  wenigstens  andeuten,  die  wir  oben  in 
der  Quelle  Varros  sahen  und  die  sich  uns  vielleicht  auch  in  dem  Prooemium 
zeigen  wird? 

^  Vgl.  über  die  jüdischen  Vorstellungen  unten  S.  109. 


86  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  ' 

barung  Gottes  ist,  ist  ja  der  Grundton,  wenn  man  so  will, 
die  Tendenz  des  Evangeliums;  dafür  sucht  der  erste  Theil 
des  Prooemiums  einen  dogmatischen  Ausdi-uck  und  zugleich 
ein  TrjXauTeq  irpöcruuTrov.  Hierfür  bietet  sich  ein  in  den  reli- 
giös interessirten  Kreisen  der  Zeit  allgemein  übliches  Wort 
imd  mit  dem  Wort  der  Begriff,  die  Formel  und  der  erhaben 
dunkele  Klang  dieser  Mystik.  Insofern  empfinde  auch  ich  das 
Hinzimehmen  eines  nicht  ganz  homogenen  Elements;  nur  die 
Grundanschauung  ist  die  gleiche.  Dass  die  Einleitung  zur 
Orientining  ,, hellenischer  Leser"  dient,  kann  ich  gern  an- 
nehmen, wenn  wir  damit  nur  in  demselben  jüdisch-grie- 
chischen Leserkreis  bleiben  wollen,  an  den  auch  alles 
Weitere  sich  richtet.  Denn  darauf  weist  die  Polemik  gegen 
die  Johannes-Jünger  und  gegen  die  Juden  überhaupt,  deren 
unlöslichen  Zusammenhang  mit  diesem  ersten  Theil  des 
Prooemiums  mir  nach  anderen  Baldensperger '  zur  Ueber- 
zeugung  gemacht  hat.  Nur  desswegen  scheint  mir  betont 
ev  dpxrj  iiv  6  X6to(;,  um  alle  die  früheren  Offenbanmgen  nur 
als  hervorgeflossen  aus  diesem  einen  Logos  zu  bezeichnen. 
Wohl  hat  er  seinen  frühern  Trägern  die  Erlaubniss,  das 
Recht  gegeben,  sich  tckvo  Geou  zu  nennen;*  aber  nur  in 
dem  Einen  ist  er  in  seiner  Fülle  erschienen,  in  dem  )novo- 


'  £>i'r  Prolog   des    vierten    Evangeliums  Freiburg    1898.     Ueber  Einzel- 
heiten zu  urtheilen,  wage  ich  natürlich  nicht. 

"^  Der  volle  schwere  Ton  liegt  auf  dem  KaXeToGai.    Die  Beziehungen  im 
Judenthum  hoflfe  ich  später  nachzuweisen. 

/(Der  Ausdruck  erinnert  in  seiner  Grundbedeutung  „der  Einzigartige" 
(Baldensperger  S.  33)  lebhaft  an  die  in  aegyptischen  Hymnen  immer  wieder- 
kehrenden Epitheta  „der  einzig  Eine"  u.  dergl.  Bei  den  weiteren  Bildern  des 
Prooemiums  darf  ich  daran  erinnern,  dass  Thot  der  Lichtgott,  der  Strahlende, 
und  dass  er  zugleich  der  Herr  alles  Lebens  ist,  dass  der  Xö^oq  aber  auch  dem 
Stoiker  als  das  Licht,  die  qpoiv»'-)  als  qpiJüq  voO  ToO  T^iu;  KeKpu|a|a^vou  (Johannes 
von  Euchaita  V.  178;  vgl.  die  alten  stoischen  Etymologieen  bei  Lucius  Tarrhaeus 
Cramer  An.  Ox.  IV  318,  5),  erscheint,  und  dass  in  den  hermetischen  Schriften  der 
cpujxeivö;  Aö-fo;  der  uiöq  Oeoü  ist.  Doch  ist  der  Vergleich  der  Rede  und  des 
Lichtes  und  andrerseits  die  Vorstellung,  dass  der  öeöq  und  das  Licht  die  Quelle 
alles  Lebens  ist,  viel  zu  weit  verbreitet  und  zu  allgemein  menschlich,  um  aus 
solchen  Beobachtungen  bestimmte  Schlüsse  zu  gestatten. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  87 

Diese  Auffassung  des  Aö-foq  als  der  Rede  Gottes  ist 
ja  auch  bekanntlich  die  älteste,  die  wir  nachweisen  können. 
Sehr  characteristisch  ist  die  Erwähnung  bei  Ignatius  ad. 
Magn.  8,  2  de,  Q^öc,  ecrriv  6  cpavepuucraq  eauxöv  biet  'hiaoö  Xpiaroö 
Toö  uioö  auToO,  ö<;  ecrtiv  auioO  Xb^^oc,  änb  (Jrf'K  TrpoeXGujv^ 
und  Justinus,  der  manchmal  freilich  auch  den  stoischen 
öpeö?  XÖTog  mit  hineinlegt,  hebt  die  Aehnlichkeit  mit  der 
A^erbreiteten  heidnischen  Vorstellung  in  der  bekannten  Stelle 
hervor  (Apol.  21):  tlu  be  Kai  töv  Aötov,  ö  eaii  TrpujTOV  Yevvii|ua 
Tou  0eou,  dveu  emiLiiEia?  cpdaKeiv  ii^äq  '{eji.vvf\oQax  'Irjcroüv  Xpi- 
ffTÖv  TÖV  öibdcTKaXo  V  iTiLiuüv. . . .  ou  Ttapd  Touq  rrap'  v^xiv  Xefo- 
ILievouq  uioug  TLU  Ali  Kaivöv  ti  qpepo)aev.  TTÖcrou(g  "fdp  uiouq  cpdaKOuai 
Toü  Aiög  Ol  irap'  u)iiiv  Ti|ndj)aevoi  CTuTTPCKpei?,  eiricTTaaGe"  'Ep)afiv 

|aev  XÖTOV  töv  epinriveuTiKÖv  Kai  TrdvTuuv  biödcTKaXov 

uiö<;  be  Geou  6  'liicroO^  \cfb\xevoc,,  ei  Kai  Koivüug  luövov  dvGpojTrog, 

bid  aocpiav  dHioq  vlbq  Geou  XeYecrGai ei  be  Kai   ibiuuc;  Trapd 

T)iv  KOiviiv  TEveaiv  Y£T£vvii(T0ai  auTÖv  eK  Geou  XeTOjaev  Xöyov 
Geou,  \hq  rrpoecpi-mev,  koivöv  touto  ecTTuu  ujuiv  Toiq  töv  'Epfifjv 
XoTov  töv  napd  Geou  d-fT^XTiKÖv  XeYOucTiv.  Die  Parallele. 
die  Justin  zieht,  lässt  die  Wichtigkeit  der  Varro-Stelle  wohl 
noch  mehr  hervortreten." 

Allein  für  jetzt  wird  es  besser  sein,  zu  jenen  kleinen 
Beobachtungen  über  die  Entwicklung  des  Hellenismus  zurück- 
zukehren, von  denen  ich  zu  der  Varro-Stelle  abgeschweift 
bin.  Auch  eine  andere  Entwicklung  der  Auffassung  des 
Hermes  ist  für  sie  nicht  ohne  Interesse. 

Plato  erwähnt  bekanntlich  den  aegyptischen  Gott 
Theuth  an  zwei  Stellen,  im  Phaidros  274  C  und  im  Philebos 
18  B;  mit  Hermes  identificirt  er  ihn  noch  nicht.  Im 
Phaidros  hat  er  offenbar  wirklich  einen  aegyptischen 
Mythos  vor  Augen,  welcher  den  Gott  Thot  mit  Amon 
verbindet  und  ihm  die  Erfindung  alles  Rechnens  und  Messens, 

'  Vgl.  Zahns  treffliche  Anmerkung.  Auffallend  stimmt  zu  den  hier 
besprochenen  Anschauungen  auch  ad  Rom.  8,  2  tö  dHJCwbe(;  axöua,  dv  dj  6 
irarrip  dXdXriaev  oiXriGiiJc.  Abweichend  sind  die  Anschauungen  ad  Ephes.  17,  2 
eeoö  "fviwöiv,  ö  ^OTiv  'lriaoö(;  Xpiaröq  und  3,  2  toö  TTaxpöi;  \\  Yvöifar]. 

2  Eine  Anzahl  Parallelstellen  bietet  Cornutus  Kap.  16.  Vgl.  die  von  Otto 
angeführten  Stellen  des  Clemens  Romanus. 


88  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

der  Geometrie  und  Astronomie,  des  Würfel-  und  Brettspiels, 
endlich  auch  der  Ypd|U|LiaTa  zuschreibt.  Schwieriger  ist  die 
Entscheidung,  ob  auch  im  Philebos  wirkHch  aegj^ptische 
Tradition  oder  griechische  \\'eiterbildung  vorliegt.  Thot, 
der  hier  ein  Gott  oder  ein  eeiog  dvBpuuTToq  ist,  hat  die  Tpd|u- 
ILiata  auch  in  dem  Klang,  in  der  Sprache  gefunden  und  ge- 
schieden ;  so  wird  er  zum  Erfinder  der  articulirten  Sprache 
und  weiter  der  Texvti  TpamnaTiKri.  Alle  Einzelheiten  sind  hier 
sicher  griechisch;  in  der  Hauptsache  glaube  ich  dennoch 
einen  aegj^ptischen  Kern  annehmen  zu  dürfen,  nicht  nur, 
weil  Thot  als  der  Herr  der  heiligen  Sprache  schon  früher 
begegnet,  auch  weil  er  hier  nicht  mehr  als  grosser  Gott, 
sondern  als  Halbgott  oder  als  Mensch  gefasst  ist.  Dass  dies 
auch  in  Aegypten  früh  geschah,  scheint  mir  aus  der  früh- 
zeitigen Angleichung  an  Orpheus  zu  folgen,  die  wir  aller- 
dings mehr  in  der  Praxis  als  in  der  Theorie  erkennen 
können. '  Vor  allem  weist  hierauf  der  oben  (S.  64  A.  1)  be- 
sprochene Abschnitt  aus  Hekataios  (Diodor  I  15.  16),  in 
welchem  der  aeg^'ptische  Hermes  ebenfalls  als  jüngerer 
Gott  oder  Mensch  und  als  der  grosse  Erfinder  erscheint, 
der  die  Sprache  articulirt  habe.  Es  ist  kaum  glaublich, 
dass  Hekataios,  der  hier  so  viel  echt  Aegyptisches  er- 
zählt, *  Plato  nebenbei  benutzt  haben  könnte.     Er  ist  für 


'  Einen  Anhalt  für  Einzelheiten  bei  Plato  könnte  vielleicht  die  Betonung 
und  Scheidung  der  Vokale  in  den  aegyptischen  Hymnen  geben  (Demetrios 
irepi  ^piLiriveiac;  71,  vgl.  Dieterich  Abraxas  S.  42  und  22). 

A  So  ist  er  z.  B.  der  iepoYpamuaTeOi;  des  Osiris  und  der  Isis,  wie  er 
in  Aegypten  der  Schreiber  der  Thaten  der  ersten  Götter  wird.  Ueberhaupt  ist 
Hermes  in  Aegypten  frühzeitig  mit  Isis  verbunden  worden.  Er  ist  ihr  Vater 
(Plutarch  lie  Is.  el  Osir.  cap.  3,  vgl.  den  Hymnos  bei  Herwerden  Miu-i/iosy/te  1888 
S.  339  ibq  lUÖTOJv  äpXHT^Tri? 'EpM»!«;  ö  -irp^aßu? 'laibo?  iraTrip  i-^üi)  oder  ihr 
Sohn  (vgl.  Dieterich  Jahrbb.  f.  Phil.  Suppl.  XVI  S.  802  und  773).  Als  solcher  tritt 
er  für  Horus  ein,  der  ja  oft  mit  Christus  identificirt  wird.  So  entsprechen  die 
Unterweisungen  der  Isis  an  ihren  Sohn  bei  Berthelot  Collecüon  des  alchimistes 
grecs,  Texte  28 — 35  in  gewissem  Sinne  den  Lehren  des  Hermes  an  seinen  Sohn 
Tat.  Die  Zusammenhänge  der  alchymistischen  Litteratur  mit  der  Hermetischen 
lohnte  es  zu  verfolgen;  wichtig  ist,  dass  in  ihr  immer  wieder  die  Ptolemaeer- 
Bibliothek  erwähnt  wird  (S.  89;  230;  232). 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  89 

uns  der  erste,  welcher  die  beiden  Gottheiten  identificirt ; 
schon  er  hat  diesen  Hermes  auch  nach  Griechenland  über- 
tragen; schon  er  ihn  nach  den  griechischen  Sagen  zum 
Erfinder  der  LjTa  und  der  Palaistra  gemacht.  Die  schon 
vor  Herodots  Zeit  begonnene  Angleichung  aegyptischer 
und  griechischer  Lehren  hat  starke  Fortschritte  gemacht; 
man  lehrt:  aus  dem  Wesen  des  aeg3^ptischen  Thot  als 
epimiveug  haben  die  Griechen  sich  den  Namen  ihres  Gottes 
gebildet.  Die  dritte  Epoche  in  dieser  Entwicklung  vertritt 
für  uns  Apollodor,  wenn  er  in  seinem  nicht  für  Aegypten 
geschriebenen  imd  m.  E.  stark  von  der  Stoa  beeinflussten 
Werke  -rrepi  OeOuv  den  griechischen  Hermes  noch  als  Kind  vor 
seinem  Aufstieg  zu  den  Göttern  vier  Dinge  erfinden  lässt, 
Tpa|Li|LiaTa  Kai  |uoucriK)"iv  Kai  TiaXaicTTpav  Kai  fe^^}}J^e^pia^/  [Schol. 
Od.  23,  198).  Es  ist  dieselbe  Mischung  griechischer  und 
aegyptischer  Vorstellungen,  die  wir  bei  der  Schilderung 
des  Thot  bei  Hekataios  fanden.  In  dieser  Zeit  mag  der 
griechische  Gott  auch  der  scrmonis  dator  geworden  sein 
(Kaibel  Epigv.  gr.  816),  der  Vielgewandte,  qtii  feros  ciiltiis 
homimun  recentuiu  voce  formasti  catits  et  decorac  luore 
palaestrae.  Schon  vorher  hatte  Mnaseas,  der  Schüler  des 
Eratosthenes,  ihn,  vielleicht  in  euhemeristischem  Sinne,  als 
Erfinder  der  YpciluMaTa  aufgeführt,  i 

Der  Einfluss  des  aegyptischen  auf  das  griechische 
Denken  zeigt  sich  aber  ebenso  auf  rationalistischem  wie 
auf  mystischem  Gebiet ;  auch  hier  handelt  es  sich  zunächst 
um  Bestätigung  imd  Neubelebung  von  Vorstellungen,  die 
im  Hellenenthum  schon  früher  aufgetaucht  sind.  V^on  hier 
möchte  ich  vor  allem  Euhemeros  beeinflusst  glauben.  Nicht 
nach  Indien,  weit  eher  nach  Aegypten  weisen  die  Einzel- 
züge seiner  Erfindung,  so  die  Scheidung  der  Kasten,  die 
weisse,  linnene  Kleidung  der  Priester,  die  Verzeichnung  des 
iepöq  XoYoq  auf  aTrjXai  (das  ergab  sich  für  Aegypten  von 
selbst;  die  detaillirte  Tradition  ist  freilich  jung,  aber  schon 
Lucan  III  220 — 224  setzt  sie  voraus).    Der  die  Erde  durch- 


'  Vgl.  Bekker  An.  gr.  II  783,  17;  Gramer  An.  Ox.  IV  318,  20. 


90  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

wandernde  und  überallhin  Recht  und  menschlichere  Nahi"ung 
bringende  Zeus  erinnert  an  den  Osiris  der  aegv'ptischen 
Sage ;  wenn  bei  Euhemeros  die  Menschen  dem  Zeus  bringen, 
was  jeder  erfunden  hat,  und  er  es  prüft,  so  erscheint  auch 
dieser  Zug  früh  in  der  aegyptischen  Sage  (Hekataios  bei 
Diodor  I  15,  4 ;  vgl.  den  AiTÜTTTioq  Xöto«;  im  Phaidrosj.  Wenn 
femer  die  naturphilosophische  Seite  der  aegyptischen  Religion 
mit  dieser  rationalistischen  in  Einklang  gebracht  werden  sollte, 
so  blieb  dazu  nur  eindergriechischen  Anschauung  entsprechen- 
der Weg,  und  auch  ihn  hat  Euhemeros  betreten:  Uranos  ist  bei 
ihm  ein  sternenkimdiger  Mann  und  hat  zuerst  die  Verehrung 
des  Himmels  und  der  Gestirne  gelehrt;  hierfür  sind  später  die 
Namen  der  einzelnen  Herrscher  eingetreten.  Nun  kennen  wir 
einen  Schriftsteller,  der  im  engsten  Anschluss  an  die  aegyp- 
tische  Tradition  von  den  Götterdynastien  ganz  das  Gleiche 
gelehrt  hat  und  der  mit  IManetho  und  Hekataios  in  enger  Be- 
rührung steht,  Leon  von  Pella.  Auch  ihm  ist,  was  er  berichtet, 
ein  iepö?  Xoto?  (Augustin  de  civ.  detail  11):  alle  Götter  sind 
Menschen  gewesen.  Auch  er  betont  die  Erfindungen  vor 
allem,  und  wie  eine  Umkehrung  des  platonischen  Mythos 
muthet  uns  das  Geschichtchen  von  Osiris-Dionysos  und 
Amon  an  (H3^gin.  Astron.  II  20).  *  Die  Götter  aber  werden 
mit  den  griechischen  Hauptgöttern  identificirt ;  eine  Mischung 
griechischer  und  aegyptischer  Tradition  bildet  die  älteste 
Geschichte.  Hier  lag  eine  wirkliche  Tradition  und  ein  An- 
halt vor;  was  Euhemeros  bietet,  i.st  eine  phantastische 
Uebertragung  ins  strenger-griechische,  die  doch  die  Spuren 
ihres  Ursprungs  nicht  ganz  verleugnet.  Die  Tendenz  wird 
freilich  bei  ihm  noch  schärfer  hervorgetreten  sein. 

Die  aegyptische  Tradition  bot  für  die  historisch-genea- 
logische Betrachtung  '  der  Göttersage  besonderen  Anhalt. 
So  scheinen  sich  auf  aegyptischem  Boden  auch  die  Systeme 
der  ^epicTTiKoi  OeoXofoi  zu  entwickeln,  die  man  gewöhnlich 
kurzweg  als  „euhemeristisch",  manchmal   gar  in  dem  Sinn 

'  Isis-Demeter  opfert  ihren  Eltern,  wie  Zeus  den  seinigen.  Belus  ist  wie 
bei  Euhemeros  mit  eingereiht  (Auguslin  XII  li);  auch  weitere  Berührungen 
finden  sich,  vgl.  Minucius  Feli.x  2i,  3. 


IL  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  91 

von  „atheistisch",  bezeichnet.  Ein  gewisser  Zusammenhang 
ist  fühlbar,  doch  setzen  ihre  Verfasser  im  Grunde  nur  fort, 
was  schon  der  ionische  Reisende  des  fünften  Jahrhunderts 
begonnen  hatte,  und  Varro  zeigt,  dass  auch  die  religions- 
mischende  Stoa  sich  sehr  wohl  mit  dieser  Theologie  ab- 
finden konnte ;  bot  sie  doch  zur  Beseitigung  der  unbequemen 
Mj'then  nur  einen  anderen  Weg  als  die  symbolische  Deu- 
tung und  liess  für  den  Gläubigen  die  Existenz  der  eigentlichen 
Götter  unberührt.!  So  dient  sie  später  der  allgemeinen 
synkretistischen  Theologie. 

Nun  kennen  schon  die  Götter-Listen,  welche  Cicero  im 
dritten  Buch  de  natura  dcorum  bietet,  zwei  aegyp tische 
Vertreter  des  Hermes  (III  56)  qtiartiis  Nilo  patrc,  quem 
Aegyptii  nefas  habent  nominare,  quintus  quem  colunt 
Pheneatae,  qtii  Avgum  äicitur  interemissc  ob  eamque  causam 
Acgyptum  profugisse  atque  Aegyptiis  leges  et  litteras 
tradtdisse.'  In  dem  ersten  Hermes  erkennen  wir  leicht  den 
aus  dem  Urgewässer^  entstandenen  Sonnengott  und  Welt- 
schöpfer, den  uns  der  bei  Erman  S.  360  übersetzte  Hymnos 
schildert,  in  dem  zweiten  die  populäre  Figur  des  Thot,  an 
welche  sich  die  Hellenisiiimg  besonders  geheftet  hatte.  Das 
zeigt,  dass  schon  zeitig  auch  die  alten  Mythen  von  Thot 
wieder  ans  Licht  gezogen  wurden  und  man  nun  mehrere 
Götter  in  ihm  zu  scheiden  versuchen  konnte.  Die  aegyptische 
Anschauung  bot  ja  auch  sonst  dazu  mancherlei  Anhalt. 
Ich  erwähnte  schon  früher  den  der  Ptolemaeerzeit  ange- 
hörigen  Text  von  Edfu  „Tauth,   du  hast  Schu  aus  deinem 


'  So  kortnte  sich  schon  die  ältere  Stoa  mit  dem  Euhemerismus  wohl 
vertragen,  vgl.  Persaios  bei  Diels  Doxographi  S.  544. 

/^Mit  dem  zweiten  identificirt  Augustin  de  civ.  dei  XVIII  39  den  Hermes 
Trismegistos,  den  Erfinder  der  Philosophie,  während  Isis  bei  ihm 
(XVIII  37)  Erfinderin  der  Buchstaben  ist.  Das  geht,  da  Moses  hier  als  Erfinder 
der  hebräischen  Buchstaben  erscheint  (vgl.  unten  S.  100  A.  i),  auf  recht  alte  Zeit 
zurück,  wahrscheinlich  bis  auf  Varro  (vgl.  XVIII  40). 

3  Diodor  I  12  oi  T«P  Aitütttioi  vouiZouaiv  'QKeavöv  €ivai  töv  irap* 
auToT(;  iroraiuöv  NeiXov.  Dieselbe,  übrigens  wirklich  aegyptische  Angleichung 
des  Nil  und  des  Urgewässers  liegt  allen  aegyptischen  Genealogien  dieser  |U€pi- 
OTlKoi  zu  Grunde. 


92  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

]Munde  ausgeworfen  —  er  ist  aus  deiner  Mundspitze  hervor- 
gegangen —  es  haben  ihn  ausgeworfen  deine  Lippen." 
Hier  wird  Schu  zum  Sohne  des  Thot;  an  anderer  Stelle  ist 
er  mit  ihm  identisch.  Es  ist  ein  ähnliches  Bestreben  zu 
differenziren,  wenn  in  den  Hermetischen  Schriften  neben  den 
lehrenden  Hermes  ein  lernender  Tat  getreten  ist;  es  zeigt 
uns  freilich,  wie  völlig  der  ursprünglich  griechische 
Hermes  in  die  aegj'ptische  Religion  übernommen  ist; 
der  altheimische  Name  ist  ganz  verdunkelt.  Ganz 
das  Gleiche  ist  es,  wenn  neben  den  Hermes  eine  begriffliche 
Uebersetzung  dieses  Gottes,  der  Logos,  tritt.'  Aber  wir 
empfinden  doch,  dass  dies  nothwendig  früher  geschieht,  als 
für  Hermes  die  zweite  philosophische  Bezeichnung  Noui; 
eintritt  und  Noö(g  und  Aöfoq  nun  die  Welt  schaffen,  wie  dies 
in  dem  Haupttext  der  Hermetischen  Schriften  in  der  Regel 
geschieht.*  Auch  die  Einfühning  des  Logos  widerspricht 
meiner  früheren  Behauptimg,  dass  der  Schöpfungsmythos, 
den  wir  in  unserem  späten  Gedichte  finden,  im  ersten  Jahj-- 
hundert  v.  Chr.  ebenso  möglich  wäre,  nicht. 

Ich  darf  jetzt  noch  einmal  auf  die  früher  angeführten 
Stellen  aus  den  Hermetischen  Schriften  zurückweisen,  nicht 
um  zu  untersuchen,  was  in  ihnen  aeg3'ptisch  und  was 
griechisch  ist  —  diese  Frage  würde  sich  nm*  bei  einzelnen 
Aeusserüchkeiten  beantworten  lassen  —  sondern,  tun  zu 
betonen,  dass  auch  in  ihnen  wenigstens  die  wichtigen  Gedanken 
zeitlos,  an  sich  ebenso  im  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  wie  im 
dritten  n.  Chr.  möglich  sind.  Scharf  hervorzuheben  und  als 
entscheidend  festzuhalten  ist  an  diesen  Schriften  vor  allem 


•  Wie  früh  das  möglich  ist,  wird  sich  uns  bei  dem  Einsetzen  der  Namen 
AiKOloCTÜvr],  Viveoiq  und  Xatura  für  Isis  zeigen. 

*  Eine  gewisse  Parallele  zu  diesen  Vordoppelungen  und  halben  Aus- 
gleichungen kann  auch  die  Bemerkung  der  aegyptisch-stoischen  Quelle  des 
Porphyrios  bieten  (Eusebios /;-ö<r/.  ev.  III  12,  4  =  117a) :  ^v  be  ToT?  kut'  'E\eu- 
öiva  (iuaTtipioii;  ö  la^v  iepoqpdvTtit;  615  6iKÖva]Toö  br|uioupYoü  ^vaKeudCexai, 
baboOxoq  hi  €(;  xriv  )-|Xiou-  Kai  6  )a€v  i-ai  tlü  ßujuCu  ei?  tt'iv  (je\r|vr|v,  ö  hi 
iepOKfipuE 'Epiaoü  (vgl.  Kleanthes  Fr.  53  Pearson).  Einen  gewissen  Anhalt  für 
die  Popularisining  der  Vorstellimgen  vom  Hermes-Logos  mögen  auch  diese 
Mysterien  später  in  der  That  geboten  haben. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  93 

ihr  rein  priesterlicher  Charakter/  zu  betonen  daneben  die 
Fülle  des  Stoischen,  ja  dii-ekt  auf  Poseidonios  Weisenden, 
die  uns  überall  entgegentritt.  Den  Hergang  erklärt  m.  E. 
eine  Betrachtung  des  von  Brandt  {Wiener  Studien  XIII 270  ff.) 
ausLactanz  de  opificio  rf^/ reconstruirten  Stückes  der  älteren 
Hermetischen  Litteratur.  Auf  Poseidonios  als  Quelle  weist 
hier  die  fast  wörtliche  Uebereinstimmung  mit  \'arro  und 
mehr  noch  die  durchgehende  Betonung  nicht  nur  der  Zweck- 
mässigkeit, sondern  auch  der  Schönheit,  die  Poseidonios  an 
dem  Menschen,  dem  zweiten  KÖc^^oq,  ebenso  wie  an  dem 
ersten  hervorgehoben  haben  wird,  wenn  sich  auch  nur 
noch  einzelne  Spuren  davon  bei  Cicero  finden.-  Wohl  giebt 
Poiniand.  44,10 — 45,12  hiervon  nur  einen  schwachen  Nach- 
klang, aber  er  wahrt  doch  dabei  die  ursprünglichen  Zu- 
sammenhänge und  beweist  hierdurch  die  Continuität  dieser 
Litteratur,  die  in  der  zu  Rom  in  Caesars  Zeit  blühenden 
theologischen  Litteratur  ein  gewisses  Gegenstück  hat. 

Es  war  ein  Irrthum  Zellers,^  wenn  er  für  die  Herme- 
tische Litteratur  überhaupt  einen  bestimmten,  noch  dazu 
sehr  jungen  Anfangspunkt  suchte ;  der  Name  bedeutet,  wie 
bekannt,  nur  die  mehr  oder  minder  offizielle  priesterliche 
Litteratur.*  Eine  griechische  medicinisch-magische  Littera- 
tur unter  diesem  Titel  bestand  schon  in  der  Ptolemaeerzeit 
(vgl.  Galen  Op.  XI  p.  797  Kühn);  für  die  theologische  fehlen 

AFür  die  äussere  Form  vgl.  Dieterich  Abraxas  S.  l6oif. 

^  Vgl.  in  der  kurzen  Zusammenfassung  des  Minucius  Felix  l8,  l  et  necessi- 
tatis  causa  et  decoris. 

3  Zeller  Gesch.  d.  griech.  Philos.  III  2  S.  225  ff.,  vgl.  Kroll  de  oraciilis  Chal- 
daeis  Brest.  Abh.  VI  68  ff.  (Viel  zu  weit  geht  —  wenn  auch  auf  Grund  richtigen 
Empfindens  —  Aall  Der  Logos  II  78,  4,  wenn  er  ohne  jeden  Beweis  die  Abfassung 
der  Hermetischen  Litteratur  [der  uns  erhaltenen?]  bis  in  das  zweite  vorchristliche 
Jahrhundert  hinaufdatiren  und  in  ihr  eine  Seitenlinie  desselben  religionsgeschicht- 
lichen Stammes  sehen  will,  wie  derjenige,  aus  welchem  die  johanneische  Theologie 
zum  wesentlichen  Theil  entsprossen  ist). 

*  Vgl.  Clemens  Strom.  VI  35 — 38  (zwar,  wie  die  Eintheilung  der  Priester 
zeigt,  nicht  aus  Chairemon,  aber  aus  einer  ähnlichen  und  etwa  gleichzeitigen 
Quelle;  das  Schriftenverzeichniss  entspricht,  wie  Bnigsch  Religion  d.  Aeg.  448 ff. 
erweist,  etwa  dem  Verzeichniss  der  Bibliothek  eines  bestimmten  Tempels);  vgl. 
im  übrigen  lamblich  de  inyst.  I  i;  VIII  4;  VIII  i  und  Gales  Noten. 


94  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehte. 

nur  zufällig  Zeugnisse.  Sie  ist  vorausgesetzt  in  der  von 
Hippolyt  benutzten  Lehrschrift  der  Peraten;  Schriften  des 
Tauth  (über  Thierverehrung)  erwähnt  Philon  von  Byblos 
(Eusebios  pracp.  cv.  I  41b),  und  Plutarch  de  Is.  et  Os.  61 
lässt  erkennen,  dass  die  frühzeitig  versuchten  Ausgleichungen 
der  aeg\-ptischen  und  griechischen  Gottheiten  in  Hermetischen 
Schriften  verzeichnet  und  durch  physikalische  Deutung  ge- 
rechtfertigtwaren.' Man  erinnert  sich  unwillkürlich  an  Varros 
antiqiiitates  rcrum  divinariim\  solche  Werke  waren  für  das 
griechisch-aegyptische  Reich  erheblich  wichtiger  als  für  die 
römische  Provinz ;  es  wäre  seltsam,  wenn  sie  gefehlt  hätten. 
Den  OpuYio?  Xöto<s  und  XaXöaiKÖq  XÖToq  des  Demokrit  wird 
man  noch  in  vorrömische  Zeit  rücken  müssen;  für  die 
Opuf  ia  TToii-icTig  beruft  sich  damals  ein  hellenistischer  Schwindler 
auf  einen  uralten  Thymoites  (Diodor  III  67);  für  Aeg3'pten 
war  der  gegebene  Gewährsmann  Hermes;  kein  Zweifel,  dass 
es  theologische  Hermetische  Schriften  auch  in  der  Ptole- 
maeerzeit  gegeben  hat. 

Wir  haben  aus  dieser  Zeit  sogar  eine  Nachahmung,  die 
Opu-fia  Tpa^MOtTa.  Cicero  erwähnt  de  deor.  nat.  III  42  (Hercules) 
alter  traditiir  Nilo  nattis  Aegyptins,  quem  aiuut  Phrygias 
litter as  conscripsisse ;  er  hat,  was  er  in  den  Listen  der 
)Liepi(TTiKol  GeoXÖTOi  fand,  offenbar  selbst  nicht  mehr  ver- 
standen. Die  Erklärung  giebt  Plutarch  de  Is.  et  Osir.  Kap.  29 
OL)  -fäp  otHiov  TTpocrexeiv  Toig  OpufioK^  Ypamnacriv,  ev  oig  XeTCtai 
XdpoTTO(S  \xiv  Toö  'HpaKXeou?  -ftvecreai  euYaiiip  'Ictk;,  AiaKoO  be  toö 
'HpaKXeoug  6  Tucpuuv.-   Es  handelte  sich  offenbar  um  die  Isis- 


•  ^v  hi  Tttiq  'Epuoü  Xe-foudvaiq  ßißXoi;  iaropoOm  YeTPaqpOai  irepi  tiüv 
iepüüv  övouciToiv,  öti  xrjv  laev  in\  Tfi(;  toO  i'iXiou  irepicpopä^  xeraYu^vriv 
buvamv 'ßpov,  "EWnvei;  b'  'AiröXXuJva  KaXoöar  Ti^v  b'  im.  toO  TrveüfüiaTO? 
ol  \xiv  'Oaipiv,  ol  hi  Zcipamv,  oi  hi  ZiJüeiv  AiYUTrxiaTi'  öriuaivei  b^  KÜriöiv 
f|  TÖ  KÜeiv.  biö  Kai  TrapaxpoiTfiq  Yevou^vr)^  xoO  övö,uaxo(;  'EXXiiviaxi  küujv 
K^KXrjxai  xö  äaxpov,  ÖTiep  ibiov  xfi<;'laiboq  vo|uiZ!ouaiv.  Für  die  Entstehungs- 
zeit spricht  die  Erwähnung  des  Serapis.  Die  Identificirung  der  Isis  mit  dem 
Hundstern  begegnetanzahlreichen  jüngeren  Stellen,  zuerst  indem  in  ptolemaeischer 
Zeit  geschriebenen  Hymnos  auf  Isis  Diodor  I  27. 

*  Mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  darf  man  auf  dieselben  dem  Plutarch 
bekannten   Bücher  auch   das   bei   Eusebios  praep.  ev.  III  i,  i  (/^.  83c)  erhaltene 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  95 

Sage;  der  aegyptische  Herakles  wird,  da  der  Tempel  des 
Thot-Chonsu  zu  Theben  in  der  Ptolemaeerzeit  als  'HpdKXeiov 
bezeichnet  wird'  und  die  Schrift  in  diese  Zeit  fallen  muss, 
wahrscheinlich  diese  Nebenfigur  des  Hermes  sein.  Eine 
Mischung  der  aegyptischen,  phrygischen  und  griechischen 
Götterwelt  werden  wir  zunächst  voraussetzen;  die  hero- 
doteische  Tradition,  dass  die  Phr^^ger  die  ersten  Menschen 
sind,  mag  irgendwie  eingewirkt  haben.  Wenn  der  aeg5^ptische 
Gott  die  Abhängigkeit  der  Aegypter  von  den  Phrygern 
bezeugte,  so  hatte  das  denselben  Zweck,  den  die  jüdischen 
Fälschungen  aegyptischer  Tradition  hatten.'*  Einen  der- 
artigen Zusammenhang  lässt  mich  die  Betonimg  des  Alters 
der  Phryger  und  zugleich  der  religiösen  Bedeutung  der 
Aeg3'pter  in  der  Lehre  der  Naassener  (Hippolyt  V  1)  errathen; 
gerade  sie  betonen  zugleich  die  Mysterien  der  Isis.  Es  ist 
mir  für  das  Folgende,  nicht  ganz  gleichgiltig,  dass  auf 
ihre  Lehren,  ja  selbst  auf  ihren  Cult  die  Stoa  schon  früh- 
zeitig entscheidenden  Einfluss  geübt  hat.  Die  wichtigste  Stelle 
hat  schon  Dieterich  {Abraxas  S.  71)  hervorgehoben,  aber 
vielleicht  nicht  genug  ausgebeutet.  Sie  gewinnt  an  Bedeutung, 
wenn  man  hinzunimmt,  dass  eine  aegyptisch-griechische  Quelle 
aus  dem  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  oder  dem  Beginn 
des  ersten  in  der  Quelle  Hippoh'ts  beständig  verwendet 
war.  Porphyrios  bei  Eusebios  praep.  ev.  III  11  =  />.  114  c 
erwähnt  aus  einem  älteren  stoischen  System  tou  öe  Xöfou 
Tujv  TrdvTUJV  TroniTiKoü  re  Kai  epiuriveuTiKoO  6  'Ep^nq  TTapaaiaTiKÖi;. 


Fragment  Plutarchs  beziehen;  dass  er  hier  den  officiellen  Titel  nicht  nennt,  liegt 
in  der  Zusammenstellung:  ev  xoTi;  'OpcpiKoTq  ^-iTe0i  Koi  ToT(;  AiYUiTTiaKOii; 
Kai  OpuYioiq  XÖYOiq.  Sie  enthielten  für  Plutarch  Naturphilosophie  unter  der 
Hülle  von  Mythen. 

•  Wiedemann  Zweites  Buch  Herodots  S.  200. 

^  Ganz  andere  Wege  geht  der  OpuYio«;  XÖYoq  bei  Diodor  III  58,  59,  67; 
hier  fehlt  das  aegyptische  Element,  und  nicht  Osiris  sondern  Dionysos  herrscht 
in  Nysa.  Auch  die  weiteren  Nachrichten  über  phrygische  Tradition  (vgl.  Lobeck 
Aglaophamus  369,  605 ;  O.  Gruppe  Die  griech.  Culte  und  Mythen  I  508)  zeigen 
davon  nichts.  Dagegen  kehren  die  p7-imigenii  Phryges  und  die  prisca  doctrina 
pollentes  Aegyptii  bei  Apuleius  Met.  XI  5  wieder;  letztere  allein  kennen  den 
wahren  Namen  und  Cult  der  Isis,  die  als  regina  caeli  und  irpövoia  gefeiert  wird. 


96  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

6  bi  ivxerapiivoq  'Epimiq  öiiXoi  rf-jv  euToviav,  beiKVuai  he  Kai  töv 
CTTTepjLiaTiKÖv  XÖTOV  töv  bi^KOvra  biet  TTCtvTuuv;  von  anderer, 
aber  ebenfalls  stoischer  Auffassung  ist  Artemidor  Oneir. 
1,  45  beeinflusst,  wenn  er  sagt  (tö  aiboiov  eoiKe)  \6tuj  . . . . 
Kai  Traiöeia,  öti  YOvi)iujTaTOV  -rrdvTuuv  tö  aiboiöv  eaTiv,  uucTTTep  Kai 
6  XÖTO«;.  1  eibov  be  Kai  ev  KuXXiivii  Ttvouevoq  'Ep)aou  d'-faXua  oubev 
dXXo  IT  aiboiov  bebr|,uioupTimevov  Xötlu  Tivi  9uaiKLD.  A\'enn  nun 
HippoM  V  1  von  den  Naassenern  sagt  KuXXriviov  be  bia(pe- 
pövTuug  TiiaujvTe?  Aö-fiov  qpacriv  •  6  y«P  'EpMH?  ^ctti  AÖYoq,  oc,  kp\xr\- 
veuq  u)V  Kai  bii)LiioupYÖ(;  tüüv  y^TOVotojv  b\xo\j  Kai  Yivojaevuiv  Kai 
edouevujv  rrap'  auTOi*;  TijLitJüjaevoq  ecTTiiKe  toioutuj  Tivi  KexapaKTr)- 
picTiaevoq  crxrmctTi,  öirep  iaiiv  aiboiov  dvGpuÜTTOu  dirö  tüüv  kotuu  im 
TU  dvuu  öpiaiiv  exov,  so  können  wii"  fast  mit  Händen  greifen, 
wie  eine  gelehrte  stoische  Schrift,  welche  in  üblicher  Weise 
die  Darstellungen  des  Gottes  mit  in  Betracht  zog,  Quelle 
eines  wirklichen  Glaubens  geworden  ist.  In  der  Dar- 
stellimg des  Hippolyt  verräth  sich  die  stoische  Quelle  noch 
stark  in  der  Benutzung  Homers.*  Aeltere  und  jüngere 
Schichten  liegen  offenbar  übereinander;  aber  diese  ganze 
religionsmischende  Mystik  geht  weit  über  den  Beginn  unserer 
Zeitrechnung  hinaus. 

Doch  zurück  zu  den  Hermetischen  Schriften.  Bestimmte 
Schriften  und  Lehren  der  aegyptischen  Religion  setzt  im 
Grimde  auch  Chairemon  voraus,  wenn  er  versichert,  in  der 


1  Vgl.  Cornutus  Kap.  i6  oi  b'  dpxaioi  xcO;  uev  TTpeaßuT^pou?  Kai  Y^vei- 
lüvxa?  'Epnäq  öp6ä  ^iroiouv  xd  aiboia  exovxaq,  xou^  be  veuux^pouc;  Kai 
Xeiouq  irapeiu^va,  uapiöxctvxec,  öxi  dv  xoTc;  irpoßeßriKÖai  xaTc  riXiKiai?  yövilio«; 
ö  XÖYOC  Kai  xeXeiöc  ^öxiv,  ^v  be  xoi?  ddjpoK;  äYovo;  Kai  dxeXiic. 

^  Auf  diese  Quelle  weisen  auch  die  immer  wiederkehrenden  Etymologieen, 
besonders  deutlich  die  des  AittöXo?  bei  den  Phrygern,  der  von  dem  dei  kukXciv 
Koi  iroXeiv  genannt  ist  (vgl.-  Plato  Kratylos  408  C  D).  Zahlreich  sind  auch  die 
Beziehungen  auf  aegyptische  Anschauungen  und  verdienten  wohl  näheres  Ein- 
gehen. Hermes  und  Logos  werden  also  hier  älter  sein,  als  der  mit  ihnen  natürlich 
identificirte  Christus.  Die  Identification  erklärt  uns  übrigens  den  schon  von 
Minucius  Felix  (9,  4)  erwähnten  Vorwurf  gegen  die  Christen  ain  eos  ferunt 
ipsius  antistitis  ac  sacerdotis  colere  genitalia  et  quasi  parentis  sui  adorare  na- 
turam.  Es  hat  solch  wimderliche  Logosverehrer  zweifellos  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  gegeben,  wenn  sie  auch  Minucius  nicht  kannte 
und  selbstverständlich  nicht  als  Christen  anerkennen  konnte. 


IL  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  97 

Lehre  der  Aegypter  nur  die  stoischen  Sterngötter  gefunden 
zu  haben, '  und  desselben  Glaubens  scheint  schon  sein 
Grossvater  gewesen  zu  sein  (Strabo  XVII  806).  In  dem 
vernachlässigten  Heliopolis  fand  freilich  Aelius  Gallus  die 
Priester  zu  blossen  iepofroioi  und  eEiiTlfcii  herabgesunken; 
nur  die  Häuser  der  grossen  Griechen,  die  hier  die  wahre  Weis- 
heit erlernt  haben  sollten,  wusste  man  noch  zu  zeigen.  Aber 
der  Priester  aus  der  Hauptstadt  machte  den  Anspruch 
Astronom  und  Philosoph  zu  sein.  Man  muss,  um  die  Be- 
hauptungen des  Chairemon  recht  zu  würdigen,  die  Schilde- 
rungen des  Plutarch  lesen,  der  ja  den  Nachweis  erbringen 
will,  dass  sich  die  Lehren  der  aegyptischen  Priester  noch 
besser  mit  der  platonischen  als  mit  der  stoischen  Philo- 
sophie verbinden  lassen  {de  Is.  et  Osir.  Kap.  48);  auch  er 
betont  die  ayveia  der  priesterlichen  Philosophen  (Kap.  6);  auch 
er  scheidet  zwischen  der  grossen  Masse  und  den  (JoqpuuTepoi 
Tüuv  iepeujv.  Aber  die  Hauptsache  ist  doch,  dass  das  Gewirr 
der  verschiedenen  Erklärungen,  die  er  vorbringt,  wirklich 
eine  Art  von  qpiXodoqpia  ist,  mehr  oder  minder  von  griechi- 
schem Denken  beeinflusst.  Auf  eine  gewisse  Art  der  Be- 
theiligung aegyptischer  Priester  an  der  griechischen  Philo- 
sophie weisen  doch  auch  zwingend  jene  aegyptischen  Einflüsse, 
die  ich  breiter  als  dem  Leser  wohl  lieb  war,  nachzuweisen 
mich  bemühte.  Die  Person  des  Philosophen  nimmt  in  der 
Kaiserzeit  einen  eigenthümhch  priesterlich -religiösen  Zug 
an  —  ist  das  denkbar,  wenn  nicht  seit  langem  orientalische 
Priester  die  Philosophen  spielten?  Was  Chairemon  über 
die  Reinheit  und  Enthaltsamkeit  der  oberen  Priesterclassen 
berichtet,  soll  natürlich  ihn  selbst,  den  lepoTpajuiLiaTeu^,  ins 
rechte  Licht  stellen;  aber  es  bietet  doch  auch  auffallende 
Parallelen  zu  dem,  Avas  von  Apollonios  von  Tyana  erzählt 
wird.  Als  der  jugendhche  Seneca  als  Philosoph  solche 
d-fveiai  auf  sich  zu  nehmen  beginnt,  muss  er  den  Verdacht, 


*  Genaueres  über  seine  Lehre  bietet  Lucan  X  194  in  der  Geheimlehre 
des  Priesters  Acoreus;  es  ist  interessant,  dass  er  in  ihrer  Einführung  fühlbar 
auf  die  romanhafte  Einkleidung  bei  Leon  von  Pella  Bezug  nimmt. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  7 


98  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Anhänger  aegyptischer  Geheimlehren  zu  sein,  fürchten.  *  An 
die  Geschichte  des  Neupythagoreismus  brauche  ich  ja  nur 
zu  erinnern;  auf  Betheiligung  der  Priester  scheint  mir  auch 
hier  die  so  rasch  sich  eindrängende  jo^reiu  zu  weisen.  Aber 
die  nächste  und  natürlichste  Verbindung  blieb  doch  die 
aegyptischer  und  stoischer  Lehren,  mochten  auch  diese  sich 
gerade  hierbei  mit  manchen  aus  anderen  Sj^stemen  ent- 
nommenen Einzelheiten  verbinden.  Ohne  die  Voraussetzung 
alter  Zusammenhänge  finde  ich  die  Thatsache,  dass  schon 
unter  Claudius  einer  der  höchsten  aeg3'ptischen  Priester 
zugleich  üfficieller  V^ertreter  der  stoischen  Philosophie  ist 
und  beide  Eigenschaften  derartig  betont  wie  Chairemon, 
so  merkwürdig,  dass  ich  mich  wundere,  wie  wenig  sie  Ver- 
wunderung erregt  hat.  ^  Wü*  sehen  vor  und  unter  Augustus 
zwei  namhafte  Vertreter  der  Stoa  in  Alexandiien  in  einfluss- 
reichen Stellimgen,  Areios  Didymos  und  Theon,  und  wenn  die 
Nachricht,  dass  Augustus  ersteren  zu  seinem  Stellvertreter 
in  Aegypten  machen  AvoUte,  etwas  besser  verbürgt  wäre, 
begreifhch  Aväre  der  Beschluss  sehr  wohl  gewesen.  Die 
sacrale  Erbschaft  der  Pharaonen  und  Ptolemaeer  hat  Augustus 
sofort  bei  der  Eroberimg  übernommen, ''  ihn  hierin  zu  ver- 
treten, war  der  Stoiker  ganz  besonders  geeignet;  die  mili- 
tärische und  politische  Verwaltung  mochte  unter  ihm  oder 
neben  ihm  ein  Beamter  von  Beruf  übernehmen.  Dass  man 
die  aegyptische  Religion  nicht  als  einen  national  beschränkten 
Kult,  sondern  als  eine  Art  Philosophie  oder  stoische  Religion 
fassen  wollte,  scheint  mir  schon  danach  "wahrscheinHch, 
dass  der  oberste  aegyptische  Priester,  der  Vertreter  des 
Kaisers,  von  Anfang  an  ein  Römer  ist.  Es  ist  immerhin 
möglich,  dass  ein  Anhalt  hierfür  schon  von  den  Ptolemaeern 
gegeben  war. 


•  Episi.  XVIII  5,  22;  Sueton  vi/.  Tib.  36;  Tacitus  annal.  II  85.  Dass  er 
als  Stoiker  über  den  aegyptischen  Kult  schreibt  (wir  wissen  durchaus  nicht, 
ob  in  erster  Jugend),  verdient  ebenfalls  wenigstens  Erw.ähnung. 

*  Von  den  haltlosen  und  sprachwidrigen  Vermutungen  Gruppes  (S.  435) 
darf  ich  wohl  absehen. 

»  Revillout  Revue  egypt.  II  98  ff.  vgl.  Wilcken  Oslralca  I  S.  153. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  99 

Etwas  weiter  führt  vielleicht  eine  Betrachtung  der  Re- 
ligionspoHtik  Caesars.  Hatte  er  in  kleinen  und  verletzenden 
Einzelheiten  sich  aegyptischen  Vorbildern  angeschlossen,  so 
werden  wir  eine  Wirkung  eben  dieser  Vorbilder  bei  den 
grossen  und  wichtigen  Zügen  um  so  lieber  annehmen.  Gewiss 
geschah  es  zunächst  aus  rein  persönlicher  Ueberzeug-ung, 
Avenn  Q.  Mucius  Scaevola  stoische  Lehre  und  Betrachtungs- 
weise auf  die  römische  Religion  übertrug  und  die  vereinzelte 
Benutzung  dieser  Betrachtungsweise  im  praktischen  Leben 
mag  der  Interessenpolitik  einzelner  Kreise  angehören, '  bei 
Caesar  düi'fen  wir  annehmen,  dass  er  ein  richtiges  Empfinden 
für  die  Bedürfnisse  des  Weltreiches  und  für  die  politische 
Wichtigkeit  einer  Philosophie  hatte,  die  allen  Religionen 
gleichmässig  gerecht  werden  konnte,  weil  sie  in  allen  nur  sich 
selbst  wiederfand.  So  liess  er  sich  als  pontif ex  ruaximns 
dui'ch  Varro  ein  System  der  römischen  Religion  im  wesent- 
lichen nach  der  Lehre  des  Poseidonios  zurechtstellen.  Der 
wunderlich  nationalistische  Versuch  einer  Neubelebung  der 
dii  niinuti  war  dabei  unwesentlich  genug,*  wichtig  die 
philosophische  Rechtfertigung  der  dii  selecti.  Wieweit 
Varro  in  seinen  Zugeständnissen  an  den  Dictator  ging,  zeigt 
die  fast  persönlich  gefärbte  Rechtfertigung  der  von  Caesar 
behaupteten  götthchen  Abstammung:^  solcher  Glaube  ist 
nützlich,  ut  eo  modo  animus  humanus  velut  divinae  stirpis 
fidiiciam  gerens  res  magnas  adgrediendas  praesmnat 
audacius,  agat  vehementius  et  ob  hoc  impleat  ipsa  sectiri- 
tate  felicitts.^ 


1  Der  Process  über  die  Steuerfreiheit  des  Tempelgutes  des  Amphiaraos, 
also  des  Gottes,  den  Poseidonios  (bei  Strabo  XVI  762)  mit  Moses,  Orpheus 
u.  a.  als  Menschen  bezeichnet,  mag  manches  Gegenstück  gehabt  haben. 

'^  Augustus  liess  sie  sofort  wieder  fallen,  vgl.  Festus  154  Mutini  Titini 
sacellum. 

•*  Agahd  a.  a.  O.  154  (vgl.  die  Anmerkung). 

*  Dass  Varro  im  Sinne  Caesars  arbeitete,  hatte  schon  Mommsen  Rom. 
Gesch.''  III  494  angedeutet,  wenn  er  auch  mehr  den  conservativen  Zug  als  den 
Geist  kühner  Neuerung  in  Varros  Werk  hervorhob.  Danach  hatte  W.  Studemund 
kurz  vor  seinem  Tode  Reinh.  Agahd  als  Ziel  bezeichnet,  die  Religionspolitik 
Caesars  in   Varros    Resten  nachzuweisen.    Ich  widersprach   damals,   da  ich  in 

7* 


100  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

In  der  That,  die  späteren  Ptolemaeer  oder  ihre  Minister 
wären  blind  gewesen,  wenn  sie  die  politische  Bedeutung  der 
Stoa  gerade  für  ihr  Land  nicht  erkannt  hätten,  und  da  die 
Priester-Ernennung  und  Beförderung  in  ihrer  Hand  lag, 
konnten  sie  wenigstens  in  einzelnen  wichtigeren  Collegien, 
besonders  der  Hauptstadt,  leicht  griechisch,  d.  h.  philoso- 
phisch gebildete  Männer  in  die  einflussreichen  Stellungen 
bringen.  Sie  folgten  damit  nur  dem  allgemeinen  Zuge  der 
Zeit  und  einer  echt  hellenistischen  PoHtik. 

Ich  habe  mich  gemüht,  die  für  ims  so  befremdliche 
religiöse  Vorstellung,  dass  die  Rede  an  sich  zugleich  eine 
göttUche  Persönlichkeit  ist,  durch  die  Vereinigung  stoischer 
und  aegyptischer  Theorien  zu  erklären.  Dass  diese  Vorstellung 
wenigstens  im  zweiten  Jahrhimdert  n.  Chr.  in  der  helle- 
nistischen Welt  verbreitet  war,  sollte  dem  Philologen  be- 
kannt sein.  Für  ihr  höheres  .\lter  zeugt  aber  auch  Philo ;  denn 
die  wunderlichen  Inconsequenzen  in  seinen  Aussagen  über 
den  Logos  lassen  sich  meines  Erachtens  nur  erklären,  wenn 
religiöse  Vorstellungen  von  diesem  schon  in  verschiedenem 
Sinne  ausgebildet  waren  und  Philo  sie  voraussetzen  kann 
und  sich  ihnen  in  verschiedener  Weise  anpasst.  So  kehre 
ich  denn  noch  einmal  zu  dem  hellenistischenjudenthum  zurück. 

Wann  man  begann,  den  aegyptischen  Geber  der  ewigen 
Gesetze  Thot  und  den  Geber  des  jüdischen  Gesetzes  Moses 
mit  einander  in  Verbindung  zu  biingen,  will  ich  hier  nicht 
erörtern.  Gewiss  ist,  dass  die  relativ  junge  Kindheits- 
geschichte Mosis  im  Alten  Testament  dem  sehr  entgegen 
kommen  musste,  falls  sie  nicht  direct  A'on  einem  AifuTrrioq 
Xöfog  becinflusst  ist.  Dass  Ai'tapanos  seinen  Moses  voll- 
ständig mit  dem  aegyptischen  Hermes  identificirt,  haben  wir 


ihr  nur  eine  Nachahmung  ptolemaeischer  Religionspolitik  zu  finden  glaubte; 
dass  sich  beides  vereinigen  lässt,  habe  ich  erst  später  gesehen.  —  Die  Rolle, 
welche  Varros  Werk  noch  in  der  Zeit  "der  Kirchenväter  spielt,  zeigt,  dass  es 
später  wieder  eine  Art  officieller  Geltung  erhalten  hat;  sie  ist  aus  der  dogma- 
tischen Bedeutung  zu  erklären,  welche  die  stoische  Theologie  an  den  verschie- 
densten Stellen  gewinnt. 


IL  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  101 

gesehen;  selbst  die  officielle  Etymologie  'Epfifjcg  änb  toö  epiuii- 
veueiv  nimmt  er  auf.  In  denselben  Vorstellungskreis  weist 
es  uns,  wenn  Eupolemos  den  Moses  zum  Erfinder  der  Buch- 
staben macht.  ^  Man  soll  die  Bedeutung  und  Verbreitung 
des  Moses-Romans  nicht  unterschätzen.  Noch  losephos  findet 
ihn  gut  genug  bezeugt,  um  wenigstens  die  Geschichte  des 
Aethiopen-Krieges  ihm  zu  entnehmen  und  in  die  Berichte 
aus  dem  alten  Testament  einzusetzen.  Wenn  er  dabei  erzählt, 
dass  jMoses  gegen  die  giftigen  Schlangen  Aethiopiens  die  Ibis, 
das  heilige  Thier  Thots,  in  Käfigen  mit  sich  führt  und  dann 
loslässt,  so  erkennen  w^ir  Philologen  darin  sofort  eine  ältere 
Fassung,  nach  der  das  heilige  Thier  des  Gottes  das  Heer 
mit  Nothwendigkeit  begleitet  rmd  zu  seinem  Siege  beiträgt. 
Das  weist  auf  einen  von  aegyptischem  Standpunkt  geschrie- 
benen Mythos  ganz  ebenso,  wie  des  Artapanos  Bericht, 
dass  Moses  den  Kult  des  Apis  ja  die  ganze  aegyptische 
Religion  gelehrt  habe.-  Die  Nachwirkungen  dieses  Romanes 
sehen  wir  noch  heut  in  Zeitungsannoncen;  durch  ihn  ist 
Moses  der  grosse  Zauberer  und  Verkünder  geheimer  Weis- 
heit geworden,  als  den  ihn  uns  zunächst  die  späten  Zauber- 
pap3Ti  schildern.  Aber  auch  die  griechische  Philosophie 
hat  bekanntlich  die  Auffassung  von  Moses  beeinflusst.  Echt 
stoisch  muthen  uns  die  Sätze  des  Aristeas  an  (161)  vevoino- 
öexritai  TTpö<;  dXiiöeiav  Kai  arnueiuucjiv  6p6oü  Xotou  imd  (139j 
cruv9eujpiT(Ta(;  oöv  eKacria  aocpög  oiv  ö  vo)uo9eTri<s,  uttö  Geoö 
KaT6crKeua(J|aevo(;    ei<;    eTTiYvujaiv    tüjv    dTrdvTuuv.^    Das 


'  Eusebios  praep.  ev.  IX  26  =  431  c  EÜTTÖXe|noi;  hi  qpiim  töv  Muuafiv 
TTpiiJTOv  (joqpöv  YGveaÖai  Kai  Ypoi|u^iaTa  Ttapaboövai  toTi;  'loubaioK;  -irpiu- 
Tov,  TTapä  be  'loubaiujv  OoiviKai;  uapaXaßciv,  "EWrjvac;  b^  irapa  (Doivikujv, 
vö|Liou^  re  TtpüJTOv  YP^MJCii  Mujafjv  toT(;  'loubaioK;.  Die  weitere  Erklärung  giebt 
Augustin  de  civ.  dei  XVIII  39.  Hieraus  wird  dann  weiter  die  Behauptung,  Mu- 
saios  habe  die  Buchstaben  erfunden  (Gramer  Anecd.  Ox.  IV  318,  16). 

/\  Dass  losephos  in  diesen  Abschnitten  den  Artapanos  selbst  benutzt,  ist 
wenig  glaublich.  Moses  und  den  aegyptischen  Hermes  nennt  als  die  Weisen, 
die  Gott  am  nächsten  gekommen  sind  und  ihn  geschaut  haben,  das  Orakel 
bei  Buresch  Klaras  108;  zu  ihnen  ist  Apollonios  von  Tyana  gefügt. 

*  Vgl.  die  Assumptio  Mos.  Kap.  I :  qui  ab  initio  orbis  terrarum  praepa- 
ratus  suvi,  ut  sim  arhiter  testamenti  illius. 


102  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Gegenstück  bietet  Philo,  der  in  der  Biographie  des  Moses 
ihn  als  den  vollkommenen  Weisen  im  Sinne  Piatos,  aber  zu- 
gleich in  religiös-m3'stischen  Farben  schildert,  xg\.  I  1  Muuu- 
creujq  Toö  Kaid  laev  riva?  voiuioOerou  tüjv  'loubaiujv,  Kaid  bi  Tivaq 
epiLiriveuuq  vö)iijuv  iepüuv  töv  ßiov  dva-fpavi^ai  öievoii8riv  —  I  28 
xdxa  bi,  67161  Kai  vo|Lio9eTri^  eiaeXXev  ecrecrGai,  rroXu  irpÖTepov  auiöq 
efiveTO  vö.uoq  eiivpuxc)?  le  xai  Xo^iköc,  6eia  TTpovoia,*  fiTi<; 
dfvooüvTa  auTÖv  eiq  vo)uo9eTriv  ex^ipoTÖvricrev  au6i(;  —  III  39 
XpövoK;  b'üatepov,  eTreibii  iriv  evOevöe  diroiKiav  e^ieXXev  eiq 
oüpavöv  (JieXXeaSai  Kai  töv  övriiöv  dTroXiTTÜJV  ßiov  dnaöavaii- 
leüQai,  ueraKXriOeiq  üttö  toü  TTaTp6<;,  bc,  auiöv  budba  övra, 
auj^a  Kai  HJUxriv,  de,  |Liovdbo<g  dvecTTOixeioÖTO  (pvaiv,  öXov  bi'öXuuv 
|ae6ap^oZ;ö)aevo^  ei^  voüv  rjXi oeibecnaTOV.  Wieder  von 
anderem  Standpunkt  bespricht  Poseidonios  bei  Strabo  (XVI 
762)  die  Thätigkeit  des  Moses,  an  dem  Philo  ja  besonders 
hervorhebt,  dass  er  als  Gesetzgeber  nur  die  Gebote  Gottes 
und  zugleich  als  Seher  die  Zukunft  verkündet  habe,  ja  dass 
er  schon  als  Mensch  habe  eingehen  dürfen  in  die  Wolke, 
die  den  Herrn  verhüllt,  und  im  Tode  zu  ihm  zurückgekehrt  sei. 
Derartiges  muss  dem  Poseidonios  auch  vorgelegen  haben, 
wenn  er  zunächst  Minos,  den  A\öq  öapicTTriq,  vergleicht  und 
dann  zu  Amphiaraos,  Trophonios,  Orpheus,  Musaios  und 
Zamolxis  übergeht,  der  ja  auch  jetzt  bei  den  Geten  als 
Gott  gilt,  wiewohl  er  Schüler  des  P3thagoras  war;  Seher 
imd  Gesetzgeber  wurden  A'on  jeher  von  den  Menschen  für 
Götter  gehalten.*  Poseidonios  selbst  thut  es  in  diesem  volks- 
thümlichen  Sinne  nicht ;  aber  er  findet  als  Stoiker  diesen  Glauben 


*  Vgl.  II  I  ^Y^veTO  irpQvoia  6eo0  u.  dergl.  Alle  Ausdrücke  entsprechen 
der  griechischen  Philosophie  wie  den  im  Judenthum  auch  sonst  entwickelten 
Vorstellungen  (vgl.  Hamack  Dogmengeschichte^  I98);  aber  sie  passen  zugleich 
für  den,  der  in  ihm  den  philosophisch  gefassten  Thot-Hermes  oder,  wenn  man 
will,  den  Logos  sieht.  Ueber  Hermes  als  Sohn  der  Isis-irpövoia  vgl.  oben 
S.  88  A.  2. 

*  Strabo,  der  weniger  Sinn  für  das  Mystische  hat,  erweitert  die  Reihe 
recht  ungeschickt  und  zieht  selbst  die  römischen  haruspkes  seiner  Zeit  mit 
heran;   in  die  alte  Vorlage  gehören  nur  die  namhaften   Seher  und  Gesetzgeber. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  lOo 

für  natürlich  iind  nützlich. '  Nicht  nur  aus  dem  orientalischen 
Empfinden,  sondern  auch  aus  der  hellenistischen  Mystik  ist 
jene  Weiterbildtmg  zu  erklären,  die  in  dem  dVfeXoq  Geoö  eine 
Art  göttliches,  dem  ^öjoq  entsprechendes  Wesen  sah.'-  Für 
ihre  Verbreitung"  spricht  auch  der  Prolog  des  Johannes-Evange- 
liums. Denn  mit  Recht  macht  Baldensperger  (a.  a.  O.  S.  81  ff.) 
auf  den  polemischen  Charakter  der  unmittelbar  auf  die  Er- 
wähnung des  Moses  folgenden  Worte  des  Johannes-Pro- 
loges aufmerksam  9eöv  oüöeiq  eujpaKev  iranroTe-  jaovoYeviiq 
uiö<;  6  ujv  eiq  töv  köXttov  toö  iraTpötg,  eKeivoi;  k.^TiYfY\üaTO  und  auf 
ihre  schwere  Wiederholung  6,  46  oux  öti  töv  Trarepa  euupaKev 
Tiq,  ei  |ari  6  ujv  uapa  Geoü-  ouToq  eojpaKev  töv  iraTepa  und  3,  13  Kai 
oubeiq  dvaßeßriKev  eiq  töv  oüpavöv,  ei  |iri  6  ck  toö  oupavoö  xaTa- 
ßdq,  6  uiöq  TOÖ  dvGpujTTou.  Mit  Recht  verweist  er  zugleich  auf  die 
apokalyptische  Litteratur,  in  der  das  griechische  Element 
ja  z.  Th.  sehr  stark  hervortritt;  die  Himmelfahrten  der 
grossen  Propheten  und  ihr  Durchwandern  der  sieben  Himmel 
finden  ihre  Parallele  in  den  Hermes-Dichtimgen  und  beweisen 
deren  Verbreitung  und  Wirksamkeit. 

Dass  ich  hier,  wo  ich  doch  nur  eine  Kleinigkeit  zu 
dem  längst  von  Anderen  gesammelten  Material  hinzufügen 
und  einen  Faktor  in  der  Entwicklung  hellenistischer  Mystik 
etwas  stärker  hervorheben  konnte,  meine  persönliche  Auf- 
fassung der  Evangelien -Stelle  beigefügt  habe,  möge  der 
Leser  mit  der  Besorgnis,  in  diesen  Fragen  missverstanden  zu 
werden,  entschuldigen.  Die  weiteren  Vorbereitungen  der 
Logos-Lehre  in  der  jüdischen  Litteratur  zu  verfolgen,  vermag 
ich  nicht.    Nur  auf  eine  Einzelheit  darf  ich  bessere  Kenner 


'  Auf  die  gesteigerte  Verehrung  des  Moses  bei  den  Essenern  und  den 
Therapeuten  hat  Dieterich  Abraxas  145  und  147  aufmerksam  gemacht. 

2  Vgl.  Harnack  Doginengeschichie^  1 98.  Wenn  in  der  dort  citirten 
Stelle  der  irpooeuxri  'lujarjqf)  Jakob  von  sich  sagt  äYTtXo(;  Beou  ei|ai  i'^w  Koi 
uveöiaa  dpxiKÖv,  so  empfinde  ich  in  dem  erklärenden  Zusatz  das  Wirken 
der  hellenistischen  Mystik.  Was  mit  Moses  geschah,  konnte  natürlich  auch  mit 
anderen  Propheten  geschehen  und  ist  wahrscheinlich  auch  mit  Johannes  dem 
Täufer  geschehen,  an  den  sich  ja  eine  eigene  Gemeinde  angeschlossen  hatte. 


104  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Aielleicht  aufmerksam  machen,  die  uns  zugleich  zu  unserm 
Ausgangspunkt,  dem  Schöpfungsmj^hos,  wieder  zurückführt. 
Schon  lange  vor  der  hellenistischen  Zeit  hatte  das 
Götterpaar  Osiris  und  Isis  sich  über  ganz  Aeg3'pten  ver- 
breitet und  die  alten  Götter  verdrängt  oder  mit  sich  ver- 
bunden ;  auch  für  Re  und  Thot  waren  Osiris  und  Isis  schon 
als  Sonne  und  Mond  eingetreten  und  damit  folgerichtig 
auch  als  Schöpfer  der  Welt  (Hekataios  bei  Diodor  I  11 1. 
Die  Osiris-Sage  veranlasste  die  schon  vor  Herodot  voll- 
zogene Vergleichung  mit  Dionysos;  sie  führte  zu  der  An- 
gleichung  dieses  Kultes  mit  den  orphischen  Lehren;  aber 
sie  führte  auch  zu  der  früh-hellenistischen  Uebertragung 
der  allgemein  bekannten  Sage  von  dem  Zuge  des  Dionysos. 
\Me  dieser  durchwandert  Osiris  die  ganze  Erde,  die  Gaben 
der  Kultur  überallhin  tragend;  und  wie  der  Osü^is  dieser 
Sage  zieht  in  der  Ptolemaeerzeit,  ja  zum  Theil  schon  vorher, ' 
der  aeg5'ptische  Kaufmann  und  mit  ihm  der  aeg^'ptische 
Priester  durch  die  ^^^elt,  überallhin  den  Kult  der  beiden 
Gottheiten  tragend.  Denn  missionirend  tritt  wenigstens 
seit  der  Ptolemaeerzeit  dieser  Kult  auf  und  er  verfügte  in 
seinen  M3'sterien  über  das  grosse  Mittel,  sich  allem  Einzel- 
kult anzupassen,  2  und  den  grossen  Reiz  für  die  offen- 
barungsdurstige Welt,  während  die  Mysterien  des  Thot  früh 
A'erblasst  und  schwerlich  über  Aegypten  herausgedinngen 
sind.  Dass  Osiris  es  sei,  der  unter  anderem  Namen  unter 
verschiedenen  Völkern  des  Orients  verehrt  werde,  ist  offen- 
bar die  Behauptimg,  welche  Ptolemaios  Soter  der  Ueber- 
nahme  des  Gottes  Serapis  zu  Grunde  legte,  und  im  zweiten 
Jahrhundert  v.  Chr.  hat  sich  die  \'^erschmelzung  der  phr}-- 
gischen  und  aegyptischen  Tradition  auf  Grund  der  Isis- 
Mj'sterien  vollzogen.  *    Es  lag  dabei  nahe,  die  Göttin  Isis  in 


•  Vgl.  die  bekannte  Inschrift  Corp.  hiscr.  Att.  II  i68. 

*  Vgl.  besonders  Corp.  Ivscr.  Graec.  II  2295  mit  den  Bemerkungen. 

'  Vgl.  oben  S.  94,  95-  In  Pompeji  finden  wir,  wie  B.  Keil  mir  zeigt,  schon 
kurz  vor  dem  Beginn  unserer  Aera,  eine  phrygische  Kultgemeinde  (ein  iroXl- 
T€U|Lia,  wie  es  nach  Corp.  Inscr.  Graec.  III  5361  die  Juden  z.  B.  in  Berenike 
haben),  die  nach  aegyptischen  Jahren  rechnet,  vgl.  Kaibel  Corp.  Inscr. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  105 

ein  ähnliches  Verhältnis  zu  Osiiis,  dem  Spender  der  Ge- 
setze und  der  Kultur,  zu  bringen,  wie  Thot  zu  Rfi  stand. 
Als  weise  Göttin,  als  Zauberin,  als  die  „klügste  aller  Götter" 
erscheint  sie  schon  in  der  aegyptischen  Litteratur  * ;  als  Erfin- 
derin der  Hymnen  schon  bei  Plato  {leg.  II 657  Aj,  als  die  eigent- 
liche Gesetzgeberin  und  zugleich  als  Lehrerin  des  Getreidebaus 
in  der  ptolemaeischen  Stele  bei  Diodor  I  27.  ^  Es  ist  sehr 
beachtenswerth,  wie  schon  auf  diesem  sicher  aegyptischen 
Text  Osiris  ganz  ziu-ücktritt.  Nicht  mehr  als  die  Rolle  des 
Triptolemos  bleibt  ihm.  So  wird  Isis  bei  Hekataios  und 
Andern  zur  Arnurinip  96{J|uocpöpoq.  =*  Aber  wie  sie  auf  der 
Stele  als  Schülerin  des  Hermes  erscheint,  so  kann  Plu- 
tarch  (Kap.  3)  von  ihr  berichten:  en  ttoWoi  |uev 'Epinoö,  ttoX- 
Xoi  öe  TTpo|uii9ea)(;^  icriopiiKaaiv  auu^v  öuYaiepa"  iLv  töv  |uev 
eiepov  aoqpiaq  Kai  Tipovoiag,  'Epmiv  öe  Ypa|H|LiaTiKfjq  Kai  |uou- 
aiKfi^  eupeniv  vo)LiiZ;ovTe(S.^  öiö  Kai  tojv  ev  'Epiaoü  iröXei  Moucrüjv 
Trjv  TTpoxepav  ^IcTiv  ä|aa  Kai  AiKaiocfuvriv  KaXoöm,  ®  0"o(pr]v  oudav, 
ujCTirep  eipiixai,  Kai  beiKvuouö'av  xd  Geia  xoTq  dXiiBüuq  Kai 
biKaiujc;  iepaqpopoKg  Kai  lepoaxöXoiq  T:poaaYopeuo|U£Voi(;.    Sie  ist 


Graec.  Sic.  Ital.  701  Faio«;  'loüXio?  'Hqpaiariujvo^  uiöq  'HqpaicJTiuuv  iepaTeüöac; 
ToO  iTo\iTeu|LiaTO(;  tüjv  OpuYuJv  dveöriKe  Aia  OpÜYiov  L  kL  Kaiaap[oi;]  Oap- 
|uo0[6i]  ZeßaaTf). 

*  Sie  erscheint,  wie  Thot,  als  Verfasserin  des  sacralen  „Buches  des 
Athmens"  (W.  Spiegelberg  Demotische  Studien  I  S.  13). 

-  Kai  öaa  i'^yi)  ^voiuioOeTricJa,  oübei(;  aOxd  bOvaxai  \Oeiv.  „Deine  Gesetze 
sind  unverbrüchlich,  wie  die  des  Thot"  wird  der  Pharao  in  Aegypten  an- 
gesprochen. 

^  Vgl.  Diod.  I  14  und  Leon  von  Pella  bei  Clemens  Strom.  I  106. 

*  So  schon  Istros  bei  Clemens  Strom.  I  106.  Zu  verstehen  aus  Aischylos. 
•''  Vgl.  Augustin  de  civ.  dei  XVIII  40,   wo   sie   als   Erfinderin   der   Buch- 
staben erscheint. 

*  Auf  das  wichtigste  Zeugniss  Corp.  Inscr.  Graec.  II  2295  macht  B.  Keil 
mich  aufmerksam.  Schon  im  Jahre  115/114  v.  Chr.  (vgl.  Kirchner  Gott.  gel. 
Anz.  1900  S.  470)  stiftet  ein  Serapis-Priester  auf  Delos  ein  Weihgeschenk  "löibi 
AiKaiOGUvri.  Die  Doppelbezeichnung  entspricht  genau  der  des  'Ep]ufj^  AÖYO? 
und  belegt  trefflich  das  Eindringen  derartiger  Abstractionen  in  das  Gottes- 
Empfinden  der  Zeit. 

^  Kaibel  Epigr.  graec.  1028  V.  51  8aaa  b'  i\xbc,  Yviiif^iuv  vÖ0(;,  ei(Jlb[e, 
Xeipi  KpaToOöa]  ic,  Tr^pa(;  löuvai. 


106  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

die  Weisheit,  die  eiaig  (von  eiöevai),  also  auch  die  fvuJff»«;. 
Wie  Hermes  femer  der  Gott  alles  Lebens  und  Werdens  ist, 
so  tritt  in  anderen  Fassungen,  in  denen  die  Mondgöttin  wieder 
stärker  hervortritt,  Isis  als  Viv^axc,  neben  den  Mondgott 
Osiris;  von  ihr  gehen  die  YevvnxiKai  dpxai  aus/  Von  hier 
aus  will  der  junge  Isis-Hymnos  (bei  Kaibel  Epigr.  gr.  1028) 
verstanden  werden,  wenn  er  in  Isis  nicht  nur  die  Erfinderin 
der  Buchstaben,  die  Offenbarerin  des  iepöq  Xöto?,  die 
eeaiaoedxi?  laepoTTuuv  und  die  Göttin  der  Zeugung  und  Geburt 
schildert,-  sondern  ihr  nun  auch  die  Ordnung  des  Weltalls 
in  derselben  Weise  überträgt,  wie  das  neugefundene  Lied 
dem  Hermes: 

EicTiq  efuiJ  TToXußouXoq    

Ktti  xööva  liubaXeav 

ic,  KpicTiv  ujpavioiai  ku 

dipaTTiTÖv  TTXaTKT[fip 

XoHoTTopou  creXdTecr a  Kai  TTupoevrujv 

deXiov  TcdjXuuv  dpiTopa  cpaivo[T:]a  kukXujv 

ic,  TTÖXov  eiGuveaKov,  ['i]v'  €UKÖcr|Lioi(Ti  TTopeiaK; 

olHoveg  iXiTfoicri  uepiKTuiTeovTi  bmuXuj 

vuKxa  biaKpivuucnv  dn'  iiiaaioq. 


'  Plutarch  (•.  43  ovjtuj  Ti\v  'Ooipiboc;  büvauiv  ^v  rf)  aeXrivi^  T\Qivx(.c, 
xriv ''laiv  auTuj  -f^veöiv  ouöav  Guveivai  X^*fouöi.  biö  Kai  urjT^pa  rriv 
aeXnvrjv  toO  KÖauou  KoXoöai...  aurriv  hi  iraXiv  €i^  xöv  ä^pa  upoituevriv 
YevvrjTiKÜ^  hpxäc,  xai  KaTaaireipouaav.  Ist  doch  Isis  dem  Aegypter  „die  Spenderin 
des  Lebens"  (Ti-anch),  ja  das  Leben  selbst  (Anchit),  die  Göttin  des  grünen  Acker- 
feldes (vgl.  Brugsch  Religion  d.  Aeg.  649.  653).  Als  solche  gleicht  sie  sich  der 
kosmischen  Aphrodite  an  (ebenda  654).  Wird  doch  die  Zeugungslust  und 
Zeugungskraft  aller  Wesen  auf  Inschriften  mit  der  Mondgottheit  in  Verbindung 
gebracht  (ebenda  335). 

2  übe  -ffv^eXaq  dpxäv  dvbpi  y^vuiko  auvcxYa-fov  eO  re,  aeXdvac  ic, 
beKÜrav  ivveiba,  reGoXÖTO^  apriov  ^pfou  q)^TTO<;  ^it'  äpTiyovov  ßpt'.flpo«; 
d-fOTOv.  Natio  nennt  Cicero  de  deor.  nat.  III  47  eine  Göttin,  die  hierfür  sorgt. 
Aber  Lukrez,  der  ja  oft  genug  der  Etymologie  folgt,  meint  in  dem  berühmten 
Prooemium  1  21  quae  quoniain  reruiii  naturavi  sola  guberuas  mit  dem  Wort 
natura  mehr  die  -f^veoi^  als  die  qpuoiq  (in  altem  Sinn)  und  baut  darauf  seinen 
Schluss.  Vgl.  Athenag.  28,2  Schwartz  "loiboc,  »iv  qpüöiv  atiuvoc;,  il  f)?  irolvTe? 
?q)UOav  Kai  bi'  f|q  Tcdvxec;  eiaiv,  X^foucfiv,  Apul.  XI  5  rerum  uaturae  parens, 
eleinentorum  omnium  doniinu. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  107 

Doch  wir  gewinnen  aus  diesem  Liede  gleich  noch  etwas 
mehr.  Die  Herausgeber  finden  zu  dem  Anfang  der  Metamor- 
phosen wenig  zu  bemerken ;  mich  hatte  der  Vers  Mctmn.  I  21 
haue  dciis  et  inelior  litem  natura  diremit  oft  gequält,  bis  ich 
erkannte,  dass  es  die  Teveaiq,  d.  h.  Isis,  ist,  die  hier  mit  einem 
Gott  zusammen,  der  vielleicht  schon  in  der  Quelle  Ovids 
unbestimmt  gelassen  war, '  die  biaKÖ(j|ari(ji(;  vollzieht.  Wenn 
der  Leser  früher  vielleicht  gezweifelt  hat,  ob  Claudian  nicht 
seine  Schilderung,  die  ich  als  selbständig  betrachtete,  einfach 
aus  0\A6.  entlehnt  hat,  so  genügt  es  jetzt  wohl,  auf  die  Worte 
veterem  qua  lege  tiimiiUiim  discrevit  Natura  parens  et 
semina  iustis  discessere  locis  zu  verweisen.'  Wir  erinnern 
uns  jetzt,  dass  in  dem  von  Dieterich  besprochenen  Welt- 
schöpftmgsmythos  nach  Hermes,  dem  Nouq,  die  fevva  er- 
scheint TidvTUJV  KpaToöcJa  (TTTOpdv,  h\  r[<;  xd  TTdvxa  eairdpiT,  ^  wie 
ja  bei  Plutarch  Isis  auch  die  Tochter  des  Hermes  ist.  Schon 


1  quisquis  fuit  ille  deoruin.  Möglich  ist  freilich  auch,  dass  Ovid  selbst 
den  aegyptischen  Namen  nicht  nennen  wollte;  auch  natura  hat  er  absichtlich 
doppelsinnig  gebraucht. 

*  Auch  bei  dem  grossartigen  Bilde  de  cons.  Stil.  II  424  ff.  und  in  dem 
Vergleich  de  quarto  cons.  Hon.  197  spielen  Vorstellungen  aus  den  Isis-Mysterien 
eine  Rolle.  Besonders  letztere  Stelle  zeigt,  wie  lebhaft  die  Identität  der  Natura 
mit  der  'IcTii;  AiKaioaüvri  empfunden  wird.  Gerade  weil  bei  Claudian  diese 
aegyptische  Anschauung  noch  stark  hervortritt,  darf  ich  vielleicht  beiläufig  noch 
einmal  auf  sein  (?)  griechisches  Epigramm  auf  Christus  hinweisen,  in  welchem 
dieser  als  das  Auge  des  ersten  Gottes  und  als  dessen  irpuJTÖöiropoc;  cptuvr), 
als  Hüter  der  weisheitsvollen  Schöpfungen  des  ewigen  Feuers,  kurz  als  der 
stoisch-aegyptische  Hermes  gefeiert  wird. 

'  Vgl.  Dieterich  S.  72ff. ,  der  nicht  ganz  mit  Recht  nur  an  die  orphische 
Aphrodite  denkt.  Da  die  Naassener  von  den  Isis-Mysterien  beeinflusst  sind, 
kommt  die  Teved  auch  bei  ihnen  vor.  Die  Identificirung  von  Venus  und  Vesta, 
die  ich  oben  (S.  79)  erwähnte,  und  die  Deutung  beider  Gottheiten  auf  die  Erde 
hängt  hiermit  zusammen.  Auch  die  Tellus  oder  Mater  Magna  ber  beiden 
Gedichte  Precatio  terrae  und  Precatio  oinnium  hcrharum  (Baehrens  Poet.  Lat. 
min.  I  137  ff.)  ist  aegyptisch  (vgl.  Galen  Opp.  XI  792  Kühn).  Tellus  heisst  hier 
rerum  naturae  parens,  wie  Isis  bei  Apuleius;  vieles  erinnert  an  Lukrez,  dessen 
Venus  ja  auch  zunächst  eine  asiatische  Gottheit  ist.  Isis  konnte  in  Klein- 
asien mit  den  verschiedensten  Gottheiten  identificirt  werden,  aber  auch  stoisch- 
mystische Vorstellungen  konnten  dem  Publikum  des  Lukrez  aus  der  Poesie  der 
Zeit  bekannt  sein. 


108  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

die  von  Ovid  benutzte  poetische  Bearbeitung  des  Schöpfungs- 
m}^hos  hatte  neben  Hermes  oder  Osiris  Isis  gestellt,  neben 
den  Qeöq  also  die  (joqpia  6eoü.  Das  kann  für  die  Beurtheilung 
der  Gnosis  immerhin  eine  gewisse  Bedeutung  gewinnen.  Für 
jetzt  betone  ich  nur,  dass  hiernach  Isis-croqpfa  in  helle- 
nistischen Liedern  und  Berichten  mit  Hermes-Xo-fo? 
wechseln  kann  und  gewechselt  hat. 

Dass  es  auch  in  der  jüdisch-hellenistischen  Mystik,  die 
wir  doch  zunächst  immer  auf  ihren  Zusammenhang  mit  der 
aegyptisch-hellenistischen  untersuchen  müssen,  geschehen 
ist,  weiss  wohl  jeder;  aber  da  ich  nicht  für  theologische 
Leser  schreibe,  wird  es  erlaubt  sein,  die  bekanntesten  Haupt- 
stellen hier  in  ihrem  Zusammenhange  zu  wiederholen. 
Natürlich  gilt  es  dabei  nicht,  feste  Systeme  zu  suchen,  welche 
Zeller  mit  Recht  vermisst,  sondern  aus  Sprachgebrauch  und 
Auswahl  der  Vorstellungen  auf  bewusste  und  unbewusste 
Einwirkungen  Schlüsse  zu  machen. 

Aegy'ptische  Einflüsse  würden,  wenn  die  Ausführungen 
am  Schlüsse  des  vorigen  Kapitels  sich  bewähren  sollten,  auch 
in  der  Litteratur  nach  dem  Exil  nicht  befremden.  Dennoch 
muss  ich,  trotz  meiner  persönlichen  Ueberzeugung,  es  hier 
dahingestellt  sein  lassen,  ob  das  Lied  der  Weisheit  in  den 
Sprüchen  Salomos  (Kap.  8)  von  hier  beeinflusst  ist.  Den  Beginn 
der  Personificirung  sehen  wir  schon  hier  (V.  22)  KÜpio?  iKTiae 
|ie  dpx^v  obüjv  auToO  eiq  epya  auroö  ■  irpö  tou  aiiJL)V0(;  eGeiaeXiujcTe  |ae, 
ev  dpxvi  TTpö  Toü  Tr]v  -piv  iroinaai  Kai  irpö  xoö  idq  dßOaaou^  Koniaai, 
TTpö  TOÜ  TTpoeXOeiv  Tuq  mxfäq  tijüv  übdtuuv.  Trpö  tou  öpii  4öpa- 
(jGfivai,  TTpö  be  TTdvTuuv  ßouvajv  ^evvq.  |ue.  Kupio<;  eTToiiicre  X^J^P"? 
Ktti  doiKriTOuq  Kai  dKpa  oiKOuiiieva  Tr\(;  utt'  oupavüüv.  nviKa  riToi|LiaIe 
TÖv  oupavöv,  (JuiaTTapHiaiiv  auTüJ,  Kai  öie  dcpübpile  töv  eauToü  Bpövov 
feTi'  dv£|nujv,  Kai  6jq  icrxupd  eTToiei  td  dvuu  veqp)"),  Kai  wc,  dcrqpaXeiq 
€11061  TTr|Td(;  läc,  utt'  oüpavöv,  Kai  wc,  iax^pd  eTToiei  xd  GejaeXia 
TH?  Tn<3.  »IM'lv  TTap'  aÜTLU  dpiaoZioucra.  efdj  ilMHV,  vj  TTpoaexaipev. 
KttG'  fiiaepav  b't  eucppaivö|ariv  tv  ttpoctujttlu  aüroö  ev  Travii  Kaipuj, 
öre  ^veuqppaiveto  inv  oiKouiadvriv  auvieXecraq  Kai  eveuqppaivero 
€v  uioi^  dvGpujTTou.  Eine  Ausführung,  aber  fühlbar  in  dem 
Sinne  der  bisher  besprochenen  Mystik,  bietet  das  Lied  der 


n.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  109 

Weisheit  bei  Sirach  24,  3 — 10;  23,  und  hier  werden  jene  helle- 
nistischen Versuche,  einen  Begriff  für  die  Offenbarung  zu 
finden,  weit  stärker  fühlbar:  eT^Ju  «ttö  (JTÖ|aaToq  üi^iaiou 
iEr\\Qov  Ktti  uj(;  6|uixXn  KaxeKaXuipa  Tnv.  e\^  ev  uipriXoT^  Kaxe- 
CTKrivuucra,  Kai  ö  Gpovoq  [nou  ev  aiuXtu  vecpeh^c,.  yOpov  oupavou 
eKUK\uj(Ta  növi-)  Kai  ev  ßdBei  dßucrcruuv  TTepieirdTiicra'  ev 
KuiaacTi  eaXdcrcrri«;*  Kai  ev  Trdai]  ti]  ^x]  Kai  ev  iravTi  Xauj  Kai  eBvei 
eKTiiadiaiiv.  laetd  toutluv  irdvTuuv  dvdTrauaiv  k.Zr]T\]aa  Kai  ev  KXripo- 
vo|nia  Tivoq  auXia0ncro|uai.  löie  eveteiXaTÖ  |aoi  6  kti(Jti-|(;  dirdviojv 
Kai  6  KTicrac;  )ne  KaxeiTauae  ti^v  ctkiiv/iv  |liou  Kai  eiirev "  ev  'laKUjß 
KaxacfKnvuuaov  Kai  ev  Mcrpai^X  KataKXripovoiaiiöiiTi  (vgl.  Zachar.  8, 3). 
TTpö    Toö    aidjvo(;    dir'    dpxrj?    eKTiae    |Lie   Kai   eujq   aiijuv0(;   ou    }jir] 

eKXiTTuu xaÜTa  Trdvxa  ßißXoc;  biaöriKiiq  9eoö  uvjjicttou, 

vö)uoq,  ov  eveieiXaro  Muju(Jit<^  KXiipovo|Liiav  (JuvaYuuYaiq 
MaKuuß.'- 

Die  dritte  Stufe  vertritt  ein  Abschnitt  der  schönsten 
aller  spätjüdischen  Schriften,  die  von  einem  vorzüglichen 
Kenner  hellenischer  Poesie  geschrieben  ist,  der  sogenannten 
Weisheit  Salomons,  Dass  ihr  Verfasser  die  stoischen  ^ier 
Tugenden,  die  platonische,  bezw.  eine  platonisirende  Ideen- 
lehre u.  a.  kennt,  ist  oft  betont,  seltener,  dass  er  eine  aeg5^ptisch 
beeinflusste  Darstellung  stoischer  Theologie  berücksichtigt. 
Doch  geht  dies  m.  E.  zwingend  aus  13,  2,  der  Schilderung 
der  auffallend  mild  beurtheilten  heidnischen  (piXocrocpoi  hervor: 
dXX'  Y\  TTÖp  Y]  TTveö)aa  i^  laxivöv  depa  ri  kukXov  dcTTpuuv  y]  ßiaiov 
uöujp  11  cpuüanipaq  oupavou,  rrpuidveK;  k6(J|uou,  9eou(;  evömaav.  In 
den  ersten  Worten  erkennen  wir  unschwer  die  etwas  ver- 
dunkelte aeg3'p tische  Theologie  des  Hekataios  (Diod.  I  11), 
in  den  folgenden  die  des  Chairemon  und  seiner  Vorgänger; 
nur  auf  sie  bezieht  sich  natürlich  die  Begründung  „entweder 
wegen  ihrer  Schönheit  oder  wegen  ihrer  Macht."  Hierzu 
passt  die  Herleitung  des  Bilderdienstes  14,  15  dujpuj  tdp  trevOei 


•  Vgl.  den  Isishymnos  V.  58  ^v  b'  [d]iTep[d]Toi<;  ßevGeöiv  äaxißea  irXaY- 
KTÜv  öböv,  6UT^  |ae  eu|Liö?  KopGüar),  kXov^cu. 

2  Das  neue  ist  im  wesentlichen  die  Identificirung  einer  göttlichen  Person 
mit  dem  Wort,  das  Gott  spricht,  und  dem  Buch  seiner  Offenbarung,  also  gerade 
der  Grundzug  jener  aegyptisch-griechischen  Mystik. 


110  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Tpux6)aevoq  Tiairip  toö  raxeoi?  dqpaipeOevToq  tckvou  eiKÖva  TTOir|(Ta<; 
TÖv  TÖie  vtKpöv  dvöpujTTOV  vüv  dj?  öeöv  iripi^ae  Kai  TrapebuuKe 
TOic,  uTTOxeipioiq  lauarnpia  Kai  reXeTaq-  eiia  ev  Xpovuj  KpaTuv6ev 
TÖ  dcfeßeq  e6o^  djq  vö|ao<;  eqpuXdxOn  Kai  Tupdvvuüv  e7TiTa-faT<s  eOpiv 
(jKeueTo  xd  YXuTrrd.  Das  gehört  in  letzter  Linie  in  die  Reihe 
der  griechischen  Erzählungen  von  der  Erfindung  der  Malerei 
oder  Plastik;  die  religiöse  Quelle  zeigt  Fulgentius  Mythol.  I  1, 
der  die  Erfindung  nach  Aeg3-pten  verlegt.^  Auch  die 
\'erehrung  der  Thiere  war  hier  erklärt.'-  So  kann  eine 
starke  Steigerung  der  hellenistischen  Klänge  in  dem  Liede 
auf  die  Weisheit  (7,  21)  nicht  befremden:  ii  Tdp  TrdvTuuv  xexviTn; 
eöibaEe  \xt  aocpia.  eaii  ydp  ev  amx\  TTveö|aa  voepöv,  dyiov,  |liovo- 
■feveq,  TToXuuepe<g,  XerrTÖv,  euKiviiiov  .  .  .  TxavTobOvaiaov, 
TTaveTTicTKOTrov  Kai  bid  TrdvTuuv  xujpoOv  TTveu.udTuuv  voepüüv,  KaBapüüv, 
XeTTTOTdTuuv. -^  Tracriiq  -fdp  Kivi'icreuuq  KiviixiKÜJxepov  aocpia,  öu^Kei  be 
Kai  x^pev  bid  TTdvTuuv  öid  niv  KaBapöuiTa.  6.j\i\c,  ydp  fe^Ti  niq  toü 
6eo0  öuvd|aeujq  Kai  dTiöppoia  iiicg  toO  TTavTOKpdTopo<g  höhi\c,  eiXi- 
Kpivi'i^,  6id  TOÖTO  oübev  laeiaiaia.uevov  de,  <imr\\  TrapeinTTiTTTei. 
dTTaü-faaiaa  Ydp  eöTi  q)uüTÖ^  dibiou  .  .  .  Kai  Kaid  -ftvedcg  ei(g 
ijjuxdq  bö'mc,  laeiaßaivoucja  cpiXou«;  öeoO  Kai  Trpoqpi'iTaq  KatacTKeud- 

Ziei ecTTi  -fdp  aÜTi]   euTTpeTreaidpa    nXiou   Kai   uTiep  Tcdcrav 

dcrtpujv  9e(Jiv  opuuTi  cruYKpivo|Lievri  eupiaKtiai  Ttporepa.  toöto  \xv\i 
ydp  biabex^Töi  vüE,  ao9ia(;  be  ouk  dvricrxüei  KaKia.  Ich  brauche 
kaum  hervorzuheben,  wie  viel  philosophische  Definitionen 
und  Formeln  unter  die  Lobpreisungen  mit  aufgenommen 
sind.  Wichtig  ist  auch  9,  2  xi]  aoqpia  crou  KaTe(JKeijaaa(;  dvOpou- 
TTOv  . . .  böq  laoi  Ti]v  Tuüv  aöjv  Gpövuuv  TTdpebpov  cToqpiav  ....  Kai 
ILieid  (Tou  f]  aoqpia,  »i  eibuia  xd  ep^a  aou  Kai  irapoOaa,  öxe  eTroiei<s 


*  Ob  der  Autor  des  Citats,  Diophantos  von  Lakedaimon,  erfunden  ist 
oder  nicht,  bleibt  dabei  ganz  gleichgiltig.  Als  philosophische  Theorie  kennt  es 
auch  Minucius  Felix  20,  5  sacra  facta  statt,  quae  fuerant  adsuttipta  solacia. 
Einen  Stoiker,  welcher  die  Bilderverehrung  tadelt,  benutzt  auch  Varro  (Agahd 
S.  164). 

*  Vgl.  II,  16  und  öfter. 

'  Das  heisst  ipuxOüv.  Die  vjjuxr)  wird  auch  hier  als  Ursprung  der  KivriöK 
gefasst.  (Vgl.  Zenon  Fr.  91  Pearson  oi  b^  öuu|iaTa  Kiveiv).  Der  Vergleich  der 
aoqpia  und  des  Xöfoi;  tritt  durch  einen  Vergleich  mit  S.  Ill  Anm.  I  zu  Tage. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  111 

TÖv  KÖCTiaov  ....  eEaTTÖCTTeiXov  aürriv  eH  dYiuJV  oupavüjv  Kai  dirö 
Gpövuuv  ööEiiq  crou  ttcilivijov  auinv  .  .  .  oibe  yotp  eKeivri  TrdvTa  Kai 
6ör|Tn<yti*  M£  £v  Tai<;  irpaHecri  |liou  cruuqppöva)?.  So  ist  es  die  loqpia, 
welche  Adam  erhält  ^  (10,  1),  Noah  und  Lot  rettet,  Jakob 
leitet  (ujbiiYnc^tv  10,  10,  vgl.  V.  8  cjoqpiav  Tdp  Trapobeuaavteq); 
sie  tritt  in  die  Seele  des  Moses  ein,^  sie  leitet  das  Volk 
Gottes.*  Neben  ihr  erscheint  freilich  auch  der  Logos  18,  15 
6  TravTobuva|u6<g  aov  AoYoq  dfi'  oupavuuv  gk  Gpövuuv  ßamXeiüJV 
dTTOTOnoc;  TToXeiuicrTnq  eiq  \xeoov  xn^  öXeBpia«;  fiXaxo  VK,  Hiqjoq 
oSu  xnv  dvuTTOKpixov  emxaYnv  crou  qpepujv,  Kai  oräq  eirXripujae  xd 
irdvxa  öavdxou,  Kai  oupavoö  |Liev  fiTTxexo,  ßeßriKCi  b'eiri  jr\q.  Die 
Einwii-kung  griechisch-orientalischer  Vorstellungen  auf  das 
wundervolle  Bild  zeigt  am  besten  das  Orakel  bei  Buresch 
Klaros  S.  10  upocrBpuücrKei  Trebo)  Aoi^iöq  bucreEdXuKxog  xf]  ^ev 
dfiTTacpüuv  TTOivaTov  dop  xtipi  •  •  •  xpuei  be  irdvxi-)  bdirebov  evTToXeu- 
laevov.  Der  Schriftsteller  überträgt  hier  das  Wort  dTiocrxeXüj  t\\v 
XeTpd  ^ou  Kai  iraxdHa)  xouq  AiYUTTxiouq^  in  seine  Vorstellungsart; 


1  Dies  öbriTeiv  wird  ursprünglich  von  dem  XÖYOi;  gesagt,  dessen  stoische 
Etymologie  ja  vom  im  \luov  cxYeiv  genommen  ist.  Der  von  Dieterich  heraus- 
gegebene Text,  der  so  viel  aegyptisch-stoische  Sacralformeln  bewahrt  hat,  lässt 
(S.  12,  14)  Gott  zu  der  vpuxn  sprechen:  irdvTa  Kivriöeii; .  . .  'Ep|LioO  Ge  öbii- 
YoOvToi;'  toOt'  eiirövTOi;  toO  6eoö  TTdvxa  eKiv/iOri  Kai  ditveuiuaTÜJÖri  dKa- 
TaöX^xuj(;  (vgl.  Berthelot  a.  a.  O.  232).  An  den  Logos  als  'Ep|af|(;  vjJUxaYUJYÖi; 
bei  den  Naassenern  brauche  ich  nur  zu  erinnern.  Auch  hierin  tritt  für  Hermes 
Isis-Zoqpia  ein;  sie  lenkt  das  Schiff,  wie  in  der  Weisheit  Salomons  die  Zoqpia 
die  Arche  Noahs  steuert  (10,  4,  vgl.  den  Isis-Hymnos  V.  55  ff.  und  hiermit  wieder 
Weish.  14,3:  die  ao(pia  hat  das  Schiff  gebaut,  ri   hi  öri,  irdTep,    biaKußepvql 

irp  6  V  o  i  a ,  öxi  ebiuKai;  Kai  iv  0a\daör)  öböv  Kai  iv  Kuiaaai  xpißov  daqpaXfi 

Ö^Xei?   hi  \xr\  äpYd  elvai  xd  ty\c,  Gocpia?  öou  äpYOi.    Das  heisst   hier   die 
Schiffe). 

*  Er  nimmt  hier,  wie  bei  den  Naassenern  eine  eigenthümlich  gesteigerte 
Stellung  ein  (vgl.  auch  Berthelot  a.  a.  O.  89;  230 — 232). 

'  IG,  16  eiGfiX.0€v  ei^  vj;uxriv  OepdTrovxoq  Kupiou.  Die  Formel  ist  wichtig, 
da  die  Goqpia  ja  als  irveOiua  definirt  ist. 

*  IG,  17  dibriYlöev  aüxGuq  i\  öbiu  BaujuaGxf)  Kai  ^Y^vexG  aüxoTc; 
eic;  GK^irnv  )\u^pai;  Kai  eii;  qpXÖYa  dGTpiuv  xr]v  vÜKxa'  bießißaGev  aüxoOi; 
edXaGGav  ^puGpdv  Kai  biriYöYev  aOxGÜc;  bi'  übaxGi;  ttgXXoü.  ii,  i  eüdjbiuae 
xä  epYö  aüxiijv  dv  x^ipi  Trpo9rixou  dYiGU. 

'"  Vgl.  Aristobul  bei  Eusebios  praep.  ev.  VIII  ig. 


112  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

wir  dürfen  daher  auch  hier  11,  18  vergleichen  oü  fäp  iirröpei  n 
TravTobvjva)Liö<;  crou  x^ip  k^i  Ktiaaaa  töv  KÖaiaov  eE  dinöpqpou  üXiiq; 
für  seine  Vorstellungen  ist  beides  dasselbe  und  auch  die 
(Tocpia  tritt  für  die  beEid  Geoö  ein,  wie  sie  ja  schon  bei  Sirach 
offenbar  den  Xö-foq  bedeutet.  Die  beiden  mystischen  Vor- 
stellungen erwachsen  aus  der  gleichen  Wurzel  und 
gehen  beständig  in  einander  über.  Wie  Xöfoq  und 
vöpioc,  vielfach  einander  gleichgestellt  werden,  so  bei  unserm 
Autor  wie  bei  Sirach  crocpia  (-fvujffKj)  und  vö|ioq,  und  wie  die 
(Tocpia  ist  der  vö\xo<;  selbst  das  unvergängliche  Licht,  das 
Gott  der  Welt  gegeben  hat  flS,  4);  auf  wen  sie  sich 
niedergelassen  hat,  der  wird  vibq  Geoö;  an  ihm  hat 
Gott  sein  Wohlgefallen  (7,  28).  •  Man  muss,  wie  ich  noch 
einmal  betone,  hierin  nicht  den  Ausdruck  eines  bestimmten 
Systems,  sondern  Formeln  für  das  rehgiöse  Empfinden  weiter 
Kreise  sehen,  um  zu  ahnen,  wie  sie  in  mannigiacher  Weise 
zimächst  die  Anschauungen  unserer  s3moptischen  Evangelien 
und  in  weiterer  Steigerung  auch  die  des  vierten  Evangeliums 
und  seines  Prologes  beeinflusst  haben. 

Wie  diese  Formeln  weiter  wirken,  scheint  mir  ein 
spätes  liturgisches  Stück  unserer  Sammlung  zu  zeigen,  das 
mir  erst  nach  Abschluss  des  Druckes  in  die  Hände  fiel,  und 
das  ich  seiner  Wichtigkeit  halber  gleich  hier  mit  einzuschieben 
wage,  ein  sehr  altes  Mariengebet,  wenn  man  will,  das  erste 
Ave  Maria.  Es  findet  sich  auf  einer  Thonschcrbe,  die  Prof. 
Spiegelberg  im  Jahre  1896  in  Luxor  erwarb,  kam  zunächst 
in  das  Institut  für  Aegyptologie  und  von.  hier  neuerdings 
im  Austausch  in  den  Besitz  unserer  Universitäts-  und  Landes- 
bibliothek. Die  Schrift,  über  welche  die  beigegebene  Tafel 
ein  Urtheil  gestattet,  wage  ich  kaum  zu  datiren;  meinem 
Eindruck  nach  brauchen  wir  unter  das  VI.  Jahrhundert  nicht 
herabzugehen.  Herr  Dr.  Crum,  den  ich  um  sein  Urtheil  bat, 
verglich  zwei  datirte  Ostraka  des  VII.  und  MII.  Jahrhunderts 
imd  fand  sie  dem  ersteren  weit  ähnlicher. 


*  Dass  auch  Christus  selbst  frühzeitig  wie  mit  dem  Aö^oc,  so  mit  der 
Zocpla  GeoO  identificirt  wurde,  ist  bekannt  (vgl.  z.  B.  lustin  i/id/.  cum  Tryph. 
6i,  62;  Alter catio  Sitnonis  el   Theophili  3,  12  u.  a.). 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  113 

Der  rechte  Rand  ist  erhalten  und  verläuft  gradUnig; 
links  fehlt  ein  grösseres  Stück,  und  da  die  Ergänzungen 
der  Zeilen  4 — 8  ziemlich  gleichen  Umfangs  sein  müssen, 
werden  wir  für  den  ersten  Theil  gleich  lange  Zeilen  annehmen 
dürfen.  Dagegen  ist  im  Schluss,  sicher  von  Zeile  19  an, 
nur  ganz  wenig  verloren.  Der  Rand  der  Scherbe  ging  hier 
in  scharfem  Bruch  von  links  nach  rechts  herunter,  und  nur 
ein  schmaler,  vielleicht  ursprünglich  überstehender  Rand  ist 
noch  nachträglich  abgesplittert.  Denkt  man  sich  den  unteren 
schrägen  Bruch  bis  zu  dem  früheren  linken  Rand  verlängert, 
so  wiü^de  er  etwa  zwischen  Zeile  12  und  15  einmünden; 
von  hier  würde  also  Avahrscheinlich  die  Verkürzung  der 
Zeilen  beginnen.  Ich  habe  danach  die  Ergänzung  gestaltet, 
muss  aber  von  Anfang  an  betonen,  dass  die  Ergänzungen 
der  Zeilen  10 — 19  ganz  unsicher  sind  imd  dass  auch  bei  den 
vorausgehenden  Zeilen  manche  Ungewissheit  bleibt. 

Das  Gebet  dient  keinem  bestimmten  Zweck;  jede  An- 
spielimg  auf  einen  Zauber  oder  eine  Beschwörung  fehlt; 
auch  für  eine  Verwendung  als  Amulett  ist  die  Form  der 
Scherbe  kaum  geeignet.  Als  blosse  Schreibübung  eines 
Schülers  wird  man  es  ebenfalls  nicht  betrachten  dürfen;  es 
wäre  dabei  zwecklos  gewesen,  die  erzählenden  Sätze  des 
Evangeliums  wegzulassen.  Denn  Zeile  1 — 9  geben  offenbar 
Reden  und  Gegenreden  der  Verkündigung  Mariae  nach 
einem  Evangelium,  Zeile  9 — 24  eine  hieran  schliessende 
liturgische  Lobpreisung  Mariae.  Diese  Form  tritt  uns  in 
einzelnen  Weihnachtspredigten  späterer  Zeit  entgegen,  so 
in  der  Predigt  des  Theodotos  von  Ankyra  in  sanctam  Dei- 
paraiji  et  Syiuconcni:^  ilKuuiaev  rorrapouv  euaYujq  eTTiTÖvuiavo  v, 
iiK(ju|u6V  xotipovTe(;,  {iveu9)"i,uoOvTe(;,  öoEoXofouvieg  Kai  jae-faXüvov- 
Te<;  TÖ  uirep  voöv  Kai  Xö-fov  luucrrnpiov,  eHdpxovxe^  toö  oupavo- 
TToXiTou  faßpuiX  Tüjv  Öeiuuv  TTpo(Jcp9e-fKTr|piuuv  Kai  XeYOVie^"  X«iP£. 
KexapiTuuiLievi-i,  6  Kupioq  \xf.iö.ao\).  ^eG"  ou  öeuTepuj(Tuj)Liev  x«ipe, 


*  Ich  citire  nach  Gallandi  Bil>l.  vet.  patrum  (IX  460)  und  muss  auch  im 
Folgenden  vielfach  ältere  Ausgaben  benutzen,  da  die  entsprechenden  Bände 
Mignes  mir  im  Augenblick  unzugänglich  sind. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  8 


114  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

TÖ  eKTTÖGnTOv  fiuLÜv  eucppavTi'ipiov,  X"iP^.  TÖ  eKKXiiaiaariKÖv  dfaX- 
XiaiLia  ktX.  Aehnlich  sind  die  beiden  Bestandtheile  noch  fühlbar 
bei  Pseudo-Athanasios  in  dem  Schluss  der  Predigt  eiq  töv 
eva-{fe\\0\xbw  jfiq  .  .  GeoTOKOu  (IT  342  D  cd.  Bencd.)-.  e'i  Tiq 
dpern  Kai  ei  iig  feTraivoq  TTpocrdTetai  doi  irap'  nuiüv  Kai  irddiiq  ir\c, 
KTicreuuq  Liuvoq  tri  KexapiTUüuevi],  xri  Kupia,  if)  .uiiipi  toü  9eo0  Kai 
KißuüTiu  Toö  d-fidcriaaTog.  ibou  h\\  Kai  dirö  toü  vöv  Kai  dpxn<;  ''m^P«? 
flic,  d-rrapxriv  e-fKU'iuiou  upocreTTXeHaTÖ  croi  KaieTTUJVuiaov  eTKUj)iiov  6 
dpxd-fft^o?  ßoüjv  „xotipe,  Kex«piTuj)Lievr|,  ö  KÜpioq  laetd  cToO".  Es 
folgen  weitere  Sprüche  aus  dem  zweiten  Kapitel  des  Lukas ; 
dann  werden  die  verschiedenen  Abtheilungen  der  Engel 
eingeführt,  die  entweder  mit  euXofimevii  du  ev  fuvaiEiv  oder 
Xaipe,  KexapiTuu|Lievr|,  6  KÜpiog  ueid  aoO  beginnen  und  letzteres 
heisst  6  eKq)avTopiKujTaTO(;  Kai  TrepiXiiTTTiKÜJTaToq  u^ivog,  der 
immer  wiederholt  wird.  •  Es  folgt  ein  kurzes  eigenes  Gebet 
des  Predigenden.  Die  Form,  welche  unser  Gebet  bietet, 
entspricht  äusserlich  bis  zu  gewissem  Grade  den  griechischen 
H\-mnen;  sie  wird  in  den  orientalischen  Gemeinden  früh- 
zeitig üblich  geworden  sein.  So  dürfen  wir  unser  Ostrakon 
wohl  als  bestimmt  für  den  kirchUchen  oder  privaten  Ge- 
brauch armer  Leute  etwa  an  dem  Feste  der  Empfängniss 
oder  Geburt  Christi  fassen.  ^  Ob  in  den  unklaren  Zügen 
des  Anfangs  ein  blosser  Schnörkel  oder  eine  Zahl  (i8' 
oder  e'j  steckt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Einschnitte 
in  der  Recitation  sind  durch  ein  kleines  Kreuz  über  der  Zeile 
gekennzeichnet;  auch  die  wagerechten  Striche  über  den 
Endsilben  KXn9r|creTai  (Zeile  4j  und  eBvuuv  (Zeile  12)  werden 
wir,  wie  Prof.  Keil  sah,  als  liturgische  Zeichen  für  den  Auf- 
sagenden fassen  dürfen.  Ich  gebe  zunächst  eine  Transscrip- 
tion des  Erhaltenen;  bei  der  Lesung  hat  mich  Herr  Privat- 
docent  Dr.  O.  Piasberg  freundlichst  unterstützt. 


'  Vgl.  aus  späterer  Zeit  z.  B.  Johannes  Damascenus  Migne  96  /.  648, 
650,  651,  655,  658,  659,  695. 

*  Minder  wahrscheinlich  ist  für  so  frühe  Zeit  t.Hglicher  Gebrauch.  Immer- 
hin könnte  die  Scherbe  vielleicht  einen  Anhalt  für  die  Vermuthung  geben, 
dass  das  Ave  Maria  aus  der  griechischen  Kirche  in  das  Abendland  über- 
tragen ist. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  115 

10    xciipt  KexapiT0|U6vn  o  kCT  lueia  oov  e^^ 

Ktti  GeoöuuKov  Kai  aitijuov  eupria  Toip  X^tP^ 

Ktti  KttXeaia  to  ovo|ua  auiou  lu  outocj 

Gncreiai^  öuucre  auTuu^  kö  o  6cr  tov  6 
5  Xeuei  eiw^  tov  oikov  laKuuß  eicr  tov 

ouK  e(JTe  TeXocT*  TTOÖev  |ue  touto  T£ 

eu|ua  ayiov  eTreXeuffeTai  em  (Tu  Kai 

bio  Ktti  TO  Y6vvo|uevov  ayio 

Xr)  KU  YeveTO  |ae  KaTa  to  pii.u 
10  XaXri(Te  (Te  Kai  euaYTC^icrBai  ck^ 

GncTeTai  TTacrai  ai  iraTpiai  thct 

eGvuuv  |ueTa  tou  apxa'rfe^ 

TTpocFKuvii  •'  crojuev  auTou  tt^ 

luevi"!  tou  KU  xc'ipe  Trapeö^ 
15  XC"Pt  öeoöuuKri  r\  a\Ji\xa 

u  TtepicTTepa  x]  ayaTuucr 

avoucy  xai  irapGevoioi 

Xaipe  GeoöuuKri  eeo 

ev  oupavoiö"  x«ipe  vu 
20  cpiicr  XüApe  ,uapia 

napGevoioi  ßißX 

Ol  ßißXog  oibi. 

qpujTocT  x« 

Xaip 

Ich  füge,  ehe  ich  zur  Ergänzung  schreite,  den  Text 
der  Verkündigungsgeschichte  bei  Lukas  1,26  bei:  ev  bk  tlu 
ILirivi  TO)  e'KTLu  dTTecTTaXi-i  6  d'-fTe^oq  raßpu^X  üttö  tou  Geoü  dq  ttöXiv 


'  T  ist  nicht    sicher,    p    oder    i,    ja    vielleicht    auch    v   denkbar,   u  aus- 
geschlossen. 

^  Für  p  ist  auch  i  oder  v  denkbar. 

^  nach  T  ein  senkrechter  Strich  aUT|uü. 

*  i  aus  0  corrigirt. 

*  K  oder  i  oder  ir. 

*  Y]  aus  tu  corrigirt. 

^  TT  sehr  wahrscheinlich. 

"  Für  e  wäre  6  denkbar,  doch  weist  der  Rest  des  folgenden  Buchstabens 
auf  b  und  e  scheint  an  letzter  Stelle  ausgeschlossen. 

S* 


116  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Tiig  PaXiXaiag,  rj  övo,ua  NaZiapei,  27  Trpöq  TiapGevov  e|aviTcrTeu,uevi]v 
dvbpi,  üj  övo)aa  'luuancp,  ii  oi'Kou  Aaueiö,  Kai  tö  övo)aa  t)i<;  TiapGevou 
Mapid)i.  28  Kai  eicreXGujv  npbc,  auiriv  6  äffe\o<;  emev  xaipe,  KexapiTou- 
|uevr|'  6  KÜpiog  laeid  üov.  29  fi  6e  im  tüj  Xöylu  bieiapdxOii  Kai  bieXoYi- 
ZiCTO,  TTOTaTTÖq  ei'n  6  dcrTTa(T|Liög  outo(;.  30  Kai  eiTrev  6  d-ffeXoq  auTr)* 
)ari  qpoßoü,  Mapid)H"  eupe<;  Tdp  xdpiVTiapd tuj  GeüJ.Sl  Kai  iöou  auXXi'm- 
vpr)  ev  YctcJTpi,  Kai  regi]  uiöv,  Kai  KaXecreig  tö  övo)Lia  aÜTOu  'hiaoöv. 
32  ouTO^  ecrrai  |ue"f«?  Kai  uicx;  uijjicTTOu  KXnSi'icreTai,  Kai  bübcrei  auio» 
Kupioq  6  0eöq  TÖv  Opövov  Aaueib  toO  TTaipög  auTOÜ.  33  Kai  ßaai- 
Xeucrei  erri  töv  oikov  'laKiuß  eiq  Touq  aiuuva«;,  Kai  Tf\q  ßacTiXeia^  au- 
ToO  oÜK  edrai  leXog.  34  eirrev  be  Mapid)a  TTpöq  töv  dVfeXov  ttok; 
ecTTai  ()Lioi  einzelne  Zeugen)  toüto,  errei  dvbpa  ou  yivujcjkuu;  35  Kai 
dTTOKpiBeig  6  ä^-^e\oq  eiTiev  auTf)'  irveOiaa  äyiov  e-rreXtucreTai  em  üi, 
Kai  bOvam?  uipicTTOu  emcTKidcrei  cror  biö  Kai  tö  Y€vvuj)Lievov  dTiov  kXti- 
9r|creTai,  vlbc,  0eoO.  36  Kai  ibou  'EXicrdßeT  f]  auxT^vig  crou  Kai  auTi] 
(juveiXii9ma  uiöv  ev  Ti'ipti  ctuTiiq,  Kai  outoi;  ju^v  eKTO(;  ecrnv  auTi)  tv) 
KaXou)Lievr)  (TTeipa,  37  öti  ouk  dbuvaTr|(Jei  Trapd  toO  Geoü  Tidv  pt]|ua. 
38  eiTTev  be  Mapid|Lf  ibou  f-j  bouXri  Kupiou'  jevono  )aoi  KaTd  tö  pti|ud 
(Tou.  Kai  dmiXöev  dir'  auTi]<;  6  ä^feXoq. 

Die  Ergänzung  hat,  wie  erw^ähnt  von  Zeile  4 — 8  aus- 
zugehen; hier  steht  wohl  sicher:  bojcre  auTuj  KÜpioq  ö  Qebc,  töv 
e[pövov  Aaueib  toö  iraTpö^  Kai  ßaai]Xeuei  em  töv  oikov  MaKuuß 
eiq  TÖV  [aiüüva  Kai  Tv\q  ßaaiXeia^  auToO]  ouk  eö'Tai  TeXoq.  nöSev 
jae  TOÜTO  '[e[vy\0€Ta\,  eirei  dvbpa  ou  yivojctkuu;  TTv]eu,ua  d'-fiov  ene- 
Xeuaerai  em  cru  Kai  [bOvauic;  uqjiaTou  '  emaKidaei  croi],  biö  Kai  tö 
Yevv6|uievov  dYio[v  KXiiBi'icTeTai,  uiöq  Gu.  ibou  r\  boujXi]  Kupiou 
YeveTo  |Lie  KaTd  tö  pii|a[d  aou].  In  der  folgenden  Betrachtung 
scheint  zunächst  die  Ergänzung  [(Tuu]0iTaeTai  ndom  ai  -rraTpiai 
Tf\q  [Moubaiac;  Kai  TidvTa  Td  y^vii  tüüv]  eGvuuv  im  Allgemeinen 
sicher;  es  ist  der  Inhalt  der  frohen  Botschaft;  zu  eüaY^feXiaGai 
(euaYY6^iö"acrGai?)  wird  man  etwa  eKeXeuaev  ergänzen  müssend 

'  Nur  an  Ovp(öTOU  könnte  man  zweifeln ;  es  ist,  wie  Hamack  (Sitzungsberichte 
d.  Berliner  Akad.  1900  S.  550)  erwiesen  hat,  Lieblingsausdruck  des  Lukas;  möglich 
wäre  dem  Zeilenumfang  nach  auch  toö  6u  {=  6eoö).  Die  Entscheidung  lässt 
sich  erst  später  treffen. 

'  Dass  in  älteren  Erzählungen  der  Verkündigung  das  Wort  eürjYY^XicraTO 
vorkam,  hat  Resch  Kindheitsevangelium  (Texte  und  Untersuchungen  X  5,  78) 
sehr  wahrscheinlich  gemacht. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  117 

Danach  wird  die  Ergänzung  von  Zeile  3  zu  beurtheilen  sein. 
Die  durch  Lvikas  gebotenen  Worte  outo«;  [ecriai  nifaq  Kai  uiöq 
uipiaiou  KXi-i]6ri(TeTai  würden  dem  Raum  entsprechen  und 
Niemand  kann  widerlegt  werden,  wenn  er  sie  hier  einsetzt. 

Nur  die  ^Möglichkeit  einer  anderen  Ergänzung  darf  man 
zunächst  betonen.  Das  fast  sichere  Wort  cruuGricreTai  in  der 
Inhaltsangabe  der  Botschaft  erinnert  daran,  dass  Justin 
{Apol.  I  33)  und  das  Protevangelium  des  Jacobus  auch  in 
der  Verkündigung  an  Maria,  wie  in  deren  Gegenbild,  der 
Verkündigiing  an  Joseph,  eine  Begründung  des  Jesus-Namens 
gelesen  haben:  ouroq  fap  crOucrei  töv  Xaöv  auioO  dTiö  tüjv  äiuap- 
TIÜUV  auTujv. 

In  dieser  Form  nun  lässt  sich  das  an  unserer  Stelle 
nicht  einfügen,  soAvohl  des  Umfangs  als  der  folgenden  Er- 
läuterung halber;  aber  eine  abgeleitete  Form  wie  omoc, 
[(Jujaei  Tou(g  Xaouq  Kai  uiö<;  9u  KXiijencreTai  wäre  an  sich  nicht 
unmöglich,  wenn  nicht  das  Lukas-Evangelium,  sondern  ein 
anderes  dem  Gebet  zu  Grunde  läge.  Wir  müssen  diese  Möglich- 
keit näher  ins  Auge  fassen. 

Zeile  1  und  2  enthalten  einen  im  Lukas-Evangeliimi 
fehlenden  Zusatz,  etwa  eY[XeXeT)Lievri  cru  dj<s  dTT^iov  *  djniaviov] 
Kai  OeobtÜKOv  Kai  d"lTl^ov.  Dass  er  erst  in  der  liturgischen 
Bearbeitung  hinzugekommen  ist,  darf  man  zwar  nicht  als  un- 
möghch,  immerhin  aber  als  minder  wahrscheinlich  bezeichnen. 
Stammt  er  aus  dem  benutzten  Evangelium,  so  ist  er  zweifel- 
los zu  einer  älteren  Vorlage  hinzugefügt  und  das  Evangelium 
in  jüngerer  Zeit  verfasst  oder  überarbeitet. 

In  der  folgenden  Zeile  eupiT«;  t«P  XC'P[iv  Trapd  tuj  6uu  Kai  ibou 
tcEt]  uiöv],  Kai  KaXecTit^  müssen  des  Raumes  halber  nothwendig 
die  Worte  Kai  auXXrmnjj;]  ev  -^aöi^'x  gefehlt  haben.  Ein  Grund, 
wesshalb  der  \^erfasser  des  liturgischen  Stückes  sie  hätte 
unterdrücken  sollen,  ist  nicht  erfindbar;  so  ist  wahr- 
scheinlich, dass  sie  in  dem  Evangelium  ebenfalls  fehlten. 


'  Auf  ÖYT^ lov  oder  OKeCoc;  weisen  die  folgenden  Adjective,  vgl.  für  das 
bekannte  Bild  z.  B.  Athanasios  (?;  ei;  diroYpaqpnv  Tf|(;  äyiaq  Mapiaq  (Tom  II  349  C 
ed.  Bened.).  tö  toö  vni;i(JTOU  Geoxüjpnfov  OKeüoi;. 


llfe  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Weiter  fragt  Maria  nicht  wie  bei  Lukas  ttok;  larai  toOto, 
sondern  TTÖGev  )lioi  toüto  Teviiaexai.  Endlich  fehlen  Lukas  V.  36 
und  37  vollständig.  Nun  wäre  es  an  und  für  sich  gewiss 
denkbar,  dass  der  Verfasser  des  liturgischen  Stückes  sie 
fortliess,  weil  sie  nur  der  Verknüpfung  dieser  Scene  mit  der 
folgenden  Erzählung  dienen  und  sich  für  ein  Gebet  ihrem 
Ton  nach  nicht  eignen.  Ich  habe  dies  zunächst  geglaubt, 
und  erst  eine  Prüfung  der  Zusammenhänge  des  ganzen 
Stückes  hat  mich  zu  der  Ueberzeugimg  gebracht,  dass  die 
letztgenannten  drei  \"arianten  unter  einander  in  enger  \''er- 
bindung  stehen,  und  dass  wir  es  hier  mit  einem  neuen 
EvangeHenbruchstück  zu  thun  haben.  Der  Text  unseres 
Ostrakons  ist  klar  und  verständlich.  Die  Worte  KexapiTuuiaevn, 
eupeq  x«piv  Ttapot  tüj  Getu  und  TeEi,i  uiöv  muss  ^Llria  —  zumal 
nach  antiker  Sprache  und  \^orstellungsart  —  so  verstehen, 
als  trage  sie  das  Kind  schon  in  sich.  Die  Antwort  ttöÖev 
|uioi  TOÜTO  ^  Tevriaerai,  e-rrel  dvöpa  ou  yivojctkuu  verliert  ihren 
vollen  Sinn,  wenn  wir  vorher  Kai  iöoü  ffuXXiTinqji]  ev  facTTpi 
einschieben  und  den  Engel  von  einer  imbestimmten  Zukunft 
reden  lassen.  Man  braucht  ja  nur  die  modernen  Commentare 
durchzulesen,  um  aus  den  erquälten  und  zum  Theil  sprach- 
widrigen Interpretationsversuchen  die  Unmöglichkeit  dieser 
Verbindung  zu  erkennen.    Auf  die  Frage  iröGev,  errei  oEvöpa 

ou  "fivöjaKUj  antwortet  der  Engel  richtig  rrveOiLia  ötiov Kai 

buva)Liiq  Toü  Geou,  und  an  diese  stark  betonten  Worte  schliesst 
wieder  richtig  öiö  Kai  xö  Yevvuj|uievov  äyiov  KXiiGiicreTai,  uiöq  Geoö  -. 
Der  Engel  nimmt  dabei  auf  seine  früheren  A\^orte  Kai 
uiöq  Geou  KXi-iGiicreiai  Bezug.  Er  hat,  gerade  weil  Maria 
an  etwas  schon  Geschehenes  denkt,  zu  betonen,  dass  das 
Wunder  erst  bevorsteht;    erst  muss   ja    Maria  einwilUgen. 

'  Auf  TitT]  uiöv  bezüglich. 

'■*  In  einzelnen  Commentaren  lesen  wir  freilich,  dass  YEvvduiaevov  ÜYiov 
zu  verbinden  sei,  sonst  fehle  vor  uiö?  6eoü  ein  Kai.  Ist  das  Vorkommen  des 
Asyndeton  in  feierlicher  Sprache  wirklich  so  unmöglich?  Der  doppelten  Ansage 
Trv€Ö|ia  äfiov  und  büvaiiK;  toö  6eou  entspricht  die  doppelte  Bezeichnung. 
Dass  wir  Lukas  V.  35  nicht  irgend  einer  dogmengeschichtlichen  Construction 
zu  Liebe  athetiren  dürfen,  sondern  dass  auf  ihn  das  ganze  Gespräch  hinzielt  und 
er  den  Kern  der  Geschichte  enthält,  dünkt  mir  schon  hiemach  klar. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  119 

Sie  thut  es,  und  damit  vollzieht  sich  für  den  Erzähler  offen- 
bar das  Wunder.  Jedes  Wort  schliesst  hier  eng  an  das  andere ; 
keines  können  wir  entbehren,  keines  umgestalten. 

Betrachten  wir  nun  den  Bericht  des  Lukas.  Nur  die 
Formulü'ung  der  Frage  TTÜjq  eaxai  toöto  ermöglicht  ihm  den 
Verweis  auf  Elisabets  späte  Schwangerschaft  und  den  Satz 
ouK  dbuvaTiicTei  irapöt  toö  6eoö  irdv  pfjina  K  Er  enthält  die  eine 
Antwort,  aber  sie  schleppt  ungeschickt  nach  und  ist  von 
der  Frage  durch  eine  zweite,  an  und  für  sich  voll  genügende 
Antwort  geschieden,  und  wenn  man  beide  Antworten  in 
einen  inneren  Zusammenhang  brmgen  will,  so  fällt  der  Satz 
öiö  Kai  TÖ  Yevvuj|Lievov  ä^xov  KXiiGricreTai,  uiöq  Geou  störend  da- 
zwischen. Ich  selbst  glaube  auch  in  dem  Ton  der  Verse  36 
und  37  einen  starken  Abfall  gegen  die  knappe  und  erhabene 
Sprache  der  Haupterzählung  zu  finden;  aber  entscheidend 
muss  für  den  Philologen  sein,  dass  die  Fassung  TTÖGev  |uoi  toüto 
Yevncrexai  allem  Anschein  nach  die  echte  ist  und  sich  doch 
wegen  des  öxi  ouk  dbuvaTi'icrei  bei  Lukas  nicht  einsetzen  lässt. 

Herr  Vicar  Jacoby  hat  in  seiner  Ausgabe  eines  neuen 
Fragmentes  eines  koptischen  Evangeliums  -  auf  verschiedene 
Stellen  in  gnostischen  Schriften  aufmerksam  gemacht,  in 
denen  Gabriel  als  der  axTe^oq  und  Xöjoq  (bezw.  die  öuva|ui(;) 
6eou  mit  Christus  gleichgesetzt  wird;  indem  er  zu  Maria 
spricht  und  ihr  das  göttliche  Wort  kündet,  wird  der  XÖYocg 
in  ihr,  vollzieht  sich  das  W^under  der  Empfängniss.  Es  ist 
schade,  dass  Herr  Jacoby  diese  Vorstellung  nicht  weiter  in 
kirchliche  Kreise  verfolgt  hat;  ich  werde  es  natürlich  nur 
in  ungenügendem  Maasse  thun  können. 

Schon  Justin  identificirt  bekanntlich  Apol.  I  33  und 
Didl.  c.  Tryph.  105  Ttveöiaa  und  buva|Lii^,  die  über  Maria  kommen 
sollen,   mit  dem  Xöro<g-^  der  doch  zugleich  durch  sie  in  ihr 

'  Eben  darum  ist  |lioi  ungeschickter  Zusatz   aus  einer  anderen  Fassung. 

2  Eift  neues  Evangelien frai^nient  Strassburg,   1900.  S.  37  ff. 

■'  Auch  Christus,  bezw.  der  Aö"fo^,  ist  ihm  ja  iTveü|na.  Eine  reiche  Fülle 
weiterer  Stellen  giebt  Resch  Kindheitsevangelitiin  ( Texte  und  Untersuchungen  X  5) 
S.  93  ff.  und  S.  83  ff.  Seine  Schlüsse  muss  ich  freilicli  ablehnen.  Lieber  die  Art 
der  Logos-Vorstellung  und  die  „Quadrirung  des  Begriffes"  brauche  ich  wohl 
nicht  mehr  eingehender  zu  handeln.  , 


120  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

gezeugt  wird.  Hiermit  muss  man  verschiedene  Stellen 
jüngerer  Kirchenväter,  nach  denen  Christus,  bezw.  der  Aö-fo«;, 
sich  selbst  ankündigt  oder  für  die  menschliche  Geburt  sein 
eigener  Erzeuger  ist,  verbinden.  In  engem  Zusammenhang 
steht  femer  die  altkirchliche  Vorstellung,  die  Empfängniss 
habe  sich  durch  das  Ohr  vollzogen.  *  Zu  Grunde  liegt  eine 
weitverbreitete  und  alte  Auffassung,  nach  der  die  sogenannte 
Verkündigung  vielmehr  die  Erzählung  des  Zeugungswtmders 
ist.  Das  sagt  geradezu  Origenes:-  aiidco  quid  loqni,  quia 
et  in  CO,  quod  scriptum  est  „Spiritus  dei  veniet  super  tc  et 
virtus  altissimi  ohumbrahit  te" ,  principiuni  scminis  et  con- 
ceptns  fucrit.  In  der  späteren  Zeit  scheint  die  Behaupttmg 
bei  den  Worten  xaipe  KexapiTuu|ievii  habe  sich  die  Empfängniss 
vollzogen  sogar  häufiger;  die  x«pi?  wird  dabei  auf  diese 
Begnadigung  gedeutet.  Gegen  solche  Auffassungen  wendet 
sich  Pseudo-Athanasios  tic,  töv  eua^ffeXicJiaöv  tiiq  uTrepa-fiaq 
GeoTÖKOu  (n  338  A  cd.  Bcned.)^  ohne  doch  ganz  von  dieser 
Auffassung  der  Verkündigung  loszukommen:  iicr-rrdZieTo  lauiriv 
Xe-fuuv  •  x«ip£>  KexapiTua|uevii  •  6  Kupioq  laerd  aoO.  —  KaviauBa  naXiv 
Geiupoü.uev,  öxi  \\  ]xiv  qpuuvii  toO  drfeXou  Kard  Trpoqpopdv  irveuiaaTog 
j  dTrrixncreujg  auioö  biep|Liriveuo|aevr|,  oük  aürn  ht  rjv  ri  xoö  uioö 
uTTÖaracTig  ouöe  aurfi  -fefove  crdpE.  dXXd  küt'  auinv  ti^v  9uuviiv  erepa 
oöcra  Kaid  ir\v  uTTocnaaiv  ibiÖTii«;  toü  Xöyou  xai  GeoO  djuia  eTreqpoitii- 
(Tev  ev  Ti]  KOiXia  ti'ic;  TiapGevou.  Kai  ßXacTcpriiaoöaiv  oi  XeTOVteq,  öti 
aOiri  ri  qpuüvri  toü  dpxaTfc^ou  y\v  \-\  uTTÖcriaaiq  toü  Geou  Xö-fou, 
h\'o  Kai  eai'iueiuuö'diaeGa  töv  töttov,  dvaßaXXö|aevoi  Tf\c,  ßXaacpniaiaq 
Ti'iv  KaTdKpKJiv.  eTcpa  toivuv  jrapd  t^v  cpiuvriv  toö  dpxa-^rfeXou 
oucTa  f]  ÜTTOCTTaaiq  toü  Xöyou  Kai  uiou  toO  GeoO  djaa,  ujq  TTpobiav- 
oixGeimiq  T\\c,  dKonq  jx\ci  TtapGevou  bid  tii^  dpxaTfcXiKfic;  qpuuvfic;, 
eicrfiXGev  eiq  aürftv  x\  Geia  roü  uioü  uTT6(JTaai<;,  (.mc,  auTi]  utv  r\ 
irapGevoq  oük  oibev,  oibe  be  6  eiaeXGuüv,  öttuu?  eiafiXGe.  biö  Kai  oi^  \xi'\ 
eibuia  Tou  uucfTiipiou  Triv  eKßaaiv  bieTapdxGii  em  tüü  Xö-fuJ  toü  dfre- 
Xou  ktX.  Das  iboü  betont  nach  ihm  den  gegenwärtigen  Moment. 

'  Vgl.  Hofmann  Leben  Jesu  nach  d.  Apokryphen  S.  77  (daraus  Resch 
a.  a.  O.  85);  Lehner  MarienvereRrung^  206;  Liell  Darstellungen  der  Jungfrau 
Maria  35. 

»  Ilomil.  in  Luc.  XIV  Migne  III /.  18S7. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  121 

Aus  dieser  Stelle  wird  sich  uns  am  leichtesten  die 
Erzählung-  des  Sibyllenorakels  (VlII  457  Rzach)  erklären. 
Voraus  geht  ein  Bericht  über  die  Weltschöpfung  durch  den 
göttlichen  Aoxoq ;  ihm  entspricht : 

ucTTaiioig  öe  xpo^o^'ä  XÖoV  dfieivjjaTO  Kai  ßpaxu«;  eXGujv 

TiapBevou  ck  Mapin?  XaYovuuv  dvexeiXe  veov  cpuug, 

oupavoGev  öe  luoXdjv  ßpoieiiv  eveöiKTaro  jiiopqpiiv. 

[TTpuuTa  )Liev  ouv  FaßpiriX  crBevapöv  be^ag  dyvöv  eöeixOii  460 

öeuTcpa]  Kai  Koupiiv  amä-j-jeXoq  eweTie  qpuuvii.^ 

„öeSai  ev  dxpdvTOicri  Geöv  üo\q,  rrapGeve,  koXttok;." 

&(;  eiTTiuv  ejUTTveuae  Qe.bq^  x«Piv  jn^oti^i  Koup^ic;'', 

Tiiv  ö'  dpa  idpßo«;  ö)uoö  6d)aßo<;  9'  eXev  eicraioucrav, 

(Ttn  b'  dp'  uTTOTpo|ueou(Ta"*  vooq  öe  oi  eTTToinio  465 

TTaXXo)Lievj]  Kpabinv  ütt'  dvaiiaroicriv  dKOuai(;. 

auTiq  ö'  eucppdvGn  Kai  idv6r|  Keap  aubi], 

Koupibiov  ö'  ereXaacrev,  eiiv  ö'  epuöiive  Trapeinv 

xdpiuaTi  T6pTT0|uevn  Kai  GtXyoiuevii  cppevag  aiboi, 

Kai  oi  Gdpaog  eTTiiXGev.^  erroc;'^  b'  eiaeTTTaio  vribuv,  470 


*  qpujvf)  die  Herausgeber;  vgl.  Protevang.  lac.  c.  11  p.2\  ed.  Tischendorf 
Kai  iboO  qpaivr)  Xe^ouffa"  x^iP^  KexapiT(jU|U^vr)  ktX.  Nur  zu  dem  Nominativ 
passt  aÖTdYTeXoi;  gut. 

2  Oeöc  bieten  alle  Handschriften;  es  ist  die  auxdYT^^oi;  qpujvi'i.  Die  Heraus- 
geber corrigiren  den  Dichter  und  den  altkirchlichen  Glauben  durch  ihr  6€0U. 
SjUTTveuae  haben  die  besseren  Handschriften  (4>),  ^-rrdveuae  V.  Schon  der  Ver- 
gleich mit  der  Belebung  Adams  muss  für  ^|uiTveua6  sprechen;  der  Erzähler  fasst 
Xaipe  KexapVTUJjii^vri   als  das   schöpferische  Wort. 

^  ribaiei  Koupr)  die  Handschriften.  Die  Conjectur  Ludwichs  r^ix  KOÜpi] 
genügt  den  Buchstaben  und  verdirbt  den  Stil;  an  eine  Umschreibung  wie  eibei 
KOÜpric;  denkt  Br.  Keil. 

■*  Es  ist  dieselbe  Auffassung  der  Worte  y\  be  ^ttI  tuj  Xöylu  bieTapdxßii 
wie  bei  Pseudo-Athanasios,  nur  sinnlich  ausgeführt. 

5  Vgl.  lustin  Dial.  c.  Tryph.  c.  loo  TTiffTiv  be  Kai  xapdv  XaßoOaa  Mapia  y\ 
irapö^vo^,  eüa-fTe^i^oin^vou  auxi]  Faßpi^X  dyT^^ou;  Protevang.  lacobl  12  xapdv 
be  Xaßoöau  Mapid|U  diriei  irpöc;  'EXiadßer.  Aus  der  Uebereinstimmung  beider  hat 
Resch  a.  a.  O.  103  geschlossen,  ein  älteres  Evangelium  habe  diese  Worte  am 
Schluss  der  Verkündigung  (vor  oder  nach  y^voitö  |uoi  Kard  TÖ  \>x\\x6.  öou) 
gehabt. 

'^  Nach  dem  Sinn  des  Dichters  wohl  das  Zeugungswort  XC*iP^  Kexapi- 
TiuiLidvri,  der  Xö'foi;. 


122  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

(japKuuÖev  öe  XPOVUJ  Kai  facTTepi  ZliuoToviiOev 
e7T\d(T0ii  ßpoteiiv  ibir]v  Kai  KoOpo<;  exuxen 
TTapGeviKOiq  TOKeroT?.^ 

Dass  hier  das  Wunder  der  Empfängniss  in  genauester 
Anlchnimg  an  die  \^erkündigungsgeschichte  geschildert  ist, 
hoffe  ich  durch  die  Parallelstellen  in  den  Anmerkungen 
gezeigt  zu  haben.  Daher  kann  man  in  \^.  460,  461  m.  E. 
nicht  eine  ursprüngliche  zeithche  Scheidung  der  Erscheinung 
des  verkündigenden  Gabriel  und  der  das  Wunder  bewir- 
kenden cpiuvii  suchen.  ^Möglich  wäre,  dass  der  Dichter  wie 
der  Verfasser  der  Pistis  Sophia-  den  Logos  in  der  Gestalt 
Gabriels  durch  die  Himmel  niedersteigen  und  A'on  oben 
als  (puuvri  zu  Maria  sprechen  liess.  Aber  die  matten  und 
ungeschickten  Worte  lassen  mich  eher  an  eine  Interpolation 
späterer  Zeit  glauben,  deren  Verfasser  ebenso  wie  Pseudo- 
Athanasios  zwei  Vorgänge  scheiden  wollte  —  entgegen  dem 
Geist  und  Zweck  der  ursprünglichen  Erzählung. 

Sehen  wir  diese  an,  so  befremdet  zunächst  das  ^^'ort 
beSai  ev  axpavioim  9eöv  croTq,  TrapOeve,  köKttok^.  Es  erinnert 
mich  lebhaft  an  das  leider  ja  nicht  mit  Sicherheit  herzu- 
stellende Wort  unseres  Ostrakons  eK[XeXeTMevi-i  au  ibq  arfeiov 
d|iiavTovJ  Kai  0eobÖKOv  Kai  äeiTiiaov.  Es  wäre  denkbar,  dass 
dasselbe  Evangelium  benutzt  ist;  wir  können  es  viel- 
leicht noch  an  anderer  Stelle  wiederfinden. 

Mit  der  nur  aus  gnostischen  Schriften  kurz  characteri- 
sirten  Auffassung  von  der  Verkündigungsgeschichte  hatte 
Herr  Jacoby  ein  von  mir  in  Gizeh  gefundenes,  im  vierten 
oder  fünften  Jahrhundert  niedergeschriebenes  Gebet  in  Zu- 
sammenhang gebracht,  in  welchem  es  von  Christus  heisst: 
6  eXGüjv  biä  tou  FaßpuiX  ev  ty]  TüCTTpi  tnq  Mapia^  rnq  -rrapGevou, 
6  -ftwiiBeii;  ev  BiiOXeeia  Kai  rpacpeiq  ev  Nalapei  ö  araupuLiSeiq. . . 

biü  Tu  KaiaireTaaiaa  toO  iepoG  eppupi  bi'  auTov, 

ö  dvaaidq  eK  veKpüjv  ev  tlu  idcpuj  Tt]  Tpiii]  toü  Gavdrou,  ecpdvii 


'  Als  Zeit  der  Abfassung  nimmt  Kricdliuh  J)h-  Si/iyilitiischeti  Jl'cissoi^tntgeH 
p.  LX  das  Ende  des  zweiten  oder  den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  an. 
2  Vgl.  Jacoby  a.  a.  O.  37. 


ir.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  123 

eauTÖv  ev  ti]  faXiXaia,  Kai  dveXGuuv  em  tö  \j^)oq  tüüv  oüpavojv. 
Dass  diese  Lebenserzählung'  den  Inhalt  eines  in  Aegypten 
umlaufenden  Evangeliums  kurz  wiedergeben  soll,  hatte  Herr 
Jacoby  angenommen ;  es  ist  m.  E.  der  nächstliegende  Gedanke, 
wenn  er  auch  von  theologischer  Seite  leidenschaftlich  bestritten 
ist.  Einen  starken  Anhalt,  freilich  noch  nicht  den  Beweis 
für  seine  Richtigkeit  bietet  der  neue  Fund.'  Aus  dem  neuen 
Evangelium  ergab  sich  diese  Auffassung  der  Verkündigung 
von  selbst,  bei  Lukas  widerstritt  sie  dem  Sinn  und  Plan  des 
Schriftstellers.  Ihn  zeigt  am  besten  die  kunstvolle  Parallel- 
stellung der  beiden  Verkündigungen,  die  den  Leser  durchaus 
zwingt,  auch  bei  der  zweiten  nur  an  die  Prophezeiung  eines 
bevorstehenden  Wunders,  nicht  an  die  Erzählung  des  Wunders 
selbst  zu  denken.  Der  zunächst  unscheinbare  Zusatz  Kai 
au\Xri)iv|j»;i  ev  ^aoipi  wird  2,  21  noch  einmal  hervorgehoben: 
Kai  eKXi'iGi'i  tö  övo|ua  aÜTOÜ  MriCToOi;,  tö  kX^Gev  uttö  toö  dYT^^ou 
TTpö  Toü  auXXniucpGnvai  aÜTÖv  ev  tv\  KoiXia.  Der  ganze  Sinn 
der  Geschichte  ist  umgestaltet,  und  doch  sind  die  Worte 
geblieben.  So  kommt  es,  dass  die  Begründung  eirei  avöpa 
DU  Yivuj(JKUj  im  Munde  der  bald  in  die  Ehe  tretenden  Jungfrau, 
der  eine  zukünftige  Empfängniss  verheissen  wird,  wie  schon 
erwähnt,  durchaus  nicht  mehr  passen  will.'  Aber  die  Ge- 
schichte selbst  hat  auch  ihren  Zw^eck  verloren;  man  hat 
mit  Recht  betont,  dass  bei  Matthaeus  die  Verkündigung  an 
Joseph  für  die  Erzählung  wichtig,  ja  unvermeidlich  ist,  bei 
Lukas  die  Verkündigung  an  Maria  besser  fehlen  könnte, 
und  hat  daher  Lukas  als  Nachahmer  des  Matthaeus  gefasst. 


1  Erwähnen  will  ich  wenigstens,  dass  die  nicht  so  sicher  aus  dem  Evan- 
gelium stammenden  Theile  des  Gebetes  in  den  Worten  oi  oupavoi  r|u\oYil6i'iaav 
Kai  fi  ff]  i.xdpr\,  öti  dir^aTti  öitt'  aÖTuuv  6  ^x9pö?  eine  gewisse  Parallele  zu 
den  Sibyllinen-Versen  (474.  475)  bieten  TiKTÖiaevov  bt  ßp^qpoi;  iroxib^EaTO 
fr\Qoa\jvr\  x6iijv,  oOpctvioi;  b'  ifiXaaae  Gpövoc;  Kai  dTäWeTO  KÖa|Lio<;.  Grossen 
Werth  lege  ich  nicht  darauf. 

'^  So  will  A.  Resch  (a.  a.  O.  81)  denn  für  sein  Kindheitsevangelium  den 
Text  der  Ankündigung  gestalten  auWru^Tl  ^K  XÖYOU  auxoö,  um  wenigstens 
die  Frage  thJjc,  Sarai  toOto  zu  erklären;  aber  der  Zusatz  direi  ävbpa  oi)  YivÜJ(JKiu 
wird  damit  vollständig  sinnlos.  Der  Zusatz  ^K  XÖYOU  auTOÖ  in  dem  Protevan- 
gelium  spricht  nur  für  die  GrundaufTassung  der  Zeit. 


124  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Wir  werden  jetzt  eventuell  wieder  annehmen,  dass  beiden  eine 
ältere  Erzählung  vorausliegt,  die  jeder  in  seiner  Weise  um- 
gestaltete. 

Nicht  mit  Unrecht  haben  die  Kirchenväter  immer 
wieder  bei  der  Verkündigung  auf  den  Eingang  des  Johannes^ 
Evangeliums  venviesen.  Eine  ähnliche  Gnmdauffassung,  frei- 
lich in  ganz  anderer  Ausgestaltung,  waltet  in  beiden  Stücken. 
Auch  der  Verkündigungsgeschichte,  wie  Avir  sie  in  dem 
neuen  Text  finden,  hegt  der  Logos-Glaube  und  die  \^or- 
stellung  von  der  Schöpfung  durch  das  Wort  zu  Grunde. 
Ich  venveise  auf  die  S.  83  zusammengestellten  Zeugnisse 
für  die  eigenthümliche  reUgiöse  Anschauung,  nach  der  ein 
Gott  den  andern  durch  sein  Sprechen  schafft.  Aus  dieser 
Anschauimg  hat  der  erste  Erzähler  mit  mächtiger  Gestaltungs- 
kraft einen  Bericht  über  die  Empfängniss  Christi  gebildet, 
der  freilich,  so  erhaben  er  ist,  doch  nothwendig  bei  vielen 
dem  Missverständniss  verfallen,*  viele  peinlich  berühren 
musste,  der  sich  aber,  einmal  geschaffen,  kaum  mehr  igno- 
riren  Hess.  So  hat  denn  der  Verfasser  der  Kindheitsgeschichte 
im  Matthaeus-Evangehum  das  Wunder  nur  in  einem  Traum- 
gesicht Joseph  nachträglich  offenbaren,  Lukas  es  nur  der  Maria 
vorausverkündigen  lassen.'-  Aber  die  ältere  Anschauung  ent- 
sprach zu  sehr  dem  religiösen  Empfinden  und  der  Denkart  des 
Hellenismus;  so  hat  sie  sich  neben  dem  kanonischen  Evange- 
lium, ja  ihm  zum  Trotz  noch  durch  Jahrhunderte  erhalten. 

Aber  freilich  gegen  diese  Combinationen  erhebt  sich 
ein  sehr  ernstes  Bedenken.  Ich  habe  oben  selbst  zugegeben, 
dass  gerade  wenn  wir  die  Thätigkeit  des  liturgischen 
Redactors  möglichst  gering  ansetzen,  unser  Evangelium  in 
relativ  junger  Zeit  überarbeitet,  bezw.  interpolirt  sein  muss. 
Verlangt  nicht  dann  die  Methode  unserer  Arbeit,  dass  wir 
die  Abweichungen  von  dem  Bericht  des  Lukas  auf  dieselbe 


'  Vgl.  Jacoby  a.  a.  O.  38. 

*  Dass  die  beiden  ersten  Kapitel  des  Lukas-Evangeliums  von  demselben 
Verfasser,  wie  der  Haupttheil,  herrühren,  hat  Harnack  {Sitzuiigsber.  </.  Bc-rl.  Akad. 
1900  S.  549  ff.)  aus  stilistischen  Gründen  erwiesen.  Die  Quellen  scheinen  mir 
dennoch  verschieden. 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  125 

Ueberarbeitung  zurückführen  und  aus  jener  allgemeinen 
Auffassung  des  V^erkündigungsberichtes  erklären?  Genügt 
es  nicht  einfach  den  secundären  Character  dieses  Evan- 
geliums zu  constatiren,  um  ihm  jeden  Werth  abzusprechen? 
Ich  möchte  das  Gewicht  dieses  Einwandes  noch  verstärken, 
indem  ich  auf  den  Character  der  beigefügten  Lobpreisung 
etwas  näher  eingehe.  Zweimal  begegnet  in  ihr  das  \A^ort 
6eo56K)-|,  also  die  populäre  Form  für  das  nach  atticistischem 
Vorbilde  geformte  Wort  der  Schriftsprache  Geoböxe;  die  Con- 
sonanten  sind  in  dem  ganzen  Gebet  rein  überliefert,  eine  Aen- 
derung  also  unmöglich.  Dagegen  fehlt  das  Wort,  welches  wir 
zunächst  erwarten,  GeotÖKe;  es  lässt  sich  auch  in  den  Er- 
gänzungen nicht  leicht  imterbiingen,  selbst  wenn  man  zu  dieser 
an  sich  bedenklichen  Ausflucht  greifen  wollte.  Die  Abfassungs- 
zeit des  Hymnos  lässt  sich  danach  zwar  nicht  mit  Sicherheit, 
aber  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  bestimmen. 

Als  Nestorios  an  der  Bezeichnung  öeoTÖKoq,  die  schon 
seit  d^m  dritten  Jahrhundert  allgemeiner  üblich  geworden 
war,  Anstoss  nahm,  setzte  er  ihr  in  seinen  Predigten  die 
Bezeichnung  0eoböxo(g  entgegen;*  das  seine  Meinung  eigentlich 


'  Vgl.  Gallandi  VIII  633:  dominicae  itaque  humanitatis  susceptionein  cola- 
mus,  incarnationis  sacramentum  hymnis  incessahillbus  extollamus,  susceptricem 

dei  virginem  cum   deo ratiocinemur,   cum   deo   ad  divina  non   elevemus. 

Beoböxov  dico,  non  GeoTÖKOV,  h  litte ram,  Oton  t,  et  x>  non  k  expriini  volens; 
unus  est  enim,  ut  ego  sectindtcin  ipsos  dicam,  paier  deiis  GeoTÖKOt;,  id  est  genitor 
dei,  qui  hoc  nomen  compositum  habet.  Vgl.  ebenda  634:  „non  dicit"  inquiunt 
„06OTÖKOV,  id  est  genetricem  dei",  et  hoc  est  totum,  quod  nostris  sensibus  ab 
Ulis  opponitur.  „nemo  enim"  aiunt  „rectum  fidei  gloriam  sequens  vocem  hatte 
aliquando  declittavit."  multa  dogmatum  ibi  experimenta  suppeditant,  maxime 
quidem  quae  sunt  Apollinaris  sectae  et  Arii  vel  Eunomii.  si  investiges,   untis- 

quisque  eorum  OeoTÖKOV,  id  est  dei  genetricem,  appellavit  virginem  sanctam 

scis  hoc  ApolUnarem  dicetttem,  scis  hatte  vocem,  id  est  GeoTÖKOV,  apud  Arium 
plausus  maximos  excitare,  scis  hanc  quoque  apud  Eunomium  frequentari.  Vgl. 
Cyrills  Brief  ebenda  641 :  dignare  unam  locutionem  donare  offensis  auribus,  dei 
puerperam,  id  est  6eoTÖKOV,  pronutttians  virginem  sanctam  (vgl.  ebenda  S.  652). 
Gegen  die  Nestorianer  wendet  sich  die  Predigt  des  Pseudo-Athanasius  ei«;  Triv 
•f^veaiv  Xpiaroö  (II  353  B  ed.  Bened.):  eiud  oöv  GeoTÖKOv  xriv  uapG^vov,  Kai 
\xr\  \i'^e  Geoböxov,  |uä\\ov  hi  M'^e  öeoböxov  Kai  OeoTÖKOV.  ei  <Täp>  6eo- 
böxoq,  iOTX  Kai  BeoTÖKOi;  kt\. 


126  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

ausdrückende  Wort  war  freilich  xpicrTOTÖKO(;,  Oeoöoxo?  offenbar 
nur  wegen  des  nahen  Anklangs  an  GeoTÖKoq  gewählt.  Dennoch 
wäre  die  naheliegende  \'ermuthung,  dass  unser  Hymnos 
nestorianisch  ist,  und  dass  der  Evangehentext  erst  zu  dieser 
Zei^  interpolirt  sei,  schwerlich  richtig.  Enthält  doch  der 
Schluss  eine  Vergötthchung  der  Jungfrau,  die  gerade  dem 
Nestorianer  aufs  äusserste  widerstreben  musste.  Man  wh'd 
umgekehrt  folgern  dürfen,  dass  das  Gebet  entstanden  ist, 
bevor  dieser  Streit  dem  Wort  Beoböxoc;  eine  bestimmte,  gegen 
den  übergrossen  Marienkult  gerichtete  Bedeutung  gab,  dass 
also  Nestorios  das  Wort  nicht  neu  prägte,  sondern  aus  schon 
vorhandenem  liturgischem  Brauch  übernahm.  So  darf  man 
wohl  nach  anderer  Seite  zu  suchen,  da  man  der  Interpolation 
eines  Evangelientextes  (dem  Bild  GeobÖKOv  drfeiovi  doch  am 
liebsten  einen  dogmatischen  Zweck  zuschreiben  wird.  So 
einfach  und  unanstössig  an  und  für  sich  dies  Bild  ist,  das  die 
Kirchenväter  aller  Zeit  ja  auch  ruhig  Aveiter  gebrauchen,  es 
lässt  sich  in  einen  gewissen  Zusammenhang  mit  den  im  zweiten 
Jahrhundert  beginnenden  christologischen  Streitigkeiten  brin- 
gen. Lehrte  doch  schon \^alentinian,  dass  Christus  durch  Maria 
ujq  bid  cruuXfivog  gegangen  sei.  Dass  bei  einer  Beeinflussung 
des  Evangelientextes  ein  vieldeutiger  Ausdruck  wie  drfeTov 
0eobÖKov  bevorzugt  wurde,  Hesse  sich  wohl  be^-eifen.  Wir 
würden  das  Evangelium  darnach  gegen  Ende  des  zweiten 
Jahrhimderts  und  in  Kreisen  entstanden,  bezw.  überarbeitet, 
denken,  die  mit  dem  Gnosticismus  immerhin  eine  gewisse 
Fühlung  hatten;  wir  würden  weiter  annehmen,  dass  sich 
in  einzelnen  Kreisen  in  AegA-pten  das  nicht-kanonische  Evan- 
gelium bis  ins  vierte  Jahrhundert,  ja  darüber  hinaus  im  Ge- 
brauch der  Gemeinde  erhielt.  Es  läge  dann  nahe,  es  mit 
dem  koptischen  Evangelium,  dessen  Reste  Herr  Jacoby  ver- 
öffenthcht  hat,  in  Verbindung  zu  bringen,  doch  wäre  dies 
nur  eine  auf  Fundort  und  Dauer  der  Wirkung  begründete, 
mehr  als  unsichere  Hj'pothese. 

Auf  Grund  eines  Bruchstückes  eines  solchen  Evan- 
geliums Ansichten  über  die  ältesten  Berichte  aufzubauen  und 
an  unsern  Evangelien  Kritik  zu   üben,   hat  gewiss  sein  Be- 


II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  12/ 

denkliches,  und  ich  würde  es  —  zumal  als  Laie  —  vermieden 
haben,  wenn  die  Erzählung  im  Lukas-Evangölium  an  sich 
verständlich  wäre  und  die  Spuren  der  Ueberarbeitung  mir 
in  ihm  nicht  so  handgreiflich  zu  Tage  zu  Uegen  schienen, 
wenn  endlich  das  neue  Evangelium  nicht  gerade  das  böte, 
was  sich  mü*  schon,  als  Herr  Jacoby  das  Gebet  von  Gizeh 
untersuchte,  im  wesentUchen  als  der  alte  Text  dargestellt 
hatte  '.  Die  Entscheidung  wird  in  solchen  Fragen  ja  stets 
von  Temperament  und  Ueberzeugung  des  Einzelnen  beein- 
flusst  werden.  Aber  principiell  wird  man,  wenn  die  jüngere 
Quelle  auf  alte  Tradition  zurückgehen  kann,  nicht  ohne 
weiteres  bei  Seite  werfen  dürfen,  was  sich  aus  inneren 
Gründen  empfiehlt  und  der  Sache  einzig  angemessen  ist. 
Weniger  fürchte  ich  den  andern  Einwand,  dass  man  aus 
einem  so  A'erstümmelten  liturgischen  Text  überhaupt  keine 
Schlüsse  ziehen  dürfe,  da  so  viel  unberechenbare  Factoren 
uns  über  ein  Spielen  mit  Möglichkeiten  oder  Wahrschein- 
lichkeiten kaum  hinauskommen  lassen.  Das  ist  bequem, 
wissenschaftlich  oder  allein  berechtigt  ist  es  nicht.  Gerade 
weil  nur  immer  einzelne  Steinchen  und  Trümmer  aus  dem 
grossen  Mosaikwerk  der  frühchristlichen  Litteratur  zu  Tage 
treten,  gilt  es,  zimächst  jedes  einzelne  aufs  peinlichste  zu 
prüfen,  bei  jeder  ^Möglichkeit  der  Ergänzung  den  Grad  der 
Wahrscheinlichkeit  festzustellen,  aus  jeder  Conjectur  alle 
Consequenzen  zu  ziehen,  um  den  BHck  für  die  Bestätigung 
oder  Widerlegung  durch  weitere  Funde  offen  zu  halten.  Die 
Verdächtigung,  der  Zweck  solchen  Thuns  sei,  durch  ein 
möglichst  werthvolles  Etikett  die  Sächelchen  wichtig  zu 
machen,  mag  erheben,  wer  will. 

Weniger  habe  ich  über  die  Ergänzungen  des  zweiten 
Theiles  zu  sagen.  Da  es  mir  nicht  gelungen  ist,  einen  an- 
nähernd  übereinstimmenden   Hj-mnos   zu   finden,   fehlt  für 


X' 


Die  Voraussetzung  für  diese  Hypothese  ist,  wie  ich  nochmals  betone, 
dass  die  Logos-Vorstellung  nicht  erst  von  dem  Verfasser  des  vierten  Evangeliums 
aus  Philo  übernommen  und  in  das  Christenthum  übertragen  ist,  sondern  dass  sie 
jene  Vorbereitung  in  dem  allgemeinen  religiösen  Empfinden  des  Orients  hatte, 
die  ich  früher  nachzuweisen  versuchte. 


128  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

sie  der  rechte  Anhalt.  In  Zeile  13  möchte  ich  zunächst 
für  auTÜj  einsetzen  auii)  und  die  oben  erwähnte  Stelle  des 
Pseudo-Athanasios  11  342  F  cd.  Bcncd.  >  zum  \'ergleich  heran- 
ziehen: TOiauTtt  Kai  r\  ipiTii  tOuv  dpxiliv,  drfeXuuv  te  Kai  dpxoY- 
YcXuuv  iepapxia,  KeKeXeu(T)aevii  Kai  emTeTpauuevii  Trapd  toö  diro- 
(yTeiXavTO(;  0eoö  ujq  öi'  evöq  dpxaTf^Xou  toO  faßpiriX  eKßodv  töv 
eKqpavTopiKujTaTOv  KaiTTepiXiiirriKubTaTOv  ü|ivov  dei  dvaKpdZ^er  x^ipe, 
KexapiTuu|ievr|  •  6  Kupio«;  laerd  croO.  Demnach  wäre  etwa  zu 
lesen:  lueid  toO  dpxaTf£X[ou  Kai  töjv  dTfeXuiv  Kai  iiu€i(;]  Tipo- 
(jKuviTCTuJiaev  auiri  nlävitc,-  x«ip£)  iVfaTTuuJ.uevn  toü  ku,  x«"ipe»  T^dp- 
eb[pe  Tou  un;iaTOu],  X(J.\pt,  BeobojKii,  i]  d|i|Lid  [toö  (JujTfipO(;fi|Liujv] 
u  TTepiaiepa  r\  dfafüü(T[a  eE  öXeOpou  louq]  dvoüq.*  In  Zeile  17 
ist  xt^i''Tap6evoioi  sicher  in  xai\PeTe>  TTap6eveioi  zu  verbessern, 
in  Zeile  18  eeo-  in  0eo-;  da  hier  nur  wenige  Buchstaben 
fehlen  und  zu  dem  zu  ergänzenden  Adjectiv  die  Worte  ev 
oupavoiq  gehören  müssen,  möchte  ich  in  Rücksicht  auf  das 
\'orausgehende  schreiben  yjü.\p^  9eobuüKi-|,  6eö[beKTe]  ev  oupavoiq. 
Weiter  ist  in  Zeile  19  20  für  vu[)Li]cpri(j  offenbar  vuiaqpii  zu 
lesen  und  oibi  in  dibi[ou]  zu  verbessern.  Den  Schluss  bildet 
das  zweimaHge  x"[ip£j.  Xttip[€]- 

Der  Text  des  ganzen  Gebetes  mag  danach  ungefähr 
gelautet  haben : 

Xaipe  KexapiTuuuevr)'  6  KijpiO(;  uerd  dou.  eK[XeXeT|uevii  <Ju  lüq  d"f- 
YCiov  djiiavTOv]  Kai  GeobÖKOv  Kai  deiTi)aov.-  eupe(g  'fdp  X"P[iv  irapd 
Tuj  Seil»,  Kai  iboO  retri  uiöv],  Kai  KaXecrei^  tö  övo^ia  auToü  'lr|(yoö(v). 
ouToq  [crdicrei  toü?  Xaoü<;  Kai  xAbo,  6eoü  KXiijBnaeTar  buuaei  auTÜ) 
KupiO(;  6  9eö?  töv  0[pövov  Aaueib  toö  iraTpög/Kai  ßaai]Xeü(cr)£i 
em  TÖV  oiKOv  'laKÜjß  ei<;  töv  [aiujva,  Kai  Trj<;  ßaffiXeiaq  auTOÖ]  ouk 
earai  ii\oc,.  —  TTÖ6ev  faoi  toöto  Te[vr|creTai,  CTiei  dvbpa  ou  yivoj- 
(Jkuj;  —  TTv]eöua  dfiov  eTreXeucreTai  eiri  cre,  Kai  [buvauig  tou  6eou 
fcTTicTKidaei  aoi].  biö  Kai  tö  •f£vvuu|uevov  dfio[v  KXnOiicreTai,  uiö? 
Geoö.  —  iboO  n  boüjXfi  Kupiou'  t^voitö  )iOi  Kard  tö  pn)ii[d  (Jou.  — 
EuXoTriiaevri  ev  TuvaiEiv,  6  Kupioig  ejXdXiide  aoi  Kai  eüaffeXia9ai 
eK[eXeu(Jev  öti  bid  toö  uioö  crou  cr(u]9r)öeTai  irdaai  ai  Trarpiai  tii«; 


'  Der  Vergleich  Marias  mit  der  Taube  des  Noah  begegnet  öfters. 
*  Vielleicht  dei  t(uiov? 


IL  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  129 

['louöaiaq  Kai  Travia  rd  Yevi]  tojv]  eOvüuv.  jueid  tou  dpxaTTe^[ou 
Kai  TÜJv  6.j^e\()jv  Kai  ninei«;]  TTpo(JKuvnö'uj)aev  auTi]  T:[6iVTec,'  xo^ip^, 
ilYa7T(ju])Liev)-i  tou  Kupiou,  xctip^.  Trdpeö[p6  tou  ui|»i(JTOu],  x^ip^,  0£O- 
ÖÖKri,  11  djLiud  [tou  cruüTiipoq  ii|uiJuv],  f]  TiepidTepa  f]  dYaTouö'[a  eS 

öXe0pou    T0Ü<;j  dv9pujTT0uq.   xctKpeTe>,   TTap6eveioi ,   x«ipe 

OeobÖKii,  Oeö[beKTe]  ev  oupavoi(;,  x^ip^.  vu[)Li](pri,  xoiTpe,  Mapi'a,  [ai] 
7Tap0ev6ioi  ßißXoi,  ßißXo(;  d'ibi[ou]  qpujTÖ^.    x«[ipt].  X«ip[t]- 

Erst  jetzt  kann  ich  nach  dem  langen  Umweg  zu  jenen 
religiösen  Formeln  zurückkehren,  für  welche  ich  weitere 
Belege  in  unserm  Texte  zu  geben  versprach.  Dass  Maria 
hier,  wie  seit  früher  Zeit  öfters,  mit  der  Gocpia  9eou  in  Ver- 
bindung gebracht  ist,*  hat  der  Leser  schon  empfunden,  vgl. 
Wcish.  Seil.  9,  4  öö<;  |aoi  t)iv  tujv  aüüv  Gpovuüv  irdpebpov  croqpiav, 
10,  4  öl'  öv  KaTttKXuCo.ueviiv  yhv  TrdXiv  biecTujö'e  aoqpia,  5i'  eÜTe- 
XoOq  HuXou  töv  öiKaiov  KußepvrjffacTa,  7,  26  dirauYaaina  Yap  £^ti 
qpuuTÖq  diöiou.  Schon  hiernach  wird  man  die  Bezeichnung 
als  ßißXo?  d'ibiou  qpuuTÖq  nicht  ausschliessUch  aus  der  be- 
kannten Jesaiasstelle  (8,  1-4)  erklären:  Kai  eiire  Kupio?  "npöc,  }xe ' 
Xaße  creauTUj  TÖjaov  KaivoO  |ueYdXou  Kai  yp^M^ov  eiq  auTÖv  Ypctqpiöi 
dv6pubTT0u,  ToO  öSeax;  7Tpovo|uiiv  Ttoincrai  (JkuXuuv  •  irdpeaTi  y^P  • 
Kai  ladpTupdg  ]ioi  TToindov  TTiaTOut^  dvGpuuTTOuc;,  töv  Oupiav  Kai 
Zaxapiav  uiöv  Bapaxiou.  Kai  TtpoCriXBov  fTpög  ti^v  TrpoqpfiTiv,  Kai 
ev  YttCTTpi  eXaße,  Kai  eTeKev  uiöv.  Kai  eiTie  Kupiö(;  |uoi  •  KdXecrov 
TÖ  övo|Lia  auToö  „Taxeou«;  (JKÜXeucrov,  öEeujg  Ttpovoiaeuaov",  öiöti 
TTpiv  r\  Yvojvai  tö  Tiaibiov  KaXew  iraTepa  x]  |ui"iTepa,  XriipeTai  buva|Liiv 
AaiLiacTKoO  Kai  Td  aKÜXa  Zainapeia^  evavTi  ßacriXeoiq  'Aaaupiujv. 
Die  Stelle  ist  von  den  Kirchenvätern  bekanntUch  als  messi- 
anische  Weissagung  aufgefasst  worden.  Das  ist  für  V.  2  ff. 
nicht  wunderbar  und  schon  vor  der  Zeit  Justins  geschehen; 
befremdlich  ist  nur,  dass  man  später  auch  in  V.  1  das  neue, 
grosse  Buch  allgemein  auf  Maria  bezogen  hat,  vgl.  Gregor 
von  Nyssa  testim.  adv.  Jiidneos:  -  tö\xov  ouv  Kaivöv  vooGiuev 


'  Die  Preislieder  auf  die  (Joqpia  0eoö  sind  gerade  an  Marienfesten  in 
der  römisch-  wie  griechisch-katholischen  Liturgie  üblich  geblieben. 

2  Gallandi  bibüoih.  vet.  patrum  VI  584.  Spätere  Zeugnisse  giebt  z.  B. 
Johannes  Damascenus  Migne  XCVI  /.  671,  692. 

Reitzenstein,    Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  9 


130  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

Tiiv  TtapOevov  ujcTTiep  yäp  6  x^pfn?  Kaivö<;  ecTTi  Ka6ap65,  otYpacpo? 
ujv,  ouTUjq  Ktti  11  TTap9evoq  dyia  äuüiiToq  dvbpöq.  Breiter  führt 
dies  Epiphcinios  adv.  Jiacrcs.  I  30,  30-31  aus:  tÖ|liov  bid  tö 
elvai  |uev  ifiv  TiapOevov  £k  cTTrepiaaioq  dvbpoq,  TeiiafiaBai  hk.  dTTÖ 
laiEeuüq  dvbpujv  , . .  ßißXioi  ^dp  direiKacre  t^v  mirpav.  Weiter  führt 
uns  endlich  Theodotos  von  Ankj'ra  in  der  schon  oben  citirten 
Predigt  ' :  x^ipoi?  dvepiaiiveuTe  infitep  dKaraXrinjiaq,  xo^ipoi"»  o 
Kaivöq  Kaid  'HcTatav  TOjaoq  Tr\c,  veac,  o\}yfpa<pr\c„  f]<;  fidpiupe«; 
TTicTToi  dTfeXoi  le  Kai  dvGpuuTTOi,  x^ipoi?  tö  dXdßacrrpov  tou  dTict- 
(TTiKoü  laupou  ktX.  Nur  dadurch,  dass  Maria  schon  früher  mit 
der  crocpia  0eoö,  die  ja  zugleich  das  Buch  des  Alten  Testa- 
mentes ist,  verglichen  war,  kann  ich  mir  die  Deutung  des 
ersten  Verses  des  Jesaias  entstanden  denken,  und  unser 
Ostrakon  giebt,  meine  ich,  für  diese  Uebertragung  die  Be- 
stätigimg. Es  giebt  die  volksthümHche  Auffassung,  den  letzten 
Grund  der  Fseudo-Gelehrsamkeit  der  Kirchenväter.  Aber 
diese  volksthümMche  Auffassung  selbst  ist  befremdend  genug ; 
ich  kann  sie  mir  nur  erklären,  wenn  ich  an  die  religiösen 
Vorstellimgen  und  Formeln  für  Isis  denke.  Sie  ist  ja  einer- 
seits vor  allem  „die  Mutter  des  Gottes",'"  andrerseits  die 
Weisheit  und  Vorsehung.  Wie  oft  wir  in  bildlichen  Dar- 
stellungen vergebens  fragen,  ob  Isis  oder  Maria  gemeint  ist, 
hat  man  mehrfach  betont.-^  Die  Kunst  spiegelt  hier  nur  das 
allgemeine  Volksempfinden  wieder,  in  dem  Maria  frülizeitig 
eine  religiöse  Stellung  einnimmt.  Dass  dabei  Vorstellungen 
aus  dem  Kult  der  im  ganzen  Orient  verehrten  Göttin  mit- 
einwirkten, wird  man  nur  natüi'lich  finden.  Freilich  Isis  ist 
für  mich  als  Buch  in  Aegypten  nicht  nachweisbar,  nur  als 
Verfasserin  der  heiligen  Schriften  ^ ;  wir  haben  es  hier  also 
zugleich  mit  einer  Weiterbildung  der  jüdischen  \''orstellung 


'  /ft  sanctam  deiparam  et  Syineoncm.    Gallandi  IX  460. 

*  Brugsch  Kclig.  d.  Aeg.  645  :  Ihre  gewöhnliche  und  höchste  Bezeichnung 
ist  „Mutter  des  Gottes". 

'  Vgl.  Röscher  Lexikon  d.  griech.  Myth.  II  428  ff.  Für  die  Darstellungen 
der  Sophia  und  Maria  vgl.  Haseloff  Codex  purpurcus  Rossattensis  S.  38  ff.,  1 16  ff., 
126  und  Tafel  XIV. 

«  Vgl.  oben  S.  104. 


n.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre.  131 

von  der  aocpia  9eoö  zu  thun.  So  führt  uns  das  neugefundene 
Gebet  in  den  früher  besprochenen  Anschauungskreis  und 
zu  jener  Mystik  zui'ück,  welche  sich  aus  aeg}-ptischen, 
jüdischen  und  griechischen  Elementen  hauptsächlich  unter 
dem  Einfluss  der  Stoa,  in  ihren  Anfängen  vielleicht  auch 
schon  unter  dem  früherer  philosophischer  Richtungen  in 
dem  griechischen  Orient  gebildet  hat.  — 

Dass  auf  die  „hellenistischen"  Formen  und  Formeln  des 
reUgiösen  Denkens  die  Stoa  entscheidenden  Einfluss  geübt 
hat,  ist  altbekannt,  aber  im  Einzelnen  noch  selten  beobachtet; 
ihren  Einfluss  auf  das  Empfinden  der  Zeit  gilt  es  in  der 
Fassimg  einzelner  M^'then  wie  in  der  Wahl  der  Worte  und 
in  allerhand  Kleinigkeiten  weiter  zu  verfolgen,  *  freilich  nicht 
so,  dass  wir  an  eine  reine  Uebernahme  aus  dem  Griechischen 
denken ;  eigentUch  schöpferisch  ist  die  Stoa  nie.  Sie  knüpft 
immer  an  vorhandene  Vorstellungen  an  und  verfährt  dabei 
oft  wohl  nicht  viel  anders  alsEratosthenes,  zu  dessen  Liede  ich 
im  Schluss  noch  einmal  zurückkehre,  weil  es  dem  religiösen 
Empfinden  auch  des  modernen  Forschers  auf  diesen  Gebieten 
unbeabsichtigten,  aber  um  so  schöneren  AusdiTick  leiht.  Aus 
der  aegA'ptischen  Tradition,  dass  die  Götter  der  Urstoffe  dem 
schöpferischen  Sonnengotte  Thot  jeden  Morgen  und  Abend 
ihren  Lobgesang  darbringen,  wird  ihm  durch  eine  Ueber- 
tragung  p3'thagoreischer  Gedanken  das  gewaltige  Bild,  wie 
Hermes,  der  Gott  alles  Forschens  und  Wissens,  das  Lied 
belauscht,  das  erst  der  Zusammenklang  der  A^erschieden 
tönenden  Sphaeren  ergiebt,  und  das  dem  höchsten  Gott,  dem 
Gotte  alles  Werdens,  der  schönste  und  hebste  Lobgesang  ist. 

Was  wir  Philologen  durch  den  Strassburger  Papyrus 
neu  gewonnen  haben,  sind  zunächst  freiUch  nur  kärgliche 
Reste  zweier  unbedeutender  Gedichte.    Aber  sie  sind  datirt 


*  Ich  erwähne  beiläufig,  um  ihr  Eingreifen  in  die  Vorstellungen  und  die 
Sprache  mit  einem  ganz  fernliegenden  Zuge  zu  belegen,  dass  z.  B.  der  syrische 
Uebersetzer  des  Eusebios,  wie  mir  Prof.  Nestle  nachwies,  das  Wort  öperri  in 
der  Regel  durch  ein  Wort  übersetzt,  welches  aipeTTj  bedeutet  —  gemäss  der 
stoischen  Etymologie.  Aehnliches  wird  sich  gewiss  bei  einigem  Aufmerken  in 
Fülle  finden  lassen;  es  zeigt  die  allgemeine  Verbreitung  stoischer  Anschauungen. 

9* 


lo2  II.  Schöpfungsmythen  und  Logoslehre. 

und  geben  uns  einen  weiteren  Einblick  in  die  Durchschnitts- 
leistungen der  damaligen  Tagespoesie;  sie  lassen  uns  ferner 
den  Stoff  einer  älteren  alexandi^inischen  Dichtung  erraten; 
sie  geben  endlich  einen  neuen  Anhalt,  die  Continuität  der 
hellenistischen  Poesie  zu  erweisen  —  vielleicht  sogar  noch 
etwas  mehr.  Man  hat  es  m.  W.  niemals  versucht,  die  Werke 
des  letzten  grossen  römischen  Dichters  Claudian  in  Zu- 
sammenhang mit  der  damaligen  griechischen  Dichtung 
seiner  Heimath  zu  bringen  und  den  Dichter  von  hier  aus  zu 
verstehen.  Wohl  hat  der  beste  Kenner  der  alexanch-inischen 
Poesie,  C.  Dilthej^  schon  längst  ihre  Einwirkung  auf  Claudian 
betont,  und  nützliche  Nachweise  über  sein  Verhältniss  zu 
älteren  griechischen  Dichtern  hat  auch  Biit  (p.  LXXIIj  ge- 
geben. Aber  die  alexandrinische  Dichtung  wirkt  ja  im  w^esent- 
lichen  ungestört  in  der  Osthälfte  des  Römerreiches  weiter. 
Ihre  Themata,  ihre  Denk-  und  Ausdrucksweise  sind  ge- 
blieben; das  zeigen  imter  vielen  anderen  auch  imsere  beiden 
EpylHen.  Gewiss  ist  Claudian  von  Statins  und  anderen 
lateinischen  Vorbildern  stark  beeinflusst;  aber  das  Wesent- 
liche ist  doch,  dass  er  diese  fortlebende  griechische  Poesie 
in  neuem,  starkem  Strome  in  die  römische  herüberleitet. 
Ein  griechischer  Dichter  ist  er  trotz  der  lateinischen  Sprache, 
wie  Ennius  dereinst,  wenn  wir  auch  gern  glauben,  dass 
beide  ihren  griechisch  schreibenden  Kimstgenossen  an  Kraft 
imd  Frische  weit  überlegen  waren.  Sollten  nicht  auch  die 
von  Spott  und  Hass  erfüllten  Epyllien  gegen  Rufinus  und 
Eutropius  nicht  in  einer  verschollenen  römischen  Dichtungs- 
art, sondern  in  der  Gelegenheitspoesie  der  spottsüchtigsten 
Stadt  griechischer  Zunge  ihre  wahren  Vorbilder  haben? 

So  mag  dies  für  Philologen  bestimmte  Buch  mit  einer 
für  Philologen  aufgeworfenen  Frage  schliessen. 


Nachwort. 

Ich  weiss,  dass  ich  etwas  unter  uns  Ungewöhnliches 
thue  und  mich  und  dies  Büchlein  aufs  schwerste  schädige, 
wenn  ich  ihm  ein  persönliches  Nachwort  mit  auf  den  Weg 
gehe  und  für  die  vorschnell  mit  willkürlichen  Erfindungen 
angegriffene  Ehre  zweier  deutscher  Gelehrten  selbst  gegen 
ihren  Wimsch  aus  keinem  anderen  Grunde  eintrete,  als  weil 
ich  den  Sachverhalt  voll  zu  kennen  glaube.  Die  Entschul- 
digung, dass  ich  es  auf  Grund  meiner  persönlichen  Be- 
ziehungen zu  ihnen  thue,  weise  ich  weit  von  mir;  ich  hege 
zu  mir  das  ruhige  Zutrauen,  dass  ich  es  ebenso  für  den 
Unbekannten  und  für  den  Gegner  thun  würde,  Aveil  ich  das 
für  Pflicht  halte.  An  den  Unterschied  zwischen  dicttiin  und 
responsum  brauche  ich  philologische  Leser  nicht  zu  erinnern; 
weder  Sprache  noch  Geist  des  Angreifers  werde  ich  nach- 
ahmen. 

Zu  den  werthvolleren  Stücken  unserer  Sammlung  gehört 
ein  kurzes  Fragment  eines  koptischen  Evangeliums.  Zu 
einer  Zeit,  als  die  Papyri  noch  zum  grossen  Theil  unauf- 
gefaltet  in  den  Kisten  lagen,  bat  Herr  Licentiat  Dr.  C.  Schmidt 
aus  Berlin  Prof.  Spiegelberg,  welchem  Recht  imd  Pflicht  der 
Publication  zunächst  zustanden,  um  die  Erlaubniss,  den 
koptischen  Theil  der  Sammlung  durchmustern  zu  dürfen. 
Prof.  Spiegelberg,  der  erkrankt  und  von  Strassburg  ab- 
wesend war,  gewährte  leider  die  ungewöhnliche  Bitte;  Herr 
Oberbibliothekar  Euting  und  ich  zeigten  in  seinem  Auftrag 
Herrn  Schmidt,  was  wir  irgend  finden  konnten ;  er  erkannte 
in  einem  von  Prof.  Spiegelberg  noch  nicht  gesehenen  Stück 
das  Evangelium  und  durfte  gegen  das  uns  beiden  gegebene 
Versprechen,  es  nicht  ohne  Erlaubniss  Prof.  Spiegelbergs 
zu  veröffentlichen,  Abschrift  davon  nehmen. 


134  Nachwort. 

Die  Publication  übernahm  Prof.  Spiegelberg'  mit  einem 
Schüler,  Herrn  Pfarrer  A.Jacoby  gemeinsam  so,  dass  letzterer 
für  den  theologischen  Theil,  ersterer  für  den  koptischen 
Text  die  Verantwortung  tragen  sollte.  Auf  eine  Anregimg 
des  Herrn  Schmidt  wurde  ein  rasch  hergestelltes  Manuscript 
an  Herrn  Prof.  Harnack  zur  Vorlegimg  in  einer  Sitzung  der 
Akademie  gesendet.  Hierfür  erschien  es  diesem  zu  lang ;  er 
erbat  es  mit  einer  freundlichen  Aeusserung  über  den  theo- 
logischen Theil  sich  für  die  „Texte  und  Untersuchungen" ;  die 
Verfasser  willigten  ein.  Eines  Tages  erhielt  nun  Herr  Jacoby 
zu  seiner  Ueberraschung  ein  detaillirtes  Gutachten  Herrn 
Schmidts  über  die  Arbeit  mit  der  Aufforderung  von  Prof.  Har- 
nack, sich  behufs  weiterer  Aenderungen  an  Herrn  Schmidt 
zu  wenden.  Herr  Jacoby  weigerte  sich.  Die  breite  Darstellung, 
w^elche  Herr  Schmidt  neuerdings  dieser  und  der  hierauf  fol- 
genden Correspondenz  gewidmet  hat,  ist  mehr  als  lückenhaft 
und  einseitig;  doch  verzichte  ich  auf  jede  Berichtigung  oder 
Schilderung  seines  gehässigen  Treibens  seit  der  Differenz 
und  glaube  auch  die  Frage,  auf  welcher  Seite  zu  grosse 
Empfindlichkeit,  auf  welcher  stärkere  Missverständnisse  oder 
formelle  Missgriffe  vorgekommen  sind,  ruhen  lassen  zu 
können.  Für  die  Wissenschaft  macht  es  wenig  aus,  wer  sich 
in  solchen  Dingen  mehr  oder  mit  mehr  Recht  geärgert  hat; 
nur  die  wirkliche  Beschuldigung  hat  auch  für  sie  Wichtigkeit. 
Das  Resultat  war,  dass  die  Verfasser  ihre  Arbeit  zurück- 
zogen, Herr  Schmidt  die  Benutzung  seines  Gutachtens  nicht 
wünschte,  und  Prof.  Spiegelberg,  als  die  anderweitige  Publi- 
cation sich  noch  längere  Zeit  hinzog,  in  der  peinlichen  Lage 
war,  bei  jeder  neuen  Ergänzungs-  oder  Aenderungsmöglich- 
keit,  die  ihm  auftauchte,  sich  ängstlich  zu  fragen,  wieviel 
davon  selbstverständlich  oder  unabhängig,  wieviel  durch  das 
unerbetene  Gutachten  etwa  veranlasst  und  damit  verwehrt 
sein  könnte.  Da  wir  damals  gemeinsam  das  Aufrollen  der 
Papyrus  übenvachten,  haben  wir  öfters  über  diese  Schwierig- 
keit gesprochen. 

Als  die    Arbeit    erschienen   war,    Hess   Herr   Schmidt 
Prof.  Spiegelberg  durch  Herrn  Director  Euting  ausdrücklich 


Nachwort.  lo5 

eine  Anklage  in  einer  Zeitschrift  wegen  widerrechtlichen 
Gebrauchs  seines  Gutachtens  ankündigen;  den  Vorschlag, 
seine  Anklagen  erst  einmal  vor  einem  unparteiischen  Col- 
legen  vorzutragen  und  sich  eventuell  Aufklärimgen  geben  zu 
lassen,  wies  er  schroff  zurück.*  Die  Anklage  erschien  in  den 
Gott.  gel.  Ans.  1900  S.  481  ff.,  eine  anschliessende  Polemik 
in  der  Deutschen  Litter atuvscitung  1900  Nr.  45,  49;  1901 
Nr.  1;  5  und  13;  in  neuester  Zeit  hat  Herr  Schmidt  dazu 
ein  längeres  Büchlein  unter  dem  ansprechenden  Titel  In 
memoriaui  gefügt.- 

1.  Herr  Schmidt  eröffnete  seine  Anklage  damit,  dass 
er  einen  Auszug  aus  dem  letzten  Brief  Prof.  Spiegelbergs 
an  Prof.  Hamack  in  indirekter  Rede  wiedergab,  in  dem 
dieser  angebUch  schrieb,  er  werde  an  anderem  Ort  die  Arbeit 
unverändert  pubüciren.  Sonach  genügte  jede  Abweichung 
des  Druckes  von  dem  vor  Monaten  nach  Berlin  gesendeten 
Manuscript,  die  Illoyalität  des  Verfassers  zu  ersveisen,  und 
Herr  Schmidt  hat  davon  reichlich  Gebrauch  gemacht.  Das 
Wort  unverändert  war  von  ihm  durch  Sperrdi"uck  hervor- 
gehoben, stand  aber  weder  selbst,  noch  dem  Sinne  nach  in 
dem  Briefe.  Es  stammte,  Avie  Prof.  Harnack  auf  Befragen 
gütigst  mittheilte,  aus  einem  ersten,  erregten  Briefe  des 
jüngeren  Mitarbeiters,  Herrn  Jacoby,  der  zu  Anfang  der 
Differenz  Prof.  Harnack  ersucht  hatte,  A^on  der  verlangten 
Mitwii"kung  Herrn  Schmidts  abzusehen,  sonst  müsse  er  seine 
Arbeit  zurückziehen,  um  sie  an  anderem  Ort  unverändert 
zu  publiciren.  Von  dem  Brief,  der  weder  für  beide  \"erfasser 
sprach,  noch  sprechen  sollte,  hatte  er  nicht  einmal  eine 
Copie  behalten;  niu-  ein  Ent\\iu-f,  an  dem  der  Schlusstheil 
fehlte,  fand  sich  erheblich  später.  Von  einem  Recht  der 
Redaction  auf  ein  derartiges  Versprechen  konnte  keine  Rede 


1  Uns  dreien  ist  die  Ablehnung  in  der  beleidigendsten  Form  bekannt 
geworden.  Hat  Herr  Schmidt,  wie  er  behauptet,  Bedingimgen  gestellt,  so  sind  sie 
damals  so  jedenfalls  nicht  an  die  Herren  gekommen. 

"^  Die  Schrift  ist  als  Manuscript  gedruckt  und  weit  versendet;  da  der 
Autor  neue  schwere  Beschuldigungen  erhebt,  wird  er  selbst  nichts  dagegen  ein- 
wenden, wenn  ich  sie  hier  mit  berücksichtige. 


136  Nachwort. 

sein ;  Prof.  Harnack  gab  auch  zu,  dass  es  jeden  Augenblick 
zurückgenommen  werden  konnte.  Bei  der  Begründung  einer 
Ehranklage  hatte  Herr  Schmidt  also  unüberlegt,  aber  Avohl 
bona  fidc  gehandelt ;  er  brauchte  nur  einzuräumen,  er  habe 
sich  geirrt,  als  Herr  Spiegelberg  in  maassvollster  Form  er- 
klärte, das  habe  er  nicht  geschrieben  und  zu  A^ersprechen 
keinen  Anlass  gehabt;  er  habe  den  Wortlaut  jenes  ersten 
Briefes  Herrn Jacobys  erst  jetzt  kennen  gelernt.  Herr  Schmidt 
erhob  nun  neue  Beschuldigungen,  die  ich  nur  dahin  verstehen 
kann,  dass  er  dies  als  unwahr  bezeichnete;  sonst  wüi'de  er 
auch  kaum  diesen  maasslosen  Ton  gewählt  haben  und  nicht 
so  offenbar  der  Ueberzeugimg  sein,  dass  die  Interpolation 
des  entscheidenden  Briefes  und  der  Sperrdruck  des  inter- 
polirten  Wortes,  auf  das  alles  ankam,  berechtigt  sei.  Dass 
Prof.  Spiegelberg  fast  unmittelbar  nach  jenem  Briefe  zu  mir 
ruhig  von  Aenderungen  sprach,  bezeuge  ich  hier  nochmals. 
2.  Als  seinen  Hauptbeweis  bezeichnete  Herr  Schmidt 
ausdrücklich  eine  Stelle,  auf  die  er  in  der  Recension  sogar 
mehrfach  und  später  immer  wieder  zurückgekommen  ist. 
Prof.  Spiegelberg  hatte  —  irre  geleitet  durch  einen  Buch- 
stabenrest, der  als  Interpunktion  gefasst  ^^Tirde  —  ein  Wort 
Christi  ergänzt  „sie  liefen  hinter  mir  \\qx  ,ivic  hinter  dem  Winde'' 
dies  aber  zugleich  selbst  als  grammatisch  bedenk- 
lich' bezeichnet.  Er  fühlte  sich  eben  dadurch  berechtigt, 
das  von  ihm  selbst  beanstandete  Wort  ,, hinter  dem  Winde" 
später  fortzulassen  und  die  Stelle  unergänzt  zu  lassen.  Hier- 
durch mussten  auch  in  dem  theologischen  Theil  einige,  für 
Sinn  und  Tendenz  des  Ganzen  gleichgiltige  Zeilen  fortfallen. 
Herr  Schmidt  schrieb  nun  in  seiner  Anklage:  „Die  grösste 
Veränderung  haben  aber  die  theologischen  Untersuchimgen 
erfahren,  denn  auf  Grund  dieser  Stelle  hatte  Herr  Jacob}- 
lange  Erörterungen  über  den  „windigen  Christus"  angestellt 
und  daraus  eine  besondere  doketische  Christologie  entwickelt; 
Parallelstellen  wie  Joh.  8,  59;  10,  39;  Luc.  4,  30  gaben  die 

'  Oder  wie  Herr  Schmidt  in  seinem  Guiachten  schreibt  „gegen  die 
koptische  Grammatik,  wie  auch  der  Verfasser  bemerkt  hat".  In  seiner  Recension 
sagte  er  hiervon  dem  Leser  nichts,  gründete  aber  gerade  hierauf  seine  Anklage. 


Nachwort.  137 

gewünschte  Unterlage.  Diese  seine  Ausführungen  hat  er 
uns  trotz  des  angekündigten  unveränderten  Druckes  vor- 
enthalten, und  mit  derselben  Entschiedenheit  weist  er  jetzt 
jeden  doketischen  Charakter  der  Fragmente  auf  S.  26  zurück, 
wie  er  früher  für  ihn  eingetreten."  Prof.  Spiegelberg  be- 
gnügte sich  zunächst  durch  Anführungen  aus  dem  Manuscript 
zu  constatiren,  dass  sie  vielmehr  eine  etwaige  doketische 
Deutung  abgelehnt  und  den  Vergleich  als  sprichwörthche 
Redensart  erklärt  hätten.  Herr  Schmidt  bestritt  das  nicht, 
antwortete  aber  mit  der  noch  schlimmeren  Verdächtigung, 
Prof.  Spiegelberg  habe  die  entscheidenden  Stellen  über  den 
Doketismus  mit  Geschick  unterdrückt.  Welche  es  seien, 
oder  Avie  sich  diese  Behauptung  mit  seiner  Recension  in  Ein- 
klang bringen  liesse,  deutete  er  nicht  an.  Prof.  Spiegelberg 
wies  nun  endlich  darauf  hin,  dass  Herr  Jacoby  seine  ganze 
Identifizünmg  des  Evangeliums  darauf  begründet  hatte,  dass 
es  zunächst  mit  dem  Petrus-Evangelium  nicht  identisch  sein 
könne,  da  dies  doketisch  sei,  unser  Evangelium  aber  nicht. 
Es  war  das  genau  dieselbe  Stelle  auf  S.  26  des  Druckes, 
welche  Herr  Schmidt  als  die  schwerste  Aenderung  bezeichnet 
hatte.  Herr  Schmidt  begnügte  sich  in  der  Antwort  ganz 
allgemein  von  ,, wundervollen  Erörterungen  des  Herrn  Jacoby" 
zu  sprechen  imd  für  sich  das  Recht  in  Anspruch  zu  nehmen, 
in  uncontrollirbare  Mittheilungen  aus  ungedrucktem  Manu- 
script des  Gegners  in  Anführungszeichen  gesetzte  Worte 
eigener  Prägung  zu  schieben.  Er  hatte  inzwischen  Ge- 
legenheit gehabt,  das  Manuscript,  welches  bei  Prof.  Ficker 
depönirt  war,  einsehen  zu  lassen  und  davon  für  andere 
Stellen  reichlichen  Gebrauch  gemacht.  Mit  unendlicher  Geduld 
beantwortete  Prof.  Ficker  die  zahlreichen  Fragen  und  bat 
Herrn  Schmidt,  nur  ja  sich  ruhig  zu  erkundigen,  um  ihn  von 
der  Inhaltslosigkeit  seiner  V^erdächtigungen  zu  überzeugen. 
Nach  diesem  Punkt  hat  Herr  Schmidt  erst  nachträglich 
gefragt;  er  behauptet  jetzt  unentwegt  weiter,  der  doketische 
Charakter  sei  „beton^"  gewesen  und  führt  nach  Mittheilungen 
Prof.  Fickers  ein  paar  kleine  redactionelle  Aenderungen  aus 
dem  Eingange  an,   die  mit   dem  Doketismus  nichts 


138  Nachwort. 

ZU  thun  haben.  Zehn  Seiten  weiter  lesen  wir  in  einer 
Anmerkung:  „Ich  kann  auf  diesen  strittigen  Punkt  jetzt 
nicht  eingehen,  da  mir  das  Material  fehlt;  denn  eine  Auf- 
klärung über  meine  Behauptung  wäre  nur  dann  möghch^ 
wenn  ich  einen  Einblick  in  das  ganze  Manuscript  nehmen 
dürfte.  Ueberdies  ist  dieser  Punkt  durchaus  neben- 
sächlich."* Das  war  er  bei  der  Anklage  durchaus  nicht. 
Aber  ich  verstehe  Herrn  Schmidt  auch  nicht  ganz;  er  will 
doch  nicht  nach  einzelnen  Worten,  die  sich  deuteln  oder 
verdrehen  lassen,  suchen.  Die  Frage  ist  also  kurz  und  ein- 
fach: steht  in  dem  ]^Ianuscript  der  auf  S.  26  des  Druckes 
erhaltene  Satz,  sind  also  alle  Schlüsse  Herrn  Jacobys  davon 
abhängig  gemacht,  dass  das  Fragment  „nichts  von  Doke- 
tismus  merken  lasse"?  Ist  dies  der  Fall,  so  hat  Herr 
Schmidt  in  einem  längere  Zeit  vorher  verkündeten  Ehr- 
angriff aus  unklaren  Erinnerungen  willkürlich  bestimmte 
imd  detaillirte  Beschuldigungen  zusammengedichtet  und  dies 
Verfahren  später  durch  neue  Verdächtigungen  verschleiert. 
Leider  trifft  dies  in  allenveitestem  Umfang  zu.  Herr  Schmidt 
will  eine  besondere  doketische  Christologie  gelesen  haben 
und  muss  sich  dabei  doch  etsvas  gedacht  haben.  Nun 
hatte  Herr  Jacoby  das  Wort  „der  Geist  ist  willig,  aber  das 
Fleisch  ist  schwach"  auf  Christus  selbst  gedeutet  und  die 
menschhche  Schwäche  Christi  hier  in  ganz  neuer  Art  betont 
gefunden.  Es  war  der  Hauptpunkt  seiner  ganzen  Erörterungen, 
imd  gerade  gegen  ihn  hatte  Herr  Schmidt  schon  in  seinem 
Gutachten  polemisirt.  Wie  lässt  sich  wohl  damit  eine 
doketische  Christologie  und  ein  entschiedenes  Eintreten  für 
den  Doketismus  vereinigen?  —  Ich  habe  das  nach  Berlin 
gesandte  Manuscript  zweimal  zu  verschiedenen  Zeiten  ge- 
prüft und  verbürge  hier  mit  meinem  Wort,  dass  nicht  nur 
die  erwähnte  klare  Zurückweisung  alles  Doketismus  darin 
stand,  sondern  auch,  dass  ich  keine  doketische  Christologie, 
ja  nicht  einmal  zwei  der  drei  Bibelstellen,  auf  welche 
sie  nach  Herrn  Schmidt' aufgebaut  sein  sollte,  gefunden 
habe.    Nichts  von  ,, wundervollen  Erörterungen",  nichts,  was 


'  Von  mir  gesperrt. 


Nachwort.  139 

den  Ausdruck  „windiger  Christus"  erklären  könnte.  Nur  die 
einfache  Bemerkung,  es  sei,  wie  schon  der  fehlende  Artikel 
zeige,  ein  Sprichwort  der  Zeit,  und  Christus  sage:  „wie  die 
bisherige  Verfolgung  Aveiter  keinen  Erfolg  hatte, 
als  ein  Mensch  hätte,  der  hinter  demWinde  herläuft, 
so,  meint  er,  wird  es  auch  fürder  im  Tode  sein." 
Dabei  stand  freihch  auch:  „die  Ergänzung  stützt  sich  auf 
Stellen  wie  Joh.  7,  30;  8,  20;  10,  39  die  wunderbaren  Ver- 
suche der  Juden  ihn  zu  greifen,  da  sie  ihn  doch  nie  fangen 
können"  (Anm.:  vgl.  Holtzmann  NT  Theologie  II  449  ff.)  und 
„Der  Ausdruck  streift  allerdings  das  Doketische  bereits 
bedenklich".  Hieran  knüpfte  nach  einer  kurzen,  im  Druck 
wiedergegebenen  Unterbrechung:  „die  menschliche  Natur 
des  Herrn  ist  ungleich  stärker  betont,  als  in  dem  vierten 
Evangelium,  cf.  das  Wort  Christi  von  Fleisch  und  Geist. 
Auf  Doketismus  könnte  nur  das  Wort  vom  Winde  führen; 
doch  ist  dieses,  abgesehen  davon,  dass  es  ergänzt,  also  zu 
einem  stricten  Beweis  ungenügend  ist,*  auch  so  sehr  wohl 
verständlich,  zumal  als  Sprichwort".  Das  ist  alles.  Die 
entscheidende  Ablehnung  alles  Doketismus  an  der  Haupt- 
stelle habe  ich  schon  erwähnt. 

Ich  kann  leider  mir  und  dem  Leser  die  Frage  nicht  er- 
sparen, woher  Herr  Schmidt  zwei  von  jenen  drei  Bibelstellen 
hat,  die  er  in  dem  Manuscript  gelesen  haben  will.  Hier  haben 
wir  ja  endHch  eine  feste  Behauptung,  die  nicht  auf  Phantasie 
und  Irrthum  zurückgeführt  werden  kann.  So  verglich  ich 
denn  Herrn  Jacobys  Citat :  Holtzmann  NT  Theologie  II  449  ff. 
Prof.  Holtzmann  bespricht  dort  die  Eigenthümlichkeit  des 
Johannes -EvangeHums,  dass  sich  die  durch  Verfolgungen 
der  Juden  entstehenden  Conflikte  so  oft  durch  den  halb- 
mysteriösen  Vorgang  eines  wunderbiiren  Entweichens  Jesu 
lösen.  Auf  diesen  johanneischen  Zug  hatte  Herr  Jacoby  ver- 
wiesen und  aus  den  zahlreichen  Stellen  di-ei  herausgegriffen. 
Prof.  Holtzmann  endete  die  lange  Zusammenstellung,  indem 
er  als  die  eigenartigsten  Stellen  auch  Joh.  8,  59,  den  späteren 


>  Die  Ergänzung  war,  wie  erwähnt,  sogar  als  nicht  einwandfrei  gegeben. 


140  Nachwort. 

Zusatz  aus  Lucas  4,  30,  und  Joh.  10,  39  anführte  und  bemerkte, 
dies  könnte  auf  eine  dem  basilidianischen  Doketismus  ver- 
wandte Auffassung  zurückw^eisen.  Falls  ich  also  nicht  an- 
nehmen soll,  Herr  Schmidt  habe  seine  Citate  aus  h'gend  einer 
Darstellung  des  Doketismus  entnommen  und  gefälscht, 
muss  ich  wohl  vermuthen,  dass  ihm  nur  der  Verweis  auf  Holtz- 
mann  in  Erinnerung  Avar,  er  diesen  nachschlug  tmd  auf  gutes 
Glück  die  drei  Stellen  auswählte,  bei  denen  dieser  an  den 
Doketismus  erinnert  hatte,  dass  ihn  endlich  Prof.  Holtzmanns 
vorsichtige  Worte  zu  der  Behauptung  veranlassten,  er  habe 
diese  drei  Stellen  als  Grundlage  einer  doketischen  Christo- 
logie  bei  Herrn  Jacob}-  gelesen.  Es  ist  die  schonendste  mir 
mögliche  Annahme,  doch  würde  ich  dabei  begreifen,  dass 
ihm,  sobald  die  Polemik  begann,  nicht  recht  wohl  ward 
und  er  die  wimderlichen  Ausflüchte  wählte,  die  ich  jetzt 
noch  einmal  nachzulesen  bitte.  Ich  füge  hinzu,  dass  die 
Beschuldigten  dies  alles  zurückhaltend  zunächst  nur  als 
gelegentliche  Entstellung  des  Manuscriptes  bezeichnet  hatten. 
3.  Als  Herr  Schmidt  die  grundlose  Verdächtigung  be- 
züglich des  Doketismus  das  zweite  Mal  erhob,  fügte  er  hinzu 
„vielleicht  rechtfertigt  er  (Prof.  Spiegelbergj  sich,  resp.  Herrn 
Jacoby  ob  der  stillschweigenden  Benutzung  meines  Hinweises 
auf  Joh.  15,  20.  Herr  Jacoby  hat  nach  eigenem  Geständnisse 

'  Der  Ausdruck  war  hier  mir  und  den  Collegen,  die  ich  fragte,  allen  rärhsel- 
haft  geblieben.  Erst  während  ich  jetzt  mich  quäle,  mich  in  die  wunderlichen  Ge- 
dankengänge Herrn  Schmidts  hineinzuversetzen,  um  ihm  gerecht  zu  werden,  sehe 
ich  die  Möglichkeit  einer  Lösung.  Die  Verfasser  hatten,  als  sie  in  dem  nach  ihrer 
früheren  Annahme  sprichwörtlichen  Ausdruck  „wisset  nun :  sie  liefen  hinter 
mir  her,  wie  man  hinter  dem  Winde  herläuft"  die  letzten  Worte  mit  vollem 
Rechte  wegliessen,  nicht  mehr  übersetzt  „sie  liefen  hinter  mir  her",  was 
jetzt    stilistisch  unmöglich   war,    sondern   „wisset,   dass   man  mich  verfolgt  hat, 

wie   man    verfolgt    hat , ."    und    dann    eine    Lücke    gelassen.    Dies    Wort 

„verfolgt"  steht  nun  in  anderer  Wendung  in  Luthers  Uebersetzung  zur  zweiten 
Hälfte  von  Johannes  15,  20  und  auf  diese  hatte  Herr  Schmidt  zuerst  verwiesen, 
ja  sie  angeführt.  Er  hat  das  wirklich  auch  in  seiner  Recension  als  wichtige  An- 
klage vorgebracht,  und  ich  hatte  vielleicht  unrecht,  dies  bisher  nur  humoristisch 
zu  fassen.  Sollte  er  sich  deshalb  aus  der  Behauptung:  „den  ersten  Theil  habe  ich 
gekannt"  willkürlich  ein  Geständniss:  „im  zweiten  habe  ich  Herrn  Schmidt 
benutzt"  gebildet  haben  ?  Er  müsste  dann  freilich  im  Eifer  des  Kampfes  später  selbst 
vergessen  haben,  was  er  mit  dem  Worte  meinte.  Die  Vermuthung,  dass  dann  soviel 


Nachwort.  141 

nur  die  einführende  Formel  benutzen  können,  um  dem  Vor- 
^\^urf  der  Benutzung  zu  entgehen".  Es  handelt  sich  um  dieselbe 
Stelle,  deren  Eingang  die  Verfasser  ergänzt  hatten  „denket  an 
das,  [was  ich  gesagt  habe]  zu  euch  allen".  Zu  dieser  Formel 
hatte  sich  Herr  Jacoby  eine  Anzahl  Parallelstellen  notirt, 
darunter  auch  Joh.  15,  20  (ausgeschrieben):  ^ivimoveueTe  toö 
XÖYOu,  ou  tfih  eiTTov  u|uiv,  sie  aber  in  dem  nach  Berlin  ge- 
sandten Manuscript  vergessen  oder  als  imwesentlich  fort- 
gelassen. Nur  eine  Art  Paraphrase  „und  er  erinnert  sie  an 
ein  Wort,  das  er  ihnen  einst  gesagt  hat"  zeigte,  wie  Herr 
Schmidt  jetzt  weiss,  dass  er  die  Johannesstelle  kannte.  Herr 
Schmidt  hatte  erkannt,  dass  sich  auch  die  Fortsetzung"  des 
Johannes -Spruches  mit  den  folgenden  koptischen  Resten 
nahe  berühre,  was  die  Verfasser  wegen  der  früher  erwähnten 
irrigen  Annahme  einer  Interpunktion  und  Worttrennung 
nicht  gesehen  hatten.  Als  das  nach  Berlin  gesandte  Manuscript 
gedruckt  wurde,  fügte  Herr  Jacoby  in  der  zweiten  Correctur 
bei:  „zu  der  einführenden  Formel  cf.  Joh.  15,  20".  Herr 
Prof.  Spitta  fragte  gleich  nach  dem  Druck  Herrn  Jacoby,  ob 
sich  denn  nicht  auch  die  weiteren  Johannes-Worte  mit  dem 
koptischen  Text  vereinigen  Hessen,  imd  erhielt  die  Antwort,  das 
glaubten  die  Verfasser  jetzt  auch,  könnten  aber  davon  keinen 
Gebrauch  machen,daHerrSchmidt  in  seinem  Gutachten  hierauf 
hingewiesen  habe.  So  wurde  mir  die  Sache  wenigstens  später 
erzählt.  Prof.  Spitta  war  von  der  Loyalität  seines  Schülers  voll 
überzeugt.  —  Da  Herr  Spiegelberg  für  die  Ehre  seines  Mit- 
arbeiters gegen  Herrn  Schmidts  wiederholte  Verdächtigung 
eintreten  wollte,  schrieb  er  in  der  Entgegnung  kurz:  „auch 
die  Verweisung  auf  Joh.  15,  20  befindet  sich  in  dem  ur- 
sprünglichen Manuscript".  Herr  Jacoby  hatte,  als  Herr 
Schmidt  seine  Beschuldigungen  wegen  des  Doketismus 
wiederholte,  mir  auf  meine  Bitten  sein  Manuscript  gezeigt 


Tinte  und  Druckerschwärze,  soviel  Verdächtigung  und  Beschimpfung  an  das 
Erstreiten  dieses  „geistigen  Eigenthums"  gewendet  und  ernsthafte  Männer  Monate 
lang  mit  Briefen  und  Untersuchungen  um  diese  —  mild  gesprochen  —  armselige 
Quisquilie  bemüht  werden  konnten,  ist  mir  freilich  selbst  so  seltsam,  dass  ich 
sie  nicht  ganz  zu  glauben  wage. 


1 42  Nachwort. 

und  es  dann  auf  meinen  Rath  zu  Herrn  Prof.  Ficker  getragen, 
damit  dieser  es  bewahre  und  eventuell  andern  zur  Einsicht 
zugänghch  mache.  An  diesen  schrieb  nun  Herr  Schmidt,  ob 
die  Venveisimg  in  dem  nach  Berlin  gesandten  Manu- 
script  stünde.  Herr  Ficker  antwortete  in  diesem  Alanuscript, 
welches  dem  Druck  zu  Grunde  gelegen  habe,  stünde  sie  nicht, 
wohl  aber  stünde  ein  Veru^eis  auf  die  einführende  Formel  zwei 
Mal  in  den  Concept-  und  Collectaneenblättern,  die  ihm  Herr 
Jacoby  ausserdem  übergeben  hätte.  Um  Herrn  Schmidt  zu 
überzeugen,  beschrieb  er  ihre  Paginirung  und  ihr  Aussehen 
möglichst  genau  tmd  erzählte  am  Abend  mir  fröhlich,  er 
hoffe  Herrn  Schmidt  von  seiner  Beschuldigung  abgebracht 
zu  haben.  Herr  Schmidt  aber  druckte  in  seinem  „letzten 
Wort":  „Herr  Spiegelberg  hat  die  Stirn,  weiterhin  zu  be- 
haupten, dass  auch  die  Verweisung  auf  Joh.  15,  20  sich  in 
dem  ursprünglichen  Manuscript  befinde,  sodass  der  von  mir 
gegen  Herrn  Jacoby  geäusserte  Vorwurf  diesen  in  keiner 
Weise  treffe.  Ich  stehe  nicht  an,  diese  Behauptung  für  eine 
Unwahrheit  und  Irreführung  der  Leser'  zu  erklären, 
denn  auf  meine  Anfrage  bei  Prof.  Ficker  erhalte  ich  freund- 
lichst folgende  Ant\vort:  „In  der  Druckvorlage,  also 
dem  nach  Berlin  gesendeten  Manuscript,  habe  ich 
einen  Verweis  auf  Joh.  15,  20  nicht  finden  können". 
So  wird  meine  Behauptung  einer  stillschweigenden  Benutzung 
dieses  wichtigen  Nachweises  durch  das  Manuscript  voll- 
ständig bestätigt  —  bei  der  obigen  ganz  falschen  Ueber- 
setzung  konnte  Herr  Jacoby  gar  nicht  auf  Joh.  15,  20  ver- 
weisen -  —  und  ebenso  ist  das  von  mir  angegebene  Geständniss 
des  Herrn  Jacobys,  er  habe  nur  die  einführende  Formel 
benutzen  können,  um  dem  Vorwurf  der  Benutzung  zu  ent- 
gehen, nicht  „eine  völlig  aus  der  Luft  gegriffene  neue  \rer- 
dächtigung",^  sondern  eine  gesicherte  Thatsache,  da  er  dies 


•  Von  Herrn  Schmidt  durch  Fettdruck  hervorgehoben. 

*  Herr  Jacoby  hatte  übersetzt:  „denket  an  das  [was   ich  gesagt  habe  zu 
euch  allen]"  und  hiermit  verglichen:  lavrjlnoveueTe  TOÖ  XÖYOU  ou  i^w  eiTTOV  ü|aiv. 

'  Diese   Worte   hatte   Prof.    Spiegelberg  nicht    von   diesem    angebhchen 
Geständniss,  sondern  von  Herrn  Schmidts  Behauptungen   über  den  Doketismus 


Nachwort.  143 

ekrliche  Geständniss  einem  Professor  der  Theologie  in 
Strassburg  gegenüber  abgelegt  hat.  Sollte  aber  HeiT  Jacoby 
an  der  gleichen  Gedächtnissschwäche  wie  Herr  Spiegelberg 
leiden,  so  werde  ich  den  Namen  des  Betreffenden  ihm  gern 
zur  \''erfügung  stellen".  Etwas  ganz  anderes  schien  aus 
dem  „Geständniss"  mit  einem  Mal  geworden,  und  Herr 
Prof.  Spitta  säumte  nicht,  den  hierdurch  erweckten  Verdacht 
energisch  zurückweisen  zu  lassen.  So  hat  Herr  Schmidt  denn 
das  von  ihm  angeblich  gehörte  Geständniss  auch  jetzt  in  seinem 
Buch  als  sachlich  durchaus  übereinstimmend,  mit  dem  was 
Herr  Jacoby  behauptet  (oder  wie  Herr  Schmidt  schreibt,  ein- 
gesteht), bezeichnet.  Auch  es  ist  ihm  off enbar  jetzt  ganz  neben- 
sächHch.  Die  ^'erkehrung■  der  Aeusserungen  Prof.  Fickers  in 
das  gerade  Gegentheil,  von  dem,  was  er  gemeint  hatte,  empörte 
damals  alle  Betheiligten.  Bei  ruhiger  Erwägimg  wird  man 
zugeben  dürfen,  dass,  da  Prof.  Spiegelberg  unvorsichtiger 
Weise  das  Wort  „urspi-üngliches  Manuscript"  für  den  Ent- 
wurf gebraucht  hatte  imd  dasselbe,  ohne  es  zu  merken, 
an  einer  anderen  Stelle  für  das  nach  Berlin  gesendete 
Manuscript  im  Gegensatz  zu  Herrn  Schmidts  Erfindungen  ver- 
wendet hatte,  dieser,  der  ja  sehr  leidenschaftlich  erregt  war, 
in  gutem  Glauben  gehandelt  haben  kann.  Für  einen  ruhig 
denkenden  Menschen  konnte  freilich  nie  ein  Zweifel  daran 
sein,  dass  Herr  Prof.  Ficker,  wenn  er  dem  Manuscript,  nach 
dem  der  Druck  erfolgt  sei,  die  CoUectaneen-  und  Concept- 
blätter,  die  Vorarbeiten  entgegenstellte,  letztere  als  die 
früheren  bezeichnen  wollte.  Indess  Herr  Schmidt  versichert, 
dass  er  niemals  an  diese  Möglichkeit  gedacht  habe,  und  dass 
er  die  ganzen  genauen  Angaben  über  die  Art  der  Blätter 
für  nur  der  Vollständigkeit  halber  zugefügt  gehalten  habe. 
Was  Herr  Schmidt  in  seiner  neusten  Schi-ift  hinzufügt, 
Herr  Jacoby  habe  ein  Jahr  nach  Ausbruch  des  Streits  einen 
Prioritätsanspruch  erhoben  und  Concept-Material  in  eine 
wissenschaftliche  Debatte  eingeführt,  was  durchaus  unstatt- 


gebraucht.     Des  „Geständnisses"  war  damals   mit  keinem  Wort  gedacht.     Was 
Herr  Schmidt  durch  diese  Erfindung  erreichte,  liegt  auf  der  Hand. 


1-+4  Nachwort. 

haft,  ja  sogar  rundweg  abzulehnen  sei,  befremdet  etwas.  Ich 
dachte,  Herr  Schmidt  hätte  den  Prioritätsstreit  auf  Grund  un- 
gedruckten Materiales  mit  den  schwersten  Verdächtigungen 
eröffnet,  und  ich  wüsste  nicht,  wie  man  solche  anders  als 
mit  ungedrucktem  Material  zurüclaveisen  könnte,  wenn  man 
sie  beantAvortet. 

Herr  Ficker  setzte  Herrn  Schmidt  eingehend  aus- 
einander, was  er  gemeint  hätte,  worauf  Herr  Schmidt  erst 
Herrn  Jacobys  Loyahtät  anerkennen  wollte,  dann  aber 
plötzlich  anfing,  sich  zu  erkundigen,  ob  diese  Blätter  nicht 
doch  nachträglich  verfertigt  sein  könnten.  Prof.  Ficker  wider- 
sprach lebhaft  und  legte  immer  wieder  dar,  dass  und  warum 
diese  Blätter  nothwendig  vor  die  endgiltige  Gestaltung  des 
Textes  und  dessen  Sendung  nach  Berlin  fallen  müssen.  Das 
Resultat  ist,  dass  Herr  Schmidt  in  seinem  Buch  In  mnnoriam 
eine  ganze  Sammlung  neuer  Verdächtigungen  A'orbringt. 
Natürlich  hat  Herr  Spiegelberg  beabsichtigt,  dass  man  imter 
dem  „ursprünglichen  ]\Ianuscript"  das  nach  Berlin  gesendete 
verstünde  (S.  19).  Die  Worte  „schmählicher  Missbrauch, 
unerhörte  Zweideutigkeit"  u.  s.  w.  genügen  dem  \'erf asser 
kaimi.  Die  Concept-  und  Collectaneen-Blätter  sind  selbst- 
verständlich nach  dem  Berliner  Manuscript  und  auf  Grund 
von  Herrn  Schmidts  Gutachten  verfasst ;  aber  Herr  Jacoby 
hat  nicht  etAva  gefälscht ;  er  hat  nur  vergessen,  w^ann  er  sie 
geschrieben  hat,  er  hat  sie  erst  nach  einem  Jahre  zufällig 
gefunden,  hält  sie  jetzt  für  älter  und  beinift  sich  in  Folge 
eines  Gedächtnissfehlers  auf  sie.  Dass  Prof.  Ficker  das 
angesichts  der  Blätter  für  unmögHch  erklärt,  wird  wenigstens 
nicht  verschwiegen;  so  wird  es  auch  mir  nichts  helfen,  wenn 
ich  das  Zeugniss  ablege,  dass  es  ganz  unmöglich  ist,  dass 
das  entscheidende  Blatt  mit  seinem  Durcheinander  von 
Notizen  und  Ergänzungsversuchen  nach  dem  Manuscript  und 
vor  dem  Druck  gefertigt  ist.  Entweder  liegt  hier  die  raffinirteste 
Fälschung  vor,  die  je  zum  Betrüge  verwendet  ist,  oder  das  Blatt 
gehört  einem  früheren  Entwurf  an.  Aber  ich  verstehe  auch 
nicht,  wie  Herr  Schmidt  sich  den  Gedächtniss-Trrthum  denkt. 
Er  behauptete  doch  früher  und  hat  diese  Beschuldigung  nicht 


Nachwort.  145 

etwa  zurückgenommen,  Herr  Jacoby  habe  sein  Gutachten 
geplündert  und  zur  Verdeckung  dieses  seines  Verfahrens 
den  VerAveis  auf  die  einführende  Formel  beschränkt.^  Und 
ziemlich  gleichzeitig  soll  Herr  Jacoby  den  ebenso  geformten 
Verweis  in  bestem  Glauben  auf  ein  Conceptblatt  ge- 
schrieben haben?  Und  noch  mehr:  jetzt  wissen  wir  endlich, 
dass  Herr  Schmidt  schon  vor  dem  Druck  seiner  Recension 
von  Prof.  Spitta  gehört  hat,  Herr  Jacoby  behaupte,  die  Ein- 
leitimgsformel  schon  früher  mit  Johannes  15, 20  verglichen  zu 
haben;  Herr  Schmidt  behauptete  vom  ersten  Moment  ohne 
jeden  Grund  und  Anhalt,  dass  das  wahrheitswidrig  sei,  und 
er  findet  jetzt  ebenso  anhaltslos  die  Behauptung,  Herr  Jacoby 
habe  auf  Grund  seines  Gutachtens  unmittelbar  vorher  das 
Conceptblatt  in  bestem  Glauben  entworfen  und  sei  nach 
einem  Jahi'  dadurch  zu  einem  Gedächtnissfehler  verführt 
worden. 

Da  die  ganzen  Beweiskünsteleien  des  Herrn  Schmidt 
darauf  fussen,  dass  dieses  Blatt  erst  nach  einem  Jahre  auf- 
getaucht sei,  so  bezeuge  ich  hiermit,  dass  ich  fast  von  dem 
Moment  ab,  wo  ich  aus  den  Sommerferien  zurückgekehrt, 
mit  den  Verfassern  über  die  Recension  des  Herrn  Schmidt 
sprach,  nach  meiner  Erinnerung  Ende  September,  von  einem 
solchen  Blatt  als  von  einem  Theil  der  Vorarbeiten 
hörte.  Herr  Schmidt  wird  also,  wenn  er  seine  anhaltslosen 
Beschuldigungen  weiter  bilden  will,  jetzt  wenigstens  drei 
Männern  Fälschung  oder  Lüge  vorwerfen  müssen. 

Ich  habe  damit  zugleich  alles  erwähnt,  was  Herr 
Schmidt  in  dem  einzig  zur  Discussion  gezogenen  Hauptpunkt 
seiner  Anklage  den  beiden  Herren  vorgeworfen  hatte.  Er  hat 
auf  Grund  eines  an  sich  begreiflichen  eigenen  und  fremden 
Aergers  den  peinlichsten  aller  Processe  begonnen,  den  Streit 
nicht   um   eigene   bestimmte   Gedanken,    sondern   um   An- 


1  Er  hüb  dabei  besonders  hervor,  dass  es  ein  junger  Theologe  sei, 
der  so  handle;  er  sprach  schon  in  der  ersten  Erwiderung  von  der  „hilflosen 
Lage",  in  die  seine  Gegner  durch  die  Recension  versetzt  seien;  kurz  er  hat 
nichts  versäumt,  hervorzuheben,  dass  sich  sein  Angriff  gegen  die  sittliche  Person 
des  Gegners  richte;  nur  darum  habe  ich  das  Wort  ergriffen. 

Reitzenstein,  Zwei  relig.-gesch.  Fragen.  lU 


146  Nachwort. 

regimgen,  die  er  gegeben  und  um  Fehler,  die  er  verhütet 
haben  \xi\\.  Wie  er  dabei  verfahren  ist,  hat  sich  gezeigt. 
Ich  verzichte  darauf,  auf  einzelne  Entstellungen  und  Selt- 
samkeiten einzugehen;  in  leidenschaftlicher  Polemik  kommt 
mancherlei  vor.  Die  Art,  wie  Herr  Schmidt  seinen  Haupt- 
angriff führte,  dürfte  in  der  Geschichte  deutscher  Wissen- 
schaft wenig  Vorbilder  haben. 


Verzeichniss  der  herausgegebenen  Texte. 

Evangelienbruchstück  und  Gebet S.  112  ff.,  vgl. Tafel  II. 

Lied  auf  den  Persersieg  Diokletians „     47  ff. 

Lied  von  der  Weltschöpfung ,,     52ff. ,  vgl.  Tafel  I. 

Urkunde  über  Priesterbeschneidung ,,       2  ff. 

Urkunde  über  Prüfung  eines  Opferthieres    .    .  „       7  A.  4. 


Register. 


Apollodor 

Apollonios  V.  Rhodos  I  496  ff. 
IV  259  ff. 
Apuleius  Met.  XI  5 

Aristeas 
Artapanos 
Ave  Äfarla 


89 

66 

61 

95,  2;  106,  2; 

107,  3 

77,  2;   loi 

13;  53  A.;   100 

113  ff- 


Barnabas-Brief  9,  6  10,  3 

Beschneidung  in  Aegypten  i  ff. 

Beschränkung            5 ;  1 1  ff. 

Vorbedingungen  5  ff. 

Zeit  der  Vornahme   3,3;  14  ff. 

Bedeutung  7  ff. ;   11 

bildliche  Darstellung  17 
Beschneidung  von  den  Israe- 
liten übernommen  30 

Ursprung!.     Beschrän- 
kung 31  ff. 

Ausbreitung  36 

Bedeutung  37 


Caesars  Religionspolitik  23;  99 

Cassius  Dio  XLIV  7,3  24 

Catull  c.  64  52,1 
Chairemon          75;  83.  i ;  93,  4;  96; 

97, I ;  98;  109 

Chrysipp  82 

Cicero  de  deor.  Jiat.  III  42  94 

Claudian  51;   132 

,,        de  raptu  Pros. 

I  245  ff.  67;  107 

„         epigr.  gr.  VI  107,  2 

Cornificius  80,  i 

Dekret  von  Kanopos       18;  20;  21 

Diodor     I  10  60 

,,         I  16  64,  I 

I  88  10 

„      III     2  62  ff. 

„      III  32  12  ff. 

Elemente  77  ff. 

Emanationsichre  53  A. 


148 


Register. 


Empedokles  66;  67,  i 

Empfängniss  durch  dasWort  119  ff. 
Epigrammata  graeca  ed.  Kaibel 

1028  105, 7;  106;  109,  I ; 

111,1 
Eratosthenes  Hermes    64,  i ;  68  ff. ; 

82,  I ;   103 
Erstgeburt  9,1;  27.1;  41,1 

Euhemeros  89 

Eupolemos  loi 

Evangelium  Luk.  1,26  ff.         iisff- 
Joh.  1,1      73;  84;  85,1 

Fulgentius  Myth.  1,1  iio 

fevva  und  Teved  107 

Gnosticismus  76;   loS;   126 

(vgl.  Naassener) 

Hekataios  11;  26,1;  64,  i ; 

77, 2;  88;  104 
Hermes        56  A.;  57 A.;  58  ff.;  64; 
68  ff.;   72;   80;   88;  89; 
91 ;  96;   102  ff. 
(vgl.  Logos  und  Thot). 
Hermetische  Schriften    59fF. ;     70; 
80, 1 ;  92ff. ; 
96  ff. 
Herodot  24;  27 

II     37  13;  27 

II     38  7;     8 

»  II  104  31,  I 

III     27  8,2 

Hippys  ■        60;  61 ;  62,  I 

Horapollon  72;  75,  i 

Horaz  c.     \  \o  69,  i 

c.  III    9  69,  I 

loscphos  aniiqnit.  II  2  loi 

losua  Kap.  5  33 


Isis  88,  2;  91,  2;  92,  I ;  95; 

104  fl[,;   130 
„    TEveaii;  106  ff. 

„     biKaioaüvri  105  ff, 

,,     irpövom  102.  I ;   105 

,,     aoqpia  105;   108;   130 

Isis-Hymnos  vgl.  Epigrammata. 

Isokrates  Biisiris  26,  i ;  75,  i 

lustin  II  I  62  ff. 

Kallimachos  Jiyynn  I  87  62,  2 

Kasten  in  Aegypten       26,  i ;  28  ff. 

Königswahl  in  Aeg.  25 

Krieger  in  Israel  35 

Kriegerkaste  in  Aeg.  24 

Kritias  26,  i 

Leon  von  Pella  22;  90 

Livius  Andronicus  51,4 

Logos         56  A.;    70;  72;    So — 87; 

92;    95ff. ;  102;    119  ff. 

Lucan  X  194  97,  i 

Lukrez  107,  2 

,,        I  21  106, 2 

Macrobius6'ö/. I  i7,2f.      58,3;  80,1 

Manetho  irepi  üpxai(J|ioö  8 

Maria  "3  f^-i   125;   129  ff. 

Maximian  in  Spanien  50 

IMenschenopfer  in  Aeg.  8;  9 

Messalla,  M.  60,  i 

Minucius  Felix  9,  4  96,  2 

Moses-Dichtung  41,2;  53  A.; 

100  ff. 

I  Moses  17  15 

II  Moses  4,  24  ff.  31 

V  Moses  23,  3  ff.  39 

laoaxoaqppa-fKJTi'ie;  7, 4 

Mumien  44  ff- 

Mutterrecht  6  ff. 


Register. 


149 


Naassener  62,i;95ff.;  107,2;  111,1.2 
natura  106, 2;  107 

Nestorios  125 

Ogygia  61 

Origenes  in  ep.adRovi.  II 495  M.       9 

Ovid  Metam.  1 1—88     56  A ;  60 ;  65  flf. 

Metam.  I  21  107 

Perserherrschaft  in  Aeg.       18.  30 

Philos  Logoslehre  100 

Philo  de  vita  Mosis  102 

de  cirawicis.  i  12 

Philosophie  bei  den  Aeg.  75;  79;  97 

0pÜYia  YPWMMöTa  94  ff- 

Phrygisch-aegyptischer  Kult      104 

Phylen  der  Priester       19  ff.;  25,2 

Pinehas  39 

Plato  Phaidr.  274  C  87 

Phileb.   18  B  87 

Kratyl.  407  E  81 

Porphyrios,  stoische  Quellen   80,  i ; 

92,2;  95 

Poseidonios  41,2;  63,3;  77,2; 

93;  99;  102 

Prccatio  terrae  107,2 

Precatio  onmium  herbarum       107,  2 

Priestercollegien  in  Aeg.  3,  2 ; 

4.  6;  6;  27 

Bestellung  19 

Erblichkeit  26  ff. 

Priesterthum  in  Israel  36 

Bestellung  33 

Erblichkeit  38  ff. 

irpövoia  95i2;   102,1;   iii,i 


Salomon,  Sprichwörter  108 

Weisheit  108  ff. 

„  Weish.  13, 2  109 

18, 15  III 

Samuel-Sage  41 

Samuel  I  18,  25  37,  2 

Sanchuniathon  36 

Schöpfung  des  Menschen       60  ff. 

der  Welt  65  ff. 

„  durch  das  Wort  71 ;  83; 

119 — 124 

Seneca  nat.  qtiaest.  III  12,  2  78 

Sibyllenorakel  VIII  457  ff.  121 

Sirach  24, 3  ff.  109 

Zoqpia  108  ff.;  129  ff. 

Strabo  XVI  760 — 762       77,2;  102 

XVII  824  II 

Synesios  -rrepi  -rrpov.  I  5  25 

TeXeoTiKÖv  10,  5 

GeoTÖKOc;  und  6eoböxo(;  125 

Thot           S3A.;  56A.;  57A;  71  ff; 

87;  91  flf.;  100 ff. 

(vgl.  Hermes) 

Totenbuch,  aeg.  75  ff. 

17,29  37,1 

Varro  ajitiqu.  rer.  div.       77,2;  79  ff. ; 

99 

„       XVI /r.  31  Si 

„         „       XVI/r.  64  a  79 

„       XVI //-.ÖS  79 

Vergil  Ed.  VI  67 


Zoncnlehre 


57  A.;  62  ff. 


Berichtigung. 
S.  105  Anm.  7  gehört  zu  S.  106  Zeile  i  von  oben. 


4J 


Papyr,  jj:r.  481  v 


1^ 


^^,  ;^^f  v^-\  t_  ,• 


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7.11     R(.it7,.r.^t..;r,    7,.-^;  .-..i; 


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Ostr.  669 


Zu  ,,Reitzenstein,  Zwei  religions- 
geschichtliche Fragen". 


Verlag  von  Karl  J.  Trübner,  Strassburg. 


-^*' 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Soeben  erschien: 

GRUNDFRAGEN 

DER 

SPRACHFORSCHUNG 

MIT  RÜCKSICHT  AUF  W.  WUNDTS 
SPRACHPSYCHOLOGIE  ERÖRTERT 

VON 

B.  DELBRÜCK. 

8».  VII,   i8o  S.  1901.     M.  4.— 


Unter  der  Presse: 

Zur  Geschiclite  des  Perikleischen  Athen 

von 

Bruno  Keil, 

o.  Professor  an  der  Universität  Strassburg. 

8°.  ca.  15  Bogen. 

Aus  Anlass  eines  durch  die  Strassburger  Univ.-  u.  Landesbibliothek  erwor- 
benen Papyrusfundes  ergeben  sich  überaus  wichtige  und  z.  T.  umwälzende 
Aufschlüsse  über  die  Glanzzeit  der  griechischen  Geschichte,  die  in  dieser 
Schrift   im    Zusammenhang  dargestellt  werden. 


In  Vorbereitung: 

Kurze  yergieichende  Grammatik 

der 

indogermanischen  Sprachen. 

Auf  Grund  des  fünfbändigen  Werkes  von  Brugmann  und  Delbrück 

verfasst  von 

K.  Brugmann. 

Das  grosse  monumentale  Werk  von  K.  Brugmann  und  B.  Delbrück 
hat  mit  der  Veröffentlichung  des  fünften  Bandes  soeben  einen  glücklichen  Ab- 
schluss  erreicht.  Damit  ist  der  Zeitpunkt  gekommen,  einen  Auszug  aus  diesem 
Work  für  einen  grosseren  Kreis  von  philologisch  Gebildeten  ins  Auge  zu 
fassen.  Der  eine  der  beiden  Verfasser  hat  sich  bereit  erklärt,  diese  Aufgabe 
zu  übernehmen.  Die  <iKurze  vergleichende  Grammatik»  soll  die  wichtigsten 
Thatsachen  des  grossen  Werkes  im  Zusammenhang  darstellen  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  klassischen  Sprachen,  des  Germanischen,  des  Slavischen 
und  des  Altindischen  und  dabei  den  Umfang  eines  Bandes  von  ungefähr  40 
Bogen  nicht  überschreiten. 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  StrassbURG. 


Unter  der  Presse: 

Hand  Schriften  proben 

des  sechzehnten  Jahrhunderts 

nach  Strassburger  Originalen 

herausgegeben  von 

Lic.  Dr.  Johannes  Ficker      ^^^       Dr.  Otto  Winckelmann 

Professor  an  der  Universität  Strasslnirg.  Archivar  der  Stadt  Strassburg. 

Zwei  Bände  Kleinfolio  mit  102  Tafeln  in  Lichtdruck  und  210  Seiten  Text. 

Subskriptionspreis  M.  60. — .     Eine  Erhöhung  des  Preises  nach  Erscheinen  des 

Werkes  bleibt  vorbehalten. 

Bekanntlich  ist  die  Handschriftenkunde  der  neueren  Zeit  ein  Gebiet,  das 
so  gut  wie  gar  nicht  bis  jetzt  gepHegt  worden  ist.  Es  fehlt  vor  Allem  an  einer 
umfassenden  Sammlung  zuverlässiger  Proben,  wie  die  Paläographie  des  Mittel- 
alters eine  ganze  Reihe  aufzuweisen  hat.  In  Deutschland  ist  kaum  ein  Ansatz 
hierzu  gemacht  worden  und  in  den  grossen  ausserdeutschen  paläographischen 
Veröffentlichungen  ist  nur  vereinzelt  und  in  verschwindendem  Umfange  die 
Neuzeit  berücksichtigt.  Am  dringendsten  ist  das  Bedürfnis  für  das  Jahrhundert 
des  Humanismus,  der  Reformation  und  Gegenreformation.  Der  individuelle 
Charakter  der  Handschriften  in  diesem  Jahrhundert  der  Persönlichkeiten  stellt 
dem  Leser  oft  die  schwierigsten  Aufgaben.  Nicht  anders  lässt  die  Verstreutheit 
des  Materials  gerade  in  diesem  Zeitalter  besonders  häufig  den  Forscher,  den 
Bibliothekar  und  Archivar  nach  sicherer  Unterlage  verlangen,  um  den  Ursprung 
namenloser  Schriftstücke  festzustellen.  Und  welche  handschriftliche  Fülle  harrt 
noch  der  Sichtung  und  der  Veröffentlichung! 

Das  vorliegende  Werk  will  hier  eine  sichere  Grundlage  schaffen.  Es 
bietet  auf  Grund  photographischer  Aufnahmen  die  Handschriftenproben  eines 
ganzen  Jahrhunderts,  aller  der  Persönlichkeiten,  die  in  der  reichen  Strassburger 
Geschichte  dieser  Zeit  hervorgetreten  sind,  auf  allen  Gebieten  des  geistigen 
Lebens,  in  Politik  und  Verwaltung,  in  Kirche  und  Schule,  in  litterarischer  und 
künstlerischer  Arbeit,  dazu  aber  die  Proben  der  charakteristischen  Hände  aus 
der  städtischen  und  bischöflichen  Kanzlei,  der  Kanzler,  der  Sekretäre,  der 
Schreiber.  Die  drei  Strassburger  Archive  haben  hierfür  reichen  Stoff  geliefert, 
verschiedene  auswärtige  Bibliotheken  und  Archive  sind  zur  Ergänzung  heran- 
gezogen worden.  —  Die  Lichtdrucke  sind  von  J.  Krämer  in  Kehl  mit  grösster 
Sorgfalt  hergestellt.  Zum  genauen  Studieren  der  Handschrift  ist  jeder  Tafel 
eine  buchstäblich  getreue  Transskription  gegenübergestellt.  Einleitende  Be- 
merkungen orientieren,  wo  es  nötig  und  wo  es  möglich  ist,  über  die  Persönlich- 
keit und  über  die  Bedeutung  des  ausgewählten  Schriftstücks. 

Für  historische,  theologische  und  germanistische  Seminare,  für  Biblio- 
theken und  Archive,  für  jeden  Forscher  und  Freund  der  Geschichte,  ins- 
besondere der  Vergangenheit  dieses  Landes  und  dieser  Stadt,  wird  das 
Werk  unentbehrlich  sein.  Es  wird  in  der  Wiedergabe  der  Handschriften  die 
Persönlichkeiten  der  Gegenwart  viel  näher  brmgen  und  wird  der  Geschichte 
jener  grossen  Zeit  die  förderlichsten  Dienste  erweisen. 


Soeben  erschien  : 

RUHLAND,  MAX,   Die  clcu.sini.schcn  Göttinnen.  Entwickchmg 

ihrer    Ty[)cn    in   der  attischen    Plastik.      4".     XI,  108    S.      Mit 
3  Tafeln  und  9  Abbildiinj^fen.    1901.  M.  5. — 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassbirg. 


Soeben  erschien: 

DIE  GRIECHISCHE  SPRACHE 

im 

Zeitalter  des  Hellenismus 

Beiträge  zur  Geschichte  und  Beurteilung  der  Koivr]. 
Von 

Albert  Thumb 

a.  o.  Professor  an  der  Universität  Freiburg  i.  B. 
S«.  VIII,  273  S.    1901.     M.  7.—. 

Die  Erforschung  der  hellenistischen  Sprache  oder  KOivr)  hat  in  den  letzten 
Jahren  einen  erfreulichen  Aufschwung  genommen,  der  sowohl  der  biblischen 
wie  der  profanen  Graecität  zu  gut  gekommen  ist.  Dabei  ist  aber  auch  recht 
fühlbar  geworden,  wie  vieles  noch  auf  diesem  erst  durch  die  Inschriften  und 
Papyri  recht  erschlossenen  Gebiet  zu  thun  ist,  bis  wir  die  Geschichte  der 
griechischen  Sprache  von  Alexander  dem  Grossen  bis  zum  Ausgang  des  Alter- 
tums völlig  überschauen.  Das  vorliegende  Buch  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt, 
die  Probleme  und  Desiderata  der  Koivriforschung  zu  skizzieren  sowie  einige 
Kapitel  aus  der  Geschichte  der  koivi'-)  auf  Grund  des  bisher  Geleisteten  zu  be- 
handeln oder  teilweise  durch  eigene  Untersuchungen,  die  jedoch  nur  den 
Charakter  von  Stichproben  aus  dem  reichen  Quellenmaterial  haben,  weiterzu- 
führen. Der  Verfasser  hielt  es  für  seine  besondere  Aufgabe,  die  innigen  Be- 
ziehungen zwischen  der  Koivr)  und  dem  Neugriechischen  überall  zu  betonen 
und  dadurch  für  die  Forschung  methodische  Grundsätze  aufzustellen,  deren 
Befolgung  für  die  weitere  gedeihliche  Arbeit  auf  diesem  Gebiet  unerlässlich  ist. 
Das  Buch  wendet  sich  an  alle,  welche  der  Geschichte  der  griechischen  Sprache 
Interesse  entgegenbringen,  besonders  auch  an  die  Theologen,  weiche  die  Bibel- 
forschung in  engste  Fühlung  zu  den  erörterten  Problemen  bringt;  indem  der 
Verfasser  den  heutigen  Stand  der  Koivt'iforschung  zusammenfasst  und  dazu 
Stellung  nimmt,  hofft  er  nicht  nur  das  erwachte  Interesse  an  diesen  Fragen 
rege  zu  erhalten,  sondern  auch  in  weiteren  Kreisen  neues  Interesse  für  den 
Gegenstand  zu  gewinnen.  Die  Darstellung  gliedert  sich  in  folgende  6  Kapitel: 
I.  Begriff  der  Koivi^  und  Methoden  der  Forschung.  II.  Der  Untergang  der  alten 
Dialekte.  III.  Dialektreste  in  der  Koivr).  IV.  Der  Einfluss  nichtgriechischer  Völker 
auf  die  Entwicklung  der  hellenistischen  Sprache.  V.  Dialektische  Differenzierung 
der  Koivr);  die  Stellung  der  biblischen  Graecität  innerhalb  derselben.  VI.  Ursprung 
und  Wesen  der  Koivr].  —  Beigefügt  ist  ein  grammatisches  und  ein  Wortregister. 

Früher  erschien: 

THUMB,  DR.  ALBERT,  HANDBUCH  DER  NEUGRIECHI- 

.schen  Volks.sprache.  Grammatik,  Texte  und  Glossar.    8".    XXV, 
240  S.  mit  einer  lithogr.  Schrifttafel.  1895.    M.  6. — ,  geb.  M.  7. — 

«Endlich  einmal  eine  brauchbare  Grammatik  der  neugriechischen 
Volkssprache,  ein  Buch,  das  nicht  jenes  aus  allen  möglichen  Formen  zu- 
sammengebraute Kauderwelsch  der  Zeitungen  und  Bücher,  sondern  die 
in  gesetzmässiger  Entwicklung  entstandene  lebendige  Sprache  der  Gegen- 
wart lehrt!  Th.  hat  es  verstanden,  den  wichtigsten  Sprachstoff  auf  sehr 
knappem  Räume  mitzuteilen,  indem  er  sich  auf  die  Verzeichnung  der 
Thatsachen  mit  den  unentbehrlichsten  Erklärungen  beschränkte  .  .  . 
Hundertmal  bin  ich  nach  einem  praktischen  Handbuch  der  neugriechischen 
Volkssprache  gefragt  worden,  und  stets  war  ich  in  Verlegenheit,  was  ich 
den  Leuten  eigentlich  nennen  sollte;  die  gleiche  Verlegenheit  drückte 
mich  jedesmal,  wenn  ich  eine  Vorlesung  über  neugriechische  Grammatik 
hielt  und  den  Zuhörern  zur  Vereinfachung  und  Erleichterung  des  Unter- 
richts etwas  Gedrucktes  in  die  Hand  geben  wollte.  Wer  die  Not  so  an 
eigenster  Haut  gefühlt  hat,  wird  dem  Verfasser  für  seine  schöne  Arbeit 
doppelt  dankbar  sein  ...»  Byzantinische  Zeitschrift  iSgß  ^-  ^^0- 


VERLAG  VON  KARL  J.  TRÜßNER  in  Strassburg. 


ColU.gnon,  Geschichte  der  griechischen  Plastik  (Fortsetzung). 

Darstellungen  der  griechischen  Plastik  am  meisten  den  Anforderungen  der 
Gegenwart  entspricht,  am  besten  über  den  Stand  der  Forschung  orientirt  und 
sich  am  besten  liest.  Wenn  C.  von  der  deutschen  Forschung  einen  sehr 
ausgiebigen  Gebrauch  macht  und  ganz  vorzugsweise  auf  deutsche  Arbeiten  ver- 
weist, so  kann  uns  das  ja  nur  freuen;  es  ist  ein  Beweis  mehr  dafür,  das  5 
wenigstens  auf  diesem  Gebiete  keine  nationalen  Schranken  bestehen,  sondern 
überall  gemeinsame  Arbeit  herrscht  .  .  .  Die  Ausstattung  des  Buches  ist  der 
der  Originalausgabe  durchaus  ebenbürtig,  und  trotzdem  ist,  ein  seltener  Fäll, 
der  Preis  nicht  unerheblich  geringer.  .  .  "         Literar.  Centralblatt  1897  ^^r.  44. 

,,Das  vorliegende 
Werk  bedarf  nach  den 
in  diesen  Blättern  zu- 
letzt Band  33  (1897) 
S.  498  f.  gegebenen 
Ausführungen  für  die 
Bibliotheken  der  Gym- 
nasien und  Gymna- 
siallehrer keiner  Em- 
pfehlung mehr,  doch  ist 
es  erfreulich,  die  Ver- 
breitung desselben  an 
bayerischenGymnasien 
bereits  feststellen  zu 
können,  und  erwünscht, 
nochmals  der  Hoffnung 
Ausdruck  zu  verleihen, 
dass  durch  die  Anschaf- 
fung desselben  die  qual- 
volle Leetüre  von  Over- 

becks  bekanntem 
Buche  immer  seltener 
wird.  Denn  es  bleibt  für 
jeden  billig  und  unab- 
hängig urtheilenden  Ar- 
chäologen die  That- 
sache  bestehen,  dass 
die  deutsche  archäolo- 
gische Literatur  eine  so 
sachgemäss,  klar  und 
anregend  geschriebene 
Darstellung  der  griechi- 
schen Sculptur  nicht 
aufzuweisen  hat  und 
deshalb  gernedas  durch 
die  Freigebigkeit  des 
Verlegers  und  die  ge- 
wissenhafte Mühewal- 
tung des  Uebersetzers 
in  seinem  Werte  er- 
höhte Buch  des  Iranzö- 

sischen  Gelehrten 
Collignon  in  deutschet 
Uebertragung      entge- 
gennimmt .  .  ." 
Heinrich  Ludwig  Urlichs,  München, 
Blätter  für  das  bayr.  Gymnasialwesen  iSgj  Heft  Tl\l2. 
„  .  .  .  Schon  die  vier  bisher  erschienenen  Lieferungen  lassen  die  Wahr- 
heit des  [in  der  Ankündigung]  Gesagten  deutlich  erkennen;  der  Herr  Verfasser 
zeigt  sich  über  das  grosse  Gebiet,  das  von  der  Kunstgeschichte  eingenommen 
wird,  wohl  unterrichtet,    er  weiss  einen  festen  Standpunkt  innerhalb  der  noch 
auf-  und  abwogcndcn  Meinungen  zu  gewinnen  und,  was  er  .bietet,  mit  solcher 
Liebenswürdigkeit   vorzutragen,   dass   der  Leser   sich   von  ihm  gern  durch  das 
Labyrinth  der  verschiedenen  Ansichten  hindurchgeleiten  lässt  .  .  .  Dem  Buche  ist 
weite  Verbreitung  zu  wünschen."      Zeitschrift  f.  d.  Gymnasialwesen  T897  ^^-  10. 

Fortsetzung  siehe  nächste  Seit*. 


Probe  der  Abbildungen. 

n.  Band,  Fig.  235.  Dionysos.  Marmorkopf  aus  den 
Caracallathermen.  (Britisches  Museum.) 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Collignon,  Geschichte  der  griechischen  Plastik  (Fortsetzung). 

(I.  Band  i.  Lief.).  ,,  .  .  .  Wir  Deutsche  besitzen  freilich  aus  der  Feder 
J.  Overbeck's  unter  gleichem  Titel  ein  Buch,  dessen  Verbreitung  schon  durch 
das  Erscheinen  der  4.  Auflage  hinreichend  gekennzeichnet  wird.  Immerhinkann 
daneben  das  Be- 
dürfniss  nach  einem 
handlichen,  frisch 
und  aus  einem  Guss 
entworfenen  Werke 
desselbenStoffes  zu- 
gestanden werden. 
Collignon's  Arbeit 
hält  zweifellos  die 
rechte  Mitte,  ist  ge- 
schmackvoll und 
Heissig  durchge- 
führt und  mit  ge- 
schickter Auswahl 
reich  illustrirt,  ohne 
dadurch  besonders 
kostspielig  zu  wer- 
den. Thraemer's 
Uebersetzung  ist 
eine  wirkliche  Ver- 
deutschung, wäh- 
rend seine  Anmer- 
kungen nicht  nur 
die  seither  hinzuge- 
wachsene Literatur 
nachtragen, sondern 
auch  den  Stand  der 
Fragen,  wo  er  sich 
etwa  verschoben 
hatte,  sorgsam  zu- 
recht rücken  und 
gelegentlich  zu  för- 
dern suchen  .  . 

Die  inzwischen 
erschienenen  Liefe- 
rungen 2  und  3  be- 
handeln den  auf  dem 
Humus  der  alten 
Culturen  triebkräf- 
tig emporwachsen- 
den .  ,, Archaismus" 
der  griechischen 
Plastik.  Die  Vor- 
züge, denen  diese 
Epoche  selberihren 
Reiz  verdankt:  das 
Organische,  Durch- 
sichtige, Strebsame 
der  Entwickelung, 
den  Einsatz  besten 
Könnens,  frische 
und  liebevolle  Be- 
handlung des  Ein- 
zelnen, möchte  man 
auch  vorliegender 
Darstellung  der- 
selben nachrühmen. 
Auf  aussergewöhn- 
lich  guter  Höhe 
halten  sich  auch 
die  Abbildungen. .." 

Deutsche  Rimdschau  iSgs\96  Ä'r, 


II.  Band,  Fig.   173.  Statue  des  Maussolos  vom  Mausoleum 
(Britisches  Museum). 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


GRIECHISCHE 

GESCHICHTE 

VON 

JULIUS  BELOCH. 

Erster  Band:   Bis  auf  die  sophistische  Bewegung  und  den 
peloponnesischen  Krieg. 
Gr.  8°.  XII,  637  S.  1893.  Broschirt  M.  7.50,  in  Halbfranz  geb.  M.  9.50 

Zweiter  Band:  Bis  auf  Aristoteles  und  die  Eroberung  Asiens. 

Mit  Gesamtregister  und  einer  Karte. 
Gr.  80.  XIII,  720  S.  1897.  Brosch.  M.  9.—,  in  Halbfranz  geb.  M.  11.— 
I.  u.  II.  Band  complet  in  2  Halbfranzbände  gebunden  M.  20. — . 

<  .  .  .  Wir  haben  hier  ein  Buch  vor  uns^  das  unbedingt  zu  den  bedeut- 
samsten Erschoinungen  der  geschichtlichen  Litteratur  der  letzten  Zeit  zu  rechnen 
ist.  Beloch  betont  selbst,  dass  er  das  Gebäude  fast  überall  von  den  Grund- 
lagen neu  aufgeführt  habe  und  manche  Gebiete,  wie  die  Wirtschaftsgeschichte, 
bei  ihm  zum  c^-stenmal  zu  ihrem  Recht  kommen;  ebenso,  dass  er  kein  Neben- 
einander von  Sondergeschichten  (athenische,  spartanische  u.  s.  w.)  biete, 
sondern  die  Entwickelung  der  ganzen  hellenischen  Nation  von  einheitlichen 
Gesichtspunkten  zu  erfassen  suche.  Dabei  hüte  er  sich,  ein  Phantasiegcmälde 
der  ältesten  Zeit  zu  entwerfen,  und  richte  seine  Absicht  vielmehr  darauf,  nur  ■ 
das  mitzuteilen,  was  wir  auf  Grund  des  archäologischen  Befundes,  des  homer. 
Epos,  der  sprachgeschichtlichen  Forschung  mit  Sicherheit  zu  erkennen  ver- 
mögen. Man  wird  nicht  bestreiten  können,  dass  alle  diese  Züge,  in  denen 
Beloch  selbst  die  charakteristischen  Merkmale  seiner  Art  zu  forschen  und  zu 
arbeiten  erblickt,  wirklich  in  dem  Buche  hervortreten. 

....  Wir  hoffen,  dass  das  gediegene  Werk  den  Absatz  findet,  den  es  ver- 
dient, und  wüssten  denen,  welche  sich  in  verhältnismässiger  Kürze  über  den 
jetzigen  ungefähren  Stand  unseres  Wissens  von  griechischer  Geschichte  unter- 
richten wollen,  nichts  Besseres  als  Beloch  zu  empfehlen.  In  rt  Bänden  wird 
der  ganze  Stoff  völlig  bewältigt  werden  und  zwar  so,  dass  neben  einem  an- 
ziehend, manchmal  glänzend  geschriebenen  Text,  zahlreiche  Anmerkungen 
hergehen,  die  alle  wesentlichen  Quellen-  und  Litteraturnachweise  darbieten  .... 
Die  Ausstattung  des  Werkes  ist  vorzüglich;  der  Frei*»  von  7  M.  50  Pfg.  für 
40  Bogen  ein  überaus  massiger.» 
Pro/.  G.  Egclhaaf,  Würit.  Korrespondenzblatt  f.  Gelehrten-  u.  Realschulen,  1894  Heftl. 

<Dcr  eigentliche  Vorzug  des  Werkes  liegt  auf  dem  Gebiete  der  Dar- 
stellung d  er  wirtschaftlichen  und  socialen  Grundlagen  des  Lebens, 
in  denen  B.  die  materiellen  Grundlagen  erkennt,  auf  denen  sich  die  gross- 
artigen Umwälzungen,  auch  der  geistigen  und  politischen  Entwickelung  voll- 
zogen. Da  B.  gerade  in  dieser  Beziehung  das  Material  beherrscht,  wie  nich.« 
leicht  ein  anderer  Forscher,  so  durfte  man  hierin  von  seiner  Darstellung  Aus- 
führliches und  Vorzügliches  erwarten  ....  Glanzpunkte  sind  der  VII.  Abschnitt- 
Die  Umwälzung  im  Wirtschaftsleben  (vom  7.  zum  6.  Jahrh.)  und  der  XII. 
Der  wirtschaftliche  Aufschwung  nach  den  Perserkriegen  ....  Ueber  die  Be- 
Völkerungsverhältnisse,  über  die  Getreideeinfuhr,  über  das  Aufhören  dei 
Natural-  und  den  Beginn  der  Gcldwirtschaft,  die  Erträgnisse  -der  Industrie  und 
des  Handels,  über  Zinsen,  Arbeitslöhne  etc.  erhalten  wir  die  eingehendsten 
Aufschlüsse  und  wundern  uns,  wie  diese  wichtigen  Dinge  bei  der  Dar- 
stellung der  griechischen  Geschichte  bisher  unberücksichtigt 
bleiben  konnten.  .  .  ,  Die  Form  der  Darstellung  ist  eine  ausserordentlich 
gewandte  und  fliessende.»     Bl.  f.  d.  Gymnasialschulwesen,  XXX.  Jahrg.  S.  671. 


Verlag  von  KARL  |.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Soeben  erschien: 

REALLEXIKON 

DEE 

INDOGEEMAIISCHElf  ALTEETUMSKUIfDE. 

GKUNDZÜGE 

EINER 

KULTUR-  UND  YÖLKERGESCHICHTE  ALTEUKOPAS 

VON 

O.  SCHRADER, 

o.    Professor    an    der    Universität   Jena. 


Lex.  8".     XL,   1048  S.     1901.     Broschirt  M.  27. — ,   in   Halbfranz   geb.    M.  30. 


Die  indogermanische  Altertumskunde  will  die  Ursprünge  der  Civili- 
sation  der  indogermanischen  Völker  an  der  Hand  der  Sprache  und  der 
Altertümer,  sowohl  der  prähistorischen  wie  der  geschichtlichen,  ermitteln. 
Was  auf  diesem  an  Ergebnissen  und  Streitfragen  reichen  Arbeitsgebiet  bis 
jetzt  geleistet  worden  ist,  soll  das  vorliegende  Reallexikon  der  idg. 
Altertumskunde  zusammenfassen  und  weiter  ausbauen.  Zu  diesem 
Zwecke  stellt  sich  das  Werk  auf  den  Boden  der  historisch  bezeugten 
Kultur  Alteuropas,  wo  die  Wurzeln  und  der  Schwerpunkt  der  idg.  Völker 
liegen,  löst  dieselbe  unter  geeigneten  Schlagwörtern  in  ihre  Grundbegriffe 
auf  und  sucht  bei  jedem  derselben  zu  ermitteln,  ob  und  in  wie  weit  die 
betreffenden  Kulturerschcinungen  ein  gemeinsames  Erbe  der  idg.  Vorzeit 
oder  einen  Neuerwerb  der  einzelnen  Völker,  einen  selbständigen  oder  von 
aussen  entlehnten,  darstellen.  So  kann  das  Reallexikon  zugleich  als  Grund- 
züge einer  Kultur-  und  Völkergeschichte  Alteuropas  bezeichnet 
werden,  indem  die  Rekonstruktion  vorgeschichtlicher  Zustände  nicht  so- 
wohl Selbstzweck,  als  Hilfsmittel  zum  Verständnis  der  geschichtlichen  Ver- 
hältnisse sein  soll.  Im  allgemeinen  begnügt  sich  das  Werk  damit,  das 
erste  Auftreten  einer  Kulturerscheinung  festzustellen  und  ihre  weitere 
Geschichte  den  Altertumskunden  der  idg.  Einzelv()lkcr  zu  überlassen,  für 
die  das  Rcallexikon  eine  Einleitung  und  Ergänzung  sein  möchte.  Ein 
besonderer  Nachdruck  ist  auf  die  Terminologie  der  einzelnen  Kultur- 
begriffe gelegt  worden,  da  es  die  Absicht  des  Werkes  ist,  den  kultur- 
historischen Wortschatz  der  idg.  Sprachen,  was  hier  zum  ersten  Mal  ver- 
sucht wird,  als  Ganzes  sachlich  und  übersichtlich  zu  ordnen,  sowie  sprachlich 
zu  erklären.  Dabei  sind  ausser  den  eigentlichen  Kulturbegriffen  auch 
solche  Begriffe  als  selbständige  Artikel  in  das  Reallexikon  aufgenommen 
worden,  welche  für  die  Kulturentwicklung,  die  Wanderungen,  die  Rassen- 
zugehcirigkeit  der  idg.  V<)lker  sowie  für  die  Urheimatsfrage,  die  einer 
erneuten  Prüfung  unterzogen  wird,  irgendwie  von  Bedeutung  sein  kr)nnen. 


lo  Verlag  von  KARL   J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 

Soeben  erschienen: 

I.  Leicarraga's 

Baskisclie  Bücher  von  1571 

(Neues  Testament,  Kalender  und  Abc) 
im  genauen  Abdruck  herausgegeben 

von 

TH.  LnSCHMAra  und  H.  SCHIICEARDT. 

Mit  Unterstützung  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien. 

16".     87  Bogen.     1900.     In  Ganzleimvand  geb.  M.   25. — . 

Die  wichtigsten  und  umfangreichsten  baskischen  Sprachdenkmäler  werden 
hier  zum  ersten  i\lale  nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  veröffentlicht.  Eine 
ausführliche  Einleitung  ist  beigegeben. 


Historische  Grammatik 

des 

Kilikisch  -Armenischen 

von 

Dr.  Josef  Karst. 

8".     XXIII,  U-i  Seiten  mit  2  Tafeln.  1901.  M.   15.—. 


KAUFFMANN,  Dr.  FRIEDRICH,  TEXTE  UND  UNTER- 
SUCHUNGEN ZUR  ALTGERMANISCHEN  RELI- 
GIONSGESCHICHTE. Erster  Band:  Aus  der  Schule  des 
Wuifila.  Avxenti  Dorostorensis  epistvla  de  fide  vita  et  obitv 
Wulfilae  im  Zusammenhang  der  Dissertatio  Alaximini  contra 
Ambrosivm.  Mit  einer  Schrifttafel  in  Heliogravüre.  4".  LXV, 
135  S.     1899.  M.   16.—. 

Ankündigung:  Der  Verfasser  hat  sich  das  Ziel  gestellt,  die 
Probleme  der  deutsclien  Altertumskunde  in  anderer  Weise,  als  es  bij-her 
geschehen  ist,  anzufassen  und  hegt  die  Hoffnung,  dass  sich  von'  der 
Keligionsgeschichtc  her  manche  Züge  des  altgermanischen  Wesens  und 
Lebens,  die  bi.sher  auch  nicht  einmal  geahnt  werden  konnten,  aufhellen 
werden.  Er  sucht  die  strenge  historische  Methode,  über  welche  die 
Gegenwart  verfügt,  auf  das,  was  man  seither  Mythologie  genannt  hat, 
anzuwenden  und  so  ein  Forschungsgebiet  zu  Ehren  zu  bringen,  das  seil 
den  Tagen  eines  Jacob  Grimm  fast  brach  gelegen  hat.  Er  will  eine 
ganz  neue  Disziplin  der  Germanistik  crschliessen,  die  sich  am  engsten 
mit  der  Geschichte  altgermanischer  Sitte  und  altgermanisrhen  Rechts 
berührt.  --  In  dem  ersten  Hand  wird  ein  uralter  lateinischer  Text  aus  dem 
5.  Jahrhundert  zum  erstenmal  vollständig  herausgegeben.  Derselbe  hat 
die  wichtigste  Urkunde  über  das  Leben  und  Wirken  des  Gotenbischofs 
Wulfila  zum  Gegenstand. 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Soeben  erschien: 


@iitc  ©rörtcvung  bcr  ©ntnbpvoblcme  bcv  ^()ilofopl)ic 
üon 

Bffu  Xieltmanu, 

dritte  berbeffcrtc  unb  bcrmel)rte  §(iif(Qt3c. 


8°.  X,  722  ©.    1900.  —  5Pvei§:  brojd)trt  9Jl.  12.—  gebuubcu  0)1.  14.- 


;3nljnlt:  S^onuort  gur  brittctt  ^luflage.  —  ^rolccjontcna. 

©rftcr  9lbfd&nttt:  our  Srfcnnlninfritif  unb  2:ran§fcenbeutQU'()ilo  = 
fopI)ic.  —  :^bcaU§mu§  itnb  9^calt'ontu«o.  —  lieber  bic  ^$f)änomcnaIität  bc§  9kume§. — 
2(n()aiiö.  —  Diauindiarafteriftif  unb  9ianmbebuctton.  —  Ucbcr  fubjcctiüe,  objectiuc  unb 
abfotutc  3eit.  —  Ucber  relatbc  unb  abfolutc  ^Benjeaung.  —  3ur  Kjeovic  bc§  ©ef)cn§. 
(Sn'tcy  5?apttcl.  Id.  3rt)eite§  Älapttcl.  —  3)ic  2oQxt  bcr  J()atjnd)en  ober  (Saufalität  unb 
ßeitfolgc.  —  3}ic  O)k^tantorpbofen  bc§  3(prtori. 

Btwcitcr  Slbfdjnitt:  ^nx  9'JaturpI)ilofopf)ic  unb  ^ji)d)ologte.  23orbe= 
trad)tungen.  ®r[tc  $>Zebitatton.  Id.  3"^eitc  9)Zebitation.  —  Heber  bm  ;i()tlofopI)tfd)en 
SBertl)    ber   mat()cniattfd}en   9icaturiüil"fenfd}aft.    —   ßinicje  SBortc   über   ba§   5(toni.  — 

t(atom§niu§  unb  S)arit)int§ntu§.  —  2)a§  Problem  bc§  fieben§.  —  5(pljori§nicn  jur 
oSniogonie.  (9)h)tboIogie  unb  5p()tIol'opbic.  A*'^iftonfd)c  3i^Jifd)cnbcnicrfung.  33cbenfen. 
©eogontc.  ©auf olität  unb  3:eleologic.  (Siuigc  $aHngeucfie.  ^bcenorbnung  im  Uniucr- 
fnni.)  —  Hebev  ben  3iifti"ft-  —  3)ic  'iJlffociation  bcr  l^orftctlungcn.  —  lieber  bie  ©yiften,^ 
abftractcr  ^öcgriffc.  —  9JIcnfd)eu=  unb  3;i)icrüerj'tanb.  —  ®e()irn  unb  (Seift.  —  Xk  @in()cit 
ber  9iatur. 

dritter  5tbf*nitt:  3«v  3(eft()etif  nnb  et()if.  -  ^bcnl  unb  2öirmd)Mt.  - 
3)a§  nft{)etifd)c  ^bcal.  —  2)a§  ert)iid)e  ^beal. 

ttranft^n  untr  ®Ijaffadjßn- 

^^^^ilofopfjifdjc  ^((j^ttiiblungcit,  ^t^Ijoriömcu  luib  8tnbicu 

von 

©rfter  33anb:    8«  Xf,  470  ©.     1899.     m.  9.—. 

^nf)Q(t.  1.  .^^eft:  2)ie  2Irten  ber  Übtbwenbigfeit.  2)ie  nted)anijd)e9?aturer!Iärung. 
3bec  unb  @ntelcd)ic.  —2.  öcft:  ©ebanfen  über  ■jjatur  unb  9Jaturerf'cnntnit";.  1.  9Jatuv 
im  ?Ü(gcmeincn,  2.  (Sefe^e  unb  Siröfte,  3.  2)ie  3Uomiftif,  4.  Drganiidic  Tiatnv  unb  :Ieleo= 
(ogic,  ').  ®ic  9?aturbefec(ung  unb  bcr  @ci)'t.  <5d)luf!.  —  3.  .s^cft:  3)ic  53ilber  bcr 
^l)nnta|ic.    2)a§  ^citbeiuufUjcin.    2)ic  Sprad)fä()igfeit.    5)3ji)d}ologifd)e  5(i.i()oriymcn. 

Smxkx  SBanb,  1.  .§eft:    8».  90  ©.     1901.    m.  2.—. 
3nt)a(t:    (Seift  ber  Jran§fcenbentQ(pt}ilofüp()ie. 

2.  ."öeft.  8».  S.  91-284.  1901.  m.  3.— 
:3nf)alt :  (5iruubri&  ber  Stritifd}cn  $)}ctapf)i)fif. 

Das  Werk  enthält  eine  planmässig  und  methodisch  angeordnete  Sammking 
philosophischer  Schriften,  die  sich  auf  dem  l^aden  einer  charakteristisch-be- 
stimmten Weltauffassung  aneinanderreihen,  und  zwar  derjenigen  philosophischen 
Weltauffassung,  die  in  des  Verfassers  früherem  Werke  «Analysis  der  Wirklich- 
keit» ihre  wissenschaftliche  Begründung  erhalten  hat.  Nach  Vollendung  des 
zweiten  Bandes,  der  wie  der  erste  in  einzelnen  Heften  erscheint,  wird  sich 
die  Sammlung  über  sämtliche  Gebiete  der  Philosophie  hinerstrecken. 


Verlag  von  KARL  |.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Soeben  erschien : 

tfraetittfdje  ^rop^eti^mu^. 

xsn  fünf  SSorträgen  für  gebilbete  Soien  gejc^itbevt 

bon 

Carl  ^cinricl)  CorniU, 

bcr  Xbcoloflie  imb  ijä^ilofop^ic  Xoctov,  oibeittitdjem  ^pvofcffor  bcr  2f)eoiociie 
an  bcr  Unii'evntät  iBveslau. 

Stritte  oerbefjerte  ?{uf{oge  (5.  unb  6.  3^oujenb). 

Ät.  8°.    IV,  184  @.     1900.     93rof^iert  m.  1.50,  in  Seiniüonb 
gebunben  9JJ.  2. — . 

Snl^alt:  I.  ^cr  ifracnttfc^e  ^ropt)eti§mii§  tmrf)  Söefen  unb  Sebeutung.  — 
II.  ®er  ifraeütifc^e  ^!|srop^cti§nm§  bi»  juni  lobe  §i»!ia'§.  —  III.  2)er 
i)rae(iti)c{)e  ^rDpf)eti§nui5  öon  DJ^annffe  bi§  jur  ßerftörung  3erujoIem§.  — 

IV.  Ser  ijiaelitijr^e  ^;prop'^eti§nui§  luätjrenb  be§  bQbi)(onii(f)en  @n(§.  — 

V.  ^ie  ^luKiiufer  be§  ijraelitij^en  ^ropf)eti§mu§. 

In  der  Frankfurter  Zeitung  v.  j.  Xov.  i8g4  Nr.  jio  urteilt  D.  Ehlers  über  das 
Schriftchen  wie  folgt: 

„Der  Wahrheitsmuth^  die  geschichtliche  Unbefangenheit,  die  lebendige  Schilderung, 
die  Schönheit  der  Form,  bei  allem  Freimuth  der  Kritik  die  fromme  ehrfurchtsvolle  Scheu 
vor  den  Ileiligthümern  des  alten  Testaments,  welche  die  Coniiil'schen  Vorträge  aus- 
zeichnen, lassen  den  Wunsch  entstehen,  sie  möchten  von  Tausenden  und  Tausenden  gelesen 
werden;  sie  bieten  verständigen  Lesern  für  das  Alte  Testament  einen  Schlüssel,  der  wirklich 
aufschliesst." 

Soeben  erschien : 

(^efdjidjte  tie^  %\Am  ^frnel. 

-Sn  ac^t  95orträgen  bargefteßt 

üon 

War  ^ö|)r, 

t)tx  Xftcologie  unb  «JJIjilofop^ic  Toctor,  a.o.  «ßrofcfiov  bcr  Xfieoloflie  in  SBreSlo«. 

W\i  öier  harten. 

Ä(.  8".     Vni,  168  ®.     1900.     93rofrf)tert  m.  2.—,  in  Seinironb 
gebunben  9J?.  2.50. 

^n()alt:  I.  ^ic  ^t\\.  bcr  ^Qtriarcl)en.  ?(bra^nm.  —  II.  ^er '^(uÄ^ug  QU§ 
?(cgi)pten.  ^JJ^ü)c§.  —■III.  :i:tc  eroberimg  Äannan«.  ^ic  9?id)tcr.  — 
iV.  ^ic  n(tc)'tc  ^TönigSjeit.  'Sau(.  Snüib.  3a(oino.  —  V.  3)ie 
(yeicbirfjte  bc^  iVürbreirfjÄ.  —  VI.  Xie  03cjrf)irfitc  be§  Sübrcirf)§.  — 
VII.  ^ie  3eit  be§  (Sjt(§.   —   VIII. :  ^ie  (5ntftc()ung   bc§  3nbent^nm§. 

5(ul  bem  Jöonuort: 

„Tic  ibrtrnge  luoffcn  nur  ein  S^eridit  fein  über  bie  nioberne  lüiffen- 
irfinftlid)c  ;yorjrf)uug  ,^iir  (^}cirfiirf)tc  ^sjrnel?,  natürlirf)  joiueit  bereu  9?cjultnte 
mir  nnnelnuünr  cr)cl)eiucn,  unb  [inb  in  er[tcr  l'inic  für  einen  lueitcren,  nici)t= 
t()eoIogi)d)en  l'e)erhei^  beftiuunt.  ^"sür  t^eologifd^e  ^efcr  ()abe  irf)  ^^(nmerhingcn 
beigegeben,  meldje  tl)ei(§  iiitteraturnad)iüei|e  unb  iinfl)tige  biblifrf)e  SöelegfteHen, 
tf}ei(§  Inrje  ^Kcrfjtfertigungen  meiner  3tel(ungnat)me  5U  biefer  ober  jener  ^äiwV- 
frage  u.  a.  entgolten." 


BL      Reitzenstein,  Richard 
619        Zwei 

C5R4.     religionsgeschichtliche 
Fragen 


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